Mit einem Malaria-Mittel gegen Corona: Kann Chloroquin Covid-19-Erkrankten helfen?
Der Konzern fährt die Produktion einer alten Malaria-Arznei am einzigen Standort in Pakistan wieder hoch: Sie soll den Verlauf der Lungenkrankheit Covid-19 verbessern.
Wer in früheren Jahrzehnten Urlaub in den Tropen gemacht hat, dem ist der Name Resochin noch geläufig: Es war in den 1980er- und 1990er-Jahren die Arznei der Wahl, wenn man sich vor Malaria schützen wollte oder im Falle eines Ausbruchs der Infektionskrankheit eine akute Therapie brauchte.
Hilft ein altes Malaria-Mittel im Kampf gegen Corona?
Doch in den vergangenen Jahren rückte das Mittel immer weiter in den Hintergrund, weil Resistenzen zunahmen und starke Konkurrenzprodukte auf den Markt kamen. Jetzt wird Resochin mit dem Wirkstoff Chloroquin wiederbelebt. Denn ersten Studien zufolge soll es bei der Therapie gegen die neuartige Lungenkrankheit Covid-19 helfen.
In vielen Kliniken sind Chloroquin und ein daraus abgeleiteter Wirkstoff derzeit die wichtigsten vorhandenen Mittel in der Therapie von Corona-Erkrankten. Allerdings sind in Deutschland zumindest von Resochin nur noch Restbestände am Markt, denn Hersteller Bayer hat den Vertrieb im vergangenen Jahr wegen der damaligen Marktlage eingestellt. Die Bundesregierung hat sich aber größere Kontingente gesichert.
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Nun hat der Leverkusener Konzern die Produktion des Mittels in der Coronakrise wieder hochgefahren. Das Mittel wird allein an einem Bayer-Standort in Pakistan gefertigt. Zuletzt wurde die Arznei hauptsächlich an die Kliniken in China geliefert. Dort wurde das Mittel von den Behörden bereits in die Behandlungsempfehlungen bei Erkrankungen infolge des Coronavirus aufgenommen.
Für den Import nach Deutschland braucht Bayer nun eine Sondergenehmigung der deutschen Behörden und der Regierungsstellen in Pakistan. Die soll es schnell geben: „Wir sind mit dem Bundesgesundheitsministerium im Gespräch, Chloroquin nach Deutschland zu importieren“, bestätigte ein Sprecher von Bayers Pharmasparte.
Medikament braucht für Europa eine Off-Label-Einstufung
Zugleich braucht das Mittel in Europa eine Off-Label-Einstufung, damit es für Therapien außerhalb der bisher zugelassenen Bereiche eingesetzt werden kann. Chloroquin spielt in der Malariaprophylaxe nur noch eine geringe Rolle, wird aber etwa in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen eingesetzt.
Bayer bestätigte das gestiegene Interesse an Resochin im Zuge der Corona-Ausbreitung in Europa. Grund ist eine Studie chinesischer Wissenschaftler vom Februar: Ein Team von Pharmakologen des Universitätskrankenhauses von Qingdao stellte zunächst die Wirksamkeit von Chloroquin gegen den Covid-19-Erreger im Laborversuch fest.
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Anschließend haben die Chinesen an zehn verschiedenen Krankenhäusern den Wirkstoff an 100 Corona-Patienten getestet. Bei ihnen habe sich ein besserer Krankheitsverlauf mit geringerer Fieberdauer und schnellerer Erholung gezeigt als bei einer anderen Gruppe, die nur ein Placebo bekam.
Die chinesischen Mediziner vermuten, Chloroquin könnte die Bindung des Coronavirus an einen Rezeptor im Körper negativ beeinflussen und somit die Vermehrung des Virus stoppen. Das ist entscheidend, denn die meisten schweren bis tödlichen Verläufe der Covid-19-Krankheit gehen mit einer starken Ausbreitung der Viren und einer anschließend heftigen Immunreaktion des Körpers einher.
Große Hoffnungen, weitere Studien sind nötig
Die chinesischen Forscher berichten, dass bei den 100 Probanden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen aufgetreten seien. Das ist wichtig, weil Resochin in hohen Dosen toxisch wirken kann und bei Malaria-Patienten schon mal psychische Beeinträchtigungen auftraten.
Die Hoffnungen sind groß, allerdings warnen westliche Mediziner vor zu viel Euphorie. Denn bisher fehlen genaue Daten aus China, die wissenschaftlich überprüfbar publiziert sind. Zudem ist die Studie an 100 Patienten im üblichen Pharmamaßstab sehr klein.
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Mit dem Bundesgesundheitsministerium wird nun diskutiert, Chloroquin in der klinischen Anwendung bei Corona-Patienten durch enge Zusammenarbeit mit dem Charité-Klinikum in Berlin intensiv zu prüfen, teilte Bayer auf Anfrage des Handelsblatts mit.
Auch das Tübinger Institut für Tropenmedizin will Chloroquin im Kampf gegen Corona-Erkrankungen testen. Nach Angaben des Instituts soll in der kommenden Woche mit einer Studie an Menschen begonnen werden.
Wirkstoff Hydroxychloroquin von Kliniken stark gefragt
Pharmahändler verzeichnen nach eigenen Angaben einen regelrechten Run auf Medikamente, die bei der Behandlung von Corona-Patienten eingesetzt werden können. Die Hersteller kontingentieren inzwischen die Auslieferungen.
Sehr stark nachgefragt werden von den Kliniken Medikamente mit dem Wirkstoff Hydroxychloroquin. Dieses Molekül ist ein von Bayers Chloroquin abgeleiteter Arzneistoff. Das Mittel wird als Generikum von verschiedenen Herstellern angeboten.
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Beim Pharmagroßhändler Phoenix aus Mannheim, der Marktführer in Deutschland ist, war Hydroxychloroquin (Stand Mittwoch, 18. März) nicht lieferbar, soll aber bald wieder verfügbar sein.
Hydroxychloroquin wirkt ebenfalls entzündungshemmend, der genaue Mechanismus dabei ist aber nicht ganz geklärt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Mittel eine zu starke Abwehrreaktionen des Körpers vermindert. Tabletten mit dem Wirkstoff werden weiterhin zur Malariaprophylaxe eingesetzt sowie gegen Rheuma und bei chronisch entzündlichen Autoimmunerkrankungen.