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Warum der Nivea-Hersteller immer mehr einer glücklosen Sparkasse ähnelt

Über die Hälfte des Bilanzvermögens hat der Hamburger Nivea-Hersteller Beiersdorf in ertragslose Finanzreserven gesteckt. Von Erfolg ist keine Spur.

Konsumgüterkonzern oder Sparkasse? Seit Jahren ähnelte der Hamburger Dax-Konzern Beiersdorf zunehmend Letzterem. Dass dem Unternehmen dabei die Fortune abhanden gekommen ist, könnte den neuen Vorstandschef Stefan De Loecker am kommenden Mittwoch in Erklärungsnot bringen. Dann nämlich treffen sich die Anteilseigner in der Hamburger Messehalle zur Hauptversammlung.

Nicht weniger als 5,95 Milliarden Euro hielt der Produzent von Nivea-Cremes und Tesafilm zum Stichtag Ende 2018 als „finanzielle Vermögenswerte“ in der Bilanz, darunter neben den üblichen Forderungen auch 2,61 Milliarden Euro in langfristigen Wertpapieren, 899 Millionen Euro in kurzfristigen Geldanlagen und weitere 919 Millionen an Zahlungsmitteln.

Selbst nach Abzug eigener Bankverbindlichkeiten blieb den Hamburgern eine Nettoliquidität von 4,4 Milliarden Euro – 213 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Ein Blick auf das Finanzergebnis dürfte nun für Verärgerung sorgen: Weil Kursverluste der gebunkerten Aktien und Wertpapiere die magere Verzinsung aufzehrten, erwirtschaftet Beiersdorf dort unterm Strich einen Verlust von 49 Millionen Euro.

Das Vermögen wäre ohne Zweifel im Betrieb besser angelegt gewesen als in den Finanzdepots. Teilt man das Betriebsergebnis (abzüglich der Kapitalerträge) durch das Bilanzvermögen (ohne Wertpapiere und Zahlungsmittel), ergab dies 2018 für das operative Beiersdorf-Geschäft eine Kapitalrendite von stattlichen 16 Prozent.

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Doch weil nur wenig ins Wachstum gesteckt wurde, kam Beiersdorf zuletzt kaum voran. Nominal stieg der Umsatz 2018 nur um 2,5 Prozent auf 7,23 Milliarden Euro. Etwa die Hälfte des Zuwachses machte die relativ eigenständige Klebeband-Tochter Tesa aus. Das Konsumentengeschäft mit Cremes, Duschgel und Rasierschaum zeigte dagegen, wie bei anderen Konsumgüterkonzernen auch, Ermüdungserscheinungen.

Der Misere will De Loecker nun ein Ende bereiten. Denn eigentlich lautet die Beiersdorf-Strategie, weltweit Marktanteile zu gewinnen – also auch in der Hautpflege stärker zu wachsen als Konkurrenten wie L’Oréal und P & G. Ähnlich wie Henkel-Chef Hans Van Bylen will De Loecker mit Mehrausgaben das Wachstum stimulieren. Dafür nimmt er in Kauf, dass die Analysten die Gewinnaussichten für seinen Konzern heruntersetzen.

Konkret sollen etwa die Ausgaben für Forschung und Entwicklung steigen, die zuletzt nur leicht zugelegt haben. Beiersdorf will mehr Produkte etwa in Schanghai entwickeln, um den chinesischen Markt nach vielen verlorenen Jahren und einer missglückten Akquisition endlich zu knacken. Vorbild ist die hoffnungsvolle Entwicklung in Indien.

Die Marge wird gedrückt

Auf den Heimatmarkt Europa könnte Beiersdorf höherwertige Produkte wie Naturkosmetik bringen, die derzeit im Trend liegt. Auch in die Digitalisierung soll mehr Geld fließen – was bei einem Kosmetikkonzern wie Beiersdorf das Investment in digitale Werbeformen bedeutet.

Solche Mehrausgaben – insgesamt sollen es jährlich bis zu 80 Millionen Euro sein – werden zunächst die Marge drücken. Nach 15,4 Prozent operativer Rendite 2018 sollen es im kommenden Jahr nur noch 14,5 Prozent werden. Analysten rechnen vor, dass Beiersdorf nunmehr die bislang für 2020 erwartete Marge erst 2023 erreichen wird.

De Loecker ficht das nicht an. Er will Wachstum vor Marge stellen. Seine Analyse: Beiersdorf ist im Vergleich mit anderen Weltkonzernen zu klein. Der Konzern müsse ein sich schließendes Zeitfenster nutzen, um in den Wachstumsmärkten Anteile zu erobern, bevor sie verteilt sind. Bis 2023 soll das jährliche Wachstum auf vier bis sechs Prozent jährlich steigen – ein Prozentpunkt mehr als derzeit.

Dazu soll ein höherwertiger Produktmix beitragen. Denn Beiersdorf agiert in einem wettbewerbsintensiven Umfeld. 2018 sind die Preise um 0,2 Prozent gesunken. Diesen Effekt konnte das Unternehmen wettmachen, indem der Anteil von höherwertiger Kosmetik stieg.

Die Jahresbilanz rettete vor allem die Super-Luxus-Marke La Prairie, die den Umsatz um 38,5 Prozent steigerte. Auch die Apothekenmarke Eucerin schnitt mit einem Plus von 5,9 Prozent erfreulich ab. Die Kernmarke Nivea hingegen schwächelte mit 2,8 Prozent plus, die Pflastermarke Hansaplast verlor sogar 1,8 Prozent Umsatz.

