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„Wir mussten Insolvenz anmelden wegen einer geplatzten Lastschrift“

Im Januar 2012 verkündete Meike Schlecker die Insolvenz des Drogerieriesens Schlecker. Mit wächserner Haut und brüchiger Stimme sagte sie bei einer Pressekonferenz in dem verglasten Unternehmenssitz in Ehingen: „Es ist nichts mehr da.“ Neben ihr saß damals der Finanzvorstand des Unternehmens: Sami Sagur.

Über fünf Jahre später, an diesem Montag, sitzen Meike Schlecker und Sagur wieder zusammen in einem Raum – im Saal 18 des Stuttgarter Landgerichts. Meike Schlecker als Mitangeklagte im Prozess gegen ihren Vater Anton Schlecker, dem die Staatsanwaltschaft vorsätzlichen Bankrott vorwirft. Sagur als Zeuge, der bei der Klärung der Frage helfen soll: War Schlecker schon lange vor der tatsächlichen Insolvenz zahlungsunfähig?

Das ist der entscheidende Punkt in dem Prozess gegen Anton Schlecker sowie seine Mitangeklagte Frau Christa und die Kinder Lars und Meike Schlecker. Sagur soll Licht in die komplizierte Finanzkonstruktion bei Schlecker bringen, doch bei ihm ist es ähnlich wie schon bei vielen vorherigen Zeugen. Die Jahre haben die Erinnerungen getrübt, vor allem aber konnte scheinbar selbst das Führungspersonal alleine keine weitreichenden Entscheidungen treffen. Als Sagur berichtet, dass er als Finanzvorstand keinen Zugang zum Buchhaltungssystem hatte, fragt in Richter Roderich Martis etwas ungläubig: „Aber sie waren schon Finanzvorstand?“

Sagur berichtet, dass die Finanzlage des Unternehmens schon schlecht gewesen sei, als er im Juli 2010 seinen Posten als Finanzvorstand bei Schlecker antreten habe. Zwar seien ihm vor Beginn seiner Tätigkeit keine genauen Zahlen bekannt gewesen, er habe aber aus der Presse gewusst, dass es dem Unternehmen nicht gut gehe. Außerdem: „Wenn man eine Schlecker-Filiale besucht hat, konnte man sehen, dass es einen Investitionsstau gab.“ Allerdings sei er davon ausgegangen, dass die Familie Schlecker noch über ausreichend Vermögen verfüge, um neue Investitionen zu stemmen.

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Die Staatsanwaltschaft geht hingegen davon aus, dass es weitaus schlechter um Schlecker bestellt war und schon Ende 2009 die Zahlungsunfähigkeit drohte. In dem Prozess wirft die Anklage Firmenchef Anton Schlecker auch vor, dem Zugriff der Gläubiger Vermögenswerte in Höhe von mehr als 25 Millionen Euro entzogen zu haben.

„Ich hatte eigentlich ein gutes Gefühl“, sagt Sagur in Bezug auf die finanzielle Zukunft des Unternehmens. Worin dieser Optimismus begründet war, wird in der Befragung nicht deutlich. Vielmehr hing die Zukunft des Schlecker-Konzerns schon 2010 vom Wohl und Wehe des Lieferanten Markant und des Kreditwarenversicherers Euler-Hermes ab. „Am Ende mussten wir Insolvenz anmelden wegen einer geplatzten Lastschrift“, stellt Sagur die Situation da.


Der Ex-Finanzchef hielt die Lage nicht für aussichtslos

Bereits im Februar 2011 mussten Lastschriften an Markant verschoben werden, weil Schlecker sie nicht hätte bedienen können, wie Sagur bestätigt. Als im Januar 2012 Verhandlungen über die Verschiebung von vier weiteren Lastschriften in Höhe von knapp 130 Millionen Euro platzten, musste Schlecker Insolvenz anwenden.

