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Eine neue Chance für Europa

Die Franzosen haben Sonntag einmal mehr bewiesen, zu welchen radikalen Veränderungen sie fähig sind, wenn sie ihr Vertrauen in die politische Führung verlieren. Mit dem sozialliberalen Emmanuel Macron haben sie einen Politiker auf Platz eins des ersten Wahlgangs zur Präsidentschaft gewählt, der ein völliger Newcomer ist. Vor etwas über einem Jahr hatte er noch nicht einmal eine eigene Partei. Er verfügt lediglich über zwei Jahre Regierungserfahrung, als Wirtschaftsminister unter Francois Hollande. „Merci, la France“ möchte man da erst mal sagen.

Gerade die Tatsache, dass er nicht der traditionellen politischen Klasse angehört, war offenbar eine der Voraussetzungen für den unglaublichen Erfolg dieses erst 39 Jahre jungen Politikers. Die Mehrheit der Franzosen will die Parteien abservieren, die seit 30 Jahren nicht mit der Massenarbeitslosigkeit fertig werden. Doch sie wollen kein Abenteuer eingehen: Anders als die Amerikaner mit Donald Trump und die Briten mit dem Brexit haben sie nicht den Weg ins Ungewisse gewählt, haben sie weder den linken noch den rechten Verführern zu einem Triumph verholfen, auch wenn knapp 22 Prozent für Le Pen erschreckend viel sind.

Weniger als eine Stunde nach Schließung der Wahllokale haben sowohl Premier Bernard Cazeneuve als auch der unterlegene konservative Kandidat Francois Fillon zur Wahl von Macron aufgerufen. Was Fillon angeht, kann diese Geste gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er hätte den einfachen Ausweg wählen und zur Enthaltung aufrufen können, wie viele Parteifreunde es ihm nahelegten. Doch: „Die Enthaltung liegt mir nicht in den Genen und angesichts der Gefahr, die vom Front National ausgeht, rufe ich Sie dazu auf, für Emmanuel Macron zu stimmen“, sagte Fillon mit überraschender und mutiger Deutlichkeit. Eine große Geste.

Diese Unterstützungserklärungen wie auch sämtliche Umfragen lassen erwarten, dass Macron am 7. Mai die zweitplatzierte Marine Le Pen schlagen kann. Frankreich würde sich damit eindeutig für Europa, für den Euro und für die weitere enge Zusammenarbeit mit Deutschland entscheiden.

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Die extreme Gefahr für das europäische Projekt, der seit Jahren anhaltende Aufstieg des Front National darstellt, wäre erst einmal gebannt. Allerdings nicht für immer. Falls Macron die Wahl gewinnt, erhält Europa eine neue Chance. Auch in Deutschland muss man verstehen, wie tief bei vielen Franzosen, auch bei denen, die nicht radikalisiert sind, die Enttäuschung über den Stillstand in Europa sitzt. Macron ist die beste Gelegenheit, diesen Stillstand zu überwinden.


Gemeinsames Projekt für Deutschland und Frankreich

Dafür muss die Bundesregierung teilweise über ihren Schatten springen. Es reicht nicht mehr, die Europapolitik auf das Einhalten der Drei-Prozent-Grenze des Maastricht-Vertrages zu reduzieren. Deutschland verstößt auf andere Weise gegen die europäischen Regeln, indem es seit Jahren zu wenig investiert und einen Sparüberschuss anhäuft. Europa braucht Ansätze einer gemeinsamen Sozialpolitik, muss konkret zeigen, dass es gemeinsam sein Sozialmodell verteidigt, um das uns die ganze Welt beneidet.

Im Grundsatz müsste es möglich sein, dass sich Angela Merkel und die neue französische Regierung auf ein gemeinsames Projekt einigen. Macron schlägt nichts Unmögliches vor, greift sogar frühere deutsche Vorschläge auf: Er plädiert vor allem für ein gemeinsames Budget der Eurozone und für einen europäischen Wirtschafts- und Finanzminister.

Aber zunächst einmal muss der Sozialliberale die Stichwahl gewinnen. So unwahrscheinlich ein Sieg von Le Pen ist: Der Mordanschlag auf einen Polizisten in Paris vom vergangenen Donnerstag hat gezeigt, wie schnell sich die Vorzeichen einer Wahl ändern können. Ein massiver Terroranschlag könnte Le Pen Auftrieb verschaffen, auch wenn ihr Sieg selbst dann noch höchst unwahrscheinlich wäre, denn weniger als zehn Prozent der Franzosen glauben, dass sie eine gute Präsidentin wäre.

