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Spohr muss weiter sparen: Lufthansa könnte noch stärker schrumpfen

Der Vorstand der Airline arbeitet zur Überwindung der Krise an einer neue Strategie. Zum Neustart dürfte auch ein zusätzlicher Stellenabbau gehören.

Bis zum Jahresende wird die Lufthansa anstatt der erhofften 60 Prozent lediglich 40 Prozent ihrer Kapazität anbieten können. Foto: dpa
Bis zum Jahresende wird die Lufthansa anstatt der erhofften 60 Prozent lediglich 40 Prozent ihrer Kapazität anbieten können. Foto: dpa

Karl-Ludwig Kley macht Druck. Der Aufsichtsratschef der Lufthansa steht im Wort. Man werde eine neue Gesamtstrategie entwickeln müssen, hatte er Anfang Juli gegenüber dem Handelsblatt erklärt: „Im Herbst werden wir im Aufsichtsrat darüber beraten.“ An diesem Montag und Dienstag tagt der Vorstand des Dax-Konzerns, nicht in nüchternen Frankfurter Büroräumen, sondern in Olbia auf Sardinien, dem Feriendomizil von Vorstandschef Carsten Spohr.

Was dem Aufsichtsrat danach übermittelt wird, passt auf gut 20 Seiten. Inhalt: Die verschiedenen Airline-Marken der angeschlagenen Fluggesellschaft sollen bleiben, ebenso die Drehkreuze. Große Hoffnungen liegen auf „Ocean“, der neuen Plattform für Privatreisende in Frankfurt und München. Hinzu kommen Corona-Maßnahmen, etwa die Schrumpfung der Flotte um 100 Jets und der Abbau von rechnerisch 22.000 Stellen. Doch schon jetzt ist klar, dass das nicht reichen wird. Bald muss nachjustiert werden.

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Bis zum Jahresende wird die Lufthansa anstatt der erhofften 60 Prozent lediglich 40 Prozent ihrer Kapazität anbieten können. „Wir waren anfangs zu zuversichtlich, dass die Folgen der Pandemie schneller überwunden werden können“, zeigt sich ein Aufsichtsrat selbstkritisch.

„Es ist durchaus möglich, dass die Flotte um mehr als 100 Flugzeuge schrumpfen wird“, heißt es in Konzernkreisen. Deshalb könnte letztlich auch der Jobabbau größer ausfallen als eh angekündigt. Bei Lufthansa heißt es bisher, es gebe aktuell keine Änderungen bei den Zahlen.

Gleichzeitig hat die Lufthansa-Spitze Gespräche mit Geldgebern begonnen, denn die in der Krise in Anspruch genommene Staatshilfe soll so rasch wie möglich abgelöst werden. Doch auch dafür braucht es eine schlüssige Strategie. 500 Millionen Euro an Liquidität verbrennt die „Hansa“ derzeit pro Monat. Das neun Milliarden Euro schwere Rettungspaket ist also endlich. Auf erneute Hilfe des Bundes will man aber unbedingt verzichten.

Ob Führungskräfte oder Mitarbeiter – für alle bei Lufthansa erfordert die Situation ein komplettes Umdenken. Eigentlich ist Optimismus Teil der Unternehmens-DNA. Bis zum Beginn der Pandemie war der Konzern gewachsen. Die letzten Jahre waren die erfolgreichsten in der Geschichte des Unternehmens. Angriffe von Billiganbietern wie Ryanair oder Easyjet wehrte man ab. Lufthansa – das war der Name, der immer als Erster genannt wurde, wenn irgendwo in Europa eine Airline einen Käufer suchte.

Konzernchef Spohr hatte allen Grund, selbstbewusst und mit breitem Lächeln aufzutreten. Doch jetzt, in Zeiten der Pandemie, ist Demut angesagt. „Es müssen kleinere Brötchen gebacken werden“, sagt eine Führungskraft. Das fällt schwer, auch Spohr. In den letzten Wochen habe der 53-Jährige desillusioniert gewirkt, berichten „Hanseaten“. Der Abstieg aus der ersten Börsenliga Dax in den MDax, kein Spielraum mehr für Übernahmen, für Wachstum – das frustriert, es erfordert aber vor allem neue Antworten.

Die bereits gelieferten Antworten können nur ein erster Ansatz sein. Aus Sicht von hochrangigen Konzernvertretern ist die bisher geplante Strategie weniger ein großer Wurf, sondern eher eine Neujustierung der alten. „Es ist eine Reaktion auf die akuten Probleme“, heißt es. Mehr nicht.

Dabei war die diesjährige Strategietagung des Vorstands akribisch vorbereitet worden, nachdem das Treffen im vergangenen Jahr ein eher unrühmliches Ende genommen hatte. Jede Menge Power-Point-Präsentationen ohne roten Faden sollen Chefkontrolleur Kley damals arg ernüchtert haben.

