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Was der neue Siemens-Chef vorhat – und was die Investoren von ihm erwarten

Der neue Siemens-Chef muss die Innovationskraft des Technologiekonzerns stärken. Als Ingenieur könnte er dafür der Richtige sein.

September 2016: Roland Busch (l.) mit dem damaligen Bahnchef Rüdiger Grube und dem früheren Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (r.). Foto: dpa
September 2016: Roland Busch (l.) mit dem damaligen Bahnchef Rüdiger Grube und dem früheren Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (r.). Foto: dpa

Als Roland Busch heiratete, ließ er sich beim Standesamt den ersten Termin am frühen Morgen geben. An dem Tag habe noch ein „superkritisches Kundenprojekt“ auf dem Programm gestanden, erzählte Busch später dem Handelsblatt. Er betonte sogleich, dass das wirklich eine Ausnahme war und in keinem Fall Vorbild für die Beschäftigten sein soll. Und doch lässt die kleine Geschichte erahnen, warum der 56-Jährige bei Siemens den Ruf hat, ein besonders akribischer und gewissenhafter Arbeiter zu sein.

Nach der Hauptversammlung des Technologiekonzerns am Mittwoch tritt der bisherige Vize und Technologievorstand offiziell die Nachfolge von CEO Joe Kaeser an. Operativ war Busch für die Geschäfte bereits seit Monaten verantwortlich. Einfach wird die Aufgabe nicht. Mit seinem radikalen Umbau hat Kaeser an den Kapitalmärkten viel Zustimmung gefunden. Nun ist eher der Innenausbau gefragt.

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„Nach Jahren der Um- und Ausgliederungen und der Verkäufe von Geschäftseinheiten muss nun der neue CEO Busch Siemens auf Profitabilität trimmen“, fordert Winfried Mathes, Corporate-Governance-Experte bei der Deka. Und Vera Diehl, Fondsmanagerin bei Union Investment, fordert: „Herr Busch muss jetzt aus dem Schatten seines Vorgängers treten und braucht eine eigene strategische Agenda.“

Als Physiker und Techniker müsse Busch den Fokus stärker auf Innovationen und die Entwicklung marktreifer Produkte legen. „Siemens muss es schaffen, das Ingenieur- und Digitalisierungs-Know-how besser zu monetarisieren und damit höhere Margen zu erzielen.“

Einen radikalen Kurswechsel wird es indes nicht geben. Busch war zwischenzeitlich für die Strategie verantwortlich und hat die Umbauprogramme Kaesers, die in der Abspaltung des Energiegeschäfts ihren Höhepunkt fanden, mitverantwortet.

Und doch sind nun auch andere Qualitäten gefragt. Busch müsse wieder verstärkt die Gemeinsamkeiten zwischen den Geschäften herausarbeiten und den Konzern zusammenhalten, meint ein Arbeitnehmervertreter. Vor allem aber müsse der Technologiekonzern wieder stärker mit Innovationen aus eigener Kraft wachsen.

Die verbleibende Siemens AG zusammenhalten

Intern hat Busch bereits angedeutet, wo er hinmöchte: Nach der Abspaltung von Energy will er herausarbeiten, was die verbleibende Siemens AG zusammenhält. Und die Identität als B2B- und Technologieunternehmen, das Wirtschaft und Gesellschaft bei den Themen Infrastruktur, Mobilität und Infrastruktur unterstützt, stärken. Vor wenigen Tagen setzte er zudem ein Zeichen, als er in einer emotionalen Videobotschaft die Leistung der Beschäftigten unter den schwierigen Pandemiebedingungen würdigte.

Busch ist Siemensianer durch und durch. Geboren wurde er in Erlangen, wo für viele noch immer das Herz des Traditionskonzerns schlägt. Dort studierte er auch Physik und startete bei Siemens in der Zentralabteilung für Forschung und Entwicklung. Der hochgewachsene Manager stieg rasch auf. Für Siemens VDO Automotive war er eine Zeit lang in Schanghai aktiv, nach seiner Zeit als Strategiechef stieg er vor knapp zehn Jahren in den Vorstand auf.

Bei Siemens war Busch zeitweise der Mann für die besonders schweren Fälle. So verantwortete er den Infrastruktursektor, der konzernintern als eine Art „Bad Bank“ für problematische Geschäfte galt. Als „Aktenfresser“ arbeitete er sich tief in die Probleme der Bahntechnik ein – und machte aus einem margenschwachen Sorgenkind einen zuverlässigen Ertragsbringer.

