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Menschenrechtsaktivist, Abwassermeister und Ex-Integrationsbeauftragte: Das ist die neue Ampel-Generation im Bundestag

Max Lucks (links), 24 Jahre, ist für die Grünen in den Bundestag gezogen, Reem Alabali-Radovan, 31 Jahre, für die SPD (Mitte) und Muhanad Al Halak (rechts), 31 Jahre, sitzt nun für die FDP im Parlament.
Max Lucks (links), 24 Jahre, ist für die Grünen in den Bundestag gezogen, Reem Alabali-Radovan, 31 Jahre, für die SPD (Mitte) und Muhanad Al Halak (rechts), 31 Jahre, sitzt nun für die FDP im Parlament.

Bei Menschenrechtsaktivist Max Lucks (Grüne), 24 Jahre, war es die eigene Festnahme auf dem Christopher Street Day in Istanbul, die ihn dazu angetrieben habe, Berufspolitiker zu werden, erzählt er Business Insider. Bei Abwassermeister Muhanad Al Halak (FDP), 31 Jahre, habe den Ausschlag eine Rede über das Aufstiegsversprechen des FDP-Chefs Christian Lindner gegeben. Al Halak war damals elf Jahre alt und gerade mit seiner Familie aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet.

Und Reem Alabali-Radovan (SPD), 31 Jahre, habe etwas als Politikerin verändern wollen, nachdem am 19. Februar 2020 neun Menschen beim rechtsextremen Anschlag in Hanau aus rassistischen Motiven erschossen worden seien, erzählt sie uns.

Lucks, Al Halak und Alabali-Radovan haben alle ihre ganz eigenen Geschichten, warum sie in die Politik gegangen sind, doch eins haben sie gemeinsam: Sie sind Teil einer neuen Ampel-Generation im Bundestag, der in diesem Jahr so viel jünger, diverser, queerer und weiblicher geworden ist wie noch nie. Doch wie ticken die neuen Politiker und Politikerinnen überhaupt?

Max Lucks (Grüne); "Ich möchte kein Abgeordneter werden, dem die Mitarbeiter den Kaffee hinterhertragen"

Auf seinem Instagram-Profil sieht man Max Lucks, 24 Jahre, nachts Wahlplakate aufhängen, seinen Freund küssen oder für den Klimaschutz und queere Rechte demonstrieren. Er wirkt nahbar und mit Kandidaten und Kandidatinnen wie ihm scheint seine Partrei auch viele junge Menschen anzusprechen. Immerhin konnten die Grünen neben der FDP die meisten Erstwählerstimmen (23 Prozent) für sich gewinnen. Und auch in Lucks Wahlkreis konnte seine Partei ihr Ergebnis bei den Erst- und Zweitstimmen im Gegensatz zur Wahl 2017 mehr als verdoppeln.

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Doch fernab des eigenen Erfolgs – der Einzug in den Bundestag – verstehe Lucks diese Zahlen auch als politischen Auftrag seiner Generation, sagt er Business Insider. Unter weiter: "Junge Menschen haben für uns geworben und uns gewählt, damit wir etwas verändern. Wir sind es ihnen schuldig, jetzt auch zu liefern." Damit meint er vor allem die Klimapolitik. Lucks glaubt, wenn dort nicht genügend passiere, könnten er und seine Parteikollegen eine ganze Generation im politischen Prozess verlieren. "Und natürlich bedeutet das auch Druck", sagt der Grünen-Politiker. Er habe Angst, den Erwartungen nicht gerecht zu werden. Mit einer Jamaika-Koalition etwa: "Ich hatte jetzt in der letzten Woche mein Postfach voll mit Nachrichten 'Bitte, bitte mach' Armin Laschet nicht zum Kanzler'", sagt er.

Dabei geht es für Lucks als Abgeordneten nicht nur darum, auf die Bedürfnisse seiner Wähler einzugehen, sondern sich überhaupt erstmal auf das Leben als Berufspolitiker einzustellen: "Dann sitzt du am Tag nach der Bundestagswahl um 08:01 Uhr im Zug nach Berlin, natürlich völlig verkatert von der Wahlparty und musst erstmal in die neue Rolle reinkommen. Das ist schon ein großer Switch", erzählt er.