Das sollte sich nicht wiederholen. Der Aufsichtsrat formulierte deshalb detaillierte Fragen für die diesjährige Tagung. Auf einem Vorbereitungstreffen in Berlin wurden diese vom Management Stück für Stück durchgegangen. Viele der Themen sind seit Langem bekannt – und bleiben dennoch ohne Antwort.

Etwa die Frage, wie Lufthansa mit dem Billiganbietern umgeht. Der Ableger Eurowings ist zwar trotz aller Probleme mittlerweile eine feste Größe im Markt. Auch soll die Tochter trotz Corona im kommenden Jahr endlich in die schwarzen Zahlen kommen. Doch sie ist keine hundertprozentige Billig-Fluggesellschaft wie Ryanair.

Die sogenannten Low-Cost-Airlines wie Ryanair oder die ungarische Wizz Air haben aber bereits klargemacht, dass sie mit Niedrigstpreisen um jeden Kunden kämpfen werden, der nun in einen Jet steigt. Der Wettbewerb für Lufthansa wird also an dieser Front deutlich steigen.

Keine Entspannung auch an einer anderen Front. Mit Corona hat sich die Zahl der Geschäftskunden reduziert, da viele Unternehmen Reisen immer noch verbieten. Auch nach der Pandemie dürften viele Konferenzen virtuell stattfinden. Der Business-Verkehr wird ein Kerngeschäft der Lufthansa bleiben, aber seine Bedeutung wird wohl dauerhaft sinken.

Um ihre Flugzeuge auszulasten, setzt die Lufthansa deshalb auf Privatkunden. Was Eurowings nicht gelang, soll jetzt eine neue Plattform – Projektname „Ocean“ – schaffen. Die Plattform ist an der Kernmarke Lufthansa angegliedert, um deren Vertriebspower besser nutzen zu können. Mit zunächst 14 Flugzeugen sollen von Frankfurt und München touristische Ziele angesteuert werden.

Geflogen werden die Maschinen von Piloten des Joint Ventures SunExpress Deutschland, das selbst den Betrieb einstellt, und der Tochter Brussels Airlines. Sie flogen schon bisher für Eurowings die touristischen Langstrecken.

Ein heikles Projekt

„Ocean“ wurde schon vor der Pandemie beschlossen, weil der Privatreiseverkehr bis Corona das am stärksten wachsende Segment in der Luftfahrt war. Insofern ist die Strategie grundsätzlich schlüssig. Doch die Umsetzung ist heikel.

Mit „Ocean“ drängt Lufthansa nämlich in einen Markt, der in Deutschland von Condor und Tui mit der Tochter Tuifly besetzt wird. Sowohl Condor als auch Tui haben wie Lufthansa Staatshilfe bekommen. In Führungskreisen der „Hansa“ wird deshalb diskutiert, inwiefern eine Lufthansa mit Steuergeldern im Hintergrund und dem Staat als Großaktionär in den Wettbewerb mit anderen Anbietern treten kann und sollte, die ebenfalls Steuergelder als Hilfen erhalten haben.

„Das ist eine völlig ungeklärte Situation“, sagt ein Manager der Airline. Zumal Condor im Zuge des Schutzschirmverfahrens nach der Insolvenz der einstigen Mutter Thomas Cook die Kosten stark senken konnte. „Da kann eine Lufthansa kaum mithalten, außer sie nimmt Verluste in Kauf, um den Rivalen auszubooten“, heißt es in Branchenkreisen.

Auch irritiert „Ocean“ die Arbeitnehmerseite. Für Lufthansa gehört die neue Plattform nicht in die aktuellen Verhandlungen mit den Gewerkschaften über Sanierungsbeiträge des fliegenden Personals. Verkehre, die bisher bei Eurowings stattgefunden hätten, würden lediglich auf eine andere Plattform übertragen, die die gleichen Piloten zu den gleichen Bedingungen beschäftige, heißt es.

Doch vor allem die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) sieht das anders. Sie fürchtet, dass der Vorstand die neue Plattform nur deshalb gründet, um wie früher bestehende Tarifvereinbarungen zu unterlaufen. Die Plattform werde über die 14 Jets hinaus wachsen, und es könnten dann Verkehre weg von Lufthansa hin zu „Ocean“ verlagert werden, so die Vermutung. Für die sogenannte Seniorität, die klar die Karriere eines Flugzeugführers in der Kernmarke Lufthansa regelt, wäre das Gift.

Wegen des Streits über „Ocean“ konnten sich Management und VC bisher nur auf ein kurzfristiges Sparpaket einigen, zentrale Fragen sind noch offen. An einer Einigung mit der VC hängt aber auch die Zukunft der Kabinen- und Bodenmitarbeiter.

Die ungeklärte Situation sorgt für wachsenden Frust. „Wir beobachten mit großer Sorge, dass es das LH-Management in dieser Krise weder mit der Kabine noch mit dem Cockpit oder dem Boden tatsächliche Verbündete der Sozialpartnerschaft zu suchen vermag“, heißt es in einem internen Newsletter der Kabinengewerkschaft UFO an ihre Mitglieder.

