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Wie wird man Influencer?

Einen moralisch einwandfreien und nachhaltigen Weihnachtsbaum zu finden ist nicht einfach. Doch statt Nordmann eine Leih-Rotfichte aus der Waldbauern-Genossenschaft mit Greenpeace-Zertifikat ist auch keine Lösung.

Auch Traumkarrieren unterliegen offenbar gewissen Moden. Als Herr K. so alt war wie sein Sohn, wollte er Winnetou werden oder Darth Vader. Hauptsache, Abenteuer beziehungsweise Weltherrschaft. Insofern ist es vielleicht nicht so überraschend, wenn der sechsjährige Junge nun beim Abendbrot erklärt: „Wenn ich groß bin, werde ich Influencer.“
„Aha“, sagt Herr K., dessen Vorstellungsvermögen da noch begrenzt ist. Ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf dürfte „Influencer“ bislang ebenso wenig sein wie „Rasen-Sprenger“ oder „TV-Koch“. Er geht davon aus, dass viele Influencer in ihren Kinderzimmern mit Schmink- oder Egoshooterspiele-Tipps für YouTube angefangen haben und mittlerweile wie Bianca Heinicke (aka Bibi) zu interstellaren Weltstars avancierten. Tatsächlich hat sie einen längeren Wikipedia-Eintrag als die meisten Nobelpreisträger. Herr K. kannte Bibi dennoch nicht. Dafür haben seine Kinder noch nie was von Robert de Niro gehört und halten Voltaire allenfalls für ein neues Unisex-Deo.
Überhaupt: Wären Mozart oder Goethe heute bei Twitter die Abräumer? Und wenn ja, hätten ihre Posts wie bei Bibi mehr Knuddel-Emojis als Buchstaben? „Wanderers Nachtlied“ sähe als Tweet vielleicht so aus: „OMG @Bergwelt voll die Stille in 3D #feelingsimkeller aber yolo! RIP ich alte Kackbratze!“

Ikonen wie Bibi sitzen jedenfalls bei Modenschauen in der ersten Reihe, werden neuerdings sogar von den Paparazzi auf den roten Teppichen erkannt und mit Produktproben überschüttet, weil sie ihr Massenpublikum ja damit influencen sollen. Wahrscheinlich ist Bibi sogar schon weiter, kauft demnächst L’Oréal und fusioniert den Konzern dann mit Beiersdorf zu „BibisBeautyPalace“. Herrn K.s Sohn rollt mit den Augen: „Oh man, gibt’s doch längst. Aber ich hasse die.“ Womit er nicht allein ist.
Vor einigen Tagen hat Bibi einen Song veröffentlicht, der sich genauso ins Ohr frisst, wie er heißt: „Wap Bap“. Das Video gehörte kurz darauf zu den meistgehassten der Welt, was in Influencer-Kreisen durchaus als Erfolg gilt. Allein bei Instagram hat Bibi mehr Follower als mancher europäische Staat Einwohner. Sie ist eine Medienmacht, gegen die „Spiegel“, „Stern“ und „Zeit“ wie Supermarkt-Handzettel wirken. Wenn sie ihre komplette Fanbase mobilisierte, wäre sie im September Kanzlerin. Nur: Was dann? Mascara für alle?
Herr K. ist neidisch. Selbst wenn die 24-jährige Bibi morgens um 3 Uhr „Muss kurz auf Klo“ schreiben würde, bekäme sie mehr Likes, als er im Rest seines Lebens erwarten dürfte. Dabei sind Social Media auch für ihn wichtig in Abgehängten-Kreisen. Aber dieser Zug ist abgefahren. Vielleicht hätte er vor fünf Jahren mit Thermomix-Rezepten einen Kochkanal auf YouTube starten müssen. Dann ...
„Was machst du eigentlich so?“, fragt sein Sohn plötzlich. Hm. Herrn K.s Frau hat ihn vor einiger Zeit mal als „Senior-Consultant-Key-Account-Irgendwas“ bezeichnet. „Ach, werd du mal Influencer“, lächelt Herr K. „Das ist was Reelles.“

Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist – beruflich wie privat – bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt's auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: herr.k@handelsblatt.com oder folgen Sie Herrn K. auf Twitter: @herrnK