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"Sie müssen es aushalten können": Über den Film "Die Wannseekonferenz"

Ein Lächeln zur Planung von millionenfachem Massenmord: Reinhard Heydrich (Philipp Hochmair), Chef des Reichssicherheitshauptamts, der Sicherheitspolizei und des SD, sitzt der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 vor. Die ZDF-Neuverfilmung des organisatorischen Treffs zur "Endlösung der Judenfrage" läuft 80 Jahre nach dem historischen Ereignis. (Bild: ZDF / Julia Terjung)

15 Männer und eine Frau saßen am Mittag des 20. Januars 1942 zusammen, um die "Endlösung der Judenfrage" zu erörtern. Vom später als Wannseekonferenz berühmt gewordenen Treffen existiert ein Protokoll. Zum 80. Jahrestag erschuf das ZDF eine kühl-präzise Neuverfilmung.

"Wer das Protokoll der Konferenz liest, gerät an die Grenzen seiner Vorstellungskraft, was Menschen anderen Menschen antun können": Ein Satz, den ZDF-Intendant Dr. Thomas Bellut den Programmen zum 80. Jahrestag der sogenannten "Wannsee-Konferenz" mit großer Berechtigung vorausschickt. Denn im Zentrum des ZDF-Schwerpunkts steht ein Spielfilm, der so Bellut, den Zuschauerinnen und Zuschauern viel abverlange - "mehr als bei dokumentarischen Darstellungen: Sie müssen es aushalten können, diesen Männern mit ihrer entmenschlichten bürokratisierten Sprache zuzuhören, ihrem Streit um Kompetenzen und Zuständigkeiten im Vernichtungsapparat zuzusehen". Der Film solle nach den Worten des ZDF-Intendanten "vor Augen führen, wie ein verbrecherisches System Millionen von Menschen auf Zahlenreihen in einem monströsen Mordplan reduzierte".

Von 30 Protokoll-Durchschlägen, die im Nachgang der lediglich knapp 90-minütigen Konferenz zur "Endlösung der Judenfrage" angefertigt wurden, überstand nur einer die Endphase des Krieges. Jene Zeit, in der es brannte und Chaos herrschte, in der aber auch vernichtet wurde, was ging, wenn es um belastendes Material gegen das Naziregime und seine Köpfe ging. Immerhin ein Exemplar, könnte man ebenfalls sagen. Denn es reicht ja aus, um detailliert zu belegen, was an einem kalten Januarmorgen 1942 in der Villa am Berliner Großen Wannsee 56/58 geschah. Das ZDF zeigt am heutigen Montag, 24. Januar, zur besten Sendezeit den schlicht "Die Wannseekonferenz" betitelten Film von Regisseur Matti Geschonneck, der linear und online von einordnenden Angeboten begleitet wird.

Architekten der Wannseekonferenz, von links: Reinhard Heydrich (Philipp Hochmair), Chef des Reichssicherheitshauptamts, der Sicherheitspolizei und des SD, Heinrich Müller (Jakob Diehl) und Adolf Eichmann (Johannes Allmayer), Leiter der Abteilung Judenangelegenheiten/Räumungsangelegenheiten im Reichssicherheitshauptamt. (Bild: ZDF / Julia Terjung)
Architekten der Wannseekonferenz, von links: Reinhard Heydrich (Philipp Hochmair), Chef des Reichssicherheitshauptamts, der Sicherheitspolizei und des SD, Heinrich Müller (Jakob Diehl) und Adolf Eichmann (Johannes Allmayer), Leiter der Abteilung Judenangelegenheiten/Räumungsangelegenheiten im Reichssicherheitshauptamt. (Bild: ZDF / Julia Terjung)

"Konferenz mit anschließendem Frühstück"

Ins damalige Gästehaus der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD), die ehemalige Villa Marlier, hatte Reinhard Heydrich (Philipp Hochmair), Chef der Sicherheitspolizei und des SD, 14 weitere Männer samt Protokollantin Ingeburg Werlemann (Lilli Fichtner) eingeladen. An Heydrichs Seite saß Adolf Eichmann (Johannes Allmayer), sein Leiter der Abteilung Judenangelegenheiten / Räumungsangelegenheiten im Reichssicherheitshauptamt. Auf ihrer Themenliste für die "Konferenz mit anschließendem Frühstück" stand: den begonnenen Holocaust an den Juden im Detail zu organisieren und die Zusammenarbeit der beteiligten Instanzen zu koordinieren.

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Die anderen Herren der Runde, von denen acht einen akademischen Doktortitel trugen, waren Vertreter der SS, der NSDAP sowie der Ministerialbürokratie. Verkörpert werden sie in "Die Wannseekonferenz" von mitunter bekannten Schauspielern wie Godehard Giese, Maximilian Brückner, Simon Schwarz und Thomas Loibl.

