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„Wo ist Ihr Marx, Frau Wagenknecht?“

Mit ihrem Buch „Reichtum ohne Gier“ will Sahra Wagenknecht nicht weniger als den Entwurf einer neuen Wirtschaftsordnung präsentieren. Im Wirtschaftsclub stellte sich die Linken-Politikerin kritischen Fragen.

Wann ist ein Unternehmer ein guter Unternehmer und wann ist er ein schlechter Unternehmer, einfach nur ein Kapitalist? Eine der vielen Fragen, die es bei einem Autorengespräch im Handelsblatt Wirtschaftsclub zu klären gab. Zu Gast: Sahra Wagenknecht.

Die Linken-Politikerin ist eine Frau, die polarisiert. Die 47-Jährige ist hochintelligent, sehr gebildet, hat Philosophie studiert und einen Doktortitel in Volkswirtschaftslehre. Die Politikerin, geboren in Jena, nimmt kein Blatt vor den Mund, stellt sich jeder noch so hitzigen Diskussion. Im Handelsblatt Wirtschaftsclub präsentierte sie im Gespräch mit Christian Rickens, Ressortleiter Agenda, ihr aktuelles Buch „Reichtum ohne Gier“. Die Botschaft: „Es ist Zeit, den Kapitalismus zu überwinden. Wir leben in einem Wirtschaftsfeudalimus, der mit freier oder sozialer Marktwirtschaft nichts mehr zu tun hat.“

Ihre Thesen sind scharf, aber auch beindruckend durchargumentiert. Und natürlich polarisieren sie. Im Wirtschaftsclub muss sich Wagenknecht deshalb natürlich auch kritischen Fragen – nicht nur denen des Moderators, sondern auch des Publikums stellen.

Zu Beginn muss Rickens erst einmal klären, ob die Linke wirklich so links ist. Schließlich hat sie in ihrem Buch fünf Mal das Handelsblatt zitiert, aber kein einziges Mal „Neues Deutschland“, sogar Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman kommt relativ gut weg. „Das ist doch sonst nicht Ihr Kosmos“, stichelt Rickens. Die gut 120 Gäste lachen. „Wo ist Ihr Marx, Frau Wagenknecht?“, legt er nach. Nun muss auch Wagenknecht schmunzeln. Rickens führt Walter Eucken an, auch er wird im Buch alles andere als kritisiert. Der Ökonom gilt immerhin als einer der Vordenker der sozialen Marktwirtschaft – links ist anders.

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Doch Wagenknecht kontert. „Die CDU-Politik hat mit Walter Eucken nichts mehr zu tun“, sagt sie. „Warum verhindern wir nicht, dass die Wirtschaft sich so konzentriert?“ Die Unions-Politiker seien „keine Sachwalter alter CDU-Tradition“ mehr. Überhaupt: Die Kritik an linker Politik, an linkem Gedankengut kann Wagenknecht verstehen. „Eine Leistungsgesellschaft ist doch auch das, was wir uns wünschen“, sagt sie. „Viel Leistung wird aber oft nicht belohnt, im Gegenteil: viel Leistung wird sogar wenig belohnt.“ Das will sie ändern, und das sei dann doch ziemlich links. Zu viele Menschen verdienen zu wenig für zu viel Arbeit, ist ihre Botschaft. Einige der Gäste schauen kritisch, andere nicken zustimmend.


„Die fünf Jahre in Brüssel waren für mich wirklich eine Ernüchterung“

Breite Zustimmung gibt es für ihre Kritik an Produkten mit geringer Lebensdauer. Es werde doch bewusst so produziert, dass Produkte nicht lange halten. Das sei natürlich nicht im Sinne der Verbraucher. Und auch der Müll sei immens und „gar nicht nötig“, wenn die Produkte länger halten würden. Diese Meinung hat Wagenknecht mit vielen Politikern anderer Couleur gemein.

Mit anderen Forderungen hebt sich die Linke dann doch sehr viel stärker ab – und eckt auch an. In ihrem Buch fordert Wagenknecht unter anderem, dass die Europäische Zentralbank (EZB) Geld drucken und an bedürftige Staaten verteilen soll, damit diese es in ihre Wirtschaft investieren können. Wie soll das gehen, will Rickens wissen. „Die EZB druckt ja auch jetzt schon Geld“, entgegnet Wagenknecht. „Aber es fließt an die Kapitalmärkte, es werden Anleihen gekauft.“ Dieses Programm soll den Euro retten, aber die Arbeitslosigkeit in den Krisenländern gehe nicht relevant zurück, die Wirtschaftsproduktivität steige nicht. Besser wäre es, wenn die EZB die Investitionen der öffentlichen Hand finanzieren würde. Die EZB soll Staaten direkt unterstützen, quasi zu Investitionen in bestimmte Projekte verpflichten? Die Zuschauer schauen irritiert.