Nach Einschätzung des Ex-Finanzchefs war die Lage aber nicht aussichtslos. So sei ein Warenhaus in Ehingen verkauft worden, um den Engpass zu überbrücken. Die 30 Millionen Euro trafen aber zu spät auf dem Konto ein. Sagur zeigt sich in der Befragung sicher, dass die Konsolidierung von Schlecker hätte gelingen können, wenn Markant und Euler-Hermes den Verschiebungen der Lastschriften zugestimmt hätten. Dabei weist er darauf hin, dass das Geld bei Schlecker üblicherweise Anfang des Jahres knapp wurde, weil neben dem laufenden Betrieb auch die Weihnachtsware bezahlt werden musste. Die Zahlen wären im Verlauf des Jahres aber immer besser geworden.

Die Zahlen, die das Gericht präsentiert, sprechen allerdings eine andere Sprache. Nachdem Schlecker schon im Jahr 2010 einen Verlust von 118 Millionen Euro einfuhr, verschlechterten sich die Zahlen im Verlauf des Jahres 2011 weiter. Alleine in den Monaten Juli bis November betrug der Verlust 189,5 Millionen Euro.

Insofern stellt sich auch die Frage, woher das Geld für das Sanierungskonzept der Unternehmensberatung Wieselhuber und Partner hätte kommen sollen. Von diesem versprach man sich bei Schlecker die Rettung. Das Konzept sah vor, etliche verlustbringende, kleine Filialen zu schließen und dafür die verbliebenen, größeren Filialen zu modernisieren. Zudem sollte das ramponierte Image mit einer frischen Marketingkampagne verbessert werden.

230 Millionen Euro hatten die Unternehmensberater als Kosten veranschlagt. Sagur berichtet, dass man dafür Teile des Unternehmens habe verkaufen wollen – etwa den Online-Handel Schlecker Homeshopping. Alternativ hätte man auch Immobilienbesitz des Unternehmens verkaufen können, beispielsweise das überdimensionierte Einkaufszentrum in Ehingen. Doch zu einem tatsächlichen Verkauf kam es nie. Konnte es auch nicht, wie Sagur eingesteht. Denn sämtliche Immobilien und Waren dienten gegenüber dem Kreditwarenversicherers Euler-Hermes als Sicherheiten in einem Treuhandvertrag.

KONTEXT

Stationen der Schlecker-Insolvenz

23. Januar 2012

Schlecker meldet Insolvenz an.

28. März 2012

Das Verfahren wird eröffnet. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz hofft noch auf die Rettung von Teilen der Drogeriekette.

27. Juni 2012

Es wird bekannt, dass Anton Schlecker sein Privathaus im Wert von zwei Millionen Euro vor der Insolvenz an seine Frau übertragen hat. Ein zweites Grundstück soll sein Sohn bekommen haben.

18. Juli 2012

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart leitet ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Untreue, Insolvenzverschleppung und Bankrott gegen Anton Schlecker ein.

19. Juli 2012

Die Schlecker-Gläubiger fordern mehr als eine Milliarde Euro.

30. November 2012

Der österreichische Investor Rudolf Haberleitner will 2013 bis zu 600 ehemalige Schlecker-Filialen mit dem Konzept eines modernen Tante-Emma-Ladens wiederbeleben.

19. März 2013

Gut ein Jahr nach der Pleite zahlt die Familie Schlecker dem Insolvenzverwalter 10,1 Millionen Euro. Hintergrund ist der Streit um übertragenes Vermögen aus dem Unternehmen.

9. April 2013

Haberleitner will einstige Schlecker-Filialen unter dem Namen Dayli wiederbeleben und Testläden in Deutschland eröffnen.

4. Juli 2013

Noch vor dem geplanten Deutschland-Start ist der Schlecker-Nachfolger Dayli pleite.

13. April 2016

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erhebt Anklage gegen Anton Schlecker wegen vorsätzlichen Bankrotts.

Sommer 2016

Der Insolvenzverwalter reicht Klage gegen ehemalige Schlecker-Lieferanten ein. Sie sollen Schlecker wegen illegaler Preisabsprachen um viel Geld gebracht haben. Geiwitz will Schadenersatz in Millionenhöhe.

7. Dezember 2016

Es wird bekannt, dass das Landgericht die Anklage zulassen will. Der Schlecker-Prozess beginnt im März 2017.

