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Linksruck in der SPD wird zum Stresstest für die GroKo

Das neue SPD-Führungsduo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken verspricht Nachverhandlungen beim Koalitionsvertrag – die Union markiert rote Linien.

Das Fundament der Großen Koalition wird immer brüchiger. Foto: dpa
Das Fundament der Großen Koalition wird immer brüchiger. Foto: dpa

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken konnten ihr Glück selbst kaum fassen. „Ziemlich großartig“, kommentierte Esken das Votum der SPD-Mitglieder, die sich mehrheitlich das Außenseiterteam als künftige Parteivorsitzende wünschen. Olaf Scholz und Klara Geywitz hingegen, die beide für den Fortbestand der Großen Koalition angetreten sind, erlitten eine bittere Niederlage. Scholz muss das Votum auch als Absage der Parteibasis an ein Regierungsbündnis werten, für das er als Vizekanzler und Finanzminister in die Bresche gesprungen ist.

Walter-Borjans und Esken geben sich da weniger kompromissbereit. Sie ließen schon im Vorfeld des Entscheids keinen Zweifel daran, dass sie einen Linksschwenk der Sozialdemokraten wollen. Zwar machten sie deutlich, dass sie die Große Koalition nicht überstürzt aufkündigen würden. Doch das designierte Führungsduo knüpft den Fortbestand der Regierung an eine Reihe von inhaltlichen Forderungen, etwa die Heraufsetzung des Mindestlohns und die Einführung einer Vermögensteuer.

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Und sie legen die Axt an das haushaltspolitische Mantra der Koalition, keine neuen Schulden zu machen. Die Union hingegen lehnt weitere Zugeständnisse ab, nachdem sie dem Koalitionspartner schon bei der Grundrente weit entgegenkommen ist.

Union spielt alle Optionen durch

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) warnt die neue SPD-Führung schon vorsorglich vor einer Abkehr von der schwarzen Null und „teuren sozialpolitischen Versprechen“. Trotzdem will die Union an dem Regierungsbündnis festhalten. „Die Große Koalition muss mit Sacharbeit überzeugen. Wir müssen die Personaldebatten beenden und Themen anpacken, das erwarten die Bürger von uns“, sagte Altmaier dem Handelsblatt.

Der von Esken und Walter-Borjans erwogene Ausstieg der SPD aus der Regierung sei ein Irrweg. Altmaier verweist auf das Scheitern der Verhandlungen zu einem Jamaika-Bündnis zwischen Union, Grünen und FDP: „Ich sehe keinen Sinn darin, wenn sich nach der FDP nun auch die SPD ihrer staatspolitischen Verantwortung entzöge.“

Auch CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer ließ die Sozialdemokraten wissen, dass der Koalitionsvertrag weiter die „Geschäftsgrundlage“ für die Regierung sei: „Für die CDU ist ganz klar: Wir stehen zu dieser Koalition.“ Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner wendet sich gegen ein „einseitiges Nachverhandeln, nur weil die SPD-Spitze gewechselt hat“.

Und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt macht deutlich: „Die SPD muss sich entscheiden, ob sie mit stabiler Regierungsarbeit Vertrauen bei den Wählern zurückgewinnen möchte oder aus Angst vor Verantwortung weiter an Zustimmung verlieren will.“

Nach außen bemüht sich die Union um Gelassenheit. Hinter den Kulissen werden aber bereits alle Optionen durchgespielt, für den Fall, dass die SPD einen radikalen Kurswechsel einläuten sollte. Am Samstagabend fanden schon erste Abstimmungen in der CDU-Spitze ab. Wie das Handelsblatt aus Parteikreisen erfuhr, waren sich die führenden Unionsleute einig, dass es keine Nachverhandlung des Koalitionsvertrags geben werde.

Nach den Kompromissen bei Grundrente und Klimapaket sei der CDU-Basis nicht mehr zuzumuten. In den Gesprächen wurde demnach auch das Vorgehen durchgespielt für den Fall, dass die Koalition platzt. Kanzlerin Angela Merkel könnte mit einem verabschiedeten Haushalt für 2020 und ihrer starken Stellung durch das Grundgesetz eine Minderheitsregierung anführen. Wahrscheinlicher wird in der CDU jedoch eine Neuwahl eingestuft.

FDP-Chef Christian Lindner sieht das Regierungsbündnis vor kaum lösbaren Widersprüchen, die am Ende zu Neuwahlen führen könnten. „Durch die Entscheidung der SPD ist die GroKo in ein Dilemma geraten“, sagte Lindner dem Handelsblatt. „Gibt es keine Zugeständnisse an die neue Führung, müssen die Sozialdemokraten die Regierung verlassen, oder der Aufbruch ist vor seinem Beginn zu Ende. Sollte es aber weitere Zugeständnisse der Union geben, werden sich Unzufriedenheit und Instabilität in der CDU verstärken.“

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer warnt die Union davor, sich von der SPD inhaltlich erpressen zu lassen. „Ein angedrohter Koalitionsbruch darf kein Grund sein, Erpressungen nachzugeben“, sagte Kramer der „Rheinischen Post“.

