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Mutter im Job: Eine Führungskraft, die sich vergeblich um einen 30-Stunden-Job bemühte, machte ihren Frust öffentlich

Sich zwischen Job und Familie entscheiden? Ein Best Practice dazu gibt es in Deutschland nicht. Zu individuell ist die Bereitschaft von Unternehmen, Müttern und Vätern flexible Arbeitsmöglichkeiten zu bieten. Das musste auch Katharina Schleeberger erfahren. Die Mülheimerin wurde Ende April zu einer LinkedIn-Bekanntheit: Sie postete, was sie erlebte, als sie sich auf eine Vollzeitstelle bewarb, für die sie nur 30 Stunden zur Verfügung stehen wollte.

Schleeberger, 38, ist beruflich gefragt. Die Mülheimerin arbeitet erfolgreich als Personalentwicklerin und war viele Jahre angestellt bei Konzernen wie Nestlé und thyssenkrupp. In der Pandemie wagte sie den Start in die Selbstständigkeit als Personalberaterin. „Zugleich wollte ich mir den Weg offenhalten“, sagt sie. „Mir fehlt noch die Erfahrung, wie gut die Selbstständigkeit mit zwei kleinen Kindern klappt. Deshalb bewerbe ich mich auch auf passende Stellen in Festanstellung.“

Ihre Unterlagen hinterlassen bei Unternehmen rasch Eindruck, erzählt sie. Ein schnelles Studium, Erfahrung in börsennotierten Unternehmen, internationale Projekte. „Für diesen Lebenslauf habe ich hart gearbeitet.“ Ihr Profil als Personal- und Talententwicklerin sei sehr spitz. "In 2 von 3 Fällen werde ich zum Gespräch eingeladen", sagt sie. So war es auch im Frühjahr 2021. Schleeberger hatte eine Vollzeitstelle im Blick, die sie reizte, wusste aber, dass sie nur 30 Stunden anbieten kann. Also bewarb sie sich, erwähnte aber den Teilzeitwunsch nicht.

Tausende Reaktionen auf LinkedIn – „der Strom reißt nicht ab“

„Mir ist es mehrfach passiert, dass ich mich auf eine 40-Stunden-Stelle bewarb, 30 Stunden anbot und dann eine Absage erhielt“, begründet sie das Vorgehen. Schleeberger suchte in solchen Fällen auch den Kontakt zur betreffenden Personalabteilung, um zu erfahren, warum sie abgelehnt wurde. Sie ist vom Fach, hat selbst Recruiter ausgebildet. „Ich bekam dann zu hören: ‚Es tut uns leid, die Stelle ist in Vollzeit ausgeschrieben, das ist auch das, was wir suchen‘“, sagt sie. „Trotzdem war die Stelle danach noch wochenlang geschaltet. Sie war also gar nicht besetzt worden.“

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Im April begann es gut. Die Position, die sie reizte, vermittelte eine Personalberatung. Schon wenige Stunden nach der Bewerbung erhielt Schleeberger eine Einladung zum Gespräch von einem Headhunter. „Für diese ist ein passender ‚Kopf‘ bares Geld wert, daher ging es wohl schnell“, sagt sie. Den Teilzeitwunsch verbarg sie in der Bewerbung. Ihre Kinder nicht. „Sie gehören zu mir, also stehen sie in den Unterlagen.“

Das Gespräch verlief sehr gut, bis sie ihre Rahmenbedingungen nannte. „Ich sagte, dass ich 30 Stunden zur Verfügung stehen kann.“ Die Rückfrage des Headhunters kam prompt: "Warum?" Sie antwortete, sie sei Mutter. Der Headhunter fragte nach dem Alter ihrer Kinder und nach ihrem Wohnort, Mülheim. Die Stelle war ausgeschrieben für den Standort Düsseldorf, rund 30 Kilometer entfernt. „Er kommentierte das Alter meiner Kinder als ‚Trouble-Alter‘ und entschied dann praktisch für mich, dass die Anfahrt ungünstig sei“, sagt Schleeberger. Ein Angebot erhielt sie nicht.

