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„Man kann keinem Unternehmen mehr zu Investitionen in der Türkei raten“

Die Situation zwischen Deutschland und der Türkei spitzt sich weiter zu. Außenminister Sigmar Gabriel kündigt jetzt Konsequenzen an: Die Reisehinweise werden verschärft. Folgen gibt es auch für die Wirtschaft.

Anfang der Woche wurden der Menschenrechtler Peter Steudtner und fünf weitere Aktivisten wegen Terrorverdachts in Istanbul festgenommen – heute erreicht die diplomatische Krise eine neue Eskalationsstufe. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, der seinen Urlaub unterbrochen hatte, kündigte eine Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik an. So sagte Gabriel, dass die Bundesregierung deutsche Unternehmensinvestitionen in der Türkei nicht länger befürworten könne, wenn jedes rechtlich einwandfrei handelnde Unternehmen damit rechnen müsse, als Terrorunterstützer bezeichnet zu werden. Auch die Hermes-Bürgschaften für Türkei-Geschäfte – mit denen der Staat Auslandsgeschäfte von Unternehmen gegen Ausfälle absichert – müssten überprüft werden. Er könne sich auch nicht vorstellen, dass die EU-Verhandlungen mit der Türkei über eine Zollunion ausgeweitet werden könnten.

Außerdem kündigte der Außenminister eine Verschärfung der Reisehinweise für die Türkei an. Türkeireisenden werde empfohlen, sich bei der Botschaft oder Konsulaten registrieren zu lassen.

Man habe sich immer wieder in Geduld geübt, sich zurückgenommen und darauf gesetzt, dass in der Türkei die Vernunft zurückkehre. „Immer wieder sind wir enttäuscht worden“, sagte Gabriel. Wer jetzt wieder überlege, die Todesstrafte einzuführen, wolle das Rad der Geschichte zurückdrehen.

Der Außenminister betonte noch einmal, dass Steudtner sich in keinster Weise strafbar gemacht habe und verurteilte die Inhaftierung des Menschenrechtlers scharf. Man erhoffe sich dadurch eine „Rückbesinnung der türkischen Regierung auf die europäischen Werte“. „It takes two to tango“, sagte Gabriel, was auf deutsch soviel heißt wie: Es braucht zwei zum Tango tanzen.

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Bereits am Dienstag war der türkische Botschafter in Berlin einbestellt worden. Dem Diplomaten wurde dem Auswärtigen Amt zufolge „klipp und klar gesagt, dass die Verhaftung von Peter Steudtner und anderen Menschenrechtsaktivisten nicht nachvollziehbar und auch nicht akzeptabel und schon gar nicht vermittelbar ist“. Die gegen ihn erhobenen Terrorismusvorwürfe seien an den Haaren herbeigezogen. Er müsse unverzüglich freigelassen werden. Das Vorgehen gegen Menschenrechtsorganisationen sei eine „dramatische Verschärfung“.

In der Vergangenheit hatte die Bundesregierung scharfe Stellungnahmen vermieden. Für Aufsehen hatte auch ein Bericht gesorgt, demzufolge Ankara gegenüber deutschen Behörden mehrere deutsche Firmen der Terrorunterstützung beschuldigt – darunter Daimler und BASF. Dadurch war der Druck auf die Bundesregierung am Mittwoch erneut erhöht worden. Auch die Forderungen von Opposition und Nichtregierungsorganisationen, den scharfen Worten auch Taten folgen zu lassen, wurden lauter. Die Opposition und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz – mit dem sich Gabriel vor seinem Statement abgestimmt hatte – verlangten, die Finanzhilfen für den Nato-Partner einzustellen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel rechtfertigte die Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik. Die von Gabriel vorgestellten Maßnahmen gegenüber der Türkei seien „angesichts der Entwicklung notwendig und unabdingbar“, schrieb Regierungssprecher Steffen Seibert am Donnerstag im Namen Merkels im Kurznachrichtendienst Twitter.

CSU-Chef Horst Seehofer, den Gabriel laut eigener Aussage vor seinem Statement telefonisch nicht mehr erreicht hatte, forderte ein generelles Überdenken der finanziellen Zuwendungen an die Türkei. Nach dem Abzug der deutschen Bundeswehrsoldaten vom Stützpunkt Incirlik müsse die Bundesregierung außerdem über einen Abzug der Einheit auf dem Nato-Stützpunkt Konya nachdenken. „Wenn es bei diesem Zusammenhang bleibt, dass die türkische Regierung sagt, die können nicht besucht werden, bleibt uns glaube ich keine andere Wahl.“

Das türkische Außenministerium hatte vor Auftritt Gabriels am Donnerstag bereits erklärt, dass die deutschen Äußerungen zur Festnahme Steudtners nicht akzeptabel seien. „Das war eine direkte Einmischung in Angelegenheiten der türkischen Justiz.“ Die Kritik der Bundesregierung sei zudem „beispielhaft für diplomatische Unhöflichkeit“. Auf Gabriels Ankündigung kam zunächst noch keine Reaktion.


