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Lockdown wirft Karstadt Kaufhof bei Sanierung zurück – Verband hält Konzern für „systemrelevant“

Der Betriebsratschef sieht „gute Chancen“ für einen Überbrückungskredit des Bundes. Das Geld für zukunftssichernde Investitionen für Galeria Karstadt Kaufhof fehlt dennoch.

Durch den erneuten Lockdown wird die Liquidität wohl schon wieder knapp. Foto: dpa
Durch den erneuten Lockdown wird die Liquidität wohl schon wieder knapp. Foto: dpa

Wenn ein millionenschwerer und selbstbewusster Selfmade-Unternehmer wie der österreichische Investor René Benko die Unterstützung eines traditionellen Handelsverbands annimmt, dann muss die Situation nicht nur ernst sein, sondern sehr ernst. Und bei Benkos Warenhaustochter Galeria Karstadt Kaufhof scheint dieser Punkt jetzt erreicht.

In der vergangenen Woche erhielten unter anderem Bundesfinanzminister Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier einen Brief, der von HDE-Präsident Josef Sanktjohanser unterzeichnet war. In dem Schreiben, das dem Handelsblatt vorliegt, bezeichnet er Galeria Karstadt Kaufhof als „wichtigster Anker und Besuchermagnet und systemrelevant für die Zukunft der deutschen Innenstädte“. Die Warenhäuser, so heißt es weiter, seien „überlebenswichtig“ für das „gesamte innerstädtische Leben“.

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Die Lobeshymne hat ein klares Ziel. Handelsfunktionär Sanktjohanser will die Bundesregierung dazu bewegen, dem Warenhausbetreiber mit einem dringend benötigten staatlichen Kredit unter die Arme zu greifen. Dabei hatte das Unternehmen im vergangenen Jahr bereits das sogenannte Schutzschirm-Insolvenzverfahren genutzt, um Ballast abzuwerfen. Wegen des erneuten Lockdowns gerät nun die Liquidität wieder in den Fokus. Galeria Karstadt Kaufhof wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern.

Sanktjohanser spricht sich dafür aus, „das Unternehmen Galeria Karstadt Kaufhof im Rahmen des Wirtschaftsstabilitätsfonds mit einem entsprechenden Nachrangdarlehen zu unterstützen“. Sein wichtigstes Argument: „Das Unternehmen beschäftigt und sichert direkt und indirekt fast 80.000 Arbeitsplätze in Deutschland – auch bei Partnern, Lieferanten und Dienstleistern.“

Es ist fast schon tragisch: Das Jahr 2021 sollte für Galeria Karstadt Kaufhof (GKK) zum Jahr des Neustarts werden. Der angeschlagene Händler hatte während des Schutzschirmverfahrens 2020 knapp ein Viertel der Standorte geschlossen, die Gläubiger verzichteten auf 2,2 Milliarden Euro Schulden. Mit gleich drei neuen Führungskräften im Topmanagement sollte es nun endlich wieder in die Offensive gehen.

Fixkosten von 80 Millionen Euro im Monat

Doch der Aufbruch ist notgedrungen vertagt: Weil die Häuser geschlossen sind und der eigene E-Commerce-Kanal kaum existent ist, fehlt fast der komplette Umsatz. Zugleich lasten Insidern zufolge hohe Fixkosten von mehr als 80 Millionen Euro im Monat auf dem Unternehmen. Selbst wenn man die Personalkosten abzieht, die ja zum Großteil durch Kurzarbeitergeld kompensiert werden, bleibe eine monatliche Belastung von mindestens 30 Millionen Euro.

Deshalb soll nun der Staat einspringen, seit Wochen laufen die Verhandlungen über ein Darlehen. Offizielle Bestätigungen dafür gibt es weder vom Unternehmen noch von staatlicher Seite. Doch aus Regierungskreisen war zu erfahren, dass es intensive Gespräche gibt. Und nicht zuletzt dank der massiven Unterstützung des Handelsverbands HDE scheint sich nun eine Lösung abzuzeichnen. Im Gespräch ist ein Kredit über mehrere Hundert Millionen Euro.

