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Luisa Neubauer: „Die verantwortlichen Manager ignorieren, was sie da gerade anrichten“

Die deutsche Frontfrau von „Fridays for Future“ erklärt, warum sie nicht Aufsichtsrätin bei Siemens werden will – und US-Präsident Donald Trump in Davos nicht treffen möchte.

„Wir sehen alle globalen Akteure und auch alle Dax-Konzerne in der Verantwortung.“ Foto: dpa
„Wir sehen alle globalen Akteure und auch alle Dax-Konzerne in der Verantwortung.“ Foto: dpa

Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer sieht den Automobilzulieferer Bosch als Klimaschutz-Vorreiter. Im Interview mit dem Handelsblatt sagte Neubauer: „Ein Konzern, der zumindest sehr viel tut, um seinen CO2-Fußabdruck zu reduzieren, ist Bosch. Ich möchte Bosch jetzt nicht heiligsprechen, aber dass der Konzern bereits ab diesem Jahr klimaneutral arbeiten will, fällt durchaus positiv auf.“

Dass Siemens-Chef Joe Kaeser ihr bei einem Gespräch überraschend einen Aufsichtsratsposten angeboten hatte, empfindet Neubauer als unprofessionell.

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„Ich möchte Herrn Kaeser überhaupt nicht unterstellen, dass er mich kaufen wollte, aber es war strategisch schon gut geplant, in die große Debatte um die Kohlemine überraschend eine Postenfrage einzuwerfen. Und obwohl ich diese Herangehensweise etwas unprofessionell finde, habe ich trotzdem so respektvoll wie möglich reagiert.“

Siemens ist wegen umstrittener Lieferungen für eine neue Kohlemine in Australien derzeit das Ziel von Klimaschutzprotesten.

Neubauer, die in der kommenden Woche zum Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums nach Davos reist, will dort keine Begegnung mit US-Präsident Donald Trump suchen, der ebenfalls in Davos erwartet wird. „Wir haben uns wirklich wenig zu sagen“, erklärte Neubauer im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Frau Neubauer, Sie nehmen nächste Woche zum ersten Mal am Weltwirtschaftsforum in Davos teil. Was erhoffen Sie sich von dem Besuch?
Ich wurde von Greta Thunberg gefragt, ob ich sie begleiten möchte. Wir wollen in Davos zeigen, dass wir nicht nur politische Akteure in die Pflicht nehmen, sondern eben auch wirtschaftliche. Es ist absurd, in welchem Ausmaß Unternehmen weltweit die Klimakrise anheizen und vorantreiben. Die verantwortlichen Manager ignorieren, was sie da gerade anrichten. Daran wollen wir sie erinnern.

US-Präsident Donald Trump wird auch in Davos sein. Werden Sie sich seinen Auftritt anschauen?
Wenn es überhaupt auf meiner Prioritätenliste steht, dann nicht weit oben. Ich glaube tatsächlich eher, dass wir das vermeiden werden.

Warum?
Wir haben uns wirklich wenig zu sagen. Es gibt Zehntausende Klimaexperten, die an den US-Präsidenten appellieren und ihn auffordern zur Vernunft zu kommen und er glaubt ihnen nicht. Greta und ich werden da keinen großen Unterschied machen können.

Sie haben mal gesagt, dass Sie generell nach Begegnungen mit Politikern oft ernüchtert sind.
Das wirkt natürlich wahnsinnig pauschalisierend, aber grundsätzlich stelle ich fest, wie groß teilweise die Unwissenheit unter Politikern darüber ist, was in der Welt passiert oder was mit der Welt passiert. Das macht nicht unbedingt Mut. Das sind selten Gespräche nach denen ich denke: Super, wir sind auf dem richtigen Weg.

Sind Manager da anders als Politiker?
Sie haben auf jeden Fall ein anderes Verhältnis zu Accountabilty und Zahlen. Das ist eigentlich ein guter Ansatz, wenn es um die Klimakrise geht, denn die Zahlen sprechen eine ganz klare Sprache. Trotzdem habe ich immer wieder erlebt, dass sich auch viele Manager davor scheuen, die Verantwortung zu übernehmen.

Inwiefern?
Die Manager sehen nicht, dass sie diejenigen sind, die jetzt etwas verändern müssen. Sie verweisen meistens einfach darauf, dass sie den Aktionären etwas schuldig sind, was natürlich stimmt. Aber sie vergessen, dass sie auch der Welt, in der sie agieren und die sie formen, etwas schuldig sind.

Eine Verantwortung, an die Sie Siemens-Chef Joe Kaeser in den letzten Tagen erinnert haben.
Genau, Siemens will Signalanlagen in einem Umfang von 18 Millionen Euro für das Kohleminenprojekt des Adani-Konzerns in Australien zuliefern. Siemens hätte die Macht, das Projekt zu verzögern, denn die beiden einzigen anderen möglichen Zulieferer haben ihre Mitarbeit bereits abgesagt.

