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Minister Spahn will die Krankenkassen zwingen, ihre Beiträge zu senken

68 Krankenkassen müssen überflüssige Reserven durch Beitragssenkungen abbauen. Für 35 Millionen Versicherte heißt das: mehr Netto vom Brutto.

Die Forderung des Gesundheitsministers, Krankenkassen mit hohen Überschüssen müssten ihre Zusatzbeitragssätze senken, hatte für mächtige Kritik nicht nur beim Koalitionspartner SPD gesorgt. Auch der neue Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, ging, kaum im Amt, auf Gegenkurs zum Bundesgesundheitsminister in dieser Frage.

Doch Jens Spahn (CDU) lässt sich nicht irritieren. Er legte am Freitag den Referentenentwurf eines „Versichertenentlastungsgesetzes“ vor, der der Mehrzahl der 112 gesetzlichen Krankenkassen ziemlich sauer aufstoßen dürfte.

Denn der Minister will die Kassen erstmals per Strafandrohung gesetzlich zwingen, bei ihren Reserven die Obergrenze von einer Monatsausgabe einzuhalten.

Er lässt ihnen allerdings eine Frist. So haben sie ab dem geplanten Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2019 drei Jahre Zeit, dieses Ziel durch eine entsprechende Senkung des jeweiligen Zusatzbeitrags zu erreichen. Ist danach immer noch zu viel Geld auf dem Rücklagekonto, wird es vom Gesundheitsfonds eingezogen. Eine Ausnahmeregelung gilt für Krankenkassen, denen es auch bei einer völligen Abschaffung ihres Zusatzbeitrags nicht gelingt, binnen drei Jahren ihre Rücklagen auf eine Monatsausgabe zu senken. Für sie beträgt die Frist fünf Jahre.

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Was bedeutet das für die Versicherten?

Derzeit liegt der Zusatzbeitrag im Durchschnitt bei einem Prozentpunkt. Das mögliche Entlastungsvolumen beträgt laut Berechnungen des Gesundheitsministeriums insgesamt 4,4 Milliarden Euro. Dies bedeutet eine mögliche durchschnittliche Entlastung je Versicherten um 0,3 Prozentpunkte oder 80 Euro im Jahr.

Allerdings profitieren von diesem Teil des Versichertenentlastungsgesetzes maximal nur die etwas mehr als 35 Millionen Versicherten, die bei einer der 68 Krankenkassen versichert sind, die Ende des vergangenen Jahres über eine Rücklage von über einer Monatsausgabe verfügten.

Das sind vor allem Ortskrankenkassen: Derzeit verfügen acht der elf Landes-AOKen über zu hohe Rücklagen in Höhe von insgesamt 2,1 Milliarden Euro. 17 Millionen der 26,3 Millionen AOK-Versicherten bundesweit können also mit einer Entlastung rechnen.

Von den sechs Ersatzkassen übertreffen dagegen nur drei derzeit die Höchstreserve, nämlich die TK, die HEK und die HKK – und zwar insgesamt um 1,6 Milliarden Euro. 11,2 Millionen Versicherte könnten hier mit einer Entlastung rechnen.

Bei den Betriebskrankenkassen haben 55 der 87 Kassen zu viel Geld auf dem Konto. Insgesamt sind es aber nur 500 Millionen Euro. 3,2 Millionen Versicherte können hier mit einer Entlastung rechnen. Hinzu kommen zwei der sechs Innungskrankenkassen mit überflüssigen Reserven von 194 Millionen Euro. Hier können 3,7 Millionen Versicherte geringere Beiträge erwarten.

Ob es die Entlastungen im derzeit im Entwurf bezifferten Umfang von insgesamt 4,4 Milliarden Euro am Ende auch geben wird, ist aber wegen der Drei-Jahres-Frist ungewiss. Denn zum 1. Januar 2019 sollen ja auch zahlreiche Leistungsverbesserungen vor allem im Bereich der Pflege in Kraft treten. Spahn hat angekündigt, dass er das im Koalitionsvertrag dazu bereits skizzierte Gesetzespaket noch vor der Sommerpause vorlegen will.

Dabei geht Spahn davon aus und hält es auch ausdrücklich für zulässig, dass die Krankenkassen die dadurch entstehenden Mehrkosten bei der Beitragssenkung berücksichtigen. Zudem dürfen die Kassen Reserven auch abbauen, indem sie ihre freiwilligen Leistungen erhöhen – etwa für Osteopathie oder Homöopathie – oder ihre Bonusprogramme für besonders gesundheitsbewusste Versicherte ausbauen.

Ganz sicher ist allerdings, dass die Zusatzbeiträge aller Versicherten zum 1.1.2019 halbiert werden. Wer heute 0,4 Prozent zahlt, wird ab dem neuen Jahr nur noch 0,2 Prozent zahlen. Wer derzeit mit 1,6 Prozent belastet ist, zahlt nur noch 0,8 Prozent.

