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Magen-OP: Nach dem Abnehmen beginnt der Kampf erst

Hennigsdorf/Berlin/Freiburg (dpa) - Hier ein Bonbon, da ein Schokoriegel: Alexandra Knoch überlegt sich im Büro mittlerweile gut, ob ein Gang zur Teeküche sein muss, denn der dort immer gefüllte Süßigkeitenteller ist verlockend. «Die alten Gewohnheiten kehren irgendwann wieder zurück», sagt die 55-jährige Wahl-Brandenburgerin.

Nach einer Magenoperation vor fünf Jahren verlor sie 90 von 176 Kilogramm - bei einer Größe von 1,57 Meter. Zehn der verlorenen Kilos sind inzwischen wieder drauf - und gegen diese kämpft sie nun an.

Damit ist sie noch ein relativ leichter Fall. «Etwa jeder fünfte Patient nimmt nach einer Magenoperation langfristig wieder so viel zu, dass man von einer klinisch relevanten Gewichtszunahme spricht», sagt Jodok Fink, Oberarzt am Adipositaszentrum der Universitätsklinik Freiburg. Bei diesen Patienten könne die Lebensqualität wieder deutlich eingeschränkt sein und typische Begleitkrankheiten der Adipositas wie etwa Bluthochdruck und Diabetes träten teilweise wieder auf.

Cholesterin- und Leberwerte sinken wieder

Das muss Alexandra Knoch momentan nicht fürchten: «Mir geht es gut. Früher hatte ich Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, Schlafapnoe, extrem hohe Cholesterin- und Leberwerte. Das ist alles Geschichte», so Knoch. Nur die kaputten Gelenke seien nicht mehr reparabel. «Deshalb kann ich nur noch Aquafitness machen», so Koch, die bis zu vier Mal wöchentlich trainiert.

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Ihr Magen wurde verkleinert und weiter unten in den Darm geleitet, damit dieser die Nahrung nur noch teilweise verwerten kann. «In den ersten eineinhalb Jahren musste ich mir gar keine Gedanken machen. Ich konnte nur noch Kinderportionen essen. Zwei Röllchen Sushi, mehr ging nicht», sagt Knoch. Nun seien es sechs Sushi-Röllchen. Das sei zwar immer noch relativ wenig, aber genug, um langsam wieder zuzunehmen. «Man muss kämpfen», so die 55-Jährige.

«Wir können ungefähr 60 bis 70 Prozent des Übergewichts bekämpfen. Ein bis drei Jahre nach der Operation erreichen die Patienten ihr niedrigstes Gewicht. Danach nimmt die Mehrzahl wieder zu, um dann zumeist ein relativ stabiles Gewicht zu erreichen», sagt Jonas Raakow vom Interdisziplinären Adipositaszentrum an der Berliner Charité, an dem auch Alexandra Knoch operiert wurde. In einem gewissen Maße sei eine Zunahme auch absolut kein Problem. «Aber man muss sie kontrollieren». In manchen Fällen sei auch eine weitere Operation nötig, um den Gewichtsverlust zu steigern.

OP führt zu Hormonveränderungen

Neben dem Magenbypass wie bei Alexandra Knoch gehört der Schlauchmagen hierzulande zu den häufigsten Methoden der Adipositas-Chirurgie. Diese und andere führen laut Fink zu komplexen Hormonveränderungen des Magen-Darm-Traktes: So produziere der Körper unter anderem weniger Ghrelin, ein Hormon, das appetitanregend wirke. «Ich habe gar kein Hungergefühl mehr», sagt Alexandra Knoch. Der Hunger, den sie verspüre, sei ein reiner «Kopfhunger». «Der Kopf wurde ja nicht mitoperiert», so Knoch.

Die veränderte Ausschüttung von Hormonen des Magen-Darm-Traktes nach der Operation sei eine wichtige Erklärung dafür, dass viele Patienten auch langfristig schlank blieben, denn mit der Zeit dehne sich der Magen wieder und man könne wieder mehr essen, erklärt Fink. «Etwa 75 Prozent der Patienten schaffen es auch langfristig, ihr reduziertes Gewicht zu halten und sind zufrieden», so der Professor. Wenn Patienten wieder zunähmen, könne dies unterschiedliche Gründe haben. «Manche verändern ihre Lebensgewohnheiten nicht dauerhaft und verfallen in ihren alten Trott».

