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Der Mittelstand kämpft um seine Existenz

Mittelständler und Selbstständige müssen in der Coronakrise radikal ihre Kosten senken, Staatshilfen beantragen oder neue Geschäftsmodelle finden. Dabei gibt es zahlreiche Hürden.

Ausbleibende Kundschaft treibt zahllose Mittelständler in Existenznot. Foto: dpa
Ausbleibende Kundschaft treibt zahllose Mittelständler in Existenznot. Foto: dpa

Es ist ein Aufruf unter Tränen, der derzeit nicht nur die Hannoveraner berührt. Gerhard Bosselmann, der Inhaber der gleichnamigen Bäckereikette, erklärt eindringlich in einem viralen Video, was es bedeutet, wenn die Kunden wegbleiben: in sechs bis acht Wochen müsste er seine 205 Mitarbeiter entlassen, wenn es nicht einen gewissen Mindestumsatz gebe.

Die netten Versprechen von der Politik kämen nicht bei den Mittelständlern an. „Wir müssen uns selbst helfen“, sagt er und ruft die Kunden auf, bei Bäckern zu kaufen. Eine „Scheißangst“ hätten er und seine Mitarbeiter um ihre Jobs.

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Was damit gemeint ist, wurde kurz darauf ebenfalls bekannt. Der wunderbaren Belegschaft, die Bosselmann via Instagram lobt, droht er offenbar intern. „Krankmeldungen wegen Erkältung ohne Fieber werden nur mit vorgelegter Corona-Testierung akzeptiert. Andernfalls werden wir keine Lohnfortzahlung zahlen.“

Auch wer sich nicht an die Anordnungen halte, wer noch Partys oder Kindergeburtstage feiere, werde fristlos entlassen. Das interne Schreiben hat er gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung bestätigt. Wenn einzelne Mitarbeiter den Fortbestand des Unternehmens gefährdeten, müsse es klar kommuniziert werden, sagte er gegenüber der Zeitung.

Dabei geht es Bosselmann vermutlich noch besser als anderen, weil er als Lebensmittellieferant weiter geöffnet haben kann und muss. Ganz anders sieht es bei einer Busunternehmerin in NRW aus, die nicht namentlich genannt werden möchte. Ihre Stimme klingt verzweifelt, sie ist fassungslos. Ihr Betrieb steht still, alle Fahrten und Reisen sind abgesagt. Sie muss schnell die Kosten senken.

Hoffnung auf Hilfe

In der vergangenen Woche war sie noch zuversichtlich gewesen. Die Bilanz für 2019 war schon fertig und sie war vorbereitet für das Gespräch mit der Bank. Und ihr war klar: „Wenn wir einen Überbrückungskredit benötigen, dann müssen wir auch selbst Kosten sparen.“ Da inzwischen wirklich 100 Prozent aller Fahrten und Reisen storniert sind, überlegte sie nicht lange und wollte alle 16 Busse abmelden. Gott sei Dank hat sie auf dem Betriebsgelände Platz dafür, schließlich dürfen die Fahrzeuge ohne Nummernschild ja nicht einfach auf der Straße stehen.

Doch dann telefonierte sie mit dem Straßenverkehrsamt. „Nein, Publikumsverkehr haben wir nicht mehr“, sagte die Dame vom Amt wenig freundlich. „Aber wir sind doch gewerblich, wir müssen unsere Busse abmelden, weil wir dringend Kosten sparen müssen“, sagte die Unternehmerin. Die Dame vom Amt verwies sie auf professionelle Zulassungsdienste. Die Busunternehmerin rief einige an. Kostenpunkt: 140 bis 160 Euro pro Fahrzeugabmeldung. Tendenz steigend. „Ich war fassungslos“, sagt die Unternehmerin. Bislang hat sie die Busse nicht abgemeldet, sie wollte ja Kosten sparen, nicht Geld ausgeben. Jetzt spart sie schon mal bei den Versicherungen. Die Fahrzeuge sind vorerst nur haftpflichtversichert, die Vollkasko brauchen sie ja gerade nicht.
Noch ist unklar wie es weiter geht.

„Das Straßenverkehrsamt könnte sich vom Arbeitsamt mal eine Scheibe abschneiden“. Dort hat die Busunternehmerin Kurzarbeitergeld beantragt. Als sie dort per Telefon nicht durchdrang, machte sie sich selbst auf den Weg. „Die Mitarbeiter standen vorm Amt und haben sehr freundlich die Anträge auf Kurzarbeit entgegen genommen und versucht, alle Fragen zu beantworten“, lautet ihre Erfahrung. Nun ist das Kurzarbeitergeld für die 22 festen Mitarbeiter beantragt, den Minijobbern musste sie schweren Herzens kündigen. Sie ist bei jedem vorbei gefahren. Es tut ihr leid. Dennoch hat sie die Hoffnung, dass „die Regierung diesmal uns kleinen Unternehmern wirklich helfen will."

