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Mitten in neuer Corona-Welle: Krankenhäuser müssen jedes dritte Intensivbett leer lassen, weil ihnen die Pflegekräfte kündigen

Die Corona-Lage in Deutschland spitzt sich erneut zu: So sind die Inzidenzen bundesweit so hoch wie seit sechs Monaten nicht mehr. Und in der Folge wird es auch in den Intensivstationen immer enger, einige Krankenhäuser klagen bereits über neue Überlastungen. Doch ausgerechnet in dieser Situation gibt es in Deutschlands Krankenhäusern offenbar 4000 Intensivbetten weniger als noch zu Beginn des Jahres. Der Grund: Tausende Pflegekräfte haben in den letzten Monaten ihren Job an den Nagel gehängt.

„Die aktuell angespannte Situation auf den Intensivstationen – insbesondere in Bayern, Sachsen und Thüringen – ist nicht nur auf die steigende Zahl der Corona-Infektionen zurückzuführen, sondern vor allem auf den Pflegekräftemangel. Wir hatten zu Beginn des Jahres fast 4000 Intensivbetten mehr aus heute. Diese Betten stehen heute immer noch in den Krankenhäusern, doch es fehlt das Personal, um sie auch zu betreiben“, sagt Nina Meckel, Sprecherin der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), auf Anfrage von Business Insider.

Es sei gesetzlich geregelt, dass die Betten nicht in Betrieb genommen werden dürften, wenn nicht mindestens eine Pflegekraft pro zwei Intensivbetten auf der Station arbeitet, so Meckel weiter.

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Am 21. Oktober waren der DIVI 22.207 betreibbare Intensivbetten gemeldet worden. Am 01. Januar 2021 waren es noch 26.475 Betten. Heute gibt es also 4.268 weniger Intensivbetten als noch auf dem Höhepunkt der zweiten Corona-Welle im vorigen Winter. Das heißt, dass 20 Prozent der maximal betreibbaren High-Care-Betten, in denen Patienten invasiv beatmet werden können, aktuell nicht betrieben werden können. Von den sogenannten Low-Care-Betten, in denen Intensivpatienten betreut werden, die nicht beatmet werden müssen, sind gar 35 Prozent aus Personalmangel gesperrt. Dort muss jedes dritte Bett leer bleiben.

„Es ist äußerst schwierig jemanden mit einem großen Tumor im Körper zu erklären, dass er erstmal zu Hause bleiben muss und sich gedulden soll“

"Steigende Corona-Zahlen und Pflegekräftemangel bedingen sich gegenseitig. Corona-Patienten sind extrem arbeitsintensiv und bräuchten eigentlich eine Eins-zu-Eins-Betreuung, die die Klinken nicht leisten können." Diese Situation sei enorm belastend, was dazu geführt habe, dass Tausende Pflegekräfte gekündigt oder in Teilzeit gewechselt hätten, erklärt Meckel. Und weiter: "Hinzu kommt jetzt der Kostendruck. Klinken machen Minus und bauen Stellen ab, um dies auszugleichen." Dadurch werde der Druck auf die verbliebenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen noch größer, so die DIVI-Sprecherin.

Dennoch schätzt die DIVI aktuell das Szenario, dass es in der sich aufbauenden neuen Corona-Welle mehr Patienten als Betten geben könnte, als unwahrscheinlich ein. Meckel erklärt: "Wir versuchen jedem Corona-Patienten, der es benötigt, ein Intensivbett zur Verfügung zu stellen. Vermutlich wird das auch langfristig gelingen." Schließlich gebe es in Deutschland im internationalen Vergleich sehr viele Intensivbetten. "Glücklicherweise ist es hierzulande noch zu keinem Zeitpunkt der Pandemie zur Triage gekommen", betont sie.

Doch selbst wenn alle Corona-Patienten, die aktuell auf Intensivstationen kämen, ein freies Bett erhielten, habe die neue Welle dennoch schwerwiegende Folgen – „und zwar für diejenigen Patienten, deren medizinische Behandlung deswegen verschoben werden muss. Selbst wenn es aus medizinischer Sicht vertretbar sein mag, ist es äußerst schwierig jemanden mit einem großen Tumor im Körper zu erklären, dass er erstmal zu Hause bleiben muss und sich gedulden soll.“

Wie aktuell in einigen Krankenhäusern in Großstädten, jetzt schon wieder andere Behandlungen verschoben werden müssten und Patienten in Kleinstadt-Krankenhäuser ausgeflogen würden. Dies wäre nicht notwendig, wenn alle vorhandenen Betten auch betrieben werden könnten. Dabei war der drohende Pflegenotstand und der enorme Druck auf Pflegekräfte während der Pandemie schon lange bekannt.

Der Pflegenotstand zeichnet sich schon lange ab – doch die Politik hat nicht effektiv gegengesteuert

Im April 2021 hatte eine Onlineumfrage der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) unter 1321 Pflegekräften und Ärzten ergeben, dass sich 72 Prozent der Pflegekräfte und 46 Prozent der Ärzte in der dritten Welle der Corona-Pandemie überlastet gefühlt hätten. Eine überwältigende Mehrheit von 96 Prozent beziehungsweise 86 Prozent stimmte der Aussage zu, sich von den politischen Entscheidungsträgern in ihrer täglichen Arbeit im Stich gelassen gefühlt zu haben.

93 Prozent der Pflege- und 80 Prozent der ärztlichen Angestellten hielten die Personalstrukturen in der Intensiv- und Notfallmedizin für nicht ausreichend belastbar. 96 Prozent der Befragten sahen keine Lösungsangebote seitens der Politik. 31 Prozent des nichtärztlichen und 19 Prozent des ärztlichen Personals gaben zudem an, in den folgenden 12 Monaten die Profession wechseln zu wollen. Darüber hinaus planten 46 Prozent der Pflegekräfte und 30 Prozent der Ärzte ihre Arbeitszeit zu reduzieren.

Schon vor Beginn der Pandemie war sich die Politik des Pflegekräftemangels bewusst, sprach von bis zu 80.000 fehlenden Pflegekräften. Doch passiert ist seit dem wenig. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) reiste zwar 2019 öffentlichkeitswirksam nach Mexiko, um dort mexikanische Fachkräfte anzuwerben: „Deutschland ist nach Japan das zweitälteste Land der Welt“, so Spahn damals. Doch die Kampagne erwies sich als Fehlschlag. Am Ende kamen nur ein paar Hundert Mexikaner anstatt der erhofften mehreren Tausend.

„Politisch muss jetzt unbedingt gegensteuert werden. Wir brauchen positive Signale für Pflegepersonal und für Intensivmediziner“, so Meckel. Neben besseren Arbeitsbedingungen, höheren Löhnen und mehr Personal, „gehörten zum Beispiel auch Angebote der psychologischen Betreuung dazu. Es ist eine enorme psychische Belastung für intensivmedizinisches Personal, wenn seit fast zwei Jahren unten ihren Händen täglich Patienten an Corona versterben.“