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Wie Martin Zielke gegen den Untergang der Commerzbank kämpft

Der Commerzbank-Chef will die nächste Krise überstehen – und der Bank damit alle Optionen offenhalten. Eine Annäherung an einen zurückhaltenden Manager.

Nicht so langweilig wie sein Ruf. Foto: dpa
Nicht so langweilig wie sein Ruf. Foto: dpa

Martin Zielkes Augen funkeln. „Faszinierend“, sagt der Mann mit der kleinen Hornbrille immer wieder. Zielke steht vor Petra III, einem 2,3 Kilometer langen Speicherring. Darin werden winzige Teilchen auf annährend 300.000 Kilometer pro Sekunde beschleunigt. Forscher erzeugen daraus das hellste Röntgenlicht der Welt, um Flugzeugturbinen, Mikrochips und Proteine unter die Lupe zu nehmen. „Wahnsinn“, ruft Zielke.

Wer den Bankmanager kennt, wundert sich. Der Commerzbank-Chef ist sonst ein nüchterner Mensch, kein Mann des großen Auftritts oder der Gefühle. Aber beim Besuch des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (Desy) in Hamburg vor wenigen Wochen verwandelt sich der 1,92 Meter große Mann fast in ein kleines Kind. Jedes Wort liest Zielke dem wissenschaftlichen Leiter Christian Schroer von den Lippen ab.

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Schnellen Schritts läuft der Physikprofessor von einer Anlage zur nächsten. Als die beiden an einer schweren gelb-grauen Strahlenschutztür vorbeikommen, die offen steht, fragt Zielke: „Darf ich hier mal reingucken?“ Er darf. Als die Führung im Desy zu Ende ist, bedankt sich Schroer bei seinem Besucher. „Ihre Begeisterung war mir eine Freude.“

Technik und Physik, da fühlt sich Zielke wohl. Die Dinge dort sind meist vorhersehbar, berechenbar. Wie anders sieht es da tagtäglich in seinem Job aus.

Die Geschäfte laufen schleppend, die Lage verändert sich andauernd: Mal soll die Commerzbank mit dem größeren Rivalen Deutsche Bank zusammengehen, dann klopfen ausländische Institute wie ING an. Die Idee mit dem Kauf einer Sparkasse hat Zielke selbst ins Gespräch gebracht.

Die Not ist groß. Aufgrund der negativen Zinsen leiden die Geldinstitute: Früher waren Einlagen dank der Zinserträge ein gutes Geschäft, heute sind sie oft eine Last. Der harte Wettbewerb unter den Banken lässt die Gewinnmargen erodieren. Zielke muss ein Restrukturierungsprogramm nach dem anderen auflegen, um Deutschlands zweitgrößte Privatbank zu stabilisieren.

Er ist nicht allein: In der ganzen Republik müssen Bankchefs dieser Tage unpopuläre Entscheidungen treffen, Jobs abbauen und Geschäftsbereiche aufgeben. Oder sie suchen ihr Heil in Fusionen mit anderen Instituten. Die glamourösen Zeiten des Bankings, in denen Vorstandschefs Milliardengewinne auf Empfängen mit Champagner und Zigarren feierten, sind in Deutschland vorbei.

Und mit den Rahmenbedingungen hat sich auch das Profil des Spitzenpersonals gewandelt. Extrovertierte Manager wie Lenny Fischer oder Josef Ackermann finden sich heute kaum noch in den Chefetagen. Stattdessen werden die größten Banken des Landes allesamt von Managern geführt, die bodenständig und nüchtern auftreten.

Martin Zielke ist ein Prototyp dieser neuen Generation. Er ist niemand, der auf der Bühne brilliert und Säle unterhält. Karriere gemacht hat der 56-Jährige, weil er Themen gut analysieren und Entscheidungen konsequent umsetzen kann. „Zielkes Kampf ist exemplarisch für das, was viele Bankchefs in Deutschland gerade erleben“, sagt Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim.