Der Grund ist, dass die Arbeitgeber in Zukunft die Hälfte des Zusatzbeitrags zahlen müssen. Über alle Versicherten gerechnet, bedeutet dies eine Entlastung um 6,9 Milliarden Euro. Profitieren werden davon auch die Rentner. Auch ihr Zusatzbeitrag auf die gesetzliche Rente halbiert sich, weil die Rentenversicherung in Zukunft den halben Zusatzbeitrag übernehmen muss. Bisher zahlen Arbeitgeber und Rentenversicherung schon die Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes von 14,6 Prozent. Er soll unverändert bleiben.

Außerdem löst Spahn mit seinem Gesetz das Versprechen im Koalitionsvertrag ein, die Selbstständigen zu entlasten. Der Mindestbeitrag von Kleinselbstständigen mit niedrigen Einkünften wird zum 1.1.2019 auf 171 Euro monatlich halbiert. Davon profitieren laut Gesundheitsministerium etwa 600.000 Selbstständige. Sie werden im Durchschnitt um 180 Euro im Monat entlastet.

Spahn ist damit der erste Bundesgesundheitsminister seit Jahrzehnten, der eine umfassende Entlastung der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer bei den Krankenkassenbeiträgen ankündigen kann. Bisher kannten die Krankenkassenbeiträge immer nur eine Richtung: nach oben.

Da trifft es sich gut, dass auch der Arbeitslosenbeitrag von drei auf 2,7 Prozent gesenkt werden soll. Politiker der Koalition hatten sich zuletzt sogar dafür ausgesprochen, die Senkung des Arbeitslosenbeitrags bereits zum 1. Juli in Kraft zu setzen. In jedem Fall steht den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten eine Entlastung von insgesamt mindestens 0,8 Prozentpunkten ins Haus.

Doch an anderer Stelle könnte es auch zusätzliche Belastungen geben. Vor allem der Rentenbeitrag könnte früher als bisher geplant wieder steigen, wenn die Koalition ihre Pläne für einen Ausbau der Mütterrente und weitere Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente in die Tat umsetzt.

Härterer Kurs gegenüber den gesetzlichen Kassen

Insgesamt fällt auf, dass Spahn einen deutlich härteren Kurs gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen fährt als sein Vorgänger Hermann Gröhe (CDU). Dies zeigt sich auch an anderer Stelle seines Gesetzentwurfs: Spahn will die Krankenkassen nämlich zwingen, endlich konsequent die Beitragsschulden von Mitgliedern in Höhe von inzwischen 6,3 Milliarden Euro abzubauen.

Sein Vorwurf an die Kassen: Diese Schulden stünden zum Großteil nur auf dem Papier. Sie stammen nämlich, so der Minister, überwiegend von Versicherten, die seit langem keine Beiträge zahlen, aber auch keine Leistungen in Anspruch nehmen und wahrscheinlich gar nicht mehr in Deutschland leben. Es handele sich also um Karteileichen. So lange sie in den Büchern stehen, laufen für sie aber pro Kopf und Monat Beitragsschulden in Höhe des Höchstbeitrags von 670 Euro auf, samt Verzugszinsen.

Konkret geht es dabei überwiegend um Saisonarbeiter aus dem Ausland. Sie bleiben automatisch gesetzlich weiter versichert, wenn sie es bei der Rückkehr in ihre Heimat versäumen, ihre gesetzliche Versicherung in Deutschland wieder zu kündigen.

Die Krankenkassen haben zwar heute schon die Möglichkeit, die Versicherung von sich aus zu beenden. Sie tun das aber oft nicht, weil sie auch für jede „Karteileiche“ finanzielle Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds bekommen. Spahn will diese teuren Mitnahmeeffekt nun stoppen, indem er die Kassen verpflichtet, die Mitgliedschaft dieser „passiven“ Versicherten zu beenden.

Die Pläne von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für eine Beitragsentlastung gesetzlich Krankenversicherter in Milliardenhöhe stoßen bei Grünen und FPD jedoch auf deutliche Kritik. Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink monierte, dass Spahn die Kassen zwingen will, ihre zum Teil hohen Rücklagen abzubauen. „Spahn greift hier ohne Sinn und Verstand in die Wirtschaftsplanung der Kassen ein“, erklärte sie am Samstag. Das führe zu einem „Beitrags-Jojo“, der für die Versicherten kaum etwas bringe. „Das Geld wird im kommenden Jahr dringend gebraucht, um die Kosten für die Verbesserungen bei der Pflege und auch bei der Versorgung im ländlichen Raum zu finanzieren.“

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Theurer kritisierte die vorgesehene Belastung der Arbeitgeber. Dies zeige, „dass die Union nichts verstanden hat“, erklärte er am Samstag. „Wenn die Sonne scheint, muss man das Dach flicken. Wir müssen heute die Voraussetzungen für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft schaffen. Die Beitragserhöhung für Arbeitgeber ist da ein fatales Signal.“ Die geplante Pflicht zur Abschmelzung der Rücklagen sei hingegen ein Schritt in die richtige Richtung, „denn Sozialkassen sind keine Sparkassen“.