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Merkel öffnet 5G-Netz für Huawei

Auf Drängen des Kanzleramts verzichtet Berlin auf ein Verbot der chinesischen Mobilfunk-Technik. Koalitionspolitiker kritisieren die Entscheidung.

Kanzlerin Angela Merkel fürchte ein Zerwürfnis mit China, hieß es in Regierungskreisen. Foto: dpa
Kanzlerin Angela Merkel fürchte ein Zerwürfnis mit China, hieß es in Regierungskreisen. Foto: dpa

Monatelang hatten Vertreter der Bundesregierung debattiert, jetzt ist die Entscheidung gefallen: Der chinesische Netzwerkausrüster Huawei darf Komponenten für das gesamte deutsche 5G-Netz liefern. Das geht nach Informationen des Handelsblatts aus dem aktuellen Entwurf zu den Sicherheitsanforderungen für die Telekommunikationsnetze der Bundesnetzagentur hervor.

Der Beschluss soll in den nächsten Tagen veröffentlicht werden. Eine zunächst diskutierte Klausel, die Huawei den Marktzugang versperren würde, ist in dem Papier nicht enthalten.

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Nach übereinstimmenden Berichten aus den beteiligten Ressorts hat vor allem eine Intervention des Kanzleramts eine schärfere Fassung der Anforderungen verhindert. Kanzlerin Angela Merkel fürchte ein Zerwürfnis mit China, hieß es in Regierungskreisen. Damit setzt sich Merkel über die Warnungen der US-Regierung hinweg, die Huawei für ein unkontrollierbares Risiko hält.

Selten hat die Formulierung einer Verwaltungsvorschrift eine so kontroverse Debatte ausgelöst. Noch vor einem Jahr haben die Regeln für das Mobilnetz nur Fachleute interessiert. Nun sind sie ein Politikum und beschäftigen das halbe Bundeskabinett. Die USA schalten sich ein, die EU ebenso.

Und natürlich die Chinesen, schließlich geht es in der Debatte um Huawei. Die Führung in Peking betrachtet den Technologiekonzern als industrielles Kronjuwel. Im Westen argwöhnen viele, die Huawei-Technik könnte zum Einfallstor für chinesische Spionage werden.

Die USA drängen ihre Verbündeten, auf chinesische Netztechnik zu verzichten. Japan, Australien, Neuseeland und Taiwan haben Sperrklauseln eingeführt. Die Bundesregierung geht einen anderen Weg. In den nächsten Tagen wird die Bundesnetzagentur einen aktuellen Entwurf der Sicherheitsbestimmungen für das 5G-Netz veröffentlichen, um ihn mit Unternehmen und Verbänden zu beraten. Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres soll das Regelwerk in Kraft treten.

Nach Handelsblatt-Informationen sieht der Entwurf vor, dass Netzbetreiber wie die Telekom und Vodafone die kritischen Bereiche ihrer Netzarchitektur selbst identifizieren. Nur für diese soll dann ein erhöhtes Sicherheitsniveau gelten. Dieses Vorgehen soll sicherstellen, dass die Zahl der kritischen Kernkomponenten überschaubar und die Sicherheitsprüfung praktikabel bleibt. Die Sicherheitsprüfung selbst übernimmt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das die Produkte der Netzwerkausrüster zertifiziert.

Als die Bundesregierung im Frühjahr die Eckpunkte der Bestimmungen für das ultraschnelle Mobilnetz veröffentlichte, versprach sie „höchste Sicherheitsstandards“ und kündigte an: „Systeme dürfen nur von vertrauenswürdigen Lieferanten bezogen werden.“ Diese Klausel wurde nun auf Drängen des Kanzleramts und des Wirtschaftsministeriums entscheidend abgeschwächt.

In den Regierungsfraktionen stoßen die abgeschwächten Sicherheitsbestimmungen auf scharfe Kritik: „Eine Frage von solcher strategischen Bedeutung darf nicht auf Verwaltungsebene entschieden werden“, sagte Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, dem Handelsblatt.

