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Nato-Generalsekretär: Russland kann für friedliches Fest sorgen

BRÜSSEL (dpa-AFX) - Seit langem war die Angst vor einem großen militärischen Konflikt in Europa nicht mehr so groß wie Ende dieses Jahres. Kann die Nato mit Zugeständnissen an Russland das Kriegsrisiko reduzieren? In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur zeigt sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (62) gesprächsbereit. Der Norweger macht aber auch klar, dass es keine Kompromisse bei Grundprinzipien geben wird. Und äußert sich auch zu den Spekulationen über seine persönliche Zukunft.

Frage: Herr Generalsekretär, Weihnachten und Neujahr stehen vor der Tür. Erwarten Sie friedliche Festtage oder hat die Nato Erkenntnisse, dass es schon in Kürze zu dem befürchteten Angriff Russlands auf die Ukraine kommen könnte?

Antwort: Wir hoffen auf friedliche Feiertage für alle. Gleichzeitig müssen wir vorbereitet sein, und deshalb haben wir unsere Wachsamkeit erhöht. Wir beobachten den russischen Aufmarsch in und um die Ukraine sehr genau. Seit einiger Zeit verfolgen wir einen schrittweisen und bedeutenden russischen Militäraufbau mit bewaffneten Einheiten, mit Kampfpanzern, mit Drohnen und mit Zehntausenden Kampftruppen. Zudem haben wir von russischer Seite eine aggressive Rhetorik erlebt, und wir kennen die Historie Russlands. Sie haben bereits früher Gewalt gegen die Ukraine eingesetzt, die Krim völkerrechtswidrig annektiert und sie destabilisieren die Ostukraine weiter. Es gibt Unsicherheit über die russischen Absichten. Aber ich betone auch: Wir sehen keine unmittelbare Bedrohung gegen die Nato-Verbündeten.

Frage: Reden wir bereits über mehr als 100 000 Truppen?

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Antwort: Ich werde nicht auf die Details der Geheimdienstinformationen eingehen. Aber es ist ein bedeutender militärischer Aufbau, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass dieser Aufmarsch stoppt oder sich verlangsamt. Im Gegenteil. Deshalb hat Russland die Möglichkeit, ein friedliches und erholsames Weihnachtsfest für uns alle zu gewährleisten, indem es Spannungen abbaut und seine Truppen zurückzieht. Es ist ganz klar, dass Russland der Aggressor ist, nicht die Ukraine.

Frage: Der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine wird begleitet von Forderungen an die Nato. Sie soll nach dem Willen von Präsident Wladimir Putin neue Sicherheitsgarantien abgeben - zum Beispiel die Aufnahme der Ukraine ausschließen und keine Übungen mehr in der Nähe zu Russland abhalten. Wären sie bereit, Zugeständnisse zu machen, wenn sich damit ein großer Krieg in der Ukraine abwenden ließe?

Antwort: Wir sind bereit, uns mit Russland im Nato-Russland-Rat zusammenzusetzen und zu reden. Deshalb habe ich die Absicht, im neuen Jahr so schnell wie möglich den Nato-Russland-Rat einzuberufen. Allerdings werden wir keine Kompromisse bei Grundprinzipien eingehen. Wir können das Recht der Nato, alle Verbündeten zu schützen und zu verteidigen, nicht in Frage stellen und auch nicht das Grundprinzip, dass jede Nation das Recht hat, ihren eigenen Weg zu wählen. Da geht es auch um die Achtung der Souveränität kleinerer Nationen. Diese Idee, dass eine große Macht wie Russland entscheiden kann, was kleinere Nachbarn tun können oder nicht, bedeutet, diese Vorstellung von Einflusssphären wieder einzuführen. Das verstößt absolut gegen alles, was seit dem Ende des Kalten Kriegs Frieden und Stabilität in Europa gewährleistet hat.

Frage: In Russland herrscht die Ansicht, dass die Nato mit der Ausweitung nach Osten Versprechen gebrochen habe. Als Beleg werden zum Beispiel Äußerungen des früheren Nato-Generalsekretärs Manfred Wörner angeführt, der 1990 sagte: "Schon die Tatsache, dass wir bereit sind, die Nato-Streitkräfte nicht hinter den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu stationieren, gibt der Sowjetunion feste Sicherheitsgarantien." Auch von anderen Politikern wie dem früheren US-Außenminister James Baker oder dem früheren deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher gab es ähnliche Erklärungen. Auch wenn diese Äußerungen aus völkerrechtlicher Sicht nicht bindend waren - hat Russland hier nicht einen Punkt?