Noch etwas macht Zielke aus: Er lässt sich ungern in die Karten schauen. Doch nun hat er eine Ausnahme gemacht. Das Handelsblatt hat ihn sechs Monate lang bei zahlreichen internen und externen Auftritten in Frankfurt, Hamburg und Washington begleitet.

Entstanden ist das Porträt eines Managers, der leidenschaftlich den Untergang der Commerzbank verhindern will – mit einer sehr nüchternen Art. „Zielke führt die Bank unaufgeregt und wird manchmal unterschätzt“, urteilt Michael Hünseler, Geschäftsführer des Vermögensverwalters Assenagon. „Er ist aktuell der richtige Mann an der Spitze der Commerzbank.“ Aber wird das reichen?

So wirkt Martin Zielke auf seine Kollegen

Mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern hat Zielke viele Jahre lang in der Kleinstadt Bruchköbel, 30 Minuten östlich von Frankfurt gewohnt. Statussymbole wie schnelle Autos braucht er nicht. „Martin ist intellektuell gut sortiert, unaufgeregt und ohne große Allüren“, sagt ein Freund. „Er ist ein gerader Kerl: Du kriegst, was du siehst.“

In der Öffentlichkeit kommt der neue Vorstandschef nicht immer gut an. Bei seinen ersten Auftritten wirkt er unsicher und hölzern. Seine Reden sind monoton und wenig inspirierend. Zielke trete auf wie der Chef eines mittelständischen Schraubenfabrikanten, ätzte das „Manager Magazin“.

Zielkes Kollegen erzählen, er sei ein fürsorglicher Chef und könne in kleinen Runden sogar humorvoll sein. Doch auf der großen Bühne scheint davon wenig durch. „Je kleiner der Kreis ist, desto überzeugender ist er“, sagt ein Weggefährte. „Aber je größer der Kreis wird, desto mehr verschanzt er sich hinter seinen Fakten und technokratischen Argumenten.“ Dummerweise ist Zielke mittlerweile in sehr großen Kreisen unterwegs.

Mit der Zeit hat er als Vorstandschef an Trittfestigkeit auf der großen Bühne gewonnen – und überrascht vereinzelt sogar mit forschen Aussagen. „Ich würde gern eine Sparkasse kaufen“, sagt er im Sommer beim Bankengipfel des Handelsblatts und überrumpelt damit Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis, der neben ihm auf der Bühne steht. Ein Entertainer wird aus Zielke trotzdem nicht werden.

Das zeigt sich im August, als die Commerzbank zu ihrem Presseempfang in den Frankfurter Ruder-Club Germania geladen hat. Es ist ein warmer Sommerabend. Alle Gäste stehen auf der Terrasse mit Blick auf den Main und unterhalten sich mit den anwesenden Vorständen.

Die Veranstaltung ist als Hintergrundevent deklariert, Journalisten dürfen über alles Gesagte also nicht berichten. Manche Spitzenmanager sprechen in solchen Runden offener als sonst, lästern über die Konkurrenz oder geben das ein oder andere Geheimnis preis. Nicht so Martin Zielke.

Er sagt den Abend über nur Dinge, die er so oder so ähnlich auch schon bei offiziellen Anlässen von sich gegeben hat. Ein Agenturjournalist ist darüber so frustriert, dass er sich zum Abschied bei einem Pressesprecher der Commerzbank beklagt. „Ich habe mich schon so oft mit Zielke unterhalten. Aber er hat mir noch nie irgendetwas Interessantes gesagt.“

Eisenbahn im Keller

Zielke ist niemand, der in der Öffentlichkeit viel von sich preisgibt. Dabei wäre das hin und wieder hilfreich, um ihn besser zu verstehen. Viele werten es beispielsweise als Beleg für Spießigkeit, dass er auch im fortgeschrittenen Alter noch zu Hause mit Modelleisenbahnen spielt. Doch wer Fotos von der Anlage gesehen hat, die Zielke nach seinem Umzug nach Bad Homburg neu aufbaut, sieht darin eher einen Ausdruck seiner Technikbegeisterung als kleingeistiges Spießertum.

