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Bayers neuer Konkurrent forscht an Glyphosat-Alternative

DowDupont bringt seine Agrarchemiesparte Corteva an die Börse. Firmenchef Jim Collins macht im Interview deutlich: Er ist Bayers härtester Konkurrent.

Kaum eine Branche wurde in den vergangenen drei Jahren so heftig durcheinandergewirbelt wie die Pflanzenschutz- und Saatgut-Industrie. Gleich drei Mega-Deals sorgten dafür, dass die Karten neu gemischt wurden: Die Fusion von Dow und Dupont, der Kauf von Syngenta durch Chemchina und die Übernahme von Monsanto durch Bayer. Hinzu kamen etliche kleinere Transaktionen.

Den letzten Schritt der großen Neuordnung in der Branche wird in wenigen Wochen jene Firma vollziehen, die vor dreieinhalb Jahren auch den Startschuss gegeben hat: Anfang Juni entlässt der US-Konzern DowDupont seine fusionierte Agrochemie-Sparte unter dem Namen Corteva als eigenständiges Unternehmen an die Börse.

Der neue Konzern wird mit rund 14 Milliarden Dollar Umsatz zwar gut ein Drittel kleiner sein als der Marktführer Bayer. Aber er tritt in ähnlicher Struktur an, mit jeweils etwa gleich großem Pflanzenschutz- und Saatgutgeschäft. Der designierte Firmenchef Jim Collins lässt wenig Zweifel daran, dass Corteva auch ähnlich ehrgeizige Ambitionen in der Produktinnovation und Forschung verfolgt und damit in jeder Hinsicht wohl stärkster Wettbewerber von Bayer werden wird.

„Wir glauben, dass wir in den nächsten Jahren ein bis zwei Prozentpunkte stärker als der Markt wachsen können“, sagte der Manager im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Und das wird in erster Linie durch unsere Innovations-Pipeline getrieben.“

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Collins verweist auf 21 neue Produkte, die Corteva in den nächsten Jahren auf den Markt bringen will, jeweils etwa die Hälfte im Saatgut- und im Pflanzenschutzbereich. Darunter auch neue Herbizide und Fungizide, mit denen der US-Konzern speziell auf dem europäischen Markt punkten will. Alles in allem, glaubt man bei Corteva, könnten in den nächsten Jahren etwa 35 bis 40 Prozent aller neuen Pflanzenschutz-Wirkstoffe aus den eigenen Labors kommen.

„Wir gehen davon aus, dass wir damit über die stärkste Pipeline in unserer Industrie verfügen“, so Collins. Weitere Wachstumstreiber sieht der Corteva-Chef in der starken Vertriebsorganisation des Konzerns, der sein Saatgut überwiegend direkt unter den Landwirten vermarktet, sowie in den Initiativen im Bereich der digitalen Landwirtschaft. Das Umsatzpotenzial seiner Neuentwicklungen schätzt der US-Konzern auf insgesamt rund neun Milliarden Dollar.

Die Strategie von Corteva ist in vielerlei Hinsicht exemplarisch für den Trend in der Branche: Nach der großen Neuordnung verlagert sich der Wettbewerb wieder stärker in die Sphäre von Forschung, Entwicklung (F+E) und Digitalisierung. Das Ziel, größere Schlagkraft in der Forschung und Entwicklung zu erlangen, vor allem durch die Kombination von Saatgut- und Pflanzenschutzforschung, war einer der maßgeblichen Treiber für die Fusionswelle.

Ambitionierte Wachstumsziele

Entsprechend einheitlich klingen die Wachstumsziele der großen Akteure: Bayer etwa stellt mehr als vier Prozent Wachstum für seine Agrosparte in Aussicht und hat sich damit ebenfalls vorgenommen, das Marktwachstum zu übertreffen. Der Leverkusener Konzern glaubt, dass er die „größte und wertvollste F+E-Pipeline“ der Industrie hat und sieht das Umsatzpotenzial seiner jüngeren Produkte und der in den nächsten Jahren bevorstehenden Neueinführungen bei umgerechnet etwa 19 Milliarden Dollar.

Ähnlich treten auch Syngenta und BASF mit dem Anspruch an, vor allem über Innovationen ihre Positionen auszubauen. BASF etwa verweist auf sechs Milliarden Euro Umsatzpotenzial in der Produktpipeline. Syngenta macht keine entsprechenden Angaben, investiert aber kräftig in seine Gentechnik-Forschung in Peking – und dies nicht nur, weil der Konzern seit 2017 dem Staatskonzern Chemchina gehört.

