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Machtkampf bei Verdi: Versucht der Vorstand den Aufstieg eines Migranten an die Spitze der Gewerkschaft zu verhindern?

Ver.di-Bundesverwaltung. - Copyright: dpa
Ver.di-Bundesverwaltung. - Copyright: dpa

„Gemeinsam stark“ – diesen Anspruch formuliert die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) an sich selbst und ihre Mitglieder. Gemeinsam stark gegen prekäre Arbeitsbedingungen in der Pflege, im Einzelhandel, im Großhandel und vielen anderen Berufen in der Dienstleistung. In den vergangenen Monaten war es um die Gemeinsamkeit innerhalb der Verdi-Zentrale in Berlin allerdings nicht gut bestellt. Im Fachbereich Handel, der in der Verdi einer der wichtigsten ist, tobt seit vergangenem Jahr ein Machtkampf, der in dieser Woche einen Höhepunkt erreicht hat.

Bundesfachgruppenleiter Handel, Orhan Akman, hat im April seine Absicht erklärt, für den Bundesvorstand zu kandidieren. Formell wäre das die nächste Stufe auf der Leiter der Verdi-Hierarchie für ihn. Akman wäre damit das erste Mitglied mit Migrationshintergrund im Bundesvorstand der Gewerkschaft – seit ihrer Gründung 2001. Gewerkschafts-Insider berichten, dass Akmans Kompetenz innerhalb der Verdi unbestritten ist. Er gilt als harter Verhandler, er sitzt als Leiter des Handelsbereichs den großen Namen gegenüber: Ikea, Rewe, Zalando und Amazon. Sein Aufstieg könnte also eine Erfolgsstory werden – für Akman und für Verdi.

Aus seiner Kandidatur soll aber nichts werden – zumindest wenn es nach dem Willen des amtierenden Bundesvorstands geht. Nach Informationen von Business Insider soll Detlev Raabe, kooptierter Bundesvorstand, Akman nahegelegt haben, die Kandidatur zurückziehen. Es sei eine aussichtslose Sache, Akman habe keine gute Chancen. Er solle erst gar nicht an eine Kampfkandidatur denken, soll Raabe dem einzigen Kandidaten mit Migrationshintergrund weiter gesagt haben.

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Die Gewerkschaft räumt auf Anfrage von Business Insider das Gespräch der beiden Verdi-Männer ein, besteht aber darauf, dass dieses Gespräch des Vorstandsmitglieds mit Akman privat gewesen sei. „Herr Raabe hat als Bundesvorstandsmitglied Herrn Akman nicht dazu geraten, von seiner Kandidatur abzusehen – aber in einem persönlichen Gespräch die Beweggründe für die Kandidatur hinterfragt", so die Erklärung eines Sprechers. "Das persönliche Gespräch wurde von Herrn Raabe angeregt, da sich beide bereits seit mehreren Jahren kennen und in der Vergangenheit eng zusammengearbeitet haben."

In dem persönlichen Gespräch habe Raabe Akman eine Einschätzung zu dessen Erfolgsaussichten gegeben. Dies habe Raabe im Rahmen persönlicher, kollegialer Einschätzungen auch in anderen Fällen schon getan, so der Sprecher weiter.

Akman bestreitet dagegen die private Natur des Gesprächs, Raabe habe ihn in seiner Funktion als Bundesvorstand angerufen. "Wir sind nicht befreundet, haben ein professionelles Verhältnis", sagt Akman zu Business Insider.

In dieser Woche hat der Verdi-Vorstand Fakten geschaffen, statt Akman eine Frau nominiert für den Vorstandsposten. Silke Zimmer leitet in NRW den Fachbereich Handel. Es gab dabei eine Abstimmung, sie fiel 20 zu 1 gegen Akman und für Zimmer aus. Akman konnte den Termin auf familiären Gründen nicht wahrnehmen. Aus Verdi-Kreisen heißt es, dass der Migrationshintergrund von Akman keinesfalls einen Einfluss auf die Entscheidung hätte, man weist jeden rassistisch inklinierten Vorwurf von sich. Es gäbe schlicht eine Frauenquote für den Vorstand, die man erfüllen wolle, sagen Verdi-Insider. Eine Migranten-Quote gäbe es dagegen nicht.

„Undemokratisches Verfahren“

Nur: Im Verdi-Vorstand sitzen aktuell sechs Frauen und fünf Männer, würde Akman einziehen und die Vorständin Stefanie Nutzenberger wie angekündigt ausscheiden, wären es immer noch mehr als 40 Prozent Frauen im Vorstand.