In dem Raum im Keller von Zielkes Haus gibt es keinen Trafo, wie man ihn von klassischen Märklin-Eisenbahnen kennt, sondern mehrere Bildschirme. Die gesamte Anlage ist computergesteuert und von Zielke selbst programmiert. Den Untergrund aus Holz und einzelne Elektronikteile baut er bei Bedarf selbst zusammen.

Wie wichtig ist Zielke sein öffentliches Image? Stört es ihn, wenn er als langweilig und provinziell dargestellt wird? „Natürlich liest man lieber positive Sachen über sich als negative“, sagt er. „Aber es ist nichts, was mich besonders beschäftigt.“ Sein Kommunikationschef ärgert sich über negative Presseartikel mehr als er selbst.

Auftritte sieht Zielke als Teil seines Jobs an. Aber es war für ihn nie ein Ziel, in der Öffentlichkeit zu stehen. „Das Wichtigste für mich ist, authentisch und glaubwürdig zu bleiben“, sagt er. „Am Ende ist das Vortanzen auf der Bühne endlich, auch wenn Sie es gut können.“

Zweimal im Jahr fliegt Zielke nach Washington, um mit Senatoren und Repräsentanten aus dem Weißen Haus, dem US-Finanzministerium und der amerikanischen Finanzaufsicht zu sprechen. Anfangs ist Zielke überrascht, zu welch hochkarätigen Politikern er Zugang bekommt. Die Gespräche findet er sehr reizvoll – als persönlichen Erfolg verkaufen will er sie aber nicht. „Ich kriege die Termine nicht, weil ich Martin Zielke heiße, sondern weil ich Chef der Commerzbank bin.“

Wenn Zielke in der amerikanischen Hauptstadt ist, trifft er sich auch mit Journalisten, Managern und Akademikern. Mitte Oktober hat ihn das American Institute for Contemporary German Studies zu einer Lunch-Diskussion in den feinen Metropolitan Club unweit des Weißen Hauses eingeladen. Wer keine Krawatte trägt, bekommt dort an der Garderobe dezent eine in die Hand gedrückt.

Zielke, selbstverständlich mit Krawatte, begrüßt jeden der 30 Gäste per Handschlag. Der Raum ist mit einem dicken rot-grünen Teppich ausgelegt, von der Decke hängen zwei bronzene Kronleuchter. In seiner Rede spricht Zielke über die gemeinsame Werte, die Deutschland und die USA verbinden. Er redet über globale Handelskonflikte, den Wandel in der deutschen Autoindustrie, und er lobt die Bewegung „Fridays for Future“: „Ich finde es gut, dass sich junge Leute für Klimaschutz starkmachen.“

Zielke ist nicht so langweilig, wie er nach außen manchmal wirkt. Er ist ein vielseitig interessierter und neugieriger Mensch, mit dem man über ganz unterschiedliche Themen diskutieren kann: über Quantencomputer und die Zukunft Europas genauso wie über Gesamtschulen – Zielke hat selbst zwei Jahre lang eine besucht.

Commerzbank-Aktie auf Rekordtief

An einem Montagmorgen im August spricht der Banker im kleinen Handelssaal der Commerzbank im Frankfurter Gallusviertel mit Mitarbeitern. „Floor Talk“ heißt dieses Format bei der Bank.

Die Vorzeichen sind schlecht. Die von Zielke vorangetriebenen Fusionsgespräche mit der Deutschen Bank sind vor wenigen Monaten geplatzt. Die Commerzbank-Aktie ist gerade auf ein Rekordtief gefallen. Und Zielke und seine Kollegen arbeiten an einem neuen Sparprogramm.

