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Wenn sich (Mehr-)Arbeit nicht lohnt

Das deutsche Steuer- und Transfersystem führt dazu, dass viele Frauen oder Geringverdiener in der Minijob-Falle stecken bleiben, zeigt eine Ifo-Studie für die Bertelsmann Stiftung.

Leistung muss sich lohnen; und wer mehr arbeitet, soll am Ende auch mehr haben als jemand, der weniger oder gar nicht arbeitet. Dieses Kernversprechen der Sozialen Marktwirtschaft wird aber bei Arbeitslosen, Geringverdienern, Alleinerziehenden oder Ehefrauen mit Hinzuverdienstjob oft nur bedingt eingelöst. Für sie lohnt sich Arbeit oder Mehrarbeit in vielen Fällen kaum, weil ihnen vom zusätzlichen Verdienst nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben oder der Verrechnung mit Sozialleistungen kaum etwas bleibt.

Wie sehr das deutsche Steuer- und Sozialversicherungssystem zur Beschäftigungsbremse werden kann und wo es falsche Anreize setzt, haben die Ifo-Forscher Maximilian Blömer und Andreas Peichl im Auftrag der Bertelsmann Stiftung untersucht.

„Das Zusammenwirken im deutschen Steuer-, Abgaben- und Transfersystem trägt dazu bei, dass viele Frauen und Mütter sowie zahlreiche Beschäftigte insbesondere im Niedriglohnsektor in Kleinstjobs, geringfügiger Beschäftigung oder Teilzeit mit niedriger Stundenzahl gefangen sind – ein Mehr an Arbeit lohnt sich finanziell häufig nicht“, heißt es in der Studie, die dem Handelsblatt vorliegt.

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Die Forscher haben anhand verschiedener Musterhaushalte errechnet, wie viel Geld am Ende netto übrig bleibt, wenn das Bruttoeinkommen gesteigert wird – wenn also beispielsweise ein Arbeitsloser einen Job annimmt oder eine junge Mutter von einer geringfügigen in eine sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung wechselt.

Dazu haben sie die sogenannte Partizipationsbelastung untersucht. Sie gibt an, wie viel Prozent des Bruttoeinkommens der Staat an Steuern, Sozialabgaben oder gekürzten Transferleistungen gleich wieder einbehält.

Die gute Nachricht: Eine Partizipationsbelastung von 100 Prozent haben die Forscher in den von ihnen untersuchten Konstellationen nicht festgestellt. Wer arbeitet, hat auf jeden Fall mehr Geld in der Tasche als jemand, der nicht arbeitet. Das gilt dank der Freibeträge beim Hinzuverdienst auch für Hartz-IV-Empfänger.

Ein Vollzeitjob bringt netto 2,50 Euro pro Stunde mehr

Ob sich Leistung infolge von Mehrarbeit aber wirklich lohnt, hängt entscheidend von der Konstellation ab. Für eine arbeitslose Alleinerziehende mit zwei Kindern rechnet sich eine Beschäftigung, die über einen Kleinstjob mit 100 Euro Monatsverdienst hinausgeht, beispielsweise nur bedingt.

Mit einem Minijob auf 450-Euro-Basis kann sie 5400 Euro im Jahr verdienen, verliert allerdings auch einen Teil der staatlichen Unterstützung, weil der Verdienst oberhalb eines Freibetrags von 100 Euro auf ihr Arbeitslosengeld II, umgangssprachlich Hartz IV, angerechnet wird. Unter dem Strich bleiben ihr mit dem Minijob 2040 Euro oder 38 Prozent ihres Zusatzeinkommens übrig.

Entscheidet sie sich dagegen für einen sozialversicherungspflichtigen Teilzeitjob mit 20 Wochenstunden und zehn Euro Stundenlohn, hat sie zwar brutto 10.400 Euro mehr in der Tasche. Netto erhöht sich ihr jährliches Haushaltseinkommen aber nur um 3040 Euro. Von ihrem Bruttohinzuverdienst darf sie also nur 29 Prozent behalten – fast zehn Prozentpunkte weniger als beim Minijob.

Ein arbeitsloser Single ohne Kinder hätte in der vom Ifo gewählten Musterkonstellation dank staatlicher Unterstützung ein Einkommen von knapp 9800 Euro im Jahr. Findet er einen mit zehn Euro pro Stunde bezahlten 40-Stunden-Job, stehen ihm netto im Jahr knapp 5300 Euro mehr zur Verfügung.