„In mir kochte es“, sagt sie. Noch am selben Tag postete sie das Erlebte im Business-Netzwerk LinkedIn, wo sie sehr aktiv ist. Das Feedback überwältigte sie. Bis Mitte Mai erhielt sie 11.000 Reaktionen und knapp 1000 Kommentare bei LinkedIn. „Bis heute reißt der Strom der Kommentare nicht ab.“ Führungskräfte und Geschäftsführer äußerten sich ihr gegenüber auch privat. „Manche sagten mir, erst jetzt hätten sie ein Verständnis für das, was Frauen da erleben“, sagt die Personalerin. „Das freut mich besonders.“

"Oft nehmen Unternehmen lieber eine Fehlbesetzung in Kauf"

Schleeberger erhielt Job- und Projektangebote. Der Headhunter meldete sich in den Folgetagen noch einmal bei ihr – und bot an, ihr die 30 Stunden nach Rücksprache doch zu ermöglichen. „Das zeigte mir: Er hat im Gespräch gar nicht gewusst, ob 30 Stunden möglich sind, und sie einfach pauschal ausgeschlossen“, sagt Schleeberger, räumt aber ein: „Headhunter erhalten ja eine am Gehalt des Bewerbers orientierte Prämie. Vermitteln sie eine Vollzeitkraft, ist diese Prämie höher. Teilzeit rentiert sich weniger.“

Was bleibt, ist das Problem von Eltern, die sich am Arbeitsmarkt benachteiligt fühlen. Und das ist offenbar größer als erwartet. Care-Aufgaben fallen aus dem Raster. Das zeigt auch das Stimmungsbild rund um die Initiative #proparents in Deutschland, die seit dem Frühjahr die Stimmen von Müttern und Vätern öffentlich machte, die Ähnliches erlebten – nicht nur in gehobenen Positionen. Die Initiatoren von #proparents fordern, dass Elternschaft ins Antidiskriminierungsgesetz aufgenommen wird.

„Oft nehmen Unternehmen für eine Stelle lieber eine Fehlbesetzung in Kauf, als sich auf eine hoch qualifizierte Person einzulassen, die weniger Stunden einbringen will, weil sie sich Familienzeit wünscht“, beklagt Schleeberger. Der Arbeitsmarkt könne sich das im Grunde nicht leisten – „außer, er will die Hälfte der Bevölkerung ausschließen“, sagt sie. Dass das, was sie erlebt, Diskriminierung ist, der Gedanke kam ihr erst durch die Diskussion auf LinkedIn, sagt sie.

Elena de Graat, Diplom-Psychologin und Expertin für das Audit berufundfamilie, hat den Eindruck, dass sich in Unternehmen viel bewegt, wenn es um Flexibilität geht. Seit 1998 entwickelt und realisiert sie für Unternehmen Konzepte zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. „Ich erlebe ein großes Entgegenkommen in Unternehmen“, sagt sie. „Erst letzte Woche hatte ich mit einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern zu tun, die sich im Tech-Sektor auf eine Vollzeitstelle beworben hat – und explizit 30 Stunden anbot“, sagt die Beraterin. „Sie wurde genommen – mit ihrem Wunsch nach Telearbeit wegen langer Anfahrt. Und das mitten in der Corona-Pandemie!“

De Graat verweist auf weitere positive Beispiele aus ihrer Beratungspraxis. „Da war zum Beispiel dieser Vater, der ganz plötzlich im Job pausieren musste, weil sein Kind früher zur Welt kam. Sein Chef sagte: ‚Gehen Sie, das ist jetzt wichtiger als diese Arbeit.‘ Der Mann war seinem Chef tief dankbar dafür.“

Aufgaben und Verantwortung in Unternehmen teilen – "das ist Arbeit"