Für seine Zukunft im Bundestag hat der Grünen-Politiker zumindest schon eine klare Vorstellung davon, was für ein Politiker er nicht sein möchte: "Ich möchte kein Abgeordneter werden, dem die Mitarbeiter den Kaffee hinterhertragen", sagt er. Ferner solle es in seinem Team flache Hierarchien geben, auch wenn das womöglich nicht in eine "krasse Behörde" mit großen Hierarchien passe. Der Politikbereich habe Türen offen gelassen, durch die viele Abgeordnete den Bezug zur Realität verlieren könnten. Lucks hingegen will nicht "in diesen Politik-Kosmos abrutschen", erklärt er. "Ich möchte normal weiterleben."

Normal weiterleben heißt für den Grünen-Politiker, mit seinen Wählern über Instagram weiter Kontakt zu halten: "Viele Jüngere haben sich bisher nicht von Politikern gehört gefühlt. Nirgendwo kann ich so schnell darauf reagieren und so nahbar bleiben", so Lucks, der seine Follower erst vor kurzem zu ihren Hoffnungen und Ängsten zur Ampel-Koalition befragte und über 200 Antworten bekam.

Muhanad Al Halak (FDP): "Sie sind der erste Politiker, der eine Antwort gibt"

In Muhanad Al Halaks erfolgreichstem TikTok-Video gesteht er, ein Merkel-Fan zu sein: "Ich bin zwar ein FDP-Politiker, aber mein Herz schlägt für sie", wird als Text eingeblendet, kurz darauf folgen Fotos der Kanzlerin Angela Merkel. Bis heute hat das Video über 364.000 Aufrufe. In anderen Videos gibt der 31-Jährige mal eine Wahlempfehlung ab (FDP), fährt in schnellen Autos oder listet seine drei großen Learnings als Politiker auf. Fast immer im Anzug, fast immer zu Liedern aus den US-Charts. Er verkörpert quasi das Aufstiegsversprechen der FDP. Follower hat er mehr als Abgeordnete aller Parteien, die im Bundestag sitzen: 22.600.

https://www.tiktok.com/@al_halak/video/6966240358401445125?is_copy_url=1&is_from_webapp=v1

Seit wenigen Tagen ist auch Al Halak zum ersten Mal in seinem Leben Abgeordneter im Bundestag. Glauben können habe der gelernte Abwassermeister es erst, als er in Berlin seinen Hausausweis in den Händen gehalten habe, erzählt er uns. Über die FDP-Liste ist er für den bayerischen Wahlkreis Deggendorf eingezogen, nachdem er dort schon als „Vertreter der jungen Leute vor Ort“ in der Kommunalpolitik mitgearbeitet hatte. Wie die Grünen hat auch die FDP vor allem bei jungen Wählern gepunktet. Auf TikTok gehörten die Liberalen zu den aktivsten Parteien.

Al Halaks Anspruch als neuer Abgeordneter ist es, "Politik mit etwas Lustigem oder Normalem zu verbinden und so einfach wie möglich zu gestalten, damit sich junge Menschen mit Politik befassen", sagt er Business Insider. Auf TikTok bekomme er jeden Tag Dutzende Fragen zu seinem Job oder zu seinen politischen Ansichten. "Sie sind der erste Politiker, der eine Antwort gibt", lese er häufiger in seinen Nachrichten. Dabei drehten sich viele Fragen um die Digitalisierung an Schulen oder zur Legalisierung von Cannabis.

Im Bundestag will Al Halak seinen Fokus jedoch auf andere Themen als Digitalisierung und Cannabis setzen: "Ich möchte jungen Menschen mit meiner Biografie zeigen, dass sie auch unabhängig von ihrer Herkunft mit einer Ausbildung gute Chancen haben aufzusteigen", sagt er. Mit elf kam Al Halak nach Deutschland, bis vor kurzem hat er als Firmen-Stellvertreter einen ganzen Betrieb geleitet, jetzt dirigiert er bald sein eigenes Büro im Bundestag. "Wenn ich davon erzähle, wie ich es geschafft habe, ist es authentischer, als wenn es irgendein Akademiker tut", sagt er. FDP-Chef Christian Lindner nannte Al Halak schon „das beste Beispiel für gelungene Integration“, so Al Halak.