China gilt als aufstrebender Standort für die Genforschung an Pflanzen und könnte den USA verstärkt Konkurrenz machen. Syngenta will Saatgut, das in Peking mit dem Gen-Editing-Verfahren Crispr verändert wurde, weltweit vermarkten.

Auch die Finanzziele sind ambitioniert: Bayer strebt mittelfristig eine Ebitda-Marge im Agrogeschäft von 30 Prozent an. Corteva nennt kein Margenziel, verspricht aber, das Ebitda doppelt so stark zu steigern wie die Umsätze.

Die Langfristziele der Anbieter sind dabei mit einigen Unwägbarkeiten verbunden. Offen bleibt vorerst, wie stark sich der Markt wirklich entwickelt. In den letzten Jahren wurde das Geschäft durch üppige Ernten, rückläufige Getreidepreise und eine gedämpfte Investitionsneigung der Landwirte deutlich gebremst.

Längerfristig sprechen aus Sicht der Agrochemie-Riesen vor allem drei Faktoren für eine stärkere Nachfrage nach Saatgut und Pflanzenschutzprodukten: die wachsende Weltbevölkerung, schrumpfende Ackerflächen und ein steigender Fleischkonsum. Alles in allem braucht die Agrarwirtschaft daher nach Schätzung der Konzerne bis 2050 eine Effizienzsteigerung von mehr als 50 Prozent. Bayer kalkuliert vor diesem Hintergrund mit einem längerfristigen Marktwachstum von drei Prozent jährlich, Corteva nennt eine Spanne von zwei bis vier Prozent.

Tatsächlich scheint sich die Marktsituation inzwischen wieder zu verbessern. „Der Markt zeigt klare Zeichen einer Erholung“, heißt es in der jüngsten Analyse von HSBC. Zugleich verweisen die Agro-Experten der Bank aber auch auf einen Trend in Richtung generischer, das heißt patentfreier Produkte im Pflanzenschutzbereich. „Wir glauben, dass diese Verschiebung erst einmal anhalten wird.“

Ob unter diesen Bedingungen tatsächlich alle großen Akteure das Marktwachstum übertreffen können, erscheint fraglich. Immerhin bestreiten die führenden fünf Anbieter nach der jüngsten Fusionswelle zusammen bereits rund zwei Drittel des gut 100 Milliarden Dollar großen Weltmarktes für Pflanzenschutzmittel und Saatgut.

„Wir werden wachsen, aber keinen verdrängen“

Corteva-Chef Collins will den neuen Innovationswettlauf dennoch nicht als Verdrängungswettbewerb verstanden wissen. „Es wird Möglichkeiten geben, den Kuchen für alle größer zu machen. Die Landwirte stehen vor großen Herausforderungen. Sie brauchen dringend neue Lösungen und eine größere Auswahl an Produkten.“

Collins verweist auf das Beispiel der Reiszikaden, die große Schäden an Reisplantagen in Asien verursachen und gegen die es bisher kein Mittel gab. „Wir haben jetzt ein Produkt entwickelt, das diese Schädlinge im Zaum halten kann. Damit werden wir wachsen, aber keinen verdrängen.“

Anders als die Bank-Analysten geht der Corteva-Chef davon aus, dass es in diesem Umfeld eher kleinere Player und Generikahersteller sein dürften, die unter Druck geraten, auch weil Zulassungsbehörden ältere Wirkstoffe vom Markt verbannen wollen.

Mit dem Unkrautmittel Glyphosat indessen steht ein Produkt im Feuer, das auch für die Großkonzerne, insbesondere Bayer, sehr wichtig ist. Immerhin erzielte die neue Bayer-Tochter Monsanto zuletzt mehr als drei Milliarden Dollar Umsatz mit dem Herbizid. Zudem zeichnet sich ein Großteil der Saaten des Konzerns dadurch aus, dass sie resistent gegen Glyphosat sind.

Mehr als 11.000 Kläger in den USA machen das Mittel für Krebserkrankungen verantwortlich. In den ersten beiden Prozessen bejahten die Geschworenen einen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs und verurteilten Bayer zu hohen Schadensersatzsummen. Viele Politiker in Europa fordern ein Verbot.