Das klingt zunächst nach viel Geld, bedeutet aber, dass ihm der Vollzeitjob netto nur gut 2,50 Euro pro Stunde zusätzlich einbringt. Im Niedriglohnbereich seien die Hürden, eine Arbeit aufzunehmen, zu hoch, kritisiert der Vorstand der Bertelsmann Stiftung, Jörg Dräger.

Angenommen, der neue Arbeitgeber zahlt dem ehemals Arbeitslosen 20 Euro brutto pro Stunde. Dann hätte dieser bei einem 40-Stunden-Job am Jahresende gut 16.600 Euro mehr Einkommen als in der Zeit der Arbeitslosigkeit. Er dürfte 40 Prozent seines Bruttoverdienstes behalten, bei zehn Euro Stundenlohn dagegen nur 25 Prozent.

Näher untersucht haben die Ifo-Forscher auch, wie sehr das Ehegattensplitting bei Doppelverdiener-Paaren Mehrarbeit des einen Partners unattraktiv macht. Angenommen, der Mann als Haupternährer einer Familie mit zwei Kindern hat einen Jahresverdienst von 48.000 Euro. Arbeitet die Frau nicht, hat das Paar unter dem Strich ein Haushaltseinkommen von gut 38.700 Euro im Jahr.

Es erhöht sich um 5400 Euro, wenn die Mutter einen steuerfreien Minijob auf 450-Euro-Basis annimmt. Für das Geld müsste sie bei einem Stundenlohn von zehn Euro gut zehn Stunden in der Woche arbeiten.

Arbeitet die Ehefrau stattdessen bei gleichem Bruttostundenlohn 20 Wochenstunden in Teilzeit, bleiben der Familie unter dem Strich knapp 6300 Euro im Jahr zusätzlich. Die Frau muss also doppelt so viel arbeiten, um am Ende nicht einmal 1000 Euro mehr in der Tasche zu haben als mit ihrem Minijob.

Laut Bertelsmann Stiftung verdienen rund sechs Millionen Ehefrauen als Zweitverdienerin weniger als ihr Partner. Bei Aufnahme einer Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung liegt ihre Besteuerung wegen des Ehegattensplittings über dem üblichen Eingangssteuersatz.

Muss für die Kinderbetreuung bezahlt werden, lohnt sich Mehrarbeit kaum

Bei jungen Müttern kommt hinzu, dass sie mit zunehmendem Arbeitsvolumen dann oft noch Geld in die Kinderbetreuung investieren müssen, sodass sich ein Teilzeit- oder Vollzeitjob zumindest im Niedriglohnsektor für sie noch weniger lohnt.

Es werde deutlich, „dass die Hürden, eine Arbeit aufzunehmen, gerade dort besonders hoch sind, wo sie es nicht sein sollten – für Menschen mit geringen Einkommensaussichten und ungünstigen Erwerbsperspektiven“, heißt es in der Studie.

Die Autoren empfehlen, Minijobs einzuschränken und nicht, wie von mancher Seite gefordert, noch auszubauen. So gibt es unterschiedliche Vorstöße aus der Union, die Verdienstgrenze für Minijobs von 450 Euro auf bis zu 600 Euro monatlich anzuheben.

Auch empfehlen die Forscher wie auch die Bertelsmann Stiftung, das Ehegattensplitting zu reformieren und die Hinzuverdienstregeln für Empfänger von Arbeitslosengeld II anzupassen. „Wer sich etwas erarbeitet und Schritt für Schritt Richtung finanzieller Selbstständigkeit wächst, muss dies auch in der eigenen Tasche spüren“, fordert auch der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel. Dies gelte gerade für Menschen mit geringen Einkommen.

Zur Reform des Ehegattensplittings sagt die Vorsitzende der Frauen-Union der CDU, Annette Widmann-Mauz: „Nicht das Ehegattensplitting, sondern die Steuerklasse fünf ist die Ursache für die hohen monatlichen Abzüge bei Frauen, die in Teilzeit arbeiten oder einer Tätigkeit in geringer entlohnten Berufen nachgehen. Sie muss ersatzlos entfallen.“