Teilnehmer der Wannseekonferenz, von link): Dr. Rudolf Lange (Frederic Linkemann), Dr. Eberhard Schöngarth (Maximilian Brückner), Dr. Josef Bühler (Sascha Nathan), Dr. Georg Leibbrandt (Rafael Stachowiak), Dr. Alfred Meyer (Peter Jordan), Adolf Eichmann (Johannes Allmayer), Ingeburg Werlemann (Lilli Fichtner), Heinrich Müller (Jakob Diehl), Reinhard Heydrich (Philipp Hochmair), Otto Hofmann (Markus Schleinzer), Dr. Gerhard Klopfer (Fabian Busch), Friedrich Wilhelm Kritzinger (Thomas Loibl), Dr. Wilhelm Stuckart (Godehard Giese), Martin Luther (Simon Schwarz), Erich Neumann (Matthias Bundschuh)und Dr. Roland Freisler (Arnd Klawitter). (Bild: ZDF / Julia Terjung)

Die Vorläufer der Neuverfilmung

Vier Tage nach dem 80. "Geburtstag" der Wannseekonferenz hievt das ZDF nun also diese Neuverfilmung des historischen Ereignisses in die Primetime. Verantwortlich dafür zeichnet das für seine kühle Präzision in Sachen Kriminal- und Dramaerzählungen bekannte Gespann Matti Geschonneck (Regie) und Magnus Vattrodt (Drehbuch). Paul Mommertz, der in der 2022er-Version als Ideengeber erwähnt wird, schrieb 1984 das Bühnenstück "Die Wannseekonferenz", aus dem Heinz Schirk im selben Jahr einen gleichnamigen Fernsehfilm drehte. Der wurde damals mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, wenige Jahre später folgte ein Kinofilm. 2001 nahmen sich dann Amerikaner und Briten des Stoffes an. Der TV-Film "Conspiracy", auf Deutsch ebenfalls "Die Wannseekonferenz", basiert gleichfalls auf dem Protokoll. Reinhard Heydrich wurde von Kenneth Branagh gespielt, der dafür einen Emmy als bester Schauspieler erhielt.

Geschonnecks Neuauflage ist nun ebenfalls die Verfilmung eines Konferenzprotokolls und insofern filmästhetisch betrachtet ein eher sprödes Machwerk: Es geht um Zuständigkeitsgerangel und logistische Beschwerden jener, die die "Endlösung" in den Ostgebieten weitgehend in die Tat umzusetzen hatten. Es wird über Vor- und Nachteile von Massenerschießungen gegenüber der Vergasungstechnik referiert und erzählt, wie Letztere weiter perfektioniert werden soll. Schließlich geht es im zweiten Teil der Konferenz um die Frage, wie mit Halb- und Vierteljuden umgegangen werden könnte und welche Unterscheidungen zwischen "Reichsjuden" und Ausländern noch beibehalten werden sollen.

Die nur etwa 90 Minuten dauernde Konferenz "mit anschließendem Frühstück" beginnt: Adolf Eichmann (Johannes Allmayer) und Protokollantin Ingeburg Werlemann (Lilli Fichtner) sind mit dabei. (Bild: ZDF / Julia Terjung)
Die nur etwa 90 Minuten dauernde Konferenz "mit anschließendem Frühstück" beginnt: Adolf Eichmann (Johannes Allmayer) und Protokollantin Ingeburg Werlemann (Lilli Fichtner) sind mit dabei. (Bild: ZDF / Julia Terjung)

Fröstelnder Fersehfilm: die "Endlösung" als rein logistisches Problem

Das vom gesamten Ensemble hervorragend gespielte Konferenz-Update, aus dem Philipp Hochmair als charmant-brillanter Architekt des Bösen herausragt, hinterlässt Spuren. Trotz der Verwaltungssprache wird das gigantische Grauen offensichtlich, das sich hinter den Worten verbirgt: Der Massenmord an Millionen Jüdinnen und Juden wird hier als rein logistisches Problem behandelt. Nur am Rande findet ein wenig Psychologie ihren Platz. Etwa dann, wenn sich Friedrich Wilhelm Kritzinger (Thomas Loibl), Ministerialdirektor in der Reichskanzlei, im kleineren Kreis sichtlich bewegt darüber Gedanken macht, wie an der "Endlösung" beteiligte deutsche Soldaten auf die Massentötungen reagieren könnten.

Heydrich selbst war Vater von vier Kindern, zudem passionierter Geiger. Ein gebildeter Mann. Ohne dass der Film die menschliche Seite der Runde in irgendeiner Weise herauskehren würde, reicht das bloße In-Szene-Setzen der Worte samt zurückhaltendem, aber präzisen Schauspiel, um aus einem der größten Menschheitsverbrechen einen Film zu machen, der niemanden kaltlassen dürfte.

An den Spielfilm schließt um 21.45 Uhr "Die Wannseekonferenz - Die Dokumentation" an. Am Morgen der Ausstrahlung berichtet das ZDF-Morgenmagazin mit "Moma vor Ort" darüber hinaus live aus dem Haus der Wannsee-Konferenz. Am Dienstag, 25. Januar, 20.15 Uhr, erinnert die Dokumentation "Ganz normale Männer - Der 'vergessene Holocaust'" an Angehörige von vier Todes-Kommandos aus Sicherheitspolizei und SD. Filmemacher Manfred Oldenburg zeichnet anhand von Originaldokumenten, Filmaufnahmen und Fotos darin den Weg eines der Mordbataillone nach.

Eine Kaffeerunde des Bösen: Dr. Gerhard Klopfer (Fabian Busch), Friedrich Wilhelm Kritzinger (Thomas Loibl), Dr. Wilhelm Stuckart (Godehard Giese), Martin Luther (Simon Schwarz), Erich Neumann (Matthias Bundschuh) und Dr. Roland Freisler (Arnd Klawitter, von links) beraten. (Bild: ZDF / Julia Terjung)
Eine Kaffeerunde des Bösen: Dr. Gerhard Klopfer (Fabian Busch), Friedrich Wilhelm Kritzinger (Thomas Loibl), Dr. Wilhelm Stuckart (Godehard Giese), Martin Luther (Simon Schwarz), Erich Neumann (Matthias Bundschuh) und Dr. Roland Freisler (Arnd Klawitter, von links) beraten. (Bild: ZDF / Julia Terjung)

"Der Versuch einer Annäherung"

"Wir wollen vor Augen führen, wozu Menschen imstande sind - in einer nüchtern sachbezogenen Unterredung die Deportation und Vernichtung der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas organisatorisch sicherzustellen", erklärte Regisseur Geschonneck vorab. Drehbuchautor Magnus Vattrodt gab zu Protokoll: "Unser Film ist für mich der Versuch einer Annäherung an das, was im Januar 1942 am Großen Wannsee besprochen wurde, in Anlehnung an das, was später von Eichmann im Protokoll der Sitzung festgehalten wurde, in seiner trockenen, verstörend technokratischen Sprache. Es ist der Versuch, diese Banalität des Bösen greifbar zu machen."

Für ihn als Autor, so Vattrodt weiter, sei es "außerdem ein Film über Sprache gewordene Menschenverachtung. In der Sprache der NS-Funktionäre wird 'deportiert' und 'evakuiert', es wird 'einwaggoniert', es wird 'sonderbehandelt', 'entjudet'. Menschen werden ein 'rassehygienisches Problem', das man lösen kann, eine 'Judenfrage', die man beantworten kann, logistisch, organisatorisch, handwerklich." Vattrodt: "Es ist eine Sprache voller Euphemismen und Zahlen, die jede Empathie erstickt, ersticken soll. Die herabsetzt, ausgrenzt, das Morden versachlicht - und nicht zuletzt dadurch allen Tätern und Mitläufern die Möglichkeit gibt, sich eben nicht als Täter zu fühlen, sondern als 'anständige Deutsche."

Im Salon der Villa, von links: Dr. Wilhelm Stuckart (Godehard Giese), Dr. Josef Bühler (Sascha Nathan), Dr. Gerhard Klopfer (Fabian Busch), Dr. Georg Leibbrandt (Rafael Stachowiak)und Dr. Alfred Meyer (Peter Jordan). (Bild: ZDF / Julia Terjung)
Im Salon der Villa, von links: Dr. Wilhelm Stuckart (Godehard Giese), Dr. Josef Bühler (Sascha Nathan), Dr. Gerhard Klopfer (Fabian Busch), Dr. Georg Leibbrandt (Rafael Stachowiak)und Dr. Alfred Meyer (Peter Jordan). (Bild: ZDF / Julia Terjung)

Schauspieler Hochmair: "Das habe ich so noch nie erlebt"

Der Schauspieler Philipp Hochmair gab vorab zu Protokoll, er habe "über Wochen viele Dokumentationen angeschaut, um die Täterperspektive verstehen und als Schauspieler einnehmen zu können. Verstehen heißt aber in dem Fall ganz klar nicht verzeihen!" Rein schauspielerisch gesehen habe er versucht, sich in die 30er-Jahre zu versetzen: "Wie konnte es passieren, dass humanistisch gebildete Menschen wie Heydrich andere Menschen systematisch ausrotten wollten?"

Hochmair Hochmair macht keinen Hehl daraus, welche Herausforderung die Heydrich-Rolle für ihn war: "Es wurde zu einer psychischen Belastung, diese abartige menschenverachtende Sprache zu lernen und so zu verkörpern, als wären das meine persönlichen Gedanken. Zwei Monate Textlernen, zwei Monate Dreharbeiten und zwei Monate, um das alles wieder aus dem Kopf rauszubekommen. Das habe ich so noch nie erlebt."

Besprechungspause vor der Villa am Großen Wannsee: Dr. Eberhard Schöngarth (Maximilian Brückner, links), Dr. Rudolf Lange (Frederic Linkemann, Mitte) und Friedrich Wilhelm Kritzinger (Thomas Loibl) besprechen sich. (Bild: ZDF / Julia Terjung)
Besprechungspause vor der Villa am Großen Wannsee: Dr. Eberhard Schöngarth (Maximilian Brückner, links), Dr. Rudolf Lange (Frederic Linkemann, Mitte) und Friedrich Wilhelm Kritzinger (Thomas Loibl) besprechen sich. (Bild: ZDF / Julia Terjung)