Dabei dämmert es den Arbeitnehmervertretern, dass es für die Mitarbeiter wohl noch heftiger als bisher bekannt kommen wird. Das lukrative Nordamerikageschäft ist praktisch zum Erliegen gekommen. Die USA bekommen Corona unter ihrem Präsidenten Donald Trump nicht in den Griff, das Land bleibt abgeschottet.

Auch aus diesem Grund überlegt die Lufthansa, ob die Flotte dauerhaft um mehr als die bislang geplanten 100 Flugzeuge reduziert werden muss. Die Entscheidung darüber sei zwar noch offen, es sei aber mit einer erheblich größeren Verkleinerung zu rechnen, heißt es in Konzernkreisen.

Dies würde sich direkt auf die Beschäftigten auswirken. Die Gespräche über einen Sozialplan mit den Gewerkschaften sollen nun anlaufen, wird berichtet. Mögliche Szenarien werden nach Informationen aus dem Unternehmensumfeld bereits durchgerechnet. So könnte beim Kabinenpersonal je nach der weiteren Entwicklung im Luftverkehr die Zahl der Stellen statt um 2700 um knapp 4000 reduziert werden.

Weder von Lufthansa noch von UFO wird diese Zahl bisher bestätigt. Es gebe aktuell keine entsprechenden Pläne, heißt es in der Konzernzentrale. Die Lufthansa hat zwar mit der Gewerkschaft UFO einen Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen vereinbart. Diese Regelung kann aber einseitig vom Unternehmen gekündigt werden. Zuletzt hatten sowohl CEO Spohr als auch Harry Hohmeister, der für das Passagiergeschäft zuständige Vorstand, deutlich gemacht, dass man ohne Kündigungen wohl nicht auskommen werde.

Der Stellenabbau habe für den Vorstand höchste Priorität, berichten Führungskräfte. Allzu hart wird Spohr aber nicht zulangen können. Andernfalls könnte er einen wichtigen Partner verprellen: den Staat. Der Bund ist seit wenigen Wochen der größte Einzelaktionär der „Hansa“. Die Bundesregierung hat bereits den Großteil des Rettungspakets geschultert und könnte erneut um Geld gebeten werden.

Die Lufthansa verbrennt jede Stunde rund 700.000 Euro – in Corona-Hochzeiten war es sogar eine Million Euro. Mit einem monatlichen Kapitalabfluss von rund einer halben Milliarde Euro ist die Kasse in einem Jahr leer. „Dann braucht die Lufthansa frisches Geld“, hieß es.

Wenn keine privaten Kapitalgeber bereitstehen, liegen die Hoffnungen auf dem Staat. „Die Frage ist nur, ob die Lufthansa-Führung vor oder nach der Bundestagswahl ihren Bedarf in Berlin deklariert.“ Die Wahl ist für September 2021 angesetzt. Ohne ein schlüssiges Konzept, so heißt es im Konzern, brauche die Firmenleitung auch in Berlin nicht anzuklopfen.

Weit oben auf der Agenda des Managements steht zudem das Thema Kundenbeziehung. Der Vorstand weiß, dass er in den letzten Monaten viel Vertrauen verspielt hat, weil die Ticketkosten für abgesagte Flüge wochenlang nicht zurückerstattet wurden.

„Das war nicht gut, das müssen wir einräumen“, sagt eine Führungskraft. Zwar wurden mittlerweile die Ansprüche aus der ersten Jahreshälfte abgearbeitet, aber viele Fluggäste haben das lange Warten nicht vergessen. Nun soll auch mithilfe der Digitalisierung dem Kunden gezeigt werden, dass man eine verlässliche Airline ist. „Da müssen wir noch besser werden“, heißt es.

Ökologische Herausforderung bleibt

Und noch ein Thema wartet auf eine strategische Antwort: Das Umweltbewusstsein der Menschen wächst, nicht nur in Europa, sondern auch in den wichtigen Märkten Amerika und China. Fliegen ist gegenüber Bahn- und Autofahren die umweltschädlichste Reiseform. Auf diese Herausforderung hat die Branche bislang keine Antwort gefunden.
Spohr will diesen Trend aufgreifen. So soll in Zusammenarbeit mit dem Land Hessen ein Pilotprojekt zur Entwicklung synthetischer Kraftstoffe starten. Zudem soll die Kooperation mit der Bahn ausgebaut werden, die in den vergangenen Jahren eingeschränkt worden war. Innerdeutsche Strecken könnten vom Flugzeug auf die Schiene umgesattelt werden.
Doch selbst hier wird in Aufsichtsratskreisen bemängelt, dass das vor allem kurzfristige Lösungen seien. Der grundsätzliche Wandel werde nicht adressiert: „Die Hoffnung ist wohl, dass wir da irgendwie durchkommen.“