Busch ist ein akribischer Arbeiter. Früher trafen ihn Mitarbeiter gelegentlich schon früh morgens im Fitnessstudio in der Konzernzentrale. Während der Übungen verbesserte er, mit Kopfhörern auf den Ohren, sein bereits gutes Französisch. Danach gab es ein Rührei ohne Eigelb zum Frühstück. Während des Lockdowns baute sich Busch zu Hause einen Übungsraum auf dem Dachboden auf. Dort trainiert er mit Gewichten und hat seine Leidenschaft fürs Seilspringen entwickelt.

Für seine Amtszeit als CEO hat sich Busch vier Schwerpunkte gesetzt. „Customer Impact“ nennt er einen davon. Die Kunden stärker in den Mittelpunkt zu stellen, das haben sich viele Manager vorgenommen. Dass er es ernst meint, wollte Busch demonstrieren, als er bei einem virtuellen Townhall-Meeting zu seinem Amtsantritt Kunden per Videobotschaft zu Wort kommen ließ.

„Empowerment“ ist für Busch nach eigenen Angaben das zweite wichtige Stichwort. Er wolle weniger hierarchisch führen, interne Silos niederreißen und den Freiraum schaffen für Mitarbeiter, die neue Themen angehen wollen. Eine „Start-up-Kultur“ schwebt Busch vor, auch wenn Siemens noch immer bei vielen als eher hierarchischer Konzern gilt.

Weitere Ziele des neuen Chefs sind es, ein „Growth Mindset“ zu schaffen, also eine Art Wachstumsmentalität, und die Technologie noch stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Dabei sollen Innovationen schneller auf den Markt gebracht werden.

Siemens ist solide durch die Coronakrise gekommen

Die Ausgangsposition ist nicht so schlecht. Siemens ist, auch dank Buschs und Kaesers Umbau, bislang vergleichsweise solide durch die Coronakrise gekommen. Der Umsatz sank 2019/2020 (30. September) nur um vergleichbar zwei Prozent auf 57 Milliarden Euro. Das operative Ergebnis der industriellen Geschäfte ging um drei Prozent auf 7,6 Milliarden Euro zurück. Zum Start ins neue Geschäftsjahr überraschte Siemens die Investoren dann mit besonders guten Zahlen.

Die zahlreichen Nachfolgedebatten saß Busch stoisch aus. Für Siemens bedeutet der Chefwechsel auch einen Kulturwechsel. Kaeser äußerte sich freimütig zu jedem Thema, egal, ob es um die AfD, Donald Trump oder den Klimawandel ging. Busch dagegen sagt, er werde sich politisch primär äußern, wenn es „im Kontext von Siemens“ stehe.

Kaeser habe die Rolle des CEO neu interpretiert, sagt Christopher Wünsche, Gründer der strategischen Markenberatung Truffle Bay: „Öffentlicher, kommunikativer und stets an den Ansprüchen der unterschiedlichen Stakeholder orientiert, insbesondere auch an der Gesellschaft im Ganzen.“

Damit stehe er in einer Reihe zum Beispiel mit Apple-CEO Tim Cook und Blackrock-Chef Larry Fink. Manchmal habe Kaeser vielleicht zu sehr auf die eigene Markenbildung geachtet, wodurch Siemens etwas in den Hintergrund getreten sei.

Busch müsse nun ebenfalls sichtbar als Markenbotschafter agieren, dabei aber Siemens in den Mittelpunkt stellen. Er sollte herausarbeiten, was Siemens Healthineers und Siemens Energy miteinander verbinde.

Auch Harald Smolak, Ex-Siemens-Manager und jetzt Partner bei der Managementberatung Atreus glaubt, dass Busch schnell eigene Akzente setzen muss. „Nicht nur, um sich als Leader zu etablieren, sondern auch, um aus dem langen Schatten Kaesers herauszutreten.“ Er sei aber der richtige Mann. „Er hat Technologie im Blut, erkennt Entwicklungen und Trends frühzeitig.“

So unterschiedlich die Charaktere teilweise sind: Der Übergang von Kaeser zu Busch verlief harmonischer, als manche – auch intern – erwartet hatten. In den vergangenen Monaten überließ Kaeser laut Vorstands- und Aufsichtsratskreisen seinem Vize meist den Vorrang. „Roland Busch war immer mein Mann und mein Kandidat für die Nachfolge“, betonte Kaeser im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Nur bei ihrem letzten großen gemeinsamen Deal führte noch einmal vor allem Kaeser das Wort. Gemeinsam reisten die beiden im Januar nach Ägypten und handelten einen der größten Aufträge in der Konzerngeschichte aus. Vier Stunden lang sprachen sie mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel-Fattah al-Sisi, den Kaeser schon von einem früheren Großauftrag kannte.

Bislang konnte sich Busch ein wenig im Hintergrund halten, während Kaeser die Aufmerksamkeit auf sich zog. Nach Kaesers Abschiedsauftritt auf der Hauptversammlung wird sich das nun ändern.