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Das sind die neuen Strategien der Markenfälscher im Ausland

Produktpiraten entdecken neue Wege, um ihre Ware zu bewerben. Hugo Boss und Adidas kämpfen gezielt dagegen – zum Teil mit eigenen Ermittlern im Ausland.

Adidas, Boss, Wellensteyn: Dursun Bozkurt* hat alles zu bieten. Der 52-Jährige verkauft in seinem Laden im Istanbuler Innenstadtviertel Karaköy die Mode der großen Marken – „alles Original“. In seinem Geschäft ohne Namen und ohne offizielle Markenschilder in den Schaufenstern herrscht ein Durcheinander. Hemden von Boss mischen sich mit denen von Paul Shark, Windjacken von North Face hängen an derselben Stange wie die von Jack Wolfskin.

Die Ware mit den typischen Informationszetteln, die an den Klamotten hängen, wirkt hochwertig. Preisschilder gibt es nicht, doch Bozkurt hilft schnell aus. Eine Winterjacke von Wellensteyn kostet 400 Lira (umgerechnet rund 60 Euro) und eine Stoffhose von Lacoste 140 Lira (22 Euro) – ein Bruchteil der Preise also, die sonst die Geschäfte verlangen. „Wir verkaufen hier teilweise B-Ware, deshalb können wir bessere Preise anbieten“, versichert der kahlköpfige Verkäufer. Klingt logisch. Ist es aber nicht.

Der Jackenausrüster Wellensteyn bestätigt dem Handelsblatt auf Anfrage, die eigenen Waren ausschließlich über den stationären Einzelhandel oder lizensierte Wellensteyn-Geschäfte zu vertreiben. „Keiner solcher Stores oder Fachhandelspartner befindet sich in der Türkei“, stellt das Unternehmen klar. Bei den genannten Produkten handelt es sich laut Wellensteyn um Fälschungen. Der türkische Händler Bozkurt aber bleibt bei seiner Behauptung. Auch wenn er nicht nachweisen kann, dass er eine offizielle Geschäftsbeziehung zu den Marken unterhält.

Klar ist aber: Das Geschäft der Fälscher ist ein großes Problem für die Markenhersteller. Aus den aktuellen Zahlen des Zollamts geht hervor, dass die Beamten im vergangenen Jahr über fünf Millionen gefälschte Waren an deutschen Grenzen beschlagnahmt haben. Das bedeutet einen Schaden von insgesamt rund 197 Millionen Euro. Allein der Wert der beschlagnahmten Artikel aus dem Segment „Kleidung und Zubehör“ beläuft sich auf etwa 40 Millionen Euro. Parfums und Kosmetika kommen auf über fünf Millionen Euro.

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Und es ist nicht so, dass solche Produkte nur in Hinterhöfen verkauft werden, versteckt vor den Anwälten der „echten“ Marken. So werden Düfte von Chanel, Hugo Boss und Co. auch im türkischen Küstenort Fethiye oder in Antalya und Bodrum angeboten. Auf die Frage, woher die Ware kommt, antworten nahezu alle Verkäufer unisono: keine Ahnung. Mal sei es eine Fabrik aus der Nähe, mal ein Lkw aus Europa.

„Die Fälscher probieren immer neue Wege aus, den Zoll auszutricksen“, sagt Martin Ruppmann, Geschäftsführer des deutschen Kosmetikverbands (VKE). Eine beliebte Taktik sei es, gefälschte Parfums in Schuhkartons, also in kleinen Einheiten, zu versenden. „Die Personalausstattung der Zollbehörden in Verbindung mit der Fülle zusätzlicher Aufgaben spielt den Produktfälschern dann natürlich in die Hände“, sagt Ruppmann.

Der deutsche Zoll sei bei der Bekämpfung der Markenpiraterie organisatorisch und personell gut aufgestellt, hält ein Sprecher der Behörde auf Anfrage des Handelsblatts dagegen. Es gebe über 10.000 Mitarbeiter, die sich um Produktpiraterie kümmern. Davon fahnden 5200 Abfertigungsbeamte in 252 Zollämtern bundesweit, 5000 Kontrollbeamte arbeiten auf Straßen sowie in Flughäfen und etwa 30 in der zentralen Kontrollstelle in München, die eng mit Unternehmen und der EU-Behörde in Brüssel kooperiert.

Die Top drei der Länder, aus denen die meiste gefälschte Ware kommt, sind seit drei Jahren unverändert: China dominiert die Liste auf Platz eins mit 66,7 Prozent, gefolgt von Hongkong mit 9,4 Prozent und der Türkei mit 7,5 Prozent auf dem dritten Platz.

Übrigens: Auch die Konkurrenz in Deutschland weiß, wie man abkupfert. Einer Befragung unter deutschen Unternehmern zufolge kommt ein Drittel der Produktfälschungen von der Konkurrenz im eigenen Land.

Hugo Boss ermittelt selbst

Die Produktfälscher aus dem Ausland benutzen ähnlich moderne Marketingmethoden wie die Markenunternehmen selbst: Social-Medial-Plattformen. Auf Instagram und Facebook sind Anbieter gefälschter Markenartikel besonders oft vertreten. Wegen des riesigen Angebots auf diesen Plattformen fallen die Anbieter mit kriminellen Absichten kaum auf.