Akman spricht der Nominierung in einer Email, die Business Insider vorliegt, die Gültigkeit ab. So schreibt er wörtlich: „In meiner Abwesenheit wurde trotzdem die Nominierung vollzogen, statt dies auf einen anderen Tag zu verlegen, um dem demokratischen Meinungsbildungsprozess gerecht zu werden. Damit habt ihr euer bisheriges undemokratisches Vorgehen zu der Nominierung fortgesetzt, mich als Kandidat ausgegrenzt und meines Erachtens die Grundwerte unserer Gewerkschaft mehr als beschädigt.“

Die Wahl des neuen Vorstandsmitglieds findet erst im Spätsommer kommenden Jahres statt. Akman erklärt in der E-Mail an seiner Kandidatur festzuhalten und sich den Delegierten beim Verdi-Kongress 2023 zur Wahl zustellen. Also genau das zu tun, wovon ihn Vorstand Raabe abbringen wollte: eine Kampfkandidatur.

Nach 420 Überstunden kam der Knall

Der interne Machtkampf hat einen Vorlauf. Vergangenes Jahr hat die Gewerkschaft eine Zeiterfassung eingeführt, seitdem sollen Verdi-Mitarbeiter ihre Arbeitsstunden minutengenau eintragen, heißt es in der entsprechenden Vorlage, die Business Insider vorliegt. Akmans Fachbereich Handel ist unterbesetzt. Er selbst häufte von Januar bis Oktober vergangenen Jahres 420 Überstunden an. Gemäß der Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) zur Zeiterfassung ist er verpflichtet, seine Chefin, Verdi-Vorständin Stefanie Nutzenberger, darüber zu informieren. Er unterbreitete Nutzenberger und Personalchef Alexander Fröhlich mehrere Vorschläge, wie mit seinen Überstunden umgegangen werden soll. Laut E-Mail-Verkehr, der Business Insider vorliegt, schlug Akman eine Vier-Tage-Woche ab 2022 vor, an bestimmten Tagen im Folgejahr wolle er freinehmen, um die Stunden abzubauen. Fröhlich lehnte den Vorschlag ab, die Überstunden müsse er noch 2021 abbauen, sonst würden sie verfallen. Der Schlagabtausch ging einige Male hin und her, schließlich schickte die Verdi Akman in den Vollurlaub, vom 20.12.2021 bis zum 30.03.2022. Einige Ausnahmen wurden für Sitzungen von Aufsichtsräten gewährt, in denen Akman sitzt. In der Zeit durfte er aber ausdrücklich nicht arbeiten.

Eine Mail führte zur Eskalation. Im Februar schrieb Akman zum „Rewe New Deal“, einer neuen Betriebsvereinbarung beim Lebensmittelhändler, eine Nachricht an seine Kollegen. Kurz darauf bekam er eine schriftliche Ermahnung seiner Vorgesetzten und musste Ende Februar in ein einstündiges Personalgespräch. Der Vorwurf: Arbeit trotz Vollurlaub.

Ende März wollte Akman Unterlagen aus seinem Büro abholen, dabei soll seine Anwesenheit seinen Vorgesetzen aufgefallen sein. Vorständin Nutzenberger schickte Personalchef Fröhlich in Akmans Büro, um ihn darüber zu belehren, dass er hier gerade nicht sein dürfte. Akman fasste die Begegnung so auf, dass Fröhlich ihn aus der Zentrale werfen wollte, sagt er im Gespräch.

Im Mai wurde Akman im Rahmen eines weiteren Personalgesprächs erklärt, dass ihm Verhandlungsvollmacht entzogen werde, um Tarifverträge mit der Arbeitgeberseite abzuschließen. Ein Affront, es ist schließlich die wichtigste Berechtigung des Fachbereichsleiters diese Verträge abzuschließen. Zu dem Entzug sagt ein Verdi-Sprecher: „Vollmachten stehen immer unter der Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs und insoweit bedarf es hierfür keiner gesonderten Begründung."

Zu der Auseinandersetzung um den Abbau von Akmans Überstunden äußerte sich die Gewerkschaft nicht. „Zu einzelnen Personalvorgängen nehmen wir zum Schutz unserer Kolleg*innen nicht öffentlich Stellung“, sagt ein Verdi-Sprecher. Die Gewerkschaft bestreitet aber, dem Bundesfachgruppenleiter den Zugang zur Zentrale verweigert zu haben.