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Physiker, Banker, der Ex-Vodafone-Chef: Das sind die wichtigsten Minister in Draghis Kabinett

Der ehemalige EZB-Chef hat sein Team für Italien vorgestellt: Neben Politikern holt Draghi viele Experten ins Kabinett. Darunter sind einige Überraschungen.

Mario Draghi verliert nicht ein Wort zu viel. Er tritt ans Rednerpult im goldverzierten Saal des römischen Quirinalspalasts, nimmt die Gesichtsmaske ab, sagt kurz „buonasera“, guten Abend – und liest dann direkt die Liste seiner Kabinettsmitglieder vor. Erst das Ministerium, dann den Namen. Genau 23 Mal. Danach nur ein „Grazie“ mit kurzem Lächeln – und nochmal „buonasera“. Maske wieder auf, das wars. Keine weiteren Erklärungen, keine Nachfragen der Presse, nichts.

Es ist ein ziemlich ungewöhnlicher Regierungsstil. Aber Italien wird sich daran gewöhnen müssen. Seit Freitagabend ist Gewissheit, was sich seit mehr als einer Woche angedeutet hat, und am Samstagmittag per Amtseid besiegelt wurde: Mario Draghi, der ehemalige Zentralbanker, ist Italiens neuer Regierungschef. Sein Kabinett ist eine Mischung aus Technokraten und Politikern geworden. Sieben Minister der alten Koalition bleiben, zwei wechseln das Ressort, viele neue Gesichter kommen dazu. Darunter auch viele Überraschungen. Der Blick auf die wichtigsten Entscheidungen:

Ein Banker fürs Finanzministerium

Nicht nur der Premier ist ein Notenbanker, auch einer seiner wichtigsten Minister: Daniele Franco wird Finanzminister in Draghis Kabinett. Franco ist seit 2020 Generaldirektor der Banca d'Italia – und damit direkter Stellvertreter des Zentralbank-Gouverneurs. Der 67-Jährige studierte Politikwissenschaften in Padua und Wirtschaft im englischen York. Er hat eine lange Karriere in Italiens Notenbank, begann dort 1979 in der Abteilung für Studien. 1994 wechselte er zur EU-Kommission, kehrte vier Jahre später wieder zurück nach Rom und übernahm später den Chefposten seiner alten Abteilung.

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Er ist Experte für öffentliche Ausgaben, hat Bücher über soziale Sicherungssysteme und europäische Fiskalregeln geschrieben. 2013 wurde er Oberster Rechnungsprüfer des Staates und hat in der Zeit gleich vier verschiedene Regierungen erleben müssen. Franco und Draghi, der von 2005 bis 2011 Chef der Banca d'Italia war, kennen sich schon seit Ewigkeiten, die beiden gelten als befreundet. Im neuen Amt steht Franco vor einem riesigen Schuldenberg: die Staatsverschuldung ist zuletzt auf 159 Prozent der Wirtschaftsleistung angestiegen. Der bisherige Finanzminister Roberto Gualtieri (Sozialdemokraten) scheidet aus der Regierung aus.

Ein Physiker für den Green Deal

Welche Bedeutung Draghi der Nachhaltigkeit zumisst und dem von der EU ausgerufenen Green Deal, zeigt ein komplett neues Ressort: Es ist zwar kein Super-Ministerium für Wirtschaft und Nachhaltigkeit geworden, wie seit Mittwoch spekuliert wurde. Trotzdem hat Italien erstmals ein Ministerium für ökologischen Wandel. Ihr erster Chef: der Physiker Roberto Cingolani.

Der 59-jährige Mailänder ist seit 15 Jahren wissenschaftlicher Leiter des „Istituto Italiano di Tecnologia“, ein Forschungszentrum aus Genua, das federführend ist bei Künstlicher Intelligenz und Robotik. Nach seinem Studium in Bari und Pisa forschte Cingolani am Max-Planck-Institut in Stuttgart, war Gast-Professor in Tokio und Richmond im US-Bundesstaat Virginia.

Seine Hauptaufgabe als Minister wird die sinnvolle Verteilung der 70 von 209 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds sein, die für die nachhaltige Entwicklung Italiens bestimmt sind. Das Land muss damit grüner werden, noch mehr auf Erneuerbare Energien setzen.

Ein moderater Lega-Mann für die Wirtschaft

Auch den Wirtschaftsminister tauscht Draghi aus: Stefano Patuanelli von der linken Fünf-Sterne-Bewegung geht (er wechselt ins Landwirtschaftsministerium), Giancarlo Giorgetti von der rechten Lega kommt. Der 54-Jährige sitzt seit 25 Jahren in der Abgeordnetenkammer, ist ein enger Gefährte von Lega-Chef Matteo Salvini, seit 2018 stellvertretender Parteisekretär.

Im Gegensatz zum oft polternden Salvini, der verbal gern gegen die EU oder Migranten austeilt, zählt Giorgetti zum moderaten Flügel der Lega. Er soll einen guten Draht in die Industrie und die Bankenwelt haben, gilt auch als außenpolitisch bestens vernetzt, vor allem in die USA und nach Deutschland. In der ersten Conte-Regierung von Fünf Sternen und Lega war er Staatssekretär.