KONTEXT

Die Schlecker-Familie

Anton Schlecker

Der 72-Jährige ist der große Unbekannte. Selbst örtliche Politiker und Wirtschaftsvertreter haben kaum Kontakt zu ihm. Nach der Pleite soll sich Anton Schlecker auch von Vertrauten zurückgezogen haben. Der gelernte Metzgermeister eröffnete 1975 den ersten Schlecker-Markt. Zwei Jahre später betrieb er schon mehr als 100 Filialen. Er baute ein Imperium auf und beschäftigte in Glanzzeiten mehr als 55.000 Menschen. Konkurrent Dirk Roßmann, der Schlecker und dessen Frau seit Jahren kennt, sagte jüngst in einem Beitrag des SWR: "Fleißig waren die beiden, unglaublich." Außerdem seien sie hilfsbereit und großzügig gegenüber Freunden. Schlecker selbst sagte vor Gericht, er habe tagtäglich von frühmorgens an für das Unternehmen gearbeitet, auch am Wochenende.

Nicht nur im Geschäft achtete Schlecker auf jeden Cent. Er und seine Frau wurden in den 1990er Jahren zu zehn Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von einer Million Euro verurteilt, weil sie Hunderte Mitarbeiter jahrelang unter Tarif bezahlt hatten. Über Jahre habe die Familie keinen Urlaub gemacht. "Wir hatten oder haben keine Sammlung von teuren Autos, keine Weingüter, keine Kunst, keine Jachten, keine Hotels." Dennoch habe man sich das ein oder andere geleistet.

Christa Schlecker

Über Anton Schleckers Frau ist am wenigsten bekannt. Sie ist in Essen geboren, besuchte die Handelsschule und heiratete 1971 Anton Schlecker. Die 69-Jährige wird als "resolut" beschrieben. Christa Schlecker galt als enge Vertraute Antons und soll zusammen mit ihm das berüchtigte Kontrollnetz über Mitarbeiter errichtet haben.

Lars Schlecker

Der heute 45-Jährige saß mit in der Geschäftsführung des Schlecker-Imperiums. Er wurde an der European Business School in London ausgebildet und machte im Jahr 2000 an der Steinbeis-Hochschule in Berlin seinen Master of Business Administration. Zu Zeiten des Internet-Hypes sammelte Lars Schlecker unternehmerische Erfahrungen als Gesellschafter des B2B-Portals Surplex.com - zusammen mit dem Sohn des ehemaligen Daimler-Chefs Jürgen Schrempp. Nach der Insolvenz arbeitete er als Agent für Künstler und engagiert sich derzeit beim Münchner Unternehmen float medtec. Er werde zwar immer als Pferdenarr beschrieben, so Lars Schlecker im Prozess. Er habe allerdings lediglich im Alter von 14 Jahren ein Jahr lang Reitstunden genommen.

Mit seiner Schwester verbindet ihn eine schreckliche Erfahrung: An Weihnachten 1987 wurden die Schlecker-Kinder entführt. Vater Anton handelte die Lösegeldforderung der Erpresser von 18 auf 9,6 Millionen Mark herunter. Das Geld wurde gezahlt, die Kinder konnten sich aber selbst befreien. Nach einem Bankraub wurden die Entführer 1998 gefasst. Lars Schlecker ist verheiratet mit einer Architektin, hat zwei Kinder und lebt in Berlin.

Meike Schlecker

Lars' zwei Jahre jüngere Schwester (43) legte eine mustergültige Karriere hin. Sie studierte an der renommierten IESE Business School in Barcelona, ist aber schon etwa seit dem Jahr 2000 im Unternehmen beschäftigt. Meike Schlecker war es, die sich 2012 vor Journalisten stellte, um die Pleite zu verkünden. Es war der erste öffentliche Auftritt der Schlecker-Familie seit dem Prozess gegen die Entführer der Kinder 1999. Meike Schlecker ist geschieden; sie lebt mit ihren beiden Kindern in London. Gedanken über ihre weitere berufliche Zukunft habe sie sich noch nicht gemacht, sagte sie im Prozess.