Egal, ob Bäcker oder Busbetreiberin: Viele Selbstständige, Kleinunternehmer und Mittelständler kämpfen derzeit gleich an mehreren Fronten. Sie haben Hoffnung auf Hilfe auf der einen Seite und Probleme bei der Umsetzung auf der anderen. Denn für die kleinen Unternehmen und Solo-Selbstständigen war es enorm wichtig, dass ihnen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) unbegrenzte Unterstützung zugesagt haben.

Doch zugleich liegen die Schwierigkeiten darin, schnell die Liquiditätsengpässe zu beheben. So sind die Banken überhaupt nicht auf einen solchen Ansturm eingestellt. Auch die Finanzämter sind nicht so leicht erreichbar, wenn man die Vorauszahlungen aussetzen möchte.

Liliana Gatterer, Präsidentin vom Bund der Selbstständigen Deutschland, forderte direkte Hilfen für die Selbstständigen und verweist auf das Beispiel Bayern: Dort werden unbürokratisch mit einem zweiseitigen Formular die Hilfen auf den Weg gebracht, sagte sie am Freitag dem WDR. Die anderen Bundesländer und die Bundesregierung sollten da nachziehen.

Auf der Webseite des bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft Landesentwicklung und Energie finden die Unternehmer unter dem Stichwort Soforthilfe Corona die Informationen, welche Unternehmen was beantragen können, und an wen sie sich wenden müssen.

Es trifft die Kleinen

Vor allem die Kleinen leiden unter der Krise. Es trifft damit einen großen Teil der deutschen Wirtschaft. Hierzulande existieren knapp 3,5 Millionen Unternehmen, rund drei Millionen gehören in die kleinste Kategorie, also der Betriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern. Schaut man auf die Zahl der Selbstständigen insgesamt, liegt diese sogar noch höher: Dann sind es rund vier Millionen.

Wie ernst die Lage ist, zeigt sich quasi an jeder Ecke. So auch bei Nicole Meßner. Sie ist Friseurmeisterin, Inhaberin des Düsseldorfer Friseursalons Tausendschön und beschäftigt neun Mitarbeiter. In dem Laden, in dem es sonst vor Kunden nur so wimmelt, ist es leer geworden. „Die meisten Kunden sagen ihre Termine ab“, sagt Meßner. Und die, die kommen, hätten ein schlechtes Gewissen und würden sich rechtfertigen.

Die Friseurin hat vorgesorgt, lässt ausreichend Platz zwischen ihren Kunden, zudem tragen alle Beschäftigten Handschuhe und nutzen reichlich Desinfektionsmittel. Nicht nur die Besucher, auch die Mitarbeiter haben zuweilen ein mulmiges Gefühl. Für ihre Leute hat Meßner inzwischen Kurzarbeitergeld beantragt. Die Friseure würden dann 60 Prozent ihres Gehaltes über diese Hilfe bekommen. Die restlichen 40 Prozent will Meßner aus eigener Tasche zahlen.

Die Friseurin, die seit 24 Jahren selbstständig ist, wünscht sich eine einheitliche Regelung für alle Geschäfte und Dienstleister. „Ansonsten wird das hier eine Never-Ending-Story“, sagt sie. Nach ihrer Kalkulation könnte sie drei Wochen lang eine Schließung verkraften. Dann aber müsse es weitergehen.

Wie so viele Selbstständige, will sich aber auch die Wuppertaler Buchhändlerin Gesa Jürgensen nicht vom Virus unterkriegen lassen und wurde daher kreativ. Fenster und Ladentür sind geschlossen, auf den Scheiben steht in großen Lettern: „Bestellen Sie Online!“ Auch sie musste ihren Laden schließen, mit einem Mal stand die Zukunft des florierenden Geschäfts infrage.

Alternative Einnahmequellen gesucht

Per WhatsApp richtete die verzweifelte Unternehmerin einen Appell an die Frauengruppe ihrer Gemeinde, der dann in Windeseile in Wuppertal die Runde machte. Sie schrieb: „Derzeit geht es um die Existenz. Wir haben keine Einnahmen, fünf Gehälter müssen gezahlt werden. Und ich weiß im Moment nicht, wie und ob wir das überstehen.“ Sie bat eindringlich darum, weiter Bücher zu bestellen. Diese würden nach Hause geliefert.

Am Ende der Woche hatte Jürgensen wieder Hoffnung: Ihr Aufruf zeigte prompte Wirkung, es gingen Bestellungen aus dem ganzen Umland ein, es sei „so viel los wie sonst im Weihnachtsgeschäft“. Eine ihrer Mitarbeiterinnen ist nun den ganzen Tag unterwegs, um die Bücher auszuliefern – die Übergabe ist wie auch die Bezahlung kontaktlos.

