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Wie Marchionne Fiat rettete

Eines wissen sie in Italien sehr genau: Dass es Fiat noch gibt, ist vor allem dem strategischen Geschick von Sergio Marchionne zu verdanken. Der Italo-Kanadier, der am Mittwoch im Alter von 66 Jahren verstorben ist, gelang der Turnaround einer Marke, der nur wenige eine große Überlebenschance eingeräumt hätten.

Kaum ein Unternehmensführer kann auf eine so facettenreiche Karriere zurückschauen. Marchionne arbeitete als Steuerberater, Revisor, Anwalt, Finanzanalyst und erst dann als Manager.

Seine Karriere begann der passionierte Pokerspieler 1983 als Steuerexperte bei der Unternehmensberatung Deloitte Touche. Es folgte eine rasante Karriere in der Industrie. Innerhalb von sieben Jahren wechselte er vom Verpackungsunternehmen Lawson Mardon über einen Unterhaltungselektronik-Hersteller bis zu einem Händler für Sicherheitsprodukte und wieder zurück zu Lawson Mardon – diesmal als Finanzchef.

In dieser Funktion fädelte er 1994 die Übernahme seines Unternehmens durch den Schweizer Konzern Alusuisse-Lonza ein. Neben seiner Rolle als Finanzchef übernahm er ab 1994 dort auch die Leitung der Konzernentwicklung bis er drei Jahre später zum Konzernchef aufstieg.

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Unter seiner Führung stellte sich der Schweizer Aluriese neu auf. Zunächst benannte er das Unternehmen in Algroup um und spaltete es schließlich in zwei Teile auf, die er beide leitete. Ein Winkelzug, den er später einmal bei Fiat wiederholen sollte.

Im Jahr 2002 wechselte Marchionne als Leiter der Geschäftsführung zum schwächelnden Sicherheitskonzern Société Générale de Surveillance (SGS) nach Genf. Innerhalb von zwei Jahren trimmte Marchionne das Unternehmen auf Profit, kaufte mehrere Firmen zu. Die Erfolge des Italo-Kanadiers blieben auch den Erben der italienischen Industriellenfamilie Agnelli nicht verborgen, die große Anteile an SGS hielt.

Sie holte Marchionne 2003 erst in den Fiat-Verwaltungsrat, um ihn nur ein Jahr später mit der Führung des Fiat-Konzerns zu betrauen. Nur wenige hatten den Italo-Kanadier damals auf dem Schirm und noch weniger dachten, dass er lange auf dem Chefsessel Platz nehmen würde. Innerhalb von zwei Jahren hatte Fiat ganze fünf Chefs verschlissen.

Und auch der Agnelli-Clan war nach dem Tod des Familienpatriarchen Umberto Agnelli in großer Unordnung. Der sehr junge Firmenerbe John Elkann trat an und nicht wenige fürchteten, dass er sich vom kriselnden Autogeschäft trennen könne.

Denn Marchionne übernahm ein Fiat-Riesenreich, an dessen Enden es fast überall brannte. Die Hälfte des Umsatzes erwirtschafteten die Automarken Fiat, Lancia und Alfa Romeo. Mit Ferrari und Maserati hatte man zwei Sportwagenmarken im Konzern. Dazu kamen Nutzfahrzeuge von New Holland, die Zulieferer Magneti Marelli, Teksid und Comau und eine Mediensparte. Nur Gewinn machten die Italiener damit nicht.

Der Italo-Kanadier im Kapuzenpullover scheute in seinen Anfangsjahren keinen Konflikt. Den starken italienischen Gewerkschaften rang er ein Sparprogramm ab. Den US-Autobauer General Motors konnte er überzeugen, nicht wie ursprünglich vereinbart 100 Prozent an Fiat zu übernehmen, sondern auszusteigen und 1,6 Milliarden Euro zu bezahlen.

Auch die Agnellis stiegen nicht aus, sondern investierten weiter. Marchionne trennte sich von Unternehmensanteilen, verkaufte Sparten, die nicht mehr gebraucht wurden, um das Fiat-Reich auf finanziell sicherere Beine zu stellen.

Neuausrichtung der Marke Fiat

Doch auch den Autobau erklärte er zur Chefsache. 2005 übernahm er die Führung der Autosparte. Die Marke Fiat, die im wesentlichen mit Kleinwagen wie dem Panda und dem Punto Erfolg hatte, richtete er moderner aus. Dazu brachte er Erfolgsmodelle wie den Fiat 500 in moderner Version zurück. Schon 2006 schrieb die Autosparte erstmals wieder Gewinne – ohne ein einziges Werk geschlossen zu haben.

Marchionne begann, nach Kooperationen Ausschau zu halten, warb mitunter aggressiv um neue Partner. Sein Credo: Wer weniger als fünf Millionen Auto im Jahr verkauft, ist zum Sterben verdammt. Und Fiat verkaufte damals 1,7 Millionen Autos. Doch oft scheiterte er mit seinen Kooperationsplänen: Eine Übernahme von Opel gelang Marchionne 2009 nach einer Nachtsitzung mit Kanzlerin Merkel nicht, auch Sondierungsgespräche mit Volkswagen führten zu keinem Ergebnis.