Sollte Journalist Yücel ausgetauscht werden?

Seit dem Putschversuch in der Türkei gehen die Behörden erbittert gegen mutmaßliche Putschisten, aber auch gegen Oppositionelle vor. Kritik aus Deutschland und Europa verbittet sich Ankara mit dem Hinweis, die Türkei wolle lediglich Demokratie herstellen. Die Probleme schaukeln sich hoch: Ein Auftrittsverbot in Deutschland konterte Erdogan mit Nazivergleichen. Die Annahme der Asylanträge einzelner mutmaßlicher Putschsoldaten in Deutschland wurde von Ankara mit dem Vorwurf quittiert, Deutschland beherberge Terroristen.

Im Februar wurde zudem der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel unter Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft gesteckt. Bis heute sitzt er ohne Anklage in Einzelhaft. In dieser Woche wurde Untersuchungshaft gegen einen deutschen Menschenrechtsaktivisten verhängt, der in Istanbul ein Seminar gegeben hatte. Auch gegen ihn liegen noch keine konkreten Vorwürfe vor. Insgesamt wurden seit dem Putschversuch 22 Deutsche festgenommen, neun davon sitzen immer noch im Gefängnis.

Deutsche Diplomaten sind nach einem Medienbericht überzeugt, dass die türkische Regierung inhaftierte Deutsche wie Geiseln benutzt. Ankara wolle so erzwingen, dass die Bundesregierung Türken ausliefere, die nach dem Putschversuch vor gut einem Jahr in Deutschland Asyl beantragt hätten. So berichtete die „Bild“-Zeitung am Donnerstag mit dem Verweis auf Diplomatenkreise im Auswärtigen Amt, Präsident Erdogan habe der Bundesrepublik bereits vor einigen Wochen angeboten, den deutsch-türkischen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel gegen zwei nach Deutschland geflohene Ex-Generäle der türkischen Armee auszutauschen. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte der Zeitung: „Auf so einen Handel können wir uns natürlich nicht einlassen.“

Gabriel dementierte die Meldung dagegen. „Ich kenne kein offizielles Tauschangebot“, sagte der Außenminister. Ein entsprechender Schriftverkehr oder Anruf aus den vergangenen Wochen sei ihm nicht bekannt. „Ich habe das nur in der Zeitung gelesen.“

Fast zeitgleich zu den Vorgängen hat die Generalstaatsanwaltschaft Celle einen Türken festgenommen, der dringend verdächtig ist, Mitglied der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein. Wie die Behörde am Donnerstag mitteilte, verhafteten Beamte des Landeskriminalamts (LKA) Niedersachsen den Mann am Dienstag in Berlin. Gegen ihn gibt es seit 20. April einen Haftbefehl des Oberlandesgerichts Celle.

Die PKK kämpft für einen autonomen Kurdenstaat und ist wie in der Türkei auch in der EU als Terrororganisation eingestuft, schon seit 2. April 2004. Immer wieder werden deshalb auch in Deutschland PKK-Funktionäre verhaftet und verurteilt.

Dem 56-jährigen Beschuldigten wird vorgeworfen, von März 2014 bis Juni 2015 als Gebietsleiter der PKK und ihrer Europaorganisation „Kurdische Demokratische Gesellschaft in Europa“ in Salzgitter tätig gewesen zu sein. Den Ermittlungen zufolge soll er sich um organisatorische, finanzielle, personelle und propagandistische Angelegenheiten gekümmert haben. Über die Ergebnisse habe er höhere Parteimitglieder informiert. Er wurde am Mittwoch dem Ermittlungsrichter in Celle vorgeführt, der Untersuchungshaft anordnete.

