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Neue Kultusminister-Präsidentin verspricht „irre Aufholjagd“ bei Digitalisierung der Schulen

Britta Ernst will sich noch nicht festlegen, wann die Schulen wieder öffnen. Dafür verrät sie, wie der digitale Unterricht vorangebracht werden soll.

Die künftige Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), verspricht eine „irre Aufholjagd“ bei der Digitalisierung der Schulen. Es habe durch Corona einen „bedauerlichen Stau“ gegeben, „weil Kommunen und Schulen mit dem Pandemie-Management beschäftigt waren“, sagte sie im Interview mit dem Handelsblatt. Nun aber sei die Aufholjagd in vollem Gang.

Brandenburg etwa werde beim Abruf der Digitalpaktmittel des Bundes schon Ende 2020 „fast im Zeitplan“ sein, sagte die SPD-Politikerin. Dort gibt es seit diesem Jahr auch dienstliche E-Mail-Adressen für Lehrer. Das „hätte ich mir natürlich früher gewünscht als 2020“, gab Ernst zu.

Ernst, die mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz verheiratet ist, fordert daher schon jetzt „die Verstetigung“ der Bundeshilfe ab 2024, wenn der fünf Milliarden Euro schwere Digitalpakt ausläuft. Weil dann „die Herausforderung nicht beendet“ sei, brauche man weiter „die gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen“. Der Digitalpakt läuft seit Mitte 2019. Bis Ende Juni 2020 waren nach Angaben des Bundes nur 16 Millionen Euro abgeflossen.

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Ernst verspricht sich von digitalen Hilfsmitteln auch ein besseres internationales Abschneiden deutscher Schüler. Denn Lehrer könnten „viel besser auf den unterschiedlichen Leistungsstand reagieren“, indem sie „für jeden Einzelnen zusätzliche oder andere Aufgaben stellen“. Die Ministerin kündigte daher eine „massive Ausweitung“ der Fortbildung für Lehrer im Umgang mit digitalen Medien an.

Dass deutsche Pädagogen hier im internationalen Vergleich sehr weit zurückliegen, sei „kein schöner Befund – aber eine logische Folge der bisher schlechten Ausstattung“, sagte sie. Fortbildungen sollten künftig verstärkt „in kleineren Modulen in der Schule selbst stattfinden“, und der Nachwuchs müsse „in allen Fächern schon in der Uni lernen, wie er digitale Medien integriert“.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Frau Ernst, bisher gelten die Schulschließungen bis zum 10. Januar. Müssen sie verlängert werden, oder sollten die Schulen möglichst schnell wieder öffnen?
Kinder haben das Recht auf Bildung und soziale Teilhabe. Die Kultusministerkonferenz ist natürlich dafür, dass Schulen offen sind. Aber es muss immer eine Gesamtabwägung vor allem mit dem Schutz der Gesundheit geben. Schulen haben einen Beitrag zur Reduzierung der Kontakte geleistet. Die Frage, wie es im Januar weitergeht, wird Anfang der Woche vor dem Hintergrund des dann bekannten Pandemiegeschehens erneut abgewogen werden.

Wie groß wird der Schaden für die Schüler durch Corona am Ende sein?
Das ist schwer einzuschätzen. Aber alle Länder haben Pläne gemacht, wie man den versäumten Unterricht aufholen kann. Bei uns in Brandenburg etwa ist nach unserer Umfrage in den Schulen nicht so viel Unterrichtsstoff nicht vermittelt worden, wir können das im normalen Unterricht aufholen. Extra-Unterricht etwa am Sonnabend wird nur in Einzelfällen nötig.

Dann sind die Warnungen der Bildungsökonomen vor einem Verlust beim Lebenseinkommen übertrieben?
Die Ökonomen rechnen anders, wir können nur ermitteln, wie viel Unterricht ausgefallen ist. Dennoch waren die Warnungen wichtig, sie haben uns geholfen, die Schulen so lange wie möglich offen zu halten.