SPD-Außenpolitiker Nils Schmid sagte: „Es ist ein schwerer Fehler, Huawei ins 5G-Netz zu integrieren“. Die Wirtschaft mahnt derweil zur Eile – und fordert eine Entscheidung. „Die Diskussionen führen zu großen Unsicherheiten“, sagte Erik Ekudden, der Technik-Chef des europäischen Netzausrüsters Ericsson, dem Handelsblatt. Und die seien schlecht für die gesamte Branche.

Bundesregierung braucht Druckmittel

Die Bundesregierung hätte Unternehmen, die wie Huawei aus Ländern stammen, in denen Sicherheitsorgane über weitreichende Eingriffsbefugnisse verfügen, per se als nicht vertrauenswürdig einstufen können. Stattdessen will sie sich nun damit begnügen, von den Herstellern eine Vertrauenswürdigkeitserklärung zu verlangen. Diese wird Huawei selbstverständlich unterschreiben. Die Frage ist, was solche Erklärungen wert sind.

Der Bundesregierung geht es vor allem darum, ein Rechtsmittel gegen Unternehmen wie Huawei in der Hand zu haben, sollte sich eines Tages nachweisen lassen, dass ihre Produkte für Spionage oder Sabotage eingesetzt wurden. In diesem Fall würde die Bundesregierung die Provider verpflichten, Huawei-Technologie aus den Netzen zu entfernen. Die Provider wiederum könnten Entschädigungsansprüche bei Huawei geltend machen.

Bis zuletzt hatten die Amerikaner versucht, die Bundesregierung von einem Verbot zu überzeugen. Ajit Pai, Chef der US-Telekommunikationsbehörde FCC, war dafür im September eigens nach Berlin gereist. Vergeblich. Auch die Warnungen des Auswärtigen Amts und die Risikoanalysen des Bundesnachrichtendiensts reichten nicht.

Ein wichtiger Grund dafür ist, dass das für Fragen der öffentlichen Sicherheit zuständige Innenministerium wie Wirtschaftsministerium und Kanzleramt die technische Lösung präferierte, die nun verkündet werden soll. Dabei gibt es erhebliche Zweifel daran, dass sich die Risiken im 5G-Netz mit technischen Mitteln beherrschen lassen. 5G ist stark Software-getrieben. Pai hatte dem Handelsblatt erst kürzlich gesagt: „Es fällt sehr schwer, sich vorzustellen, dass eine Regierungsbehörde, egal wo, in der Lage wäre, jedes einzelne Update in Echtzeit zu überprüfen, um Sicherheitsrisiken aufzuspüren.“

Die 5G-Debatte beschäftigt auch die EU. Vergangene Woche mahnte der zuständige Kommissar Julian King: 5G anzuschaffen „ist nicht, wie ein Auto zu kaufen, sondern einem Klub beizutreten“. Die Bedeutung der Technik für Sektoren wie Energie, Transport oder Industrie mache den Aufbau der 5G-Netze „zu einer wichtigen Frage der nationalen Sicherheit“. In einem Risikoreport warnt Brüssel: „Feindliche Staaten könnten Druck auf 5G-Anbieter ausüben, um Cyberangriffe zu ermöglichen, die ihren nationalen Interessen dienen.“

Im Bundestag regt sich Widerstand gegen die Regierungsentscheidung, auch innerhalb der Koalition. Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, fordert eine „intensive parlamentarische Debatte“. Für den CDU-Politiker steht fest: „Es gibt in dieser Frage keine technische Sicherheit, damit ist das Vertrauen das entscheidende Kriterium.“ Huawei ist nach Röttgens Auffassung „maßgeblich staatlich gelenkt“ und damit nicht vertrauenswürdig.

Auch Datenschützer sind besorgt: „Die Abhängigkeit von Unternehmen von anderen geopolitischen Akteuren ist gerade im Bereich der Informationstechnologie, in der Missbrauch und Manipulation nur schwer zu verhindern sind, überaus problematisch“, sagte der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar.