Das türkische Parlament hat seit Januar 2017 ein neues Gesetz erlassen, um Handelsmarken, Patente sowie Industriedesigns besser zu schützen. In den Großstädten gibt es eigene Gerichtskammern, die sich ausschließlich mit Verstößen gegen geistiges Eigentum beschäftigen. Die Hersteller arbeiten zum Teil eng mit den Behörden, dem Zoll und der Polizei zusammen.

Hugo Boss geht sogar noch einen Schritt weiter. Das baden-württembergische MDax-Unternehmen hat in China und der Türkei eigene Ermittler im Einsatz. „Im Online-Bereich gehen wir in Zusammenarbeit mit einem Dienstleistungspartner – durch Seitensperrungen, Accountschließungen und das Löschen von Posts – gegen den Verkauf von Produktfälschungen vor“, sagt ein Sprecher von Hugo Boss.

Auch der Sportartikelhersteller Adidas arbeite eng mit Vollstreckungsbehörden, Fahndern und Juristen zusammen, um die potenzielle Schädigung des Markenimages zu mindern, heißt es auf Anfrage. Dazu gehöre auch, dass Adidas rechtlich gegen Produktpiraterie im Internet vorgehe, sofern dies möglich sei.

Genau dies ist aber besonders schwierig, auch wenn Facebook und Instagram beteuern, dass sie kriminelle Machenschaften auf ihren Plattformen nicht dulden.
In einer gemeinsamen Erklärung der beiden sozialen Netzwerke heißt es: „Wir haben verschiedene Möglichkeiten, solche Aktivitäten frühzeitig zu erkennen und zu entfernen, bevor diese die Nutzer erreichen.“ Dafür sei zum einen Künstliche Intelligenz im Einsatz und zum anderen Teams, die weltweit arbeiteten.

Kunden lieben Fälschungen

Die Rechtsverfolgung illegaler Aktivitäten ist im EU-Raum weitgehend noch ungeklärt, weil die Maßstäbe für entsprechende Gesetze fehlen. Denn hierfür fehlen bislang die konkreten Entscheidungen der Gerichte. Hinterlegen Produktpiraten in ihren Facebook- oder Instagramkonten jedoch Telefonnummern oder Internetadressen (URLs), können europäische Behörden sie leichter identifizieren. Fakt ist aber: Wer auf Facebook oder Instagram lediglich für seine Produkte wirbt, begeht noch keine Straftat.

Das Handelsministerium der Türkei unternimmt eigene Anstrengungen, um die Produktpiraterie zu bekämpfen. In den Jahren 2016 und 2017 haben Beamte des Ministeriums gemeinsam mit Experten aus der Europäischen Union die eigenen Zoll-Mitarbeiter geschult. Sie wissen nun, wie Geschädigten helfen können, eine lupenreine Anzeige bei der jeweiligen Staatsanwaltschaft zu erstatten. „Nur dann dürfen Ermittler aktiv werden“, heißt es.

Diese Gesetzgebung gilt auch für den Online-Handel. Mit einer Ausnahme, wie Baris Kalayci, Rechtsanwalt bei der Istanbuler Kanzlei Gün & Partners, zu Bedenken gibt: Wer eine Internetseite mit der Domain-Endung „.tr“ erstellen will, um gefälschte Waren zu vertreiben, hat es schwer. Die türkischen Domains werden von der Technischen Universität in Ankara vergeben. „Die Universität befolgt strikte Regeln und fordert von jedem Verkäufer Beweise für die Rechte am geistigen Eigentum der Waren, die über die Internetseite verkauft werden sollen“, erklärt Kalayci. Davon sind aber Facebook- und Instagramnutzer ausgenommen, wenn sie ihre Bestellungen per Telefon abwickeln und auf eine Webseite verzichten.

Ungeachtet der Gesetze im In- und Ausland gibt es ein weiteres Problem für die Markenfirmen: das große Interesse der Kunden an gefälschter Ware. Um das Käuferverhalten nachzuvollziehen, hat der VKE 1000 Menschen zwischen 18 und 65 Jahren zu dem Thema befragt. Das Ergebnis der Umfrage vor drei Jahren: Über die Hälfte der Befragten habe schon einmal einen gefälschten Markenartikel gekauft. 31 Prozent dieser Käufer gaben aber an, sie hätten angenommen, es handle sich um ein Originalprodukt.

Werbe- und Konsumentenpsychologe Joost van Treeck warnt davor, solchen Studienergebnissen blind zu trauen: „Der Käufer weiß mit Sicherheit, was für ein Produkt er erworben hat“, ist er überzeugt. Bei offiziellen Befragungen gäben Teilnehmer häufig Gründe an, um sich reinzuwaschen, sagt van Treeck. Bei so einer Konfrontation suche der Befragte die Schuld immer bei Dritten.

Käufer freuen sich über eine neue Designertasche oder Markenschuhen oft wohlwissend, dass ihr Eigentum keine Originalware ist. Das zeigt, dass die Behörden nicht nur neue Gesetze gegen Fälscher schaffen müssen, sondern auch gegen den bewussten Erwerb. Denn bisher muss der Käufer nur haften, wenn ihm „geschäftlicher Verkehr“ nachgewiesen wird. Privatkäufer kommen in Deutschland also straffrei davon.

Mehr: Produktpiraterie gilt immer noch als Kavaliersdelikt – bei Herstellern und Händlern wie Verbrauchern. Doch Fälschungen schaden letztlich allen.