Nach Lanz-Sendung: Ist Krankheiten erkennen durch Stimmanalyse möglich?
Krankheiten erkennen durch Stimmenanalyse: Ist das wirklich möglich? Aufgeworfen wurde diese Fragestellung durch eine spannende Diskussion zwischen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Autor Sascha Lobo bei Markus Lanz. Eigentliches Thema der Sendung vom 3. Mai: Künstliche Intelligenz.
Mithilfe von smarten Algorithmen soll es demnach möglich sein, konkrete Krankheiten durch die Analyse der Stimme zu erkennen. Sascha Lobo führte im Rahmen der Lanz-Diskussion aus, dass durch die Stimmfrequenzanalyse möglich sei, unter anderem psychische Störungen, klinische Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, Herzkrankheiten und sogar Corona zu diagnostizieren.
Spannendes, medizinisches Novum oder Risiko für die Privatsphäre oder sogar die Arbeitswelt der Menschen? Das wird inzwischen nicht nur bei Markus Lanz diskutiert.
#KI kann heute schon anhand d. Stimme Krankheiten bestimmen 😳
Und d. Leute haben geglaubt, dass ein Impfstoff gegen #Corona nicht so schnell und sicher auf d. Markt gebracht werden kann … Bro 🤦🏻♂️
Hier in 42 Sek. auf d. Pkt. gebracht 👇
Danke @saschalobo & @Markus__Lanz #Impfung pic.twitter.com/IM1vJmgHJ0— wikifolio Trader (@IvanKorelo) May 4, 2023
Krankheitsbilder per Stimmanalyse erkennen: So ist das möglich
Sascha Lobo hat bei Markus Lanz ein entscheidendes Tool zur Stimmanalyse von Krankheitsbildern ins Spiel gebracht: Die sogenannte Stimmfrequenzanalyse. Laienwissenschaftlich verstehen wir hierunter eine Auswertung der Tonlage der Stimme mit ihren Rhythmen und anderen tonalen Auffälligkeiten. Dadurch soll es möglich sein, gewisse Regelmäßigkeiten einer einzelnen Krankheit zuzuordnen. In der Anwendung bezeichnet man das als Voice Recognition.
Mithilfe der Voice Recognition wird eine Benchmark aufgebaut, eine Art Datenbank, bei der "normale" gesunde Stimmen mit den Merkmalen erkrankter Personen verglichen werden. Das ermögliche, so unter anderem die Versicherung Ergo, bei einigen Krankheitsbildern eine Trefferquote von 90 %.
Der Erkennung von Krankheitsbildern per Stimmenanalyse liegt zugrunde, dass bestimmte Krankheitsbilder ganz bestimmte phonetische (das heißt lautmalerische) Merkmale besäßen. Herzkrankheiten könnten so beispielsweise mithilfe von Stimmmustern identifiziert werden, die auf Atemnot schließen lassen. Aber es existieren bereits bedeutend tiefer gehende Klangmuster. Rund 200.000 unterschiedliche Merkmale seien gemäß dem Wirtschaftspsychologen Krajewski von der Universität Wuppertal mit einzubeziehen.
Die Auswertung geschehe dabei mithilfe von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz, die auf das Interpretieren der Stimme hinsichtlich von Krankheitsbildern und deren individuellen Merkmalen programmiert ist. Einzelne Programme wie Vocalis oder Deep Speech Pattern Analysis achten dabei insbesondere auf mehrere Anzeichen wie die Rhythmik, Melodie, Pausensetzung und Tonhöhe oder die Auswertung, ob eine Stimme nasal, monoton oder gehaucht klingt. Zudem heben sie die Muster farblich für die Auswertungen hervor.
Ziel der Künstlichen Intelligenz sei es dann wiederum, in gewissen Krankheitsbildern eindeutige Stimmmuster zu erkennen und aufzuzeigen. Für die Aufnahme reichen kleinere Tonfrequenzen, teilweise bloß die Aussprache des Vokals "A" über einen Zeitraum von fünf Sekunden. Aber auch Mitschnitte von Telefonaten können als Datengrundlage dienen.
Erste Anwendungsfelder
Für die Krankheitserkennung durch Stimmanalyse existieren bereits einige Anwendungsfelder, selbst wenn das wie Science-Fiction klingen mag. Im Bereich kardiovaskulärer Erkrankungen existieren erste Experimente, die nach Anzeichen der Erschöpfung oder explizit nach lautmalerischen Geräuschen verengter Gefäße suchen. Durch die Analyse der Stimme kann es sogar möglich sein, Risikopatienten in einer frühen Phase der jeweiligen Erkrankung zu identifizieren.
Möglich scheint auch die praktische Adaption bei psychischen Erkrankungen oder zum Beispiel bei ADHS. Beim Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom würden Betroffene häufig lebendiger und unrhythmischer sprechen, so die bisherigen erste Erkenntnisse. Künstliche Intelligenz könne das wiederum zielsicherer identifizieren als Menschen, die eine solche Sprechweise eher als aufgeregt und anstrengend empfinden würden.
Bei der Depression hingegen sei die Stimme kraftloser und eintöniger. Wobei einige Experten wie der Psychiater Michael Colla einem Bericht der Zeitung "Die Zeit" nach neben der Stimmanalyse speziell bei der Depression empfehlen, den gesamten körperlichen Eindruck mit zu beurteilen. Trotzdem zeigt auch dieses Beispiel der Stimmanalyse, dass das Erkennen einer psychischen Erkrankung durch das Beurteilen der Stimme und deren Tonalität möglich ist.
Kritiker verweisen jedoch darauf, dass die Stimmanalyse nur ein Bauteil einer Diagnostik sein solle. Die Stimmanalyse könne, so Datenschutzexperte Martin Steiger in einem Artikel des "Beobachter", auch zu fatalen Fehldiagnosen führen. Zudem gebe es Manipulation und Anwendungsfelder im Bereich der Krankenversicherung, die beobachtet werden müssen.
Stimmanalyse: Missbrauch vermeiden
Die Stimmanalyse kann bei gewissen Krankheitsbildern valide Rückschlüsse zulassen. Erste Daten zur Methodik und speziell die Auswertung durch Künstliche Intelligenz liefern erstaunliche Ergebnisse. Insbesondere die Früherkennung anhand der Stimme ist bei einigen Krankheiten ein spannender Aspekt, der einen lukrativen Zukunftsmarkt ebnen könnte.
Doch verweisen Datenschützer und Kritiker wie Steiger oder Lanz-Gast Sascha Lobo explizit auf Missbrauchs-Möglichkeiten hin. Krankenversicherungen etablierten teilweise bereits Stimmanalysen in ihre Call-Offices. Bei Neuverträgen sei es dadurch möglich, explizite Krankheitsbilder, für die zumindest auf Basis der Stimme eine Risikoneigung vorliege, vertraglich auszuklammern. Außerdem könnten Erwerbstätige in der Arbeitswelt selbst bei Telefonaten durch den Einsatz von Analysesoftware medizinisch durchleuchtet werden.
Solche Nebenerscheinungen der Stimmanalyse seien für Kritiker zu verhindern. Das dürfte spätestens der Punkt sein, wo die Politik den Stimmanalysen zum Schutz der Patienten und zum Schutz der Privatsphäre Grenzen setzen muss.
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