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Lieber Hirn statt Herz

Bosch baut seine Halbleitersparte aus – für gut eine Milliarde Euro errichtet der Technologiekonzern eine neue Fabrik in Dresden. Und der Bund lässt sich die 700 neuen Arbeitsplätze einiges kosten. Ein Kommentar.

Die Investition in die Chipfabrik in Dresden, gleichzeitig die größte Einzelinvestition von Bosch in ein Werk in 130 Jahren Firmengeschichte, zeigt vor allem eines: Wofür der Bosch-Konzern für seine Zukunft bereit ist Milliarden in die Hand zu nehmen – aber auch wofür nicht mehr.

Sensoren, die Beschleunigung, Drehraten, Massenfluss, Druck und Umwelt erfassen, machen Autos immer intelligenter, bis sie eines Tages alleine fahren können. Mikrofone und Chips für Fahrzeugsteuergeräte ebenfalls.

Für all das braucht man Halbleiter. Das Bosch der Zukunft will für die Fahrzeuge der Zukunft Gehirne und Sinnesorgane bauen. Um im Bild zu bleiben, Herz und Muskeln scheinen von abnehmender Bedeutung. Das Skelett der Fahrzeuge – sprich Fahrwerk – hat die Schwaben ohnehin bislang wenig interessiert.

Der Logik folgend hat Bosch die Starter und Generatoren an Chinesen abgegeben und will seine Turbolader verkaufen. Alles Technologien, die man eines Tages nicht mehr braucht, wenn immer weniger und irgendwann mal keine Verbrennungsmotoren mehr gebaut werden. Wann das sein wird ist noch unklar, aber die Weichen stellt Bosch schon heute.

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Die Schwaben wollen es besonders gründlich machen. Es ist wohl der einzige Automobilzulieferer, der sich seit Jahrzehnten eine eigene Halbleiterfertigung leistet. Bosch setzt an diesem wichtigen Punkt auf Fertigungstiefe. Auch weil in Dresden prinzipiell auch Halbleiter nicht nur für Autos, sondern auch für Smartphones und die nächste Generation intelligenter Hausgeräte, Elektrowerkzeuge und Heizungen gebaut werden können, die der Konzern ja auch herstellt.

Bosch begibt sich mit dem Schritt weiter in Richtung Halbleiterindustrie. Ein lukrativer, aber auch sehr zyklischer Sektor und ein riskanter. Bei den Chips für Autos sehen sich die Schwaben auf Platz fünf. Eine Position, die den Ansprüchen des Traditionskonzerns in Zukunft und auf Dauer eigentlich nicht genügen kann. Die logische Folge wären weitere Investitionen in diesen volatilen Bereich.

Und noch eine Nebenwirkung hat die Hinwendung zur Künstlichen Intelligenz. Software und Sensoren haben eine höhere Wertschöpfung als die kürzlich verkauften Anlasser und Generatoren, aber sie brauchen weniger Beschäftigte. In der High-Tech-Fabrik in Dresden werden gerade mal 700 Jobs entstehen. Bei Subventionen über 200 Millionen Euro von Bund und Land bedeutet das ein Investment der öffentlichen Hand von rund 300.000 Euro pro Arbeitsplatz. Ohne die öffentlichen Gelder, würde Bosch – ein Konzern immerhin mit einer freien Liquidität von 16 Milliarden Euro – gar nicht nach Dresden gehen.

Das zeigt wie teuer die Ansiedlung von High-Tech-Arbeitsplätzen in der Industrie auch für den Staat ist. Sicher ist es ein wichtiges politisches Ziel, den industriellen Kern des Landes zu stärken. Aber der damit weiter angeheizte weltweite Subventionswettlauf um die Ansiedlung von High-Tech kann nicht vernünftig sein.

KONTEXT

Fakten zur Bosch-Fabrik in Dresden

Das Milliarden-Werk

Selbst Alltagsgeräte wie Zahnbürste und Waschmaschine sind immer häufiger vernetzt. Dafür braucht man Chips. Bosch will sein Stück vom Markt haben - und dabei die Kontrolle behalten. Für bis zu 1,3 Milliarden Euro plant der Technologiekonzern deshalb in Dresden einen neuen Standort zur Chip-Produktion. Es ist die größte Investition der Firmengeschichte. Ein Überblick in Fragen und Antworten.

Quelle: dpa

Was genau macht Bosch in Dresden?

Für eine Milliarde Euro will Bosch bis Ende 2019 ein Hightech-Werk bauen, dessen Produktion 2021 anfangen und das 700 Mitarbeiter haben soll. Es sollen zunächst Halbleiter - also Chips - gebaut werden, die vor allem in Autos eingesetzt werden, zum Beispiel für Airbags. Später will der größte Autozulieferer der Welt in Dresden auch sogenannte mikroelektromechanische Systeme fertigen. Diese Sensoren erkennen etwa, ob ein Auto umzukippen droht oder ob ein Smartphone gedreht wird und sich die Display-Anzeige dadurch ändern muss. Sie werden auch in Industriemaschinen eingesetzt. Solche Chips macht Bosch als einer der weltweiten größten Anbieter bereits in einer Fabrik in Reutlingen, aber in einer anderen Technologie.

Warum ausgerechnet in Dresden?

In Anlehnung an den US-Hightech-Standort Silicon Valley rühmt sich die sächsische Landeshauptstadt als "Silicon Saxony". Klingt etwas vermessen? Für die Chip-Branche ist das aber durchaus angebracht - in den vergangenen Jahrzehnten entstanden rund 60.000 Arbeitsplätze in Sachsens IT-Branche, Firmen wie Infineon und der vom Intel-Rivalen abgespaltene Chip-Auftragsfertiger Globalfoundries siedelten sich an. Zudem gibt es wissenschaftliche Expertise, etwa an der Technischen Universität Dresden und dem Fraunhofer-Institut. Auch Bosch ist seit 2013 in der Elbmetropole vertreten, und zwar mit einem Entwicklungsabteilung für Chips. "Dresden ist ein anerkanntes Zentrum für Halbleitertechnik, das sich über Jahrzehnte bewährt hat", sagt Bosch-Geschäftsführer Dirk Hoheisel.

Gab es Konkurrenten