Die Union müsse jetzt einen möglichen Konflikt mit der SPD aushalten und sich gegen einen weiteren Anstieg der Sozialausgaben stellen. „Das Gleiche gilt für Bewegungsspielräume einschränkende Regulierungen in der Wirtschaft“, mahnte Kramer. „Nun muss endlich das Notwendige getan werden, um die Unternehmen bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Umbrüchen zu unterstützen, und alles vermieden werden, was die Wirtschaft bei notwendigen Anpassungen behindert.“

Höhere Steuern für Reiche

Auf die Wünsche der Wirtschaft gingen Walter-Borjans und Esken im SPD-internen Wahlkampf nicht ein – im Gegenteil. Sie versprachen den Genossen einen linken Politikwechsel. Sie wollen die Vermögensteuer wieder einführen und die Einkommensteuer für Topverdiener erhöhen. Der Mindestlohn sollte ihrer Ansicht nach auf mindestens zwölf Euro steigen. Außerdem wollen Walter-Borjans und Esken die Bedingungen erleichtern, dass die Regierung Tarifverträge auf ganze Branchen überträgt.

Wie lange jemand Arbeitslosengeld bekommt, soll sich danach richten, wie lange er in die Versicherung eingezahlt hat. Kindergeld, Kinderfreibeträge, Kinderzuschlag und andere Familienleistungen sollen zusammengelegt werden zu einer Kindergrundsicherung. Je nach Einkommen sollen Familien für jedes Kind zwischen 300 und 619 Euro bekommen. Das Bildungs- und Betreuungssystem soll gebührenfrei sein.

Das mühsam ausgehandelte Klimapaket der Großen Koalition wollen die künftigen SPD-Chefs noch einmal aufschnüren. Sie fordern einen CO2-Preis von 40 statt der geplanten zehn Euro pro Tonne. Zugleich sollen Bürger entlastet werden, die den CO2-Preis durch höhere Heiz- und Benzinkosten mitbezahlen.

Der sozialdemokratischen Doppelspitze schwebt außerdem ein öffentliches Investitionsprogramm vor, bei dem im kommenden Jahrzehnt bis zu 500 Milliarden Euro zusätzlich in Straßen, Schulen, Bahnstrecken, Klimaschutz und Digitalisierung gesteckt werden soll. Außerdem soll der Bund hochverschuldeten Kommunen unter die Arme greifen. Um die Vorschläge zu finanzieren, soll die schwarze Null aufgegeben werden.

Entscheidung liegt beim Parteitag

Ob aus den Forderungen des Spitzenduos harte Bedingungen für den Fortbestand der Großen Koalition werden, hängt wesentlich vom Parteitag der Sozialdemokraten ab. Am Dienstag ist zunächst ein Treffen des erweiterten SPD-Präsidiums mit Esken und Walter-Borjans geplant. Dabei soll ein Antrag beraten werden, der die Haltung zum Regierungsbündnis beschreibt. Am Donnerstag soll sich dann der Parteivorstand mit den Empfehlungen für den Parteitag befassen, der am Freitag in Berlin beginnt.

Esken erklärte, dass sie und Walter-Borjans „keinen Alleingang“ planten. Auf die Frage, ob ohne inhaltliche Nachverhandlungen die Koalition am Ende sei, sagte sie in einem ARD-Interview lediglich: „Wir werden beim Parteitag diskutieren, wie wir damit umzugehen haben.“ Allerdings hätten beide Volksparteien während der Zeit der Großen Koalition deutlich an Zuspruch verloren, so Esken: „Für die Demokratie ist die Große Koalition auch Mist.“

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid, hält dagegen: „Es wäre fahrlässig, ein GroKo-Ende herbeizureden.“ Millionen von Beschäftigten hätten hohe Erwartungen an die SPD, gerade jetzt, da ein Wirtschaftsabschwung drohe und die Autoindustrie Zehntausende Stellen abbaue. Die neue Parteiführung müsse nun definieren, wofür die SPD künftig steht, sagte Schmid dem Handelsblatt. „Es reicht aber nicht, das eigene Regierungshandeln schlecht zu finden.“

Gerade der konservative Parteiflügel hat Bedenken, die Union mit unerfüllbaren Bedingungen zu konfrontieren. „Eine Koalition ist keine Einbahnstraße. Das muss allen Beteiligten klar sein“, sagte der Chefhaushälter der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Kahrs, dem Handelsblatt. Er persönlich finde einen Mindestlohn von zwölf Euro „ganz großartig“.

Allerdings müsse man dann damit rechnen, dass die Union auch etwas wolle. „Wenn wir ein Entgegenkommen der Union bei unseren Themen erwarten, müssen wir auch bereit sein, auf ihre Forderungen einzugehen, und zum Beispiel über eine Unternehmensteuerreform reden.“

Ein Mitglied des SPD-Präsidiums, das nicht namentlich zitiert werden will, scheint angesichts der neuen Lage nach dem Votum für Esken und Walter-Borjans mit der Regierungszeit bereits abgeschlossen zu haben: „Ich rechne damit, dass die Koalition platzt.“