Die geplatzte Fusion hat bei vielen in der Commerzbank den Eindruck hinterlassen, der Vorstandschef glaube selbst nicht mehr an die Überlebensfähigkeit seines Instituts. Nicht wenige Mitarbeiter sind nach Jahren des Umbaus erschöpft und desillusioniert. Wie kann Zielke die Belegschaft und sich selbst in dieser Situation motivieren?

Rund 60 Beschäftigte sind gekommen, alle förmlich gekleidet mit Anzug oder im Kostüm. Zielke lehnt in der Mitte des Raums an einem Stehtisch. „Ich will hier keine Rede halten, sondern Fragen beantworten“, sagt er. Und davon haben die Mitarbeiter reichlich. Wie verhält sich die Commerzbank in der nächsten Krise? Wann zahlt sich das Kundenwachstum endlich aus? Wo sind weitere Einschnitte geplant?

Zielke beschönigt die Lage nicht. Die Commerzbank müsse weiter sparen und genau überlegen, in welchen Bereichen sie ihr Kapital künftig einsetze, sagt er. „Denn Kapital ist eine knappe Ressource.“ Durch die Digitalisierung gebe es aber auch Chancen. „Bleiben Sie technologisch up to date, dann müssen Sie sich keine Sorgen machen.“

Nach fast einer Stunde traut sich eine Mitarbeiterin, die entscheidende Frage zu stellen: Können wir allein überleben? Zielke antwortet nicht mit Ja oder Nein, sondern mit einer Redewendung aus der Landwirtschaft. Im nächsten Abschwung werde sich die Spreu vom Weizen trennen, sagt er. „Wir wollen zum Weizen gehören.“

Commerzbank-Chef Zielke wollte gar kein Banker werden

Für ein längeres Gespräch hat Zielke das Café Paris ausgewählt. Es liegt nur wenige Minuten von der Binnenalster in Hamburg entfernt. Zielke trifft sich hier hin und wieder mit Freunden. In der geräumigen Brasserie mit den hohen Decken stehen viele kleine Holztische. Es ist laut, aber an einem Tisch am Fenster kann man sich gut unterhalten. Zielke bestellt Cappuccino.

Hamburg ist Zielkes Lieblingsstadt. Als er Mitte 30 war, hat er zwei Jahre lang hier gearbeitet.

Vor einiger Zeit hat er sich dann mit seiner Frau eine Zweitwohnung in der Hansestadt gekauft. Beide verbringen dort häufiger mal ein Wochenende – und schlendern gern durch die Stadt. „Hamburg ist eine souveräne Großstadt, nicht aufgesetzt großstädtisch“, sagt Zielke. „Wir fühlen uns hier sehr wohl.“

Rückblickend ist er selbst überrascht, dass er heute an der Spitze einer Bank steht. Denn ursprünglich wollte er gar kein Banker werden, Zielke stammt aus einfachen Verhältnissen. Er ist Einzelkind, seine Mutter hat bei einer Regionalzeitung, der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen, als Schriftsetzerin gearbeitet. Sein Vater war zunächst beim Bundesgrenzschutz an der innerdeutschen Grenze angestellt. Später wechselte er zur Stadt Kassel und stieg dort zum Abteilungsleiter im Sozialamt auf.

Sein Elternhaus beschreibt Zielke als wertorientiert und sehr offen. Mit seinem Vater, einem überzeugten Sozialdemokraten, diskutiert er regelmäßig über Politik. Und er spielt Tennis, viel Tennis. Kurzum, „eine glückliche Jugend.“

Die Schule fällt ihm leicht. Er hat gute Noten und muss dafür nicht allzu viel tun. „Wenn ich Klausuren hatte, habe ich morgens angefangen zu lernen.“ Seine Eltern, die beide die Mittlere Reife haben, lassen ihm viel Freiraum. Und sie sind stolz, als Martin das Gymnasium als Jahrgangsbester abschließt, mit einer Abiturnote von 1,4.

