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Lufthansa vor Radikalkur: Spohr muss Stellen streichen und Flugzeuge ausmustern

Der Konzern steckt tief in der Krise. Ohne Solidarpakt mit der Belegschaft wird die Rettung der Lufthansa kaum gelingen. Doch Misstrauen im Unternehmen erschwert eine Lösung.

Der Konzernchef muss die Kosten noch stärker drücken als bisher. Foto: dpa
Der Konzernchef muss die Kosten noch stärker drücken als bisher. Foto: dpa

Carsten Spohr hat ein klares Ziel vor Augen. Der Lufthansa-Chef will die Airline-Gruppe nach der Krise wieder da sehen, wo sie vor der Pandemie stand: als eine der größten Airlines auf der Welt, konkret auf Platz vier, gemessen am Umsatz und auch an der Flottengröße.

Frühere Aussagen, nach denen Lufthansa stärker aus der Krise kommen werde als viele andere, seien von dem obersten Lufthanseaten mittlerweile nicht mehr zu hören, ist in Konzernkreisen zu hören. Überall auf der Welt wird Corona die Fluggesellschaften schwächen, nicht stärken. Und Spohr hat realisiert, dass das allererste Ziel sein muss, die „Hansa“ zu sichern.

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Schon das ist eine gewaltige Herausforderung. Denn es heißt zunächst schrumpfen – und zwar um eine signifikante Größe, wie es sie in der Geschichte der Airline bisher noch nicht gegeben hat.

An diesem Montag kommt der Vorstand des Unternehmens zusammen und berät das Sparvolumen. Statt der bisher 100 Flugzeuge, die dauerhaft aus der Flotte von rund 760 Jets herausgenommen werden sollen, wird der „Fuhrpark“ nun deutlich stärker schrumpfen. 130 Flugzeuge könnten es werden, vielleicht sogar noch mehr. Mit entsprechenden Folgen für die Belegschaft. Von 22.000 Vollzeitstellen, die der Konzern zu viel hat, war bisher die Rede, nun könnten es 25.000 bis 26.000 Vollzeitstellen werden.

Denn der Markt entwickelt sich nicht so wie erwartet. „Die Herbstferien finden im Flugplan nicht statt“, heißt es bei der Lufthansa. Bisher habe man für den Oktober nur für rund zehn Prozent der Sitzplatzkapazität eine Vorausbuchung, hatte Spohr in der vergangenen Woche bei einer internen Veranstaltung gesagt.

Ticketnachfrage bricht wieder ein

50 Prozent der eigentlichen Kapazität wollte die Lufthansa mit ihren Marken Lufthansa, Eurowings, Swiss, Austrian und Brussels am Jahresende wieder anbieten und verkaufen. Nun ist man schon froh, wenn man ein Viertel schafft.

Die wieder steigenden Infektionszahlen in Europa und sich ständig ändernde Reisebeschränkungen halten die Kunden vom Buchen ab. Damit bricht das Europageschäft, das einzige, das überhaupt Lebenszeichen von sich gegeben hat, wieder zusammen. Langstrecke findet schon seit Ausbruch der Pandemie kaum noch statt.

Also müssen die Kosten noch stärker runter als geplant. 500 Millionen Euro verbrennt die Lufthansa derzeit pro Monat. Eine Zahl, auf die man in der Konzernspitze fast schon ein wenig stolz ist, denn sie war zu Beginn der Krise noch höher und lag bei über 700 Millionen Euro. Dennoch kann sich kein Unternehmen leisten, dauerhaft so viel Geld zu verbrennen.

Die Uhr tickt also unbarmherzig. Neun Milliarden Euro hat das Unternehmen als Staatshilfe zur Verfügung gestellt bekommen – von den Ländern Deutschland, der Schweiz, Österreich und Belgien. Bei der aktuellen „Burnrate“ reicht das Geld rechnerisch für 18 Monate. Das ist die eine zeitliche Vorgabe.

Die andere ist das Kurzarbeitergeld. Auf rund 170 Millionen Euro wird die Summe in Konzernkreisen beziffert, die dadurch monatlich für Entlastung sorgt. Doch Ende kommenden Jahres wird die Regelung wohl auslaufen. Dann würden die Personalkosten schlagartig in die Höhe schnellen, das Geld in Strömen abfließen. Denn die Nachfrage wird nach allen Prognosen auch 2021 noch auf einem sehr niedrigen Niveau bleiben, die Erlöse also weiter fehlen.

Folglich muss mit den Arbeitnehmervertretern eine Lösung gefunden werden, um die Personalkosten zu senken – und zwar signifikant. Das Ziel des Managements: Mittelfristig soll das Unternehmen die Deckungskosten schon bei einer Auslastung der angebotenen Kapazität von nur 50 Prozent einfliegen.

Das wird nicht sofort erreicht werden, das weiß das Management. Auch im kommenden Jahr wird die „Hansa“ noch Geld verbrennen, daran bestehen intern keine Zweifel. Doch die Voraussetzungen für die geplante Kostenneutralität bei nur 50 Prozent Auslastung müssen heute geschaffen werden.

Das Problem: Die Gewerkschaften tun sich schwer. Es herrscht Misstrauen auf beiden Seiten, genährt nicht zuletzt durch zahlreiche heftige Tarifauseinandersetzungen gerade des fliegenden Personals in der Vergangenheit.

Das Management hadert mit dem Selbstverständnis vor allem der Piloten, bei wichtigen Entscheidungen mitreden zu wollen. Die Arbeitnehmervertreter wiederum scheuen sich, pauschalen Verzicht zuzusagen ohne eine Jobgarantie. Die Kabinengewerkschaft UFO, die sich monatelang mit dem Management heftig über die Entlohnung und Freistellung von Funktionären stritt, hat zwar eine Rahmenvereinbarung mit dem Unternehmen getroffen, mit der ein Arbeitsplatzabbau sozialverträglich geregelt werden soll. Doch seitdem stocken die Gespräche über Detailfragen wie etwa die der Abfindungen.