Nicht immer stießen elterliche Vorstellungen und die Realität in Unternehmen auf Gegenliebe: „Ein Unternehmen, das eine Vollzeitstelle ausschreibt und jemand einstellt, der diesen Job in 30 Stunden machen will, hat einen Stellenrest von 10 Stunden. Wer soll den Rest übernehmen?“, fragt de Graat. Da bleibe nicht nur Zeit übrig. Auch Aufgaben und spezifische Qualifikationen für die Stelle seien damit verbunden. „Das anders zu organisieren, ist Arbeit. Damit müssen Unternehmen umgehen.“

Eva Haeske-Braun, Director Executive New Placement & Karriereberatung bei Kienbaum Consultants, findet, es mangele in Unternehmen gar nicht so sehr an Offenheit gegenüber Teilzeitmodellen. Schwierigkeiten gebe es aber, wenn es darum gehe, Aufgaben und vor allem Verantwortungen zu teilen. „Es kommt natürlich sehr auf die Tätigkeit an sich an.“

Auch eine Karriere sei oft nur für Ganztagskräfte vorgesehen. „Hier spielen die Erreichbarkeit 24/7 mit rein, aber sicher auch Konventionen im Sinne von ‚die anderen Führungskräfte im Management-Team arbeiten auch alle 100 Prozent‘ und fehlendes Vorstellungsvermögen, wie das denn gehen soll“, sagt Haeske-Braun.

„Macht transparent, was ihr euch vorstellt“

Rund um das Thema Vereinbarkeit gibt es also keine einheitlichen Standards und noch viel zu wenig Offenheit. Herkömmliches Denken aufzubrechen verlangt Mut und Konzepte. Bis es so weit ist, kann der Ist-Zustand dazu führen, dass Mütter, Väter, Pflegende in Bewerbungsanschreiben ihre Wünsche nicht äußern – um bei passender Qualifikation wenigstens bis ins Gespräch zu kommen.

Beraterin de Graat plädiert trotzdem für Offenheit. „Macht transparent, was ihr euch vorstellt“, rät sie Bewerberinnen und Bewerbern. "Wenn klar ist, dass die Bewerbung einer 40-Stunden-Stelle gelten solle, gilt, das aber für euch nicht möglich ist, dann sprecht darüber. Habt einen Vorschlag, wie die übrigen 10 Stunden gestaltet werden könnten. Das zeigt, dass ihr mitdenkt und das Umorganisieren von euch zugedachten Aufgaben nicht anderen überlasst", so de Graat.

Ehrlichkeit hat auch für Personalexpertin Haeske-Braun höchste Priorität. „Natürlich geht es in erster Linie um die Passung einer Person zum Unternehmen“, sagt sie. Bringe jemand einen Mehrwert für das einstellende Unternehmen mit, seien Unternehmen sicherlich flexibler. „Wer den Wunsch nach Teilzeit anspricht, darf aber nicht enttäuscht sein, wenn ein Unternehmen eine Person vorzieht, die Vollzeit bietet“, findet sie. „Einfach, weil sie zeitlicher verlässlicher zu sein scheint.“

Eltern rät sie, im Vorstellungsgespräch aufzuzeigen, „dass die Betreuung zu 150 Prozent abgesichert ist“, und ihre Verfügbarkeit darzulegen. Zwar öffneten sich immer mehr Unternehmen für Teilzeitmodelle, so die Expertin. „Aber in den obersten Führungsetagen oft noch nicht.“

Bis es soweit ist, arbeiten in Zeiten von New Work verschiedene Initiativen daran, Scheuklappen abzubauen: So bringen das Berliner Vereinbarkeitslab, das Team von 2PaarSchultern oder die Organisation Twise den Kulturwandel in Unternehmen voran – und entkoppeln Erfolg von starren Zeit- und Personalmodellen. Und Digitalunternehmerin Verena Pausder hat die Lobbyinitiative #Stayonboard an den Start gebracht – damit auch in Führungsetagen mehr Passung zwischen Beruf und Leben möglich ist.