Physik-Leistungskurs in der Oberstufe, großes Interesse für Technik: Zielke will Wirtschaftsingenieurwissenschaften in Karlsruhe studieren. Doch der Vater eines Freundes empfiehlt ihm, nach dem Wehrdienst erst mal „etwas Ordentliches“ zu machen – eine Banklehre. Zielke folgt dem Rat und fängt 1983 bei der Deutschen Bank in Kassel an.

Neues Arbeitsmodell: Kleiner, digitaler, schneller

36 Jahre später steht er im Foyer des Campus-Gebäudes der Commerzbank in Frankfurt auf einer kleinen Bühne. Obwohl es heiß und stickig ist, hat sich der Vorstandschef ein Sakko übergezogen. Seine Stirn ist schweißbedeckt. „Durch das Campus-Projekt haben wir die Chance, uns in diesen schwierigen Zeiten vom Wettbewerb abzusetzen“, ruft er in den Raum. Manager anderer Unternehmen hätten sich den Campus bereits angeschaut und seien beeindruckt. „Da können wir stolz drauf sein.“

Sein Faible für Technik hat Zielke seit seiner Jugend nicht verloren. Und er ist überzeugt, dass moderne Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Blockchain und digitalisierte Prozesse entscheidend sind, um als Finanzinstitut zu überleben.

Damit dies gelingt, hat er bei der Commerzbank ein neues Arbeitsmodell eingeführt. Im Rahmen von „Campus 2.0“ bilden Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen kleine Teams, um Digitalisierungsprojekte voranzutreiben und neue Produkte schneller auf den Markt zu bringen.

Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Auch bei den meisten Mitarbeitern kommt die neue Struktur gut an. Doch als Zielke Anfang Juli den offiziellen Startschuss für „Campus 2.0“ gibt, ist die Stimmung getrübt. Wenige Tage zuvor hat eine große IT-Panne stundenlang das Onlinebanking lahmgelegt. In den sozialen Netzwerken machen die Kunden ihrem Unmut Luft. „Wann habt ihr mal keine Störung?“, fragt eine Nutzerin auf Twitter.

Zielke versucht, trotz der Panne Aufbruchsstimmung zu verbreiten. „Die Ausfälle, die wir hatten, sind nicht auf mangelhafte IT-Systeme zurückzuführen“, sagt er bei seinem Auftritt. „Wir haben es leider auch mal mit Bedienungsfehlern zu tun.“

Vor der Bühne stehen rund 200 Mitarbeiter. Alle anderen können die Veranstaltung im Intranet der Bank verfolgen. Doch nicht alle teilen Zielkes Euphorie. In einer spontanen Smartphone-Umfrage sollen die Beschäftigten die Frage beantworten, was sie zum Erfolg von „Campus 2.0“ beitragen können. Die Antworten erscheinen dann im Foyer auf einem großen Bildschirm. Dort stehen am Ende nicht nur Begriffe wie Engagement, Mut und Offenheit, sondern auch die Worte Nix, Kündigen, kühles Bier und Miau.

Davon lässt sich Zielke nicht runterziehen. Wenn man mit ihm nach Auftritten spricht, hebt er stets das Positive hervor. Veränderung ist nötig, das weiß er aus eigener Erfahrung. Während seiner Lehre Mitte der Achtzigerjahre muss er morgens regelmäßig einen dicken Packen Kontoblättchen in eine Schulbade einsortieren. „Das war eine ziemlich doofe Arbeit.“ Längst übernimmt solchen Kram der Computer.

Die Weggefährten von Martin Zielke

Nach seiner Lehre studiert Zielke BWL in Göttingen. 1990 fängt er bei der Dresdner Bank an, arbeitet an neuen Konzepten für das Privatkundengeschäft. 1995 wird er Assistent von Privatkundenvorstand Heinz-Jörg Platzek. In dieser Zeit lernt Zielke den jungen McKinsey-Berater Martin Blessing kennen. Es entsteht eine Verbindung, von der beide in den kommenden Jahrzehnten profitieren werden.