Nach der Präsidentschafts- kommt die Parlamentswahl. Macron muss im Juni mit seiner Bewegung „En Marche!“ eine eigene Mehrheit in der Nationalversammlung schaffen, sonst drohen fünf Jahre zäher Verhandlungen um wechselnde Mehrheiten statt einer raschen, entschiedenen Reformpolitik, die Frankreich wirtschaftlich wieder stärkt. Möglich, dass die Franzosen Macron diese Mehrheit geben, doch sicher ist dies nicht.

Frankreich hat am Sonntag Europa eine großen Dienst erwiesen. Der Proeuropäer Macron hat gezeigt, dass man mit einer hundertprozentig proeuropäischen Kampagne Erfolg haben kann. Alle Europäer können jetzt erst einmal aufatmen. Die ganz große Feier muss noch warten bis zum Juni.

KONTEXT

Die wichtigsten Fragen nach der Frankreich-Wahl

Wieso wäre ein Wahlsieg Le Pens für manche das "Ende Europas"?

Front-National-Chefin Le Pen giftet seit Jahren gegen Brüssel und predigt die Rückbesinnung auf den Nationalstaat. Als Präsidentin will sie binnen sechs Monaten ein Referendum über das Ausscheiden ihres Landes aus der EU. Den Euro will sie wieder durch eine eigene Währung ersetzen, das Schengen-Abkommen zum freien Reisen kündigen und die französischen Grenzen abschotten. Ein "Frexit" aber wäre weit dramatischer als der EU-Austritt Großbritanniens. Denn damit bräche ein Gründerstaat weg - das Land, das mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg das Einigungsprojekt maßgeblich vorantrieb. Die zweitgrößte Volkswirtschaft ginge verloren. Die bisherige EU wäre am Ende.

Warum kann Le Pen mit Europaskepsis punkten?

Frankreich hadert mit diversen EU-Vorgaben, die Deutschland klar unterstützt. Wegen der Wirtschaftsflaute sprengte Paris die im Euroraum vereinbarte Defizitgrenze von 3,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Während Brüssel auf Einhaltung der Regeln pocht, kritisiert Le Pen Gängelei. Zweites heißes Eisen ist die EU-Flüchtlingspolitik mit der Umverteilung von Ankömmlingen aus Italien und Griechenland. Dritter Punkt ist die Terrorgefahr im Europa der offenen Grenzen. Der EU-Verdruss ist groß.

Was will Macron?

Anders als die meisten anderen Präsidentschaftskandidaten bekennt sich der 39-jährige Macron mit seiner Bewegung "En Marche" klar zur EU und zur Zusammenarbeit mit Deutschland. In seinem Wahlprogramm bezieht er das unter anderem auf den Ausbau der gemeinsamen Verteidigungspolitik im Tandem mit Berlin. Doch fügt er hinzu: "Europa muss sich auch ändern." Macron will Bürgerkonvente auf dem ganzen Kontinent einberufen, um "dem europäischen Projekt wieder eine Richtung zu geben". Zudem stellt sich Macron klar hinter weitreichende Reformideen für die Eurozone, die unter anderem einen eigenen Haushalt bekommen soll.

Was würde ein Sieg Le Pens für Deutschland bedeuten?

Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt sich in den vergangenen Wochen bedeckt. Doch sie hat indirekt signalisiert, welchen Wahlausgang sie möchte: Macron hat sie getroffen, Le Pen ausdrücklich nicht. Mit deren Politik gebe es "überhaupt keine Berührungspunkte", betonte Merkels Sprecher. Weder Merkel noch ihr SPD-Rivale Martin Schulz würden wohl den Schulterschluss mit einem Staatsoberhaupt suchen, das Frankreich aus der EU führen will. Die seit Jahrzehnten so wichtige Partnerschaft läge auf Eis. Sollte sich Frankreich von der EU abwenden, käme Deutschland noch stärker in die Rolle des einzigen Stabilitätsankers in Europa.

Wie wäre es mit Macron?

Macron wäre angesichts seiner Unterstützung für Europa und für die deutsch-französische Achse für Berlin ein zugänglicher Partner - unabhängig davon, ob nach der Bundestagswahl im Herbst Merkel oder Schulz im Kanzleramt regieren. Zwei heikle Punkte bleiben: Zum einen ist unklar, ob der parteilose Jungstar bei der anstehenden Parlamentswahl in Frankreich eine Mehrheit für seine Politik bekäme. Andernfalls droht Lähmung und Unsicherheit, auch für Europa und Deutschland. Ist er indes handlungsfähig, wird er mit Merkel aneinandergeraten. Die Bundeskanzlerin will keine weitreichenden EU-Reformen, wie Macron sie vorschlägt. Erst kürzlich hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble auch einer großen Reform der Eurozone eine klare Absage erteilt.