Sie haben sich mit Herrn Kaeser zu einem Gespräch getroffen. Konnten Sie seine Erklärung nachvollziehen?
Er hat eingeräumt, dass es ein Fehler war diesen Vertrag mit Adani zu unterschreiben, aber das macht es nicht besser. Siemens inszeniert sich sehr gerne als ein Klimaschutzkonzern, bekennt sich zum Klimaschutzabkommen von Paris und strebt Klimaneutralität an. Da kann durchaus erwartet werden, dass Siemens jeden einzelnen Auftrag durchleuchtet und überdenkt.

Aber genau das ist doch bei Siemens passiert.
Herr Kaeser selbst hat uns erklärt, dass er ein Projekt in dieser Größenordnung normalerweise nicht auf dem Radar hat. Dafür hat Siemens einen Nachhaltigkeitsrat, der für genau solche Fragen zuständig ist und das Projekt durchgewunken hat.

Signalanlagen für Eisenbahnstrecken sind ja erst einmal klimaneutral, erst die Nutzung zum Transport von Kohle macht das Ganze klimaschädlich. Geht es nicht zu weit, den Konzern auch noch für diese Nutzung seiner Produkte verantwortlich zu machen?
Da erwarten wir von einem globalen Konzern wie Siemens schon die Fähigkeit der Abstraktion. Einzelne Beteiligungen sollten im Kontext des jeweiligen Projekts gesehen werden.

Nach ihrer Logik macht sich auch ein Hersteller von Sitzen schuldig, weil die möglicherweise in klimaschädliche Flugzeuge eingebaut werden könnten. Wo wollen Sie da die Grenze ziehen? Bis zu welcher Ableitung ist man als Unternehmen verantwortlich?
Das ist eine superspannende Frage, und ich glaube, diese Grenze zu definieren, wird eine Herausforderung der nächsten Jahre und Jahrzehnte sein. Bei der Adani-Mine ist das aber eine sehr klare Angelegenheit. Diese Mine darf einfach nicht in Betrieb gehen, wenn uns noch irgendwas am Abkommen von Paris liegt.

Herr Kaeser hat Ihnen bei Ihrem Gespräch überraschend ein Mandat im Aufsichtsrat der Siemens-Energiesparte angeboten. Sie haben abgelehnt, sich vorher aber Bedenkzeit erbeten. Mussten Sie tatsächlich darüber nachdenken? Oder war Ihnen von vornherein klar, dass solch ein Mandat nicht infrage kommt?
So eine Entscheidung fällt man nicht in ein paar Minuten. Das fände ich verantwortungslos. Ich habe deshalb mit anderen Leuten darüber gesprochen, und ich habe mich über die rechtlichen Hintergründe informiert, weil ich finde, dass man damit professionell umgehen sollte.

Und die rechtliche Prüfung hat dann ergeben, dass Sie als Aufsichtsratsmitglied eine Treuepflicht gegenüber Siemens hätten und im Sinne des Konzerns agieren müssten?
Genau, deshalb habe ich abgelehnt und stattdessen einen Experten von „Scientists for Future“ für den Posten vorgeschlagen.

Das hat Herr Kaeser wiederum abgelehnt. Das Angebot war offenbar an Ihre Person gebunden.
Ich möchte Herrn Kaeser überhaupt nicht unterstellen, dass er mich kaufen wollte, aber es war strategisch schon gut geplant, in die große Debatte um die Kohlemine überraschend eine Postenfrage einzuwerfen. Und obwohl ich diese Herangehensweise etwas unprofessionell finde, habe ich trotzdem so respektvoll wie möglich reagiert.

Warum hat sich „Fridays for Future“ für seine Proteste ausgerechnet Siemens rausgepickt?
Das ist eine sehr gute Frage, weil es natürlich eine unglaublich große Liste an Unternehmen gibt, die in viel größerem Maße als Siemens verhindern, dass wir das Abkommen von Paris einhalten. Wir sehen alle globalen Akteure und auch alle Dax-Konzerne in der Verantwortung zu überprüfen, auf welcher Seite sie hier stehen.

Gibt es einen Konzern, von dem Sie sagen würden: Der wird seiner Verantwortung gerecht?
Ein Konzern, der zumindest sehr viel tut, um seinen CO2-Fußabdruck zu reduzieren, ist Bosch. Ich möchte Bosch jetzt nicht heiligsprechen, aber dass der Konzern bereits ab diesem Jahr klimaneutral arbeiten will, fällt durchaus positiv auf.