Er studierte BWL in Mailand, war in der Metropole bis zuletzt auch als möglicher Bürgermeisterkandidat im Gespräch. Er soll vehement für den Eintritt der Lega in die Draghi-Regierung geworben haben – und hat damit maßgeblich zum überraschenden Schwenk der bisher größten Oppositionspartei beigetragen. Nun muss Giorgetti Italiens kriselnde Wirtschaft wieder ankurbeln, die besonders unter der Corona-Pandemie leidet – und 2020 um 8,8 Prozent eingebrochen ist.

Eine Verfassungsrechtlerin für die Justiz

Acht Frauen zählt das neue Kabinett von Draghi. Etwas mehr als in der letzten Regierung, aber weniger als erwartet. Einen der wichtigsten Posten bekommt Marta Cartabia: Die 57-Jährige wird Justizministerin. Cartabia war bis September 2020 Präsidentin des italienischen Verfassungsgerichts. Sie studierte Jura in Mailand, wurde nach Stationen in Frankreich und den USA Dozentin. 2005 übernahm sie an der staatlichen Mailänder Uni Bicocca eine Professur, erst für Öffentliches Recht, später für Verfassungsrecht. 2011 wurde sie ins Verfassungsgericht berufen.

Cartabia ist seit jeher überzeugte Europäerin, promovierte schon zur europäischen Integration. Sie schreibt in diversen Fachzeitschriften mit, 2009 gründete sie das englischsprachige „Italian Journal of Public Law“, im Sommer wird sie Co-Präsidentin der globalen Vereinigung „International Society of Public Law“.

In der Regierung muss sie eines der größten Reformprojekte voranbringen: Italiens Justiz muss dringend effizienter werden, Prozesse dauern zu lange oder verjähren einfach. Zudem muss sie die Digitalisierung in dem Bereich weiter vorantreiben.

Ein Ex-CEO für Innovation

Für eines der wichtigsten Zukunftsfelder hat sich Mario Draghi einen erfahrenen Manager ins Team geholt: Der ehemalige Vodafone-Chef Vittorio Colao wird Innovations-Minister. Zehn Jahre führte der 59-Jährige den britischen Kommunikationsriesen, 2018 verließ er Vodafone, ist seit 2019 im Vorstand des US-Telko-Konzerns Verizon, sitzt zudem im Aufsichtsrat von Unilever.

Seine Karriere startete der Absolvent der Elite-Unis Harvard und Bocconi (Mailand) bei Morgan Stanley und McKinsey. Schon zu Beginn der Coronakrise näherte sich Colao der Politik: Im April 2020 ernannte ihn die Regierung zum Chef einer Taskforce, die den Neustart des Landes nach der Pandemie skizzieren sollte. 102 Vorschläge machte Colaos Truppe, nun kann er viele davon selbst umsetzen. Sein Ministerium wird einer der größten Nutznießer des Wiederaufbaufonds sein: die digitale Transformation ist eines der Kernanliegen Brüssels.

Di Maio bleibt Außenminister

Einige Minister behalten unter Draghi ihr Amt. Die beiden wichtigsten sind dabei Außenminister Luigi Di Maio und Gesundheitsminister Roberto Speranza von der linken LeU. Di Maio hat den scheidenden Premier Giuseppe Conte bis zuletzt loyal verteidigt. Der Politiker von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) könnte gut vermitteln zwischen den extremen Polen der neuen Regierung – hat er doch sowohl mit der Lega, als auch mit der Mitte-links-Koalition schon regiert.

Speranza steht hingegen für Kontinuität in der Pandemie. Er ist in der Coronakrise zu einem der beliebtesten Politiker Italiens avanciert, kann direkt mit seinem wichtigsten Job weitermachen: die dritte Infektions-Welle einzudämmen und die schleppende Impfkampagne weiter zu beschleunigen.

Schaut man sich die Verteilung der politischen Posten an, bekommt die meisten Ministerien die bisher stärkste politische Kraft der alten Regierung: M5S kriegt vier Ministerien. Je drei Minister stellen künftig die Sozialdemokraten, die konservative Forza Italia von Silvio Berlusconi und Salvinis rechte Lega. Der Splitterpartei Italia Viva, gegründet von Ex-Premier Matteo Renzi, die die alte Regierung Mitte Januar zu Fall brachte, bleibt nur noch ein Ministerium.

Der Rest: nur noch Formsache

Am 3. Februar hatte Draghi das Mandat zur Regierungsbildung angenommen – damals noch unter Vorbehalt. Seitdem führte er Dutzende Gespräche mit Parteien, Verbänden, Sozialpartnern. Seine Mehrheit, die täglich anwuchs, und seine Ministerien lotete er im Stillen aus. Nichts wurde durchgestochen, die italienischen Medien, sonst für ihre guten Kontakte in die Regierung bekannt, konnten nur tagelang spekulieren.

Die weiteren Schritte gelten indes nur noch als Formsache: An diesem Samstag hat Staatspräsident Sergio Mattarella Draghi und seine Minister vereidigt. Am Dienstag oder Mittwoch könnte Draghi dann die Vertrauensfrage in beiden Parlamentskammern stellen. Dort hat er eine extrem große Mehrheit von mehr als Dreiviertel der Parlamentarier hinter sich, von links außen bis rechts. Nur die postfaschistischen Fratelli d'Italia werden gegen ihn stimmen – die dann künftig wohl einzige Oppositionspartei im Draghi-Land.