Neben der Befürchtung, dass Huawei als verlängerter Arm des chinesischen Regimes agieren könnte, führen Gegner des Unternehmens auch industriepolitische Erwägungen an. „Es ist wichtig, dass Europa in einem strategisch so bedeutsamen Bereich eigene Kompetenzen und Industrien fördert“, sagt Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

Dieses Argument findet auch in der Wirtschaft Anklang. „Die aktuellen Diskussionen zeigen, wie wichtig es ist, dass wir auch in Europa schnell die notwendigen Kompetenzen auf- und ausbauen“, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des DIHK, Achim Dercks. Die Bundesregierung trägt dem zumindest teilweise Rechnung. Um „Monokulturen“ zu verhindern, sollen in den kritischen Netzbereichen stets auch Komponenten europäischer Hersteller verbaut werden.

Verzögerungsfrei, verlässlich, kapazitätsstark – so lautet das Versprechen von 5G. Viele Industriekonzerne hoffen, mit der neuen Technologie ihre Produktion vernetzen zu können. Auch dem autonomen Fahren soll 5G zum Durchbruch verhelfen. Huawei gilt als Marktführer. Das Unternehmen überzeugt durch guten Service.

Und seine Produkte sind oft deutlich günstiger als die Geräte der europäischen Hersteller Ericsson und Nokia. Schon heute steckt Technik von Huawei in allen deutschen Mobilfunknetzen. Die Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica haben Komponenten von Huawei bereitwillig verbaut.

Die Netzbetreiber stehen unter Druck. Sie haben rund 6,5 Milliarden Euro in der Versteigerung der 5G-Mobilfunkfrequenzen in Deutschland ausgegeben. Jetzt wollen sie den Netzausbau vorantreiben. Aber solange die Details nicht geklärt sind, welche Ausrüster unter welchen Bedingungen verwendet werden dürfen, können sie nicht kalkulieren.

Technische Fragen sind noch offen

Der Entwurf, der nun vorgestellt werden soll, stößt bei Sicherheitsexperten auf ein geteiltes Echo. Die Netzbetreiber hatten wieder und wieder darauf gedrungen, Huawei nicht komplett auszuschließen. Entsprechend erleichtert zeigten sich Vertreter der Betreiber, dass ein Verbot der Komponenten aus China nun sehr unwahrscheinlich ist. Auf Anfrage wollte sich keiner der Netzbetreiber öffentlich zu dem Papier äußern.

Auch weil noch Fragen offen sind, etwa zur Zertifizierung durch das BSI. Der Technikchef von Ericsson, Erik Ekudden, schloss im Interview mit dem Handelsblatt aus, wie Huawei Quellcodes seiner Geräte zur Prüfung bereitzustellen. „Ich halte die Offenlegung von Quellcodes nicht für den richtigen Ansatz“, sagte Ekudden dem Handelsblatt. Ericsson begründet den Schritt damit, dass es nicht praktikabel sei, regelmäßige Updates der Produkte von Behörden inspizieren zu lassen.

Sollte Ericsson bei seiner Blockadehaltung bleiben und prinzipiell eine Inspektion der Quellcodes seiner Produkte verweigern, könnte die Firma in ihrem Deutschlandgeschäft vor großen Herausforderungen stehen. „Im schlimmsten Fall würde Ericsson nicht zertifiziert werden. Dann dürften die Komponenten in bestimmten Bereichen nicht eingesetzt werden“, sagte ein mit der Entwicklung der Sicherheitsstandards vertrauter Cyberexperte.

Nokia hatte sich bislang öffentlich nicht geäußert, ob der Ausrüster bereit wäre, seine Quellcodes von deutschen Behörden inspizieren zu lassen. Auf Anfrage sagte ein Sprecher, der Konzern werde sich erst mit der Frage beschäftigen, sobald ein abschließender Sicherheitskatalog vorliegt.