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Neues Inkassorecht greift Legal-Tech-Unternehmen an

Für Legal Techs verstecken sich im neuen Inkassorecht problematische Klauseln. Die Opposition spricht von einer „verlogenen Regulierung durch die Hintertür“.

Es ist erst zwei Wochen her, da wollte der FDP-Rechtspolitiker Roman Müller-Böhm in einer Fragestunde des Deutschen Bundestages wissen, welche konkreten Gesetzesänderungen die Bundesregierung für Legal-Tech-Anbieter plant. Die Antwort des zuständigen Justiz-Staatssekretärs: „Die Bundesregierung plant derzeit keine Gesetzesänderung.“

Unerwähnt blieb dabei die Tatsache, dass das Bundesjustizministerium (BMJV) von Christine Lambrecht (SPD) kurz zuvor den Gesetzentwurf zur „Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht“ fertiggestellt hatte. Damit sollen Verbraucher gegen unseriöse Praktiken und hohe Inkassokosten geschützt werden.

Bei aufmerksamer Durchsicht zeigt sich nun: Ganz versteckt finden sich hier Passagen, die problematische Auswirkungen auf die Anbieter automatisierter Rechtsdienstleistungen haben können.

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„Dieses Vorhaben des Bundesjustizministeriums ist eine verlogene Regulierung durch die Hintertür“, meint FDP-Rechtsexperte Müller-Böhm. „Wer mehrfach betont, dass es keiner Gesetzesänderung bedarf, aber dann so einen Entwurf veröffentlicht, bei dem fallen Worte und Taten weit auseinander.“ Anbieter von Legal Tech sollten „offensichtlich ins Abseits“ gedrängt werden. Für sie bedeute der Gesetzentwurf „Misstrauen, Gängelung und Geringschätzung.“

„Das sind eindeutig Anti-Legal-Tech-Klauseln“, kritisiert auch Daniel Halmer, Gründer des Rechtsportals Lexfox und Mitglied der Legal Tech Plattform des Bundesverbandes Deutsche Startups.

Die Start-ups sind häufig als Inkassounternehmen zugelassen

Unter Legal Tech werden automatisierte Rechtsdienstleistungen gefasst. Bekannt sind Internetportale etwa für Fluggastentschädigungen, für Schadensersatzzahlungen nach dem Dieselskandal, als Hilfe gegen unzulässige Mieterhöhungen oder für die Überprüfung von Bußgeld- und Hartz-IV-Bescheiden. Die Anbieter wie Myright, Flightright und Wenigermiete.de setzen Verbraucherrechte gegenüber Konzernen durch.

Der Zugriff über das Inkassorecht ist möglich, weil die Start-ups häufig als Inkassounternehmen zugelassen sind. Das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) verbietet nämlich grundsätzlich die selbstständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen. Darum wählen die Anbieter den Umweg über Inkasso, um ihre Leistungen dem Verbraucher anbieten zu können.

Im Gesetzentwurf zum Inkassorecht finden sich nun für die Branche besorgniserregende Bestimmungen. So sollen die Aufsichtsbehörden für Inkasso künftig mit deutlich mehr Rechten ausgestattet werden. Sie können dann anordnen, dass ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen ist. Eine solche Anordnung kommt insbesondere „zur Entscheidung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung“ in Betracht.

Nun werden mit Blick auf das RDG immer wieder Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung entschieden. Noch im Oktober steht etwa ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) an. Betroffen ist das vom Anbieter Lexfox betriebene Portal „Wenigermiete.de“. Hier können Verbraucher die Mietpreisbremse durchsetzen, indem sie ihre Ansprüche aus dem Mietverhältnis abtreten und Lexfox diese dann gegenüber dem Vermieter geltend macht. Der BGH wird nun klären, ob das eine unerlaubte Rechtsdienstleistung darstellt.

In der Konsequenz könnte die Passage im Gesetzentwurf bedeuten, dass die Behörden anordnen, dass automatisierte Rechtsdienstleistungen bis zu der Entscheidung einer Rechtsfrage zu unterlassen sind.

Aufsichtsbehörde kann unzulässige Angebote unterbinden

„Die Frage, ob bestimmte Geschäftsmodelle zulässig sind, ist von den Aufsichtsbehörden unabhängig davon zu entscheiden, ob bestimmte streitige Rechtsfragen schon (höchst-)richterlich entschieden sind“, heißt es dazu aus dem Bundesjustizministerium. Gegen die Entscheidungen der Aufsichtsbehörden könne dann erforderlichenfalls der Rechtsweg beschritten werden. Schon nach derzeitiger Rechtslage könne die Aufsichtsbehörde unzulässige Angebote unterbinden. Mit der Untersagungsverfügung würde ihnen nur ein „klares Instrument“ an die Hand gegeben.

Lexfox-Gründer Halmer sieht die geplanten Befugnisse für die Inkasso-Aufsichtsbehörden kritisch: „Damit können neue und innovative Geschäftsmodelle einfach ausgeschaltet werden.“ Halmer hält das für rechtsstaatswidrig. „Verbietet ein Gesetz ein neues Modell nicht ausdrücklich, dann muss es mit Blick auf die im Grundgesetz verankerte Berufsfreiheit erlaubt sein“, sagte der Rechtsanwalt dem Handelsblatt.