Das Modell, das dem Management vorschwebt, ist ein Verzicht aller bei gleichzeitiger Reduzierung der Arbeitszeit, um so möglichst viele Jobs der aktuell 128.000 Mitarbeitern zu retten. Doch dazu müsste dieser Verzicht gewaltig sein, 20 oder sogar noch mehr Prozent. Eine alleinerziehende Stewardess etwa wird damit ihr Leben nicht finanzieren können – nicht einmal ansatzweise.

Mitarbeiter am Rand des Existenzminimums

Auch beim Bodenpersonal gibt es enge Grenzen in Sachen Verzicht. „Viele Beschäftigte am Boden, die sich jahrelang für das Unternehmen eingesetzt haben, werden hier an den Rand des Existenzminimums getrieben. Das ist für die Beschäftigten nicht verkraftbar“, klagte kürzlich Mira Neumaier, die Leiterin der Bundesfachgruppe Luftverkehr bei Verdi.

Also werden Kündigungen kaum noch zu verhindern sein, das wissen alle. Auch die Piloten. Die ersten Schreiben dürften bald die Flugzeugführer von Germanwings erreichen. Aber auch die Piloten der Kernmarke Lufthansa werden betroffen sein, vielleicht die Piloten der A380, die wohl ausgemustert werden wird.

Das befeuert das Misstrauen auf Arbeitnehmerseite, denn gleichzeitig ist Lufthansa dabei, unterhalb der Kernmarke Lufthansa eine neue Betriebsplattform mit dem internen Namen „Ocean“ aufzubauen. Die Stellen für 300 Piloten und Kabinenmitarbeiter wurden gerade ausgeschrieben, im kommenden Jahr soll es losgehen. Das Ziel ist der touristische Verkehr ab Frankfurt und München. Der wird sich schneller erholen als der der Geschäftsreisenden.

Für Konzernchef Spohr ist „Ocean" nur die Fortsetzung der Langstrecke von Eurowings. Diese Jets wurden bisher von Crews der Tochter Sunexpress Deutschland und Brussels geflogen. Die sollen das nun auch bei „Ocean“ tun. Die Flüge werden weiterhin unter der Marke Eurowings vertrieben, auch die Strecken sollen identisch sein. Man habe die neue Plattform nur deshalb gegründet, weil man mit dem Joint-Venture-Partner Turkish Airlines über die Zukunft von Sunexpress nicht einig geworden sei, heißt es bei Lufthansa.

Doch „Ocean“ spaltet die Belegschaft. Die Piloten der Kernmarke fürchten, dass das Projekt eine Art trojanisches Pferd ist, eine Plattform, mit der mittelfristig der Konzerntarifvertrag unterlaufen werden kann, indem Wachstum nur noch dort stattfindet. Tatsächlich sollen alle Crewmitarbeiter bei der neuen Plattform auf der vergleichbar niedrigen Basis von Sunexpress Deutschland bezahlt werden.

Projekt „Ocean“ sorgt für Streit

Für die aktuellen Mitarbeiter von Sunexpress mag das weniger ein Problem sein, für andere, besser bezahlte in der Lufthansa-Gruppe aber schon. „Wir fordern den Konzern auf, die Ocean-GmbH mit uns zu tarifieren“, sagt Marcel Gröls, der Vorsitzende der Tarifpolitik bei der Pilotenvertretung Vereinigung Cockpit (VC).

Aber selbst die Flugzeugführer von Sunexpress hadern zum Teil mit „Ocean“. Zwar sind einige erleichtert, dass sie die Chance haben, dort weiterzufliegen, und das Projekt nicht von den traditionell mächtigen Piloten der Kernmarke Lufthansa verhindert wird. Doch alle Bewerber, die bei „Ocean“ genommen werden, beginnen von vorne. Sie haben eine sechsmonatige Probezeit und bekommen nur einen Zweijahresvertrag. „Über ein solches Vorgehen kann man nur den Kopf schütteln“, so Markus Wahl, der Präsident der VC.

Das macht Gespräche über einen großen Solidarpakt nicht einfacher. „Für solche Tarifstreitigkeiten ist in dieser Krise kein Platz“, sagt eine Führungskraft des Unternehmens. Konsens mit der Belegschaft müsse her, und zwar bald. Denn das Management will die Staatshilfen möglichst rasch refinanzieren. Auch dafür braucht es ein Zukunftskonzept, das wirtschaftlich belastbar ist.

Selbst mit einem solchen dürften die Gespräche mit Vertretern des Kapitalmarkts schwierig werden. Angesichts der unklaren Aussichten für die Branche werden sie – wenn sie überhaupt bereit sind, Geld zu geben - hohe Risikoaufschläge verlangen. Finnair etwa musste vor wenigen Tagen über zehn Prozent zahlen. Das Lufthansa-Management hofft, dass sich die Lage im kommenden Jahr beruhigt und dann bessere Konditionen ausgehandelt werden können.

Doch gesetzt ist das nicht, es hängt stark von den Perspektiven für die Luftfahrt ab, wie sie sich in einigen Monaten darstellen werden. Neue Mittel bei Banken aufzunehmen ist dagegen kaum eine Alternative. Spohr hat mehrfach deutlich gemacht, dass das Unternehmen eine noch höhere Schuldenlast nicht verkraften würde. Der Überlebenskampf der „Hansa“ – er ist also noch nicht vorüber.