Platzek beauftragt Zielke und Blessing damals, im Geheimen eine neue Regionalstruktur für das Privatkundengeschäft der Dresdner Bank auszuarbeiten. In der Bank soll davon niemand etwas mitbekommen, um Unruhe in der Belegschaft zu vermeiden. „Wir haben zu zweit zeitweise Tag und Nacht gearbeitet“, erinnert sich Zielke. „Es war eine intensive Zeit.“

Die beiden Martins verstehen sich auf Anhieb, dabei könnten sie von ihrem sozialen Hintergrund kaum unterschiedlicher sein. Zielke stammt aus einfachen Verhältnissen, Blessing aus einer der bekanntesten Bankerfamilien des Landes. Sein Großvater war Präsident der Bundesbank, sein Vater Vorstand bei der Deutschen Bank. Blessing ist ein extrovertierter Mensch, der stets einen flotten Spruch parat hat. Zielke hat eine Modelleisenbahn.

Doch als die beiden aufeinandertreffen, spielt all das keine Rolle. Blessing findet es gut, dass Zielke unprätentiös ist und immer eine klare Meinung hat. Und er profitiert davon, dass sich Zielke in den Tiefen des Bankgeschäfts besser auskennt als er selbst. Zielke wiederum ist beindruckt, welche Ideen Blessing hat – und hilft dann bei der praktischen Umsetzung. „Er ist unglaublich schnell im Kopf und sehr inspirierend“, sagt Zielke über Blessing. „Wir sind unterschiedliche Typen, haben uns aber toll ergänzt.“

Sie bleiben in Kontakt. 1999 sollen sie sich in Frankfurt erneut um ein Geheimprojekt kümmern. Dieses Mal geht es um eine Fusion des Privatkundengeschäfts von Dresdner Bank und Deutscher Bank. Doch der Zusammenschluss scheitert am Ende.

Zielke wechselt daraufhin für anderthalb Jahre zur Deutschen Bank, anschließend für sieben Monate zur Hypothekenbank Deutsche Hyp. Anfang 2002 holt ihn Blessing, der inzwischen als Vorstand bei der Commerzbank angeheuert hat, an seine Seite.

In den folgenden Jahren sanieren sie das Privatkundengeschäft der Commerzbank, dann wechseln sie zusammen in die Firmenkundensparte. Blessing ist in all den Jahren Zielkes Vorgesetzter, doch er lässt ihm sehr viele Freiheiten – ein Ansatz, den Zielke später selbst mit Vertrauten wie Privatkundenmann Michael Mandel praktiziert.

2008 wird Blessing Vorstandschef, Zielke kümmert sich als Bereichsvorstand um die Finanzen. Mit der Commerzbank durchleben sie turbulente Zeiten. Erst übernimmt das Institut die Dresdner Bank. Dann bricht die globale Finanzkrise aus, und die Commerzbank wird vom Staat mit Milliarden vor dem Aus gerettet. Beide überstehen die Zeit unbeschadet. Zielke wird 2010 Privatkundenvorstand.

An der Commerzbank-Spitze ergänzen sich beide hervorragend. Blessing gibt den Visionär und Entertainer. Zielke ist für die Detailarbeit zuständig und sorgt anschließend dafür, dass der gemeinsam festgelegte Kurs konsequent umgesetzt wird.

Als Blessing Ende 2015 ankündigt, seinen Vertrag nicht zu verlängern, bricht in der Commerzbank ein Zweikampf um seine Nachfolge aus. Viele sehen dabei Markus Beumer in der Favoritenrolle, den eloquenten Chef der Mittelstandsbank. Doch in den Quartalen vor der Entscheidung werden die Zahlen in seinem Geschäftsbereich schlechter – und intern haben einige den Eindruck, dass Beumer nicht entschlossen genug gegensteuert.

Zielke hat im Privatkundengeschäft dagegen kräftig umgebaut und verzeichnet steigende Gewinne. Er hat bewiesen, dass er hart durchgreifen kann – auch gegen interne Widerstände. Deshalb setzt er sich am Ende durch und löst Blessing im Mai 2016 als Vorstandschef ab.