Lebensgewohnheiten anpassen

«Die Operation ist nicht das Entscheidende, sondern die Veränderung der Lebensgewohnheiten nach der Operation», betont auch Jonas Raakow. «Die Adipositas ist eine chronische Erkrankung, die sich mit der Operation nicht bekämpfen lässt», betont der Charité-Oberarzt. «Uns geht es darum, das Risiko für gefährliche Nebenerkrankungen wie etwa kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes oder auch Tumorerkrankungen erheblich zu reduzieren».

Auch die Lebensqualität steige deutlich, ergänzt Alexandra Knoch. «Beim Duschen und Eincremen muss ich keine Akrobatik mehr veranstalten», erzählt sie. Außerdem könne sie sich nun wieder schöne Kleidung kaufen. «Früher sah ich aus wie ein aufgeplatztes Sofakissen.» Auch Restaurants müsse sie jetzt nicht mehr nach der Bestuhlung auswählen. Und ärztliche Untersuchungen seien nicht mehr wie früher entwürdigend. «Bei einer Magenspiegelung musste ich auf dem Boden liegen, da der Arzt fürchtete, die Liege würde brechen», erinnert sich Knoch.

Bei vielen Patienten verbessere sich auch die psychische Gesundheit nach einer Operation, berichtet Tobias Hofmann, Leiter der Psychosomatik am Adipositas-Zentrum der Charité. So nähmen vor allem im ersten Jahr Depressionen ab. «Viele sind sehr glücklich, die Zeit wird deshalb auch Honeymoon-Phase genannt», so Hofmann. Allerdings könne es nach zwei bis drei Jahren auch wieder zu Rückschlägen kommen.

Als adipös gelten Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von über 30. In Deutschland ist laut Robert Koch-Institut jeder vierte Erwachsene betroffen. Jährlich ließen sich rund 20.000 Betroffene in Deutschland deshalb operieren, so Fink. Die Ursachen für eine Adipositas sind vielfältig. Laut Deutscher Adipositas-Gesellschaft (DAG) können unter anderem genetische Ursachen, Bewegungsmangel, Fehlernährung, Schlafmangel, Stress, depressive Erkrankungen, Essstörungen oder auch Medikamente eine Rolle spielen.

Krankenkassen übernehmen nicht die Nachsorge

Aus Sicht von Experten wäre für eine dauerhafte Gewichts- und Gesundheitskontrolle nach einer Magen-Operation auch eine regelmäßige Nachsorge bei Ärzten nötig. Doch hier fehle es an Kapazitäten und Finanzierung. «Die wenigen spezialisierten Adipositas-Zentren können das nicht alleine leisten, in Hausarztpraxen fehlt häufig die Expertise - nicht zuletzt, da es an geeigneten Weiterbildungsangeboten und Nachfrage dafür mangelt», sagt Oliver Huizinga, politischer Geschäftsführer der Deutschen Adipositas-Gesellschaft.

«Das größte Problem ist, dass die Patientinnen und Patienten keiner vernünftigen, routinierten Nachsorge folgen, weil die Krankenkassen das nicht bezahlen. Sie fordern es zwar, bezahlen die Nachsorge aber nicht», so Raakow. Im Langzeitverlauf sei das natürlich eine Katastrophe, da sich keiner mehr so richtig um die Patienten kümmere. «Mit der geplanten Beauftragung des Gesetzgebers, ein Disease Management Programm Adipositas zu schaffen, wird sich die Situation voraussichtlich wesentlich verbessern», hofft Jodok Fink.

Alexandra Knoch hilft vor allem der Austausch in der Selbsthilfegruppe an der Charité. «Jeder hat seine Strategie beim Abnehmen», sagt sie. Sie selbst habe die Eiweißmenge erhöht und den Kohlenhydratanteil im Essen reduziert. Leider seien die persönlichen Treffen in der Pandemie weggefallen und nur noch Online-Treffen möglich gewesen. Zu diesen schalteten sich nicht mehr alle Mitglieder zu. «Diejenigen, die wieder stark zunehmen, melden sich oft nicht mehr», so Knoch. Die Scham sei einfach zu groß.