„Hier stellt sich schon die Frage, ob etwa VW oder die Immobilienwirtschaft Lobbying betrieben haben, um unliebsame Rechtsportale unter Druck zu bringen“, sagte Halmer mit Blick auf den unerwarteten Vorstoß der Regierung.

„Wer die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Handlung nicht mehr den Gerichten vorbehalten möchte, sondern Sachbearbeitern einer Aufsichtsbehörde, legt die Axt an grundlegende Prinzipien unseres Rechtsstaats“, meint auch FDP-Politiker Müller-Böhm. Dass diese Regelung auf Legal-Tech-Anbieter abziele, sei offensichtlich.

In einer Passage des Gesetzentwurfs zum Inkassorecht wird explizit auf Legal Tech Bezug genommen. Da heißt es, es solle insbesondere einem „forum-shopping“ bei der Registrierung vorgebeugt werden.

Neue Vorschriften zur Registrierung für Legal Tech

Vor allem im Zusammenhang mit „den als Legal Tech bezeichneten neuartigen Rechtsdienstleistungen“, bei denen zweifelhaft sein könne, ob sie Inkassodienstleistungen darstellten, habe sich gezeigt, dass Antragsteller dann, wenn ihnen von der für ihren Sitz zuständigen Behörde eine Ablehnung des Antrags in Aussicht gestellt worden sei, ihren Sitz verlegt und ihren Antrag bei der dann zuständigen Behörde noch einmal neu gestellt hätten, heißt es im Entwurf zur Begründung. „In diesem Fall sollte der neu zuständigen Behörde dann aber zumindest bekannt sein, dass es schon einmal einen anderen Antrag gegeben hat“, heißt es weiter.

Geplant sind also neue Vorschriften zur Registrierung für Legal Techs. Dabei ist allerdings unklar, woher der Vorwurf des „forum shopping“ stammt. Zwar ist bekannt, dass das Start-up Myright, das sich an VW-Kunden im Abgasskandal richtet, den Sitz von Hamburg nach Berlin verlegte. Vermehrte Standortwechsel in der Branche sind aber nicht offenkundig.

Eine statistische Erfassung von solchen Wechseln gibt es bislang nicht. „Konkrete Zahlen sind dem BMJV nicht bekannt“, bestätigte das Bundesjustizministerium auf Anfrage. „Die für die Aufsicht über die Inkassounternehmen zuständigen Behörden der Länder haben berichtet, dass es zu Sitzverlegungen von Legal-Tech-Unternehmen gekommen sei, bei deren Geschäftsmodell zweifelhaft war, ob es nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) zulässig ist“, rechtfertigt das Ministerium den Vorstoß. Die Neuregelung solle vor allem der Ausbildung einer einheitlichen Rechtspraxis dienen.

„Ohne eine valide Datenlage werden Legal-Tech-Anbieter durch die Bundesregierung kriminalisiert“, entgegnet FDP-Rechtsexperte Müller-Böhm.

Durch den Gesetzentwurf wird klar, dass die Aufsicht zersplittert ist. Da heißt es, derzeit seien in 15 Bundesländern insgesamt 22 Behörden für die Inkasso-Aufsicht zuständig und allein in Niedersachsen 14 Präsidentinnen oder Präsidenten von Amts- und Landgerichten.

Gebührensätze von Inkassounternehmen werden geringer

Und noch ein Punkt im Gesetzentwurf könnte für Legal Tech zur Belastung werden: Künftig soll die Gebührensätze von Inkassounternehmen reduziert werden. Auch diese Beschränkung hält Start-up-Unternehmer Halmer für problematisch. „Natürlich müssen Verbraucher vor hohen Kosten geschützt werden“, sagte der Lexfox-Gründer. „Die geplante Regelung verkennt aber, dass es eben auch andere Konstellationen beim Inkasso gibt, etwa die Interessenvertretung von Verbrauchern gegenüber Unternehmen.“

Auf die Frage, ob es mit dem Gesetzentwurf zum Inkassorecht das konkrete Vorhaben gab, automatisierte Rechtsdienstleistungen einzuhegen, sagte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums dem Handelsblatt, die bezeichneten Passagen jenseits des „forum shopping“ hätten „keine spezielle Zielrichtung im Bereich des Legal Techs“.

Dem widerspricht allerdings der für den Gesetzentwurf zuständige Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Karl-Heinz Brunner. „Der Eingriff gegen Legal Tech ist gewollt“, sagte Brunner dem Handelsblatt. Es solle ein klarer Rahmen gesetzt werden. „Die Registrierung von Legal Techs und die Aufsicht müssen besser werden“, erklärte Brunner.

Dass Aufsichtsbehörden künftig anordnen können, bestimmte Geschäftsmodelle zu unterlassen, hält der SPD-Politiker für unproblematisch: „Die Behörde muss detailliert begründen, warum ein solcher Schritt nötig ist.“ Eine Einflussnahme der Automobilbranche oder der Immobilienwirtschaft auf den Gesetzentwurf sieht Brunner nicht: „Darüber ist mir nichts bekannt.“