Sein Meisterstück gelang ihm dann 2009. Nach der gescheiterten „Hochzeit im Himmel“ von Daimler und Chrysler sicherte sich Fiat 20 Prozent am kriselnden US-Autobauer, der kurz darauf in die Insolvenz rutschte. Noch während der Sanierung baute Fiat seine Anteile an den Amerikanern aus und sicherte sich damit auch den Zugriff auf Traditionsmarken wie Dodge und Jeep.

Nur wenige Experten glaubten damals, dass diese Ehe von Erfolg gekrönt sein könnte. Aus zwei Lahmen, so die einhellige Meinung der Branchenexperten, könne kein Sprinter werden. Marchionne wiederlegte die Vorurteile der Experten.

Mit dem Einstieg begann er den Umbau der US-Marke. Jeep baute er zur globalen SUV-Marke aus. Eine Entscheidung, von der Fiat-Chrysler bis heute profitiert. Innerhalb von drei Jahren steigerte Jeep die Verkäufe von 420.000 auf 730.000 Fahrzeuge. Mit dem Renegade baute Marchionne erstmals ein Modell der Marke außerhalb der USA.

Marchionne gelang es darüber hinaus, die Marken Chrysler und Fiat besser zu verzahnen. Schon 2011 legte Chrysler nach jahrelangen Verlusten einen Überschuss von 2,4 Milliarden US-Dollar vor – und wurde damit vom Problemfall zum Retter von Fiat.

Zumal Fiat im Heimatmarkt Italien mit massiven Problemen zu kämpfen hatte. Die Werke waren 2009 kaum ausgelastet, die Absatzkrise schlug durch. Marchionne kürzte Investitionen, verschob neue Modelle und brachte mit der Schließung des unprofitablen Werks in Sizilien im Jahr 2011 schließlich auch die Gewerkschaften gegen sich auf. Der erfahrene Stratege schloss Kompromisse, holte den Panda aus Polen zurück nach Italien, verzichtete auf weitere Werksschließungen. Im Gegenzug konnte er sich mit den Arbeitnehmern einigen.

Auch strukturell baute er Fiat um. Die Nutzfahrzeuge und Landmaschinen brachte er 2011 als Fiat Industrial an die Börse. Alle Automarken gehörten künftig zu Fiat Auto. Über allem thronte die Agnelli-Holding Exor unter der Leitung von Elkann. Ende 2014 vollendete er die vollständige Übernahme von Chrysler, über die fünf Jahre verhandelt worden war.

Die Entstehung von Fiat Chrysler Automobiles

Für 4,3 Milliarden US-Dollar übernahm Fiat die ausstehenden 41,5 Prozent von der Autogewerkschaft Veba Trust – nur 1,8 Milliarden US-Dollar flossen in Bar, der Rest wurde über eine Sonderdividende ausgeschüttet. Der fusionierte Konzern firmierte unter dem Namen Fiat Chrysler Automobiles (FCA).

Strategisch richtete er seine Marken neu aus. Fiat sollte sich auf das Kleinwagengeschäft. Die Marke Lancia ließ er langsam sterben. Massiv investierte er in neue Modelle für Maserati und Alfa Romeo, die mit eigenen SUV-Modellen die Marge steigern sollten. Aus einem nationalen Champion baute er ein internationales Unternehmen.

Im Jahr 2015 brachte er schließlich den hochprofitablen Sportwagenbauer Ferrari an die Börse. Das äußerst erfolgreiche Manöver brachte Fiat satte 982 Millionen US-Dollar ein. Und auch die Familie Agnelli war zufrieden: sie erhielt 23,5 Prozent der Aktien

Seinen Abtritt bereitete er mit einer Wette vor. Sollte es ihm nicht gelingen, Fiat schuldenfrei zu machen, würde er bei der Präsentation seines neuen Strategieplans erstmals eine Krawatte tragen, versprach Marchionne. Er kam mit Krawatte. Fiat war erstmals seit Jahrzehnten schuldenfrei. Seit der Fusion mit Chrysler im Herbst 2014 hat auch die Aktie von Fiat ihren Wert um fast 350 Prozent – und damit so stark wie bei keinem anderen Unternehmen der Branche.

Seinen Führungsjob bei FCA wollte Sergio Marchionne im April 2019 darum mit dem Ablauf seines Mandats als Verwaltungsratsvorsitzender aufgeben, das war lange geplant. Er wollte sich seiner letzten großen Herzensaufgabe widmen: Ferrari.

Bei jedem Rennen stand Marchionne als Ferrari-Chef selbst an der Piste und war häufig in der Zentrale in Maranello. „Mein größtes Ziel ist es, Ferrari in der Formel 1 ganz oben zu sehen“, sagte der Fan der roten Rennwagen. Es ist eines der wenigen Ziele im Leben des Sergio Marchionne, die er nicht mehr erreichen wird.