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Martin Schulz ist noch nicht müde

Im ZDF-Sommerinterview zeigte sich der SPD-Kanzlerkandidat in Kampflaune. Schulz versäumte keine Chance, rhetorisch Siegesgewissheit zu demonstrieren und überraschte sogar mit ein bisschen Sarkasmus.

Sechs Wochen dauert es noch bis zur Bundestagswahl, drei Wochen bis zum großen TV-Duell, bei dem Bundeskanzlerin Merkel und ihr Herausforderer auf vier Sendern zugleich befragt werden: Allmählich startet der Fernseh-Wahlkampf.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat vielleicht den Fehler begangen, sich vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zu rar zu machen. Seitdem zeigt er sich gerne und ausdauernd bei vielen Gelegenheiten. Er „kämpft und kämpft und kämpft“, hieß es in der Einleitung zum „Berlin direkt“-Sommerinterview am frühen Sonntagabend im ZDF.

Tatsächlich befindet sich Schulz weiterhin in Wahlkampf-Laune und versäumte keine Chance, rhetorisch Siegesgewissheit zu demonstrieren. Selbst beim traditionellen Schlagzeilenspielchen, für das das ZDF Fotos mit ausgedachte Zeitungsüberschriften kombinierte, bekundete der SPD-Chef, dass es eine neue Große Koalition nur unter seiner Kanzlerschaft geben könne.

Zunächst spazierten Schulz und Interviewer Thomas Walden, der stellvertretende Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, an der Gedenkstätte Berliner Mauer in Berlin-Mitte entlang – von Passanten im Bildhintergrund bestaunt und fotografiert – zum Interview-Ort, einer Terrasse in einem Start-up-Zentrum. Schulz erzählt vom Mauerbau als einer Kindheitserinnerung und zitierte zum ersten, aber nicht zum letzten Mal Willy Brandt, der während des Mauerbaus vor 56 Jahren Regierender Bürgermeister in Westberlin war.

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Interviewer Walden versuchte dann vor allem, ihn bei der Kritik der SPD an der Politik der Bundesregierung zu packen, der sie doch selbst angehört. „Deutschland geht's gut' heißt ja nicht, dass es allen Deutschen gut geht“: So geht inzwischen Schulz' Rezept, um diese bekannte Kritik zu kontern. Unter Merkel geschehe nur wenig und das langsam, unter SPD-Führung könne vieles schneller geschehen, denn: „Jeden Tag verändert die Welt sich schneller“. So kam Schulz von selber zur Automobilindustrie, die seit dem Diesel-Skandal zum Wahlkampf-Topthema avanciert.

Erste kraftvolle Schulz-Zitate dazu aus dem aufgezeichneten, nicht live gesendeten Interview, von „verantwortungslosen Managern der Automobilindustrie“, hatte das ZDF bereits am Morgen veröffentlicht. Dass „millionenschwere Manager“ „die Zukunft verpennt“ hätten, sagte er außerdem. Ja, Schulz versuchte sich sogar an bei ihm (und von deutschen Politikern in der Merkel-Ära überhaupt) ungewohnten Sarkasmus: Der Bundesverkehrsminister sei ja ein „ganz großer Mann, der Herr Dobrindt“ . Dessen Schuld sei, dass der Diesel-Gipfel vor zwei Wochen “gescheitert“ sei; Verdienst von Bundesumweltministerin Hendricks (SPD) sei dagegen, dass immerhin doch kleine positive Ergebnisse erzielt worden seien: Gleich demonstrierte Schulz noch einmal das SPD-Rezept.

Es ging außerdem ums Thema Vermögenssteuer, das zwar im SPD-Parteiprogramm, jedoch nichts im Regierungsprogramm genannt wird. Schulz wolle eben nichts versprechen, wovon er nicht weiß, dass er es hundertprozentig umsetzen könne. Das Thema solle erst nach der Wahl behandelt werden.

Immer wieder versuchte Schulz so, sich mit eigenen Prinzipien zu profilieren, die er selbst dann nicht opfern wolle, wenn es im Wahlkampf nützen könnte. Merkels Politik gegenüber „diesem verantwortungslosen Mann im Weißen Haus“, dem US-amerikanischen Präsidenten Trump, etwa findet Schulz richtig. Er würde keine andere treiben. Zuschauer konnten sich denken: Mögen Auto-Manager auch „wegen des kurzfristigen Effekts in ihren Bilanzen“ “die Zukunft verpennt“ haben, Schulz bleibt lieber bei seinen Prinzipien statt kurzfristige Wahlumfragen-Effekte lostreten zu wollen.

Das heißt auch, dass es nach diesem Interview noch etwas leichter fällt, sich den SPD-Kanzlerkandidaten doch als Minister in einer weiteren Angela-Merkel-Regierung vorzustellen, der dann eben 2021 (oder wann sonst die folgende Bundestagswahl stattfinden wird) als noch erfahrener Wahlkämpfer sein Glück versucht.

Nur kurz ging es ums Thema Flüchtlingspolitik. Menschen, die als Schutzsuchende nach Deutschland kamen und straffällig werden, „müssen abgeschoben werden“, sagte Schulz nicht nur einmal – wie er gerne wiederholt, was ihm wichtig erscheint. Da nachzuhaken hätte sich für Interviewer Walde eher gelohnt als der fruchtlose Versuch, Differenzen zwischen Schulz und seinem Vorgänger als Parteichef, Sigmar Gabriel, herauskitzeln zu wollen. Ganz so eindeutig sind die Haltungen innerhalb in der SPD bei diesem Thema schließlich nicht.

Fazit: Ob die Wahl am 24. September jenseits des Erfolgs der kleineren Parteien noch spannend wird, ist ungewiss. Das TV-Duell aber, in dem Schulz und Merkel gemeinsam diskutieren, dürfte es werden. Rhetorisch in ganz guter Form ist der Herausforderer – und noch nicht müde.