Experimente mit Start-ups und E-Commerce

Beiersdorf setzt auf Ungewöhnliches: Der Konzern will über Risikokapital mit Start-ups anbändeln, eigene Digitaleinheiten starten Experimente im E-Commerce – etwa die Wiederbelebung der 1980er-Jahre-Marke Gammon als Duft für den Onlinehandel. Zudem verspricht De Loecker, verborgene Reserven zu heben.

So will er zusammen mit Finanzchefin Dessi Temperley das von Vorgänger Stefan Heidenreich stiefmütterlich behandelte Working Capital angehen. Denn mit dem Kapitalbetrag, der im Umlaufvermögen gebunden ist, ging es vergangenes Jahr nach oben. Den Grund aber lieferte ein Vorfall im Jahr zuvor: Ein Cyberangriff hatte 2017 die Beiersdorf-Computer über eine Woche zum Stillstand gebracht, die Lager leerten sich. Dass sie 2018 wieder aufgefüllt wurden, vergrößerte die Kapitalbindung erneut.

De Loecker will sie künftig wieder drücken, was der Kapitalrendite zugutekäme. Zudem will er den Gewinn je Aktie steigern, indem Beiersdorf Steuern vermeidet. Die Steuerquote, die in den vergangenen Jahren stets über 30 Prozent lag, soll auf 28 Prozent sinken.

De Loecker will investieren

Größere Veränderungen könnten außerdem Zukäufe bringen. Schon Amtsvorgänger Heidenreich hatte angekündigt, nach Zukäufen Ausschau zu halten. De Loecker will die Suche nun nach eigenen Worten intensivieren – und dafür Spargeld lockermachen.
Ein Vorbild dafür könnte die Klebeband-Tochter Tesa bieten.

Anders als die große Schwester hat das eigenständige Konzernunternehmen zuletzt einige Übernahmen vollzogen. Dabei ging es jeweils um kleinere Zukäufe. 2018 erwarb Tesa in Europa zwei Unternehmen, die zwölf Millionen Euro Umsatz beisteuerten Wichtiger als die Erlöse sind Fähigkeiten, die mit den Übernahmen in den Konzern kommen. So erwarb Tesa ein Start-up in London, das seine Klebemasse allein per E-Commerce und Onlinemarketing an die Konsumenten verkauft.

In Nordamerika übernahm Tesa ebenfalls zwei Unternehmen mit zusammen 17 Millionen Euro Umsatz. Auch dabei erweiterte das Unternehmen seine Fähigkeiten, etwa um Folien für den professionellen Hausbau. Entsprechend stiegen die Investitionen bei Tesa deutlich: 2018 waren es 143 Millionen Euro, im Vorjahr nur 68 Millionen.

Die Zukäufe ließen die immateriellen Vermögenswerte in Beierdorfs Bilanz 2018 nach oben schnellen. Der Goodwill vergrößerte sich um 71 auf 211 Millionen Euro. In den letzten Jahren hatte ihn Beiersdorf fast komplett abgeschrieben. Wachstumstreiber bei Tesa sind speziell entwickelte Klebelösungen für einzelne Industriekunden.

Hoffnungsmarkt Asien

Vor allem das Geschäft mit Elektronikherstellern in Asien läuft gut. In der Region legte Tesa organisch um 12,3 Prozent zu. Das Unternehmen entwickelt Klebestreifen etwa für Smartphones und Tablets. In Amerika lieferte der Spezialist mehr an die Automobilindustrie, litt aber unter verschlechterten Wechselkursen. Einzig das Europageschäft scheint mit einem Plus von 3,2 Prozent gesättigt, insgesamt aber zeigte sich Tesa agil.

Um die Dividende dürften die Anleger trotz möglicher Zukäufe kaum fürchten. Die Beiersdorf-Großaktionäre, die Familien um Michael und Wolfgang Herz, halten die Zahlung seit Jahren bei 70 Cent je Aktie stabil. Damit schüttet Beiersdorf nur einen Bruchteil des Gewinns aus – exakt 159 Millionen Euro. Das soll auch in Zukunft so bleiben, obwohl die Kleinaktionäre seit Jahren auf der Hauptversammlung gegen die Beschlussvorlage zur Dividende Sturm laufen.

Gestiegen ist dagegen die Vergütung des Vorstands – und zwar deutlich. Mit 23,5 Millionen Euro dank Boni machte Heidenreich nach seinem Ausscheiden Schlagzeilen als bestbezahlter Dax-Manager. Das war einmal anders: Sein Vorgänger Thomas Quaas galt stets als einer der am niedrigsten bezahlten Dax-Chefs.

Diesen Kurs hat Großaktionär Herz eindeutig verlassen. Ob De Loecker ebenfalls auf so großzügige Zahlungen hoffen kann, wird davon abhängen, ob er an seinem künftigen Schreibtisch in der neuen Zentrale die Ziele seines „Care+“-Programms erreicht. Bei der Grundsteinlegung des Hauptgebäudes vor wenigen Wochen zeigte der Belgier schon einmal Bescheidenheit. Da er sowieso viel reise, bekundete er, sei ein großes Chefbüro in dem Bau nicht mehr nötig.