Auf die Frage, was Al Halak anders machen wolle als seine älteren Vorgänger im Parlament, antwortet er: „Wir brauchen die Erfahrung von den Älteren und die Älteren brauchen uns, weil wir die junge Generation verstehen.“ Man könne Ältere nicht mit jüngeren Politikern ersetzen und umgekehrt auch nicht. Dass er auch bei der älteren Generation gut ankommt, weiß Al Halak dabei schon aus seinem Wahlkampf: Es sei schon mal vorgekommen, dass ältere Wählerinnen gefragt hätten, ob sie die Wahlplakate nach der Wahl behalten dürften, um damit für Fotos zu posieren, erzählt er.

Reem Alabali-Radovan (SPD): "Der Bundestag soll keine verschlossene Welt für WählerInnen bleiben"

Reem Alabali-Radovan (SPD) hat bei ihrer ersten Bundestagskandidatur ein Direktmandat in Schwerin, Ludwigslust-Parchim und Nordwestmecklenburg gewonnen.
Reem Alabali-Radovan (SPD) hat bei ihrer ersten Bundestagskandidatur ein Direktmandat in Schwerin, Ludwigslust-Parchim und Nordwestmecklenburg gewonnen.

Als Reem Alabali-Radovan, 31 Jahre, gefragt wird, ob sie für die SPD in Schwerin antreten will, kann sie nicht „Nein“ sagen, erzählt die Ex-Integrationsbeauftragte Mecklenburg-Vorpommerns. „Ich meinte immer, wir brauchen mehr Frauen und mehr junge Leute im Bundestag. Wir müssen das alles ändern“, so Alabali-Radovan. „Und als ich jetzt die Chance bekommen habe, wollte ich auch selbst damit anfangen.“

Dennoch bemerke die SPD-Politikerin schon jetzt die ersten Schwierigkeiten als neue Chefin eines eigenen Bundestagsbüros, dass sie paritätisch besetzen wolle: Rund 50 Bewerbungen habe sie erhalten, allerdings überwiegend von Männern. „Es ist nicht einfach, Frauen für das eigene Büro-Team zu finden. Sie sind nicht nur im Parlament, sondern auch im Hintergrund in der Unterzahl“, erzählt Alabali-Radovan.

Dabei ist die ausgewogene Besetzung ihres Büros nur eine Sache, die sie als Politikerin besonders im Blick hat: Alabali-Radovan will junge Menschen und ihre Wähler auch über Instagram mit in den Bundestag nehmen. „Wir sind nicht da, um Influencerinnen zu sein, aber über Posts und Storys bleibe ich meiner Generation auch nah“, sagt sie. Viele Menschen hätten ihr geschrieben, dass sie jetzt verstehen würden, wie Politiker arbeiteten. „Der Bundestag soll keine verschlossene Welt für WählerInnen bleiben“, findet Alabali-Radovan.

Mit sechs Jahren kam Alabali-Radovan aus dem Irak nach Deutschland und gehört damit zu den rund elf Prozent der Abgeordneten mit Migrationsgeschichte. Laut Recherche des Mediendienstes Integration sind das mindestens 83 Abgeordnete. Der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in der Gesamtgesellschaft liegt mit 26 Prozent trotzdem deutlich höher. Alabali-Radovans Erfahrungen aus ihrer eigenen Fluchtgeschichte und als Integrationsbeauftragte will die Abgeordnete deshalb erst recht einbringen: „Ich habe selbst in der Ausländerbehörde gearbeitet und weiß genau, welche Paragrafen sich in der Praxis nicht leicht umsetzen lassen“, sagt sie.

Unabhängig von ihren politischen Zielen ist Alabali-Radovan aber vor allem eins in der eigenen Partei wichtig: „Wir wollen nicht nur die jungen Neuen sein, die ihr Ding machen, sondern weiter ein geschlossenes Team sein“, sagt sie. Auf knapp 100 neue kommen in der SPD-Fraktion inzwischen fast genauso viele eingesessene Abgeordnete.