„So können wir es durch diese Situation schaffen“, sagt Jürgensen. „Aber wer weiß, wie das in zwei Wochen ist?“ Vor allem sei sie darauf angewiesen, dass der Großhandel weiter arbeite und die Lieferung erlaubt bleibe. „Sonst nutzen uns auch die treuesten Kunden nichts.“

Rita Strackbein ist Führungskräftetrainerin, auch sie macht sich gerade intensiv Gedanken über alternative Einnahmequellen. Seit 25 Jahren leitet sie mit ihrem Mann die Beratung Diskurs in Wuppertal, die neun feste und etliche freie Mitarbeiter beschäftigt. Die Trainer coachen Manager von Familienunternehmen und der Verwaltung. Vor Corona waren die Auftragsbücher voll. „Wir mussten Aufträge ablehnen“, so die Unternehmerin. Nun sind die meisten Seminare storniert, einige verschoben.

Ab April muss sie die freien Mitarbeiter wohl entlassen, die Festangestellten in Kurzarbeit schicken. Das sei viel Bürokratie, aber die Agentur für Arbeit unterstütze dabei kompetent. „Wir sind sehr dankbar, dass es Kurzarbeit gibt, sonst müssten wir selbst langjährige Mitarbeiter entlassen. Ohne Kurzarbeitergeld gingen wir wohl in Konkurs.“

Von Überbrückungskrediten hält Rita Strackbein wenig. „Die muss ich ja irgendwann wieder zurückzahlen.“ Diskurs arbeite nun daran, einige Workshops und Coachings per Video anzubieten. „Gerade in dieser schweren Krise brauchen Führungskräfte ja Beratung“, macht sich Strackbein Mut.

Ansturm auf Finanzberater

Unternehmer wie Jochen Multhauf wissen dagegen gerade nicht, wie sie den Ansturm bewältigen sollen. Kein Wunder, der Geschäftsführer der MSM Multhauf Schmidt Mittelstandsfinanzierung hat sich unter anderem darauf spezialisiert, mittelständische Unternehmen zu beraten, die Liquiditätsprobleme haben.

Der Andrang sei aktuell deutlich höher als in der Finanzkrise. „Was wir derzeit erleben, ist ein Massen-Überlebenskampf“, sagt er. Es gebe kaum Unternehmen kleiner und mittlerer Größe, die einen Nullumsatz über mehrere Wochen und Monate wegstecken könnten.

„Der Staat hilft, aber er hilft nicht effizient“, ist Multhauf überzeugt. Beispiel KfW-Kredite: Die von der Bundesregierung versprochene umfassende Liquiditätshilfe für Unternehmen sei vom Grundsatz richtig. In der bisherigen Ausgestaltung sei es aber zweifelhaft, ob die Gelder tatsächlich ankämen.

Die Mittel würden zwar über die bundeseigene KfW vollständig den Banken zur Verfügung gestellt, bei denen betroffene Unternehmen zuvor einen entsprechen Antrag gestellt haben. Und die Banken reichten die Gelder dann als Kredit an die Unternehmen aus.

Das Problem aber: Sollte das Unternehmen später den Kredit nicht zurückzahlen können, entsteht für die Bank ein Problem. Denn primär schuldet sie der KfW die Rückzahlung dieses Kredits, und die KfW stellt sie regelmäßig nur in Höhe von 80 Prozent von der Haftung frei. Das heißt: Bei einem Kredit in Höhe von einer Million Euro übernimmt die Bank somit ein Risiko von 200.000 Euro. „Welche Bank sollte das tun?“, fragt Multhauf.

Entschädigung statt Kredit

Das sei nicht die einzige Hürde: Die Kredite würden zwar über die Krise helfen. Doch was sei mit der Zeit danach? Die Schulden würden bleiben und könnten Unternehmen belasten, vielleicht würde sogar das Geschäftsmodell daran zerbrechen.

Wolle der Staat den Unternehmen wirklich helfen, müsse er einen anderen Weg gehen – nicht über Kredite, sondern über Entschädigungen dafür, weil er ihnen aus übergeordneten Gründen die Ausübung ihres Gewerbes verbietet.

Berater Multhauf schlägt deshalb vor, den von der Corona-Krise betroffenen Unternehmen – also wahrscheinlich nahezu allen – die wesentlichen Fixkosten zu erstatten, so lange die Schließung andauert. „Am Ende macht der Staat in dieser außergewöhnlichen Krise das bessere Geschäft, wenn er die Firmen am Leben hält.“

Genau dafür plädiert auch Friseurin Meßner. Von Überbrückungskrediten hält sie nicht viel. Diese müssten ja irgendwann zurückgezahlt werden. Für sie wäre ein finanzielles Hilfspaket für Kleinstunternehmen genau die Art von Hilfe, die nun nötig wäre. Und wenn es nur einige Tausend Euro wären. „Besser als nichts“, meint sie.