Die Türkei hatte zuletzt von Deutschland gefordert, härter gegen PKK-Funktionäre vorzugehen. Der jährliche Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz stellt regelmäßig fest, dass Anhänger der Gruppierung relativ sorgenfrei Gelder im Bundesgebiet für ihren bewaffneten Kampf in der Türkei akquirieren können. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hatte im Juni bei einem Besuch in Ankara angekündigt, die Ermittlungen gegen Funktionäre der Gruppe zu intensivieren. „Wir akzeptieren auch, dass die Türkei sagt, dass wir die PKK - eine ja auch in Deutschland verbotene Organisation - besser beobachten und ihre Finanzströme trockenlegen.“

KONTEXT

Was es mit den Hermes-Bürgschaften auf sich hat

Zahlungsrisiken

Exporte von Maschinen, Anlagen oder Autos sind ein wichtiger Motor der deutschen Wirtschaft. Allerdings bergen Ausfuhren manchmal auch Zahlungsrisiken, die normalerweise über Versicherungen abgedeckt werden. In einigen Fällen, etwa bei Lieferungen in Entwicklungsländer, mögen private Versicherer solche Risiken aber nicht schultern.

Exportkreditgarantien

An dieser Stelle springt der Staat mit Exportkreditgarantien ein. Sie sind ein wichtiges Instrument zur Exportförderung und schützen die deutschen Unternehmen vor Verlusten durch ausbleibende Zahlungen ihrer ausländischen Geschäftspartner: Zahlt der ausländische Abnehmer nicht, übernimmt der deutsche Staat die Rechnung.

Euler Hermes federführend

Weil beim Management dieser Garantien seit Jahrzehnten der Kreditversicherer Euler Hermes federführend ist, hat sich dafür die Bezeichnung "Hermesbürgschaften" eingebürgert.

160 Milliarden Euro

Der Rahmen für solche Garantien beträgt derzeit 160 Milliarden Euro, die aber in der Regel längst nicht ausgeschöpft werden. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums hat der Bund zuletzt (2016) für Aufträge im Volumen von 20,6 Milliarden Euro Garantien übernommen. Zum Vergleich: Die gesamten deutschen Warenexporte hatten im vorigen Jahr einen Umfang von etwa 1,2 Billionen Euro.

KONTEXT

Die Türkei in Aufruhr - Wichtige Ereignisse seit dem Putschversuch

Jahrestag des Putschversuchs in der Türkei

Seit dem Putschversuch vor einem Jahr ist die Türkei nicht zur Ruhe gekommen. Eine Auswahl wichtiger Ereignisse:

(Quelle: dpa)

15. Juli 2016

Teile des Militärs beginnen einen Putsch, der am Tag darauf niedergeschlagen wird. Präsident Recep Tayyip Erdogan macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich.

20. Juli 2016

Erdogan ruft den Ausnahmezustand aus, der am Tag darauf in Kraft tritt. Mehr als 100 000 Staatsbedienstete werden in den Folgemonaten entlassen, mehr als 50 000 Menschen werden inhaftiert.

9. August 2016

Die Türkei und Russland legen ihre Krise wegen des Abschusses eines russischen Kampfflugzeugs bei. Elf Tage später billigt das türkische Parlament auch die Aussöhnung mit Israel.

24. August 2016

Türkische Truppen marschieren in Nordsyrien ein. Sie beginnen eine verlustreiche Offensive gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), bekämpfen aber auch kurdische Milizen.

4. November 2016

Ein Gericht verhängt Untersuchungshaft gegen Selahattin Demirtas, den Chef der zweitgrößten Oppositionspartei HDP. Neben Demirtas werden mehrere weitere HDP-Abgeordnete inhaftiert.

10. Dezember 2016

Bei einem Anschlag in Istanbul sterben 45 Menschen, die meisten davon Polizisten. Zu der Tat bekennt sich die TAK, eine Splittergruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.

19. Dezember 2016

Der russische Botschafter Andrej Karlow wird bei einem Attentat in Ankara getötet. Der Täter ist ein 22 Jahre alter türkischer Polizist, er wird erschossen.

1. Januar 2017

Ein Terrorist greift die Silvesterfeier im Istanbuler Club Reina an und tötet 39 Menschen. Der IS bezichtigt sich der Tat.

13. Februar 2017

Der deutsch-türkische "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel wird in Istanbul unter Terrorvorwürfen festgenommen. 13 Tage später wird Untersuchungshaft gegen ihn verhängt. Neben Yücel sitzen mehr als 150 weitere Journalisten in der Türkei im Gefängnis.

16. April 2017

Erdogan gewinnt das Verfassungsreferendum zur Einführung eines Präsidialsystems knapp. Davor kommt es wegen Nazi-Vergleichen Erdogans zu schweren Spannungen mit Deutschland.

21. Mai 2017

Erdogan wird wieder zum Vorsitzenden der Regierungspartei APK gewählt. Nach der Verfassungsreform darf der Präsident wieder einer Partei angehören.