Jürgen Ettl, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von GKK, sieht für die Gewährung eines Darlehens „gute Chancen“, wie er dem Handelsblatt sagte. „Die Probleme, vor denen wir aktuell stehen, hat das Unternehmen nicht zu verantworten“, erklärt er.

Durch den Lockdown sitze Galeria Karstadt Kaufhof auf einem großen Kostenblock, dem praktisch kein Umsatz gegenüberstehe. „Da halte ich es für nachvollziehbar, wenn der Staat das Unternehmen mit einem Darlehen unterstützt“, sagt Ettl. „Man muss dabei auch bedenken: Das wäre kein Geschenk, sondern ein Kredit, der zurückgezahlt werden muss“, ergänzt er.

Auch HDE-Präsident Sanktjohanser betont in seinem Schreiben an die Regierung, dass die aktuelle Lage von GKK nicht selbstverschuldet, sondern durch den staatlich verordneten Lockdown entstanden sei. Und auch er ergänzt: „Diesen Überbrückungskredit wird das Unternehmen verzinst zurückführen und damit letztendlich die Folgen des Lockdowns selbst tragen müssen.“

Doch genau damit spricht er einen heiklen Punkt an. Denn auch wenn der Staat als Kreditgeber einspringt, ist der Neustart von GKK massiv belastet. „Bitter ist natürlich, dass Geld, das eigentlich für den Neustart gedacht war, nun von den Umsatzausfällen aufgezehrt wird“, betont der Betriebsratschef. „Wir müssen wegen der Folgen der Pandemie an den Investitionen sparen, die für unsere Entwicklung eigentlich sehr nötig wären.“

Onlineanteil am Umsatz von 4,3 Prozent

Dabei klang im vergangenen September alles noch so optimistisch. „Wir melden uns gestärkt auf dem ,Spielfeld‘ zurück“, jubelte Galeria-CEO Miguel Müllenbach in einem Brief an die Mitarbeiter. „Wir sind ab Oktober schuldenfrei, haben ein zukunftsfähiges Filialportfolio und werden auch das Digitalgeschäft stark ausbauen“, kündigte er an.

Die Planungen waren ehrgeizig, das zeigten schon die Neuverpflichtungen an der Spitze: Engelbert Thulfaut, vorher Verkaufschef bei Peek & Cloppenburg, soll den Vertrieb auf Vordermann bringen, der neue Chief Operating Officer Dirk Lessing war vorher Vorstand bei der Haniel-Tochter Takkt AG. Für den Einkauf holte das Unternehmen Karin Busnel-Knappertsbusch, die Erfahrungen unter anderem bei Jil Sander und Hugo Boss gesammelt hat.

Kern des neuen Konzepts aber ist der Digitalbereich, wo aber zugleich der größte Nachholbedarf herrscht. Laut Insolvenzplan hatte GKK im vergangenen Jahr gerade mal einen Onlineanteil am Umsatz von 4,3 Prozent. Zum Vergleich: In der Modebranche lag schon vor dem Lockdown der Onlineanteil nach Schätzungen von Experten bei rund 25 Prozent.

Die zeitweilige Schließung der Geschäfte dürfte diesen Anteil im vergangenen Jahr auf deutlich über 30 Prozent geschoben haben – Tendenz weiter steigend. Ein Händler, der da nicht über einen wettbewerbsfähigen E-Commerce verfügt, wird rasch abgehängt.

Den Ausbau des Onlinegeschäfts habe GKK deshalb jetzt zur Chefsache gemacht, berichtet ein Insider. Ziel ist ein tatsächlich funktionierender Omnichannelbetrieb, also die nahtlose Verknüpfung des E-Commerce mit den Filialen vor Ort. Was für einen Händler der Größe eine Selbstverständlichkeit sein sollte, existiert bei GKK trotz vieler Ankündigungen in den vergangenen Jahren erst in Ansätzen.