In der Pandemie hat sich der digitale Rückstand vieler Schulen gezeigt. Jedes mittlere Unternehmen hat IT-Fachleute – wie soll das in Schulen ohne gehen?
Wir sind mitten in der digitalen Aufholjagd, dafür brauchen wir sie auf jeden Fall. Deshalb bekommen die Kommunen in Deutschland dafür ja auch 500 Millionen zusätzlich vom Bund, um IT-Fachleute einzustellen. Lehrer sollen unterrichten und nicht die IT warten.

Bundesweit fehlen rund 80.000 IT-Kräfte. Wo wollen Sie rekrutieren, wenn in der Wirtschaft mehr verdient wird?
Ich bin optimistisch.

Digitalisierung ist das zentrale Thema Ihrer Präsidentschaft. Wie kann es sein, dass der Bund schon Mitte 2019 fünf Milliarden Euro für den Digitalpakt bereitgestellt hat – aber bis Ende Juni 2020 nicht mal 20 Millionen Euro abgeflossen waren?
Wir hatten natürlich einen bedauerlichen Stau durch die Pandemie, weil Kommunen und Schulen mit dem Pandemie-Management befasst waren. Inzwischen gibt es aber eine irre Aufholjagd. In Brandenburg werden wir zum Ende des Jahres fast wieder im Zeitplan sein.

Wann sind WLAN, Breitbandanschluss, Schulplattform und dienstliche Mailadressen für Lehrer endlich Standard?
Bei uns in Brandenburg haben wir jetzt alle Lehrer mit E-Mail-Adressen versorgt, im nächsten Schuljahr wollen wir das auch für die Schülerinnen und Schüler schaffen. Aber natürlich hätte ich mir das früher gewünscht als 2020.

Können die Länder die Daueraufgabe Digitalisierung allein stemmen?
Die Herausforderung wird 2024, wenn der Digitalpakt ausläuft, nicht beendet sein. Wir wünschen uns daher eine Verstetigung. Wir brauchen weiterhin die gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen.

Der Bund gibt zusätzlich eine halbe Milliarde Euro für Leihlaptops für bedürftige Schüler. Die Pisa-Verantwortliche für Deutschland fordert Laptops für alle Schüler, schon allein um Kontrolle über Inhalt und Datensicherheit zu haben. Ist das finanziell illusorisch?
Das müssen wir in den nächsten Monaten besprechen. Ich persönlich kann mir auch einen Mix aus Leihgeräten und eigenen Geräten vorstellen.

Das Mantra lautet seit Jahren: Moderner Unterricht geht überhaupt nur mit digitalen Geräten. Warum?
Die Unterschiedlichkeit von Schülerinnen und Schülern war schon immer eine große Herausforderung. Mit digitalen Methoden kann man viel besser auf den unterschiedlichen Lernstand reagieren. Man kann dann je nach Lernstand für jeden Einzelnen zusätzliche oder andere Aufgaben stellen. Deshalb ist mir wichtig, dass wir die Debatte über die Digitalisierung viel enger mit der Frage verzahnen, wie wir damit besseren Unterricht machen. Denn bisher kümmern sich oft unterschiedliche Lehrkräfte um diese beiden Themen guter Unterricht und Digitalisierung, die aber zusammengehören.

Was heißt das praktisch?
Schon in den Unis müssen künftige Lehrkräfte in allen Fächern lernen, wie sie digitale Medien integrieren. Jeder Mathelehrer muss wissen, wie er Kurvendiskussion plastisch darstellt. Es geht ja nicht darum, Whiteboards einzusetzen, sondern damit einen größeren Lernerfolg zu erreichen.

Studien zufolge liegen unsere Lehrer bei Fortbildungen international weit zurück – ausgerechnet in IT und individuellem Unterricht.
Das ist kein schöner Befund. Aber es ist eine logische Folge der bisher schlechten Ausstattung. Natürlich müssen wir nun auch die Fortbildung massiv ausweiten und passgenauer organisieren. Sie sollten auch öfter in der Schule selbst stattfinden – in kleinen Modulen und nicht immer mehrtägig.