Mitarbeiter nehmen Zielke die Fusionspläne übel

Der Druck auf Zielke ist gewaltig. Die Niedrigzinsen fressen sich immer tiefer in die Bilanzen der deutschen Banken. Die Geldhäuser sind gezwungen, ihre Kosten zu drücken. Und die Gewinne sind trotzdem ernüchternd. „Sie müssen im Hamsterrad immer schneller rennen, kommen aber eigentlich nicht voran“, klagt ein Bankvorstand.

„Mir fehlt die Fantasie, wie die Commerzbank als eigenständiges Institut Fahrt aufnehmen und deutlich profitabler werden will“, sagt auch Vermögensverwalter Hünseler. „Ich habe den Eindruck, dass Zielke auf einen Partner wartet, mit dem er alle Sorgen auf einen Schlag lösen kann.“

Ein anderer Spitzenmanager antwortet auf die Frage, was er an Zielkes Stelle machen würde: „Take the money and run. Wenn es richtig schiefgeht, sollten Sie nicht an der Spitze einer Bank stehen.“ Ist das für ihn eine Option? „Nein“, antwortet Zielke empört. „Das widerspräche meinem Verständnis von Pflichtbewusstsein.“ Er habe preußische Wurzeln. „Kassel gehörte ja zu Preußen.“

Zur Pflicht gehören auch schmerzhafte Entscheidungen. Schon kurz nach seinem Amtsantritt 2016 leitete er den Abbau von 9600 Stellen in die Wege, bis 2023 sollen nun weitere 4300 Jobs wegfallen. Um den Umbau zu finanzieren und die Kapitalpolster zu stärken, plant der Vorstandschef zudem den Verkauf der polnischen Tochter M-Bank.

„Der Druck auf Finanzinstitute in Europa wird zunehmen und früher oder später zu grundlegenden Veränderungen führen“, prognostiziert Zielke. Damit die Commerzbank dabei nicht unter die Räder kommt, will er sie robuster machen. „Damit halten wir uns alle Optionen offen.“

Regelmäßig ist Zielke in Berlin, um sich mit der Politik auszutauschen. Der Bund ist seit der staatlichen Rettung größter Aktionär der Commerzbank. Der stetig fallende Aktienkurs bereitet natürlich auch in Berlin niemandem Freude. Aber aus Sicht der Politik ist das Problem in erster Linie auf die immer schwierigeren Rahmenbedingungen zurückzuführen. Zielke tue alles, um darauf zu reagieren, und mache insgesamt einen guten Job, heißt es in Berlin.

In der Belegschaft hat sein Ansehen dagegen gelitten. Die Fusionsgespräche mit der verhassten Deutschen Bank nehmen ihm viele Mitarbeiter bis heute übel. Zielke hat intern viele Jahre für eine deutsche Großbankenhochzeit geworben.

Mit Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing versteht er sich gut. Die große gegenseitige Wertschätzung sei ein Grund dafür gewesen, warum Sewing einen Zusammenschluss mit der Commerzbank so intensiv geprüft habe, berichten Beteiligte. Doch nach sechs Wochen Verhandlungen ist beiden Vorstandschefs klar: Eine Fusion ergibt aktuell keinen Sinn.

Auch andere Zusammenschlüsse zeichnen sich derzeit nicht ab. Und so wird die Commerzbank fürs Erste allein bleiben. Doch kann das Institut, das im kommenden Jahr seinen 150. Geburtstag feiert, dauerhaft allein überleben? „Unabhängigkeit ist kein Selbstzweck“, sagt Zielke. Entscheidend sei, welche Konstellation für Aktionäre, Mitarbeiter und Kunden am besten sei. „Wir sind offen für gute Lösungen.“

Zielkes Vertrag läuft noch bis November 2023. Dass er der letzte Commerzbank-Chef sein wird, glaubt er nicht. „Das halte ich für sehr unwahrscheinlich.“