Wie man eine Marke zerstört
Ein bisschen ironisch ist es schon, dass gerade zwei ehemalige deutsche Lieblingsmarken parallel kübelweise Spott abbekommen: Boris Becker und Air Berlin müssen dieser Tage spüren, dass man als erfolgloser Ex-Everybodys-Darling der beste Auslöser für bösartiges Gerede ist.
Fast gleichzeitig begann ihr Stern zu leuchten. Boris Beckers 1987, der von Air Berlin nach der Wende ab 1991. Große Befreier und Liberalisierer waren beide – der eine machte das elitäre Tennis zum Volkssport, der andere das Fliegen für Alle möglich.
Während Beckers aktive Laufbahn 1999 endete, startete Air Berlin erst richtig durch. Mit dem ersten Mallorca-Shuttle begann der wahre Aufstieg der Marke zum Lieblingsflieger der Deutschen. Hier war alles anders, lockerer, freundlicher. Und vor allem: günstiger. Denn billig wirkte Air Berlin - im Vergleich zu echten Billigfliegern - nie.
Das lag an der gelebten Haltung. Die Marke wirkte immer ein bisschen frischer und frecher als die elitäre Konkurrenz, der Service war witziger, moderner und jünger. Unterscheidungen, wer wo zu sitzen hat und wer was serviert bekommt, gab es jahrzehntelang nicht.
Ganz zu schweigen von Business-Class-Plätzen auf Europaflügen. Bei Air Berlin saßen Familien mit quengelnden Kindern in der ersten Reihe, Backpacker und Anzugträger nebeneinander und die legendäre Frage: "Süß oder salzig?" wurde ausnahmslos allen gestellt.
Bezeichnend auch, dass das ebenso legendäre Schokoherz auch in den letzten Jahren, als die Airline schon tief in den roten Zahlen herumflog, weiter beim Abschied an jeden einzelnen Fluggast verteilt wurde. Noch 2013 flogen 33 Millionen Schokoherzen zu 800 Zielen weltweit. Storytelling konnte Air Berlin halt immer gut. Bis hin zur ziemlich brillanten und irgendwie auch sympathisch größenwahnsinnigen Idee, die Sansibar Currywurst auf die Speisekarte zu setzen. Über kein anderes bordgastronomisches Angebot wurde in der Geschichte der Luftfahrt mehr gesprochen – mal abgesehen vom Tomatensaft.
Als die Lufthansa Deutschland verwirrte und alle Miles and More Sammler verärgerte, weil aus dem Kranich erst Germanwings und dann Eurowings wurde, danach die Piloten 14 Mal in Folge streikten, flog Air Berlin weiter im Minutentakt durch Europa.
Die Airline versuchte immer die Marke zu bleiben, die sie war und die sie sein wollte. Der geistige Vater war Joachim Hunold, und vielleicht war er ein besserer Marken- als Geschäftsmann. Fakt ist, dass er sich mit dem Zukauf von Fluglinien wie dba und LTU kräftig verhob und den Turnaround nicht schaffte. Ebenso wenig wie die sich anschließend die Türklinke in die Hand gebenden Manager.
Auch die Idee, Air Berlin zu Teilen an Etihad zu verkaufen, hat der Marke nicht gut getan. Die Airline aus Abu Dhabi hat sich nie für die Marke Air Berlin und die Wünsche der Deutschen interessiert, sondern nur für die Flugstrecken. So wurde trotz Milliardeninvestments alles schlechter statt besser.
Jetzt ist es müßig, zu sinnieren, ob Air Berlin noch da wäre, hätte Hartmut Mehdorn für sein Sanierungskonzept nicht komplett auf den Phantom-Standort BER gesetzt. Ob man die Marke hätte retten können, wenn man sich stärker aufs Kerngeschäft und weniger auf Weltherrschaftsfantasien konzentriert hätte.
Fakt ist: Air Berlin ist abgestürzt. Die Stärke des Shitstorms und der Häme, die jetzt über die Ex-Fluglinie hereinbricht, ist aber bei Licht betrachtet nichts anderes als ein Beweis ihrer Größe: Die Geschichte von der enttäuschten Liebe endet hierzulande ja meist mit einem Nachtreten gegen die Ex-Geliebten. Was bleibt, ist das Schokoherz. Im Netz kann man es zu Höchstpreisen ersteigern. Im heilen Zustand.
KONTEXT
Zum Autor
Stefan Setzkorn
Stefan Setzkorn, Kreativchef und Geschäftsführer der Agentur Honey hat bis 2016 viele Jahre für die kreative Markenführung und Werbung von airberlin verantwortlich gezeichnet.