Bisher sind Lehrerfortbildungen oft freiwillig. Braucht es mehr Zwang? In Betrieben wird nötige Fortbildung schlicht angeordnet.
Die Organisation ist Sache der Schulleitung. Mein Eindruck ist, dass die Lehrkräfte diese Fortbildungen gern nutzen. Wir müssen sie mehr an den Schulen durchführen.

Im internationalen Vergleich schneiden unsere Schüler gerade in Mathe und Naturwissenschaften nur mittelmäßig ab – ein Viertel ist schon am Ende der Grundschule abgehängt. Wird sich das ändern, wenn unsere Lehrer die digitalen Tools einsetzen?
Sie können helfen, sind aber kein Allheilmittel. Es würde auch helfen, wenn sich noch mehr Unternehmen für Kooperationen anbieten, um das Lernen mit digitalen Medien voranzutreiben, so wie es beim MINT-Forum geschieht. Ich kann mir auch vorstellen, dass Betriebe den Unterricht der Berufsschulen unterstützen.

Bisher organisieren die Länder Lehrerfortbildung weitgehend isoliert. Nun will der Bund Kompetenzzentren für alle aufbauen – wollen Sie die überhaupt?
Wir sind dabei, uns stärker zu vernetzen, aber da ist Luft nach oben. Das gilt auch für die Integration neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Wie uns die Kompetenzzentren des Bundes helfen können, wird derzeit besprochen. Es darf keine Parallelstrukturen geben.

Ein Pflichtfach Informatik gibt es in den wenigsten Ländern...
Ich habe große Sympathie für das Fach. Aber auch wir haben es nur an einzelnen Schulen, weil es nicht flächendeckend Informatik-Lehrkräfte gibt. Medienkompetenz muss aber in allen Fächern vermittelt werden, das kann man nicht alles dem Fach Informatik aufbürden.

Die Pandemie wird in den Schulen noch durch den Lehrermangel verschärft. Warum gelingt es nicht, mehr Menschen in diesen interessanten, sicheren Beruf zu locken?
Wir können junge Leute nicht nötigen und stehen in scharfer Konkurrenz zu anderen schönen Berufen in der Wirtschaft, den Kitas und dem Gesundheitssystem. Aber es ist ein toller Beruf, man kann sein ganzes Berufsleben Kinder und Jugendliche begleiten.

Nach OECD-Angaben liegen unsere Lehrergehälter 70 Prozent über dem Schnitt der Industrieländer. Ist das nicht ein super Argument?
Richtig, und wir haben die Bedingungen ja noch verbessert: Inzwischen werden in Brandenburg fast alle Lehrkräfte, auch an Grundschulen, nach A13 bezahlt. Es hilft aber nichts, wenn junge Leute nur wegen des Verdienstes Lehrer werden, aber nicht für den Beruf brennen.

Die Teilzeitquote ist fast doppelt so hoch wie in anderen Berufen, ist das ein ungenutztes Potenzial?
Wir haben durchaus versucht, Teilzeitkräfte zum Aufstocken zu bewegen. Wir haben auch Zulagen angeboten, wenn jemand in ländliche Regionen geht – bei uns waren das 300 Euro pro Monat. Aber all das hatte leider wenig Effekt.

Corona verhindert nicht nur Unterricht, sondern auch Berufsorientierung und Schülerpraktika. Die Zahl der neuen Lehrverträge ist 2020 um elf Prozent eingebrochen, 2021 droht noch Schlimmeres.
Das macht uns große Sorgen und kommt auf die Tagesordnung der KMK-Sitzung 2021 im März. Die Betriebe stellen jetzt auch Azubis ein, nur so können wir einen Corona-Jahrgang vermeiden. Aber es gibt einen Rückgang bei den Ausbildungsverträgen. Die Wirtschaftsverbände werben ja massiv. Mit der Bundesagentur werden wir besprechen, wie wir trotz Pandemie die Berufsorientierung organisieren können.