Könnte diese Entwicklung die Marktverhältnisse verschieben? Der Corteva-Chef lässt keinerlei Schadenfreude über die Prozess-Lawine gegen den Konkurrenten Bayer erkennen. Im Gegenteil: In der Glyphosat-Debatte zeigt er sich weitgehend solidarisch mit dem Bayer-Management. „Wir stehen hinter der Wissenschaft von Glyphosat und sind enttäuscht von einigen Gerichtsentscheidungen zu Glyphosat sowie von dem mangelnden Verständnis für die epidemiologischen Studien und die Analysen der Zulassungsbehörden.“

Auch Corteva vertreibt glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel unter eigener Marke, bezieht aber den Wirkstoff von externen Herstellern. Die Perspektiven für das meistverkaufte Herbizid der Welt werden aus Sicht des Corteva-Chefs weniger durch die vermeintlichen Gesundheitsrisiken und Klagen eingetrübt als vielmehr durch wachsende Resistenzen des Unkrauts gegen das Mittel. „Die Landwirte brauchen mehr Wirkprinzipien, um die Resistenzen zu managen“, sagte Collins.

Alternativen zu Glyphosat

Ähnlich wie die Konkurrenten arbeitet daher auch Corteva intensiv daran, weitere Alternativen zu diesem Wirkstoff zu entwickeln. Zu den wichtigen Wachstumshoffnungen des US-Konzerns gehört denn auch die neue Saatgut-Linie Enlist, die gegen das seit langem etablierte Herbizid 2,4-D immun ist.

Auch die Konkurrenten setzen längst auf Alternativen zu Glyphosat: Monsanto hatte dazu seine Xtend-Sorten entwickelt, die zusätzlich zu Glyphosat auch gegen das Herbizid Dicamba resistent sind. BASF wiederum könnte von dem Trend mit dem neu erworbenen Herbizid Glufosinat und dazugehörigen Saaten profitieren. Dieses Geschäft musste Bayer an den Ludwigshafener Konkurrenten abgeben, um die Freigabe für den Monsanto-Deal zu erhalten.

Die Verbindung von Pflanzenschutz und Saaten ist dabei inzwischen für alle vier Top-Akteure ein zentraler Bestandteil der Strategie. Was Saatgut angeht, sind Bayer und Corteva klare Marktführer. Bei Bayer entfallen etwa 50 Prozent des Agrogeschäfts auf Saaten, bei Corteva sogar 56 Prozent, bei BASF und Syngenta dagegen nur ein Viertel.

Bayer setzt nun voll auf das Biotech-Know-how der Monsanto-Labore. Neue Pflanzen wollen die Leverkusener dabei per klassischer Züchtung und gentechnischer Veränderung entwickeln. Gerade in der Gentechnik verstärken alle Anbieter ihr Engagement, allerdings außerhalb Europas, da hier die Technologie verpönt ist.

Die neuen Agro-Riesen haben sich dabei vom Fokus auf einzelne Technologien mehr und mehr verabschiedet und setzen auf die gesamte Palette an Verfahren. Das gilt auch für den Branchenzweiten Corteva: „Wir akzeptieren die Regulierung in den jeweiligen Märkten. Wenn Europa keine genmodifizierten Saaten will, dann entwickeln wir eben andere Produkte. Aber entscheidend wird es sein, die Produktivität zu steigern.“

Klar ist damit, dass sich der Konkurrenzkampf zusehends auf das Feld neuer Technologien verlagert. Eine zentrale Rolle spielen etwa die neuen Möglichkeiten des Gen-Editings mit dem Crispr/Cas-Verfahren, das einen besonders präzisen Austausch von Genabschnitten erlaubt.

„Wir glauben, dass diese Technologien einen Quantensprung repräsentieren in der Genauigkeit, wie man Pflanzen verändern kann, und in der Geschwindigkeit, wie man Produkte auf den Markt bringen kann“, sagte Collins. „Sie könnten auch wichtige gesellschaftliche Fortschritte ermöglichen, etwa indem sie helfen, die Landwirtschaft klimafreundlicher zu machen.“

Von der Entscheidung des EU-Gerichtshofes, die per Gen-Editing modifizierten Saaten als gentechnisch verändert einzustufen, zeigt sich der Corteva-Chef daher enttäuscht – aber auch nicht völlig entmutigt. „Ich glaube, wenn wir die richtigen Daten haben, dann werden wir in den Diskussionen mit den Regulierern doch noch Lösungen dafür finden, dass diese Technologien auch Europa zugute kommen.“