Die Kritik Wagenknechts an der EU aber können wieder viele teilen. Auf ihre Zeit als Abgeordnete im Europäischen Parlament blickt die heutige Bundestagsabgeordnete nämlich sehr kritisch zurück. „Die fünf Jahre in Brüssel waren für mich wirklich eine Ernüchterung“, gibt Wagenknecht offen zu. Bundestagsabgeordnete seien viel näher an ihren Wählern, hätten einen Wahlkreis, um den sie sich kümmern müssten. Das sei bei Europa-Abgeordneten anders.

Auch stünden Bundestagsabgeordnete viel mehr unter Kontrolle der Öffentlichkeit. Schlimmer noch sei aber die politische Arbeit in Brüssel. „Da sitzen mehr Lobbyisten als Abgeordnete in den Ausschüssen“, kritisiert sie. „Sie sind fixiert darauf, was den großen Unternehmen in Europa gut tut.“ Auch damit kann sie punkten, ebenso wie mit ihrer Kritik daran, dass Unternehmen wie Apple in manchen Ländern Europas so gut wie keine Steuern bezahlen, aber viel Geld verdienen würden.


„Der Euro ist ein Problem“

Doch so einfach ist das Problem wohl nicht zu lösen. „Auf einheitliche Steuern in der EU könne wir bis zum Sankt Nimmerleinstag warten“, ist Wagenknecht überzeugt. Man müsse nach anderen, nach realistischen Wegen suchen, beispielsweise EU-Vorgaben verändern. Alles gleich zu machen, sei unrealistisch und auch nicht die Lösung. „Alles zu homogenisieren ist nicht im Interesses der europäischen Idee“, sagt die Linken-Politikerin. „Es gibt viele Kulturen und Traditionen in der EU, wir müssen die Unterschiede leben.“ Während die Deutschen kein Interesse an einer schwachen Währung gehabt hätten und haben, hätte Italien beispielsweise mit seiner schwachen Lira gut leben können und sogar ein höheres Wachstum erzielt als heute. „Der Euro ist ein Problem: Für einige Länder ist er zu schwach, für andere zu hart.“ Auch dafür gibt es Applaus.

Klare Kritik an der EU. Ihre Zeit in Brüssel ist allerdings schon länger vorbei, sie war dort von 2004 bis 2009. Seit September 2009 sitzt sie nun im Bundestag, ab 2011 als stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion und ab Oktober 2015 dann als Fraktionsvorsitzende und damit Oppositionsführerin.

Anfangs gibt sie sich zeitweise fast liberal, doch natürlich fehlen auch die obligatorischen linken Forderungen nicht – beispielsweise eine Erbschaftssteuer von satten 30 Prozent für extrem hohe Vermögen. Da schüttelt dann doch der eine oder andere verständnislos mit dem Kopf.

Spannend ist auch die Debatte darüber, wann ein Unternehmer gut und wann er eher böse sei. Gut ist der Unternehmer, der viel für die Gesellschaft tut, dessen Arbeitnehmer gut verdienen, der Arbeitsplätze schafft und bewahrt. So weit, so gut. Aber wann ist er schlecht? Die Antwort ist für Sahra Wagenknecht klar: Wenn ein Unternehmer das Unternehmen nur als Anlageobjekt sieht, aus dem er Geld ziehen will. Wenn er nur auf die maximale Rendite aus ist. „Wir haben teilweise perverse Anreizmodelle“, kritisierte sie mit Blick auf die Aktienoptionen, die viele Manager erhalten. Unternehmer oder Kapitalist, das ist die Frage.

In der späteren Fragerunde „outet“ sich dann auch der ein oder andere Gast als „Kapitalist“ à la Wagenknecht. Beispielsweise ein ehemaliger Unternehmer, der lange 80 bis 90 Stunden pro Woche gearbeitet hat, um dann sehr früh Privatier zu werden. Passt das zu Wagenknechts Welteinstellung? So wirklich wird das nicht klar. Ein anderer sagt ganz klar, dass er die Linke niemals wählen würde. Ebenso wie sein Freundeskreis. „Als ich erzählt habe, dass ich zu einem Clubgespräch mit Ihnen gehe, sagten alle, dass sie eine tolle, eine interessante Persönlichkeit sind“, erzählt er. „Aber wählen würden wir sie nicht.“ Wagenknecht nimmt das als Kompliment. Das darf sie auch. Ebenso wie die Tatsache, dass das Clubgespräch mehr als ausgebucht ist. Sahra Wagenknecht polarisiert nicht nur, sie fasziniert auch.