Antwort: Die Nato hat nie versprochen, sich nicht zu erweitern. Es steht sogar im Gründungsvertrag unserer Organisation, dass jeder europäische Staat Bündnismitglied werden kann. Zweitens gibt es Dokumente aus den 70er, aus den 90er Jahren - die Schlussakte von Helsinki, die Charta von Paris, die Nato-Russland-Grundakte und eine Vielzahl weiterer Verträge -, die klar machen, dass jeder Staat frei über sein eigenes Schicksal bestimmen kann. Dies ist ein fundamentales Grundprinzip europäischer Sicherheit, das Russland selbst unterschrieben hat. Das können wir nicht durch einige Zitate ändern. Zudem weisen die Alliierten zurück, dass jemals Versprechungen dieser Art gemacht wurden. Der frühere Sowjetpräsident Michail Gorbatschow hat selbst gesagt, dass das Thema der Nato-Osterweiterung vor der deutschen Wiedervereinigung nicht zur Sprache kam.

Frage: Eine letzte Frage zum russischen Truppenaufmarsch: Sie haben gesagt, dass Sie derzeit keine unmittelbare Bedrohung für Nato-Staaten sehen. Aber muss die Nato nicht dennoch auf den Truppenaufmarsch reagieren? Beispielsweise, indem sie mehr Truppen im östlichen Bündnisgebiet stationiert?

Antwort: Wir werden fortlaufend prüfen, ob wir unsere Truppenpräsenz weiter anpassen müssen. Ich wäre jetzt vorsichtig, darüber zu spekulieren, weil das nur zu Spannungen führen kann. Ich glaube, es ist jetzt wichtig, dass wir versuchen, Spannungen abzubauen und einen sinnvollen Dialog mit Russland zu führen, ohne das Recht und die Verantwortung zu beeinträchtigen, unsere Verbündeten zu schützen und zu verteidigen.

Frage: Ein anderes Thema: Die Entscheidung der USA und der Nato aus Afghanistan abzuziehen hatte dramatische Konsequenzen. Die radikal-islamischen Taliban konnten die Macht übernehmen und jetzt droht dem Land eine humanitäre Katastrophe. Was tut die Nato dafür, um das Leiden der Bevölkerung so gering wie möglich zu halten?

Antwort: Ich bin zutiefst besorgt über die humanitäre Lage, gerade jetzt, wo wir in die Winterzeit gehen. Die Verbündeten haben über zwei Jahrzehnte massiv in Afghanistan investiert und dazu beigetragen, die Lebensbedingungen von Millionen Afghanen zu verbessern und den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Da die Nato ihre militärische Präsenz in Afghanistan beendet hat, halte ich es für selbstverständlich, dass Deutschland, Norwegen oder andere Nato-Verbündete jetzt die Kanäle für Not- und Entwicklungshilfe für ihre Unterstützung nutzen.

Frage: Kann die Nato als Organisation gar nichts tun?

Antwort: Natürlich ist die Nato eine Plattform, auf der die Alliierten diese Themen diskutieren und ansprechen. Und natürlich haben wir uns mit der ernsten humanitären Lage in Afghanistan auseinandergesetzt. Ich habe gemeinsam mit anderen Verantwortlichen an Nato-Verbündete appelliert, über die UN-Hilfsorganisationen und verschiedene internationale Hilfsorganisationen Unterstützung zu leisten.

Frage: Ihr derzeitiges Mandat endet Ende September und jüngst wurde bekannt, dass sie sich für den Posten des norwegischen Zentralbankchefs beworben haben. Heißt das, dass eine dritte Vertragsverlängerung bei der Nato definitiv ausgeschlossen ist?

Antwort: Ich konzentriere mich derzeit nur auf eines, und das ist meine Aufgabe als Nato-Generalsekretär. Wir leben in einer sehr herausfordernden Zeit mit der unruhigen und schwierigen Lage in der Ukraine. Auf der liegt jetzt mein Hauptaugenmerk. Meine Amtszeit endet am 30. September, und bis dahin bleibe ich hier.

Frage: Das ist kein Nein...

Antwort: Ich möchte nicht spekulieren. Ich konzentriere mich auf die Arbeit, die ich habe, auf die Aufgabe, die ich habe.

ZUR PERSON: Der Norweger Jens Stoltenberg (62) ist seit Oktober 2014 Generalsekretär der Nato. Zuvor war er insgesamt fast zehn Jahre Ministerpräsident seines Heimatlandes. In dieser Funktion erlebte er auch die Anschläge eines rechtsextremen Massenmörders in Oslo und auf Utøya im Sommer 2011. Stoltenberg ist Vater zwei erwachsener Kinder. Zu seinen Hobbys zählen Skilanglauf und Radfahren.