Eine der ersten Maßnahmen beispielsweise sollte die Ausrüstung des Verkaufspersonals in den Warenhäusern mit Mobilgeräten sein, damit sie im Kundengespräch jederzeit auf das Onlinesortiment und zusätzliche Produktinformationen zugreifen können. Doch solche Projekte verschlingen bei immer noch 131 Häusern eine riesige Summe, geplant wird für die Weiterentwicklung der gesamten digitalen Infrastruktur mit Investitionsmitteln von mehr als 150 Millionen Euro. Im Moment jedoch wird jeder Cent benötigt.

Lieferanten und Vermieter sollen helfen

So ist GKK zurzeit eher damit beschäftigt, an allen Fronten die Kosten zu verringern, um sich Liquidität zu sichern. Vermieter berichten, dass erneut über eine Aussetzung oder vorübergehende Reduzierung der Mieten gesprochen werde. Dabei hatten schon im Rahmen des Insolvenzverfahrens zahlreiche Vermieter drastischen Mietreduzierungen zugestimmt, um eine Kündigung des Vertrags zu verhindern.

Auch die Lieferanten gehe GKK um Unterstützung an, berichtet ein Topmanager eines Modeherstellers. Es gebe Forderung nach der Beteiligung an Abschriften und der Wunsch nach Stornierung von Lieferungen, heißt es. Auch wenn viele Lieferanten selbst in einer schwierigen Situation sind, dürfte das Unternehmen damit Erfolg haben.

„Karstadt und Kaufhof sind für viele Modehersteller immer noch ein sehr wichtiger Partner“, erklärt der Lieferant, der nicht genannt werden will. „Das darf einfach nicht schiefgehen, das Loch, das die mit ihren Häusern reißen würden, ist zu groß.“ GKK habe einiges an Umstrukturierungen angestoßen und wollte mit neuem Management in die Offensive gehen, „aber jetzt sind sie erst mal damit beschäftigt zu retten, was zu retten ist“.

Auch René Benko, dem das Warenhausunternehmen über ein verschachteltes Firmensystem gehört, hat Überlebenshilfe geleistet. So haben die Gesellschafter seit dem Beginn der Pandemie im März 2020 rund 550 Millionen Euro an zusätzlicher Liquidität zur Verfügung gestellt, teils als Zuschuss, teils als Kredit.

Geplant war nach dem Sanierungskonzept „Galeria 2.0“, bis zum Geschäftsjahr 2022/23 einen operativen Gewinn von 188 Millionen Euro (Ebitda) zu erwirtschaften, was einer Ebitda-Marge von fünf Prozent entspräche. Durch die „verbesserte wirtschaftliche Situation werden zukünftig Investitionen aus eigener Kraft ermöglicht“, heißt es im Plan. Über fünf Jahre könnten so rund 650 Millionen Euro in die Neuausrichtung investiert werden.

Doch diese Planungen sind erst mal Makulatur. Zwar ging das Konzept „Galeria 2.0“ davon aus, dass sich das Unternehmen erst im Geschäftsjahr 2021/22 von der Coronakrise erholt haben dürfte. Ein erneuter wochenlanger Lockdown mit so großen Umsatzausfällen jedoch war nicht einkalkuliert.

Trotzdem spürt Betriebsratschef Ettl in der Belegschaft eine „Aufbruchsstimmung“. Er sagt: „Ich habe erstmals seit 40 Jahren das Gefühl, dass wir die Transformation ernsthaft angehen können.“ Das Management habe bei der Restrukturierung den richtigen Weg gewählt, er sehe einen klaren Plan.

Wichtig sei auch, dass der Gesellschafter Signa sich an die Zusagen halte, die er im Rahmen des Insolvenzverfahrens gemacht habe. „Ich habe den Eindruck, dass Signa-Chef René Benko für uns ein verlässlicher Partner ist“, beobachtet Ettl. „Er steht bereit, uns bei unserem Weg zu unterstützen, er will offenbar beweisen, dass das Warenhaus eine Zukunft hat.“

Und das Entscheidende: „Wir sind ein Unternehmen, das Krisen kennt“, so Ettl. Deswegen sei er optimistisch, dass GKK trotz der aktuell schwierigen Situation am Leben bleiben und auch bald wieder nach vorn gehen könne.

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