Diese Woche haben Sie und einige andere Klimaaktivisten sich die Bundesregierung vorgenommen und eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Warum?
Wir klagen gegen das Klimaschutzgesetz und zwar mit der Begründung, dass das Gesetz absehbar unsere zukünftigen Handlungsfreiheiten einschränken wird und das auch schon heute tut, weil es nicht Paris-konform ist.

Sie werden von der Politik wahrscheinlich entgegengehalten bekommen, dass Klimaschutz ein wichtiges Thema sei, das man aber abwägen müsse gegenüber anderen Zielen. Was sagen Sie zu dem Argument?
Diese Logik scheitert. Wenn wir langfristig investieren und wirtschaften wollen, müssen wir uns darauf verlassen können, dass die Lebensgrundlagen der Menschen gesichert sind. Davon hängen wir nun mal alle ganz fundamental ab.

Kann dieses Umsteuern, dass Sie fordern, in einem marktwirtschaftlichen, auf Wachstum angelegten System überhaupt funktionieren?
Wir könnten dazu jetzt große wachstumstheoretische Debatte führen, aber der Punkt ist doch folgender: Wir stellen fest, dass eine Wirtschaft, die auf wachsende Ressourcenausbeutung ausgelegt ist, nicht funktionieren kann. Große Ökonomen sagen, dass wir radikale Veränderungen brauchen, in der Art und Weise wie wir Wirtschaft organisieren.

Der Kapitalismus, wie wir ihn gerade erleben, hat ein eklatantes Gerechtigkeitsdefizit, das nicht zu rechtfertigen ist. Neben all den ökologischen Zerstörungen, die da angerichtet werden, fehlt dem Kapitalismus die Legitimation, weil immer mehr Menschen das Gefühl haben: Wir hängen in einem System fest, das uns nicht zugutekommt.

Was schlagen Sie als Lösung vor? Den Systemwechsel?
Abwarten! Wir werden erst einmal neu definieren müssen, was für eine Art von Wachstum überhaupt noch tragbar ist für den Planeten und die Menschheit, und das kann kein Wachstum sein, das auf der Ausbeutung fossiler Energien beruht. Das kann vielleicht auch kein quantitatives Wachstum sein, sondern ein qualitatives Wachstum von tatsächlichem Glück, Wohlstand und Zufriedenheit.

Klingt aus heutiger Sicht nach Utopie. Obwohl Sie unermüdlich protestieren, passiert wenig.
Fridays for Future gibt ein Interview in der Wochenendausgabe des Handelsblatts, und Gabor Steingart schreibt in seinem „Morning Briefing“ einen Nachruf auf Joe Kaeser. Also, den Eindruck, dass gerade nichts passiert, kann ich jetzt nicht so teilen.

Aber warum brauchen wir für die Veränderungen „Fridays for Future“? Es gibt bereits große etablierte Umweltorganisationen wie Greenpeace.
Weil es offensichtlich trotzdem noch Bedarf gab. Wir brauchten eine außerparlamentarische Instanz, die es wagt sich aufzulehnen. Dabei weisen wir ja eigentlich auf totale Banalitäten hin, das ist das Traurige. Wir fordern ein, was von der Regierung schon beschlossen wurde, nämlich die Einhaltung der Pariser Klimaziele. Das ist jetzt nicht besonders innovativ oder radikal.

Was ist Ihre Rolle dabei?
Ich bin eine von Zehntausenden in Deutschland, die sich bei Fridays for Future einbringt.

Eigentlich sind Sie weit mehr als das. Sie sind das Gesicht der Bewegung in Deutschland.
Natürlich ist das vor allem eine mediale Zuschreibung, deswegen würde ich das jetzt nicht von mir aus so formulieren. Ein Stück weit ist es eine Geschichte, die in den Medien geschrieben wurde und sich ein bisschen selbst trägt.

Hadern Sie mit dieser herausgehobenen Rolle?
Das ist eine sehr ambivalente Rolle für mich. Einerseits sehe ich, dass es sehr wirkungsvoll sein kann, wenn man Identifikationsfiguren hat. Gleichzeitig ist es problematisch, wenn eine Person wie ich jetzt sprechen soll für so viele. Auf mir lasten eine total unverhältnismäßige Verantwortung und auch ein unverhältnismäßiger Erwartungsdruck.

Wie gehen Sie damit um?
Ich versuche, mir das immer wieder bewusst zu machen. Und ich versuche, sofern es in meiner Macht steht, andere Menschen mit in die mediale Öffentlichkeit zu nehmen.

Frau Neubauer, vielen Dank für das Interview.

„Wir brauchten eine außerparlamentarische Instanz, die es wagt sich aufzulehnen.“ Foto: dpa
„Wir brauchten eine außerparlamentarische Instanz, die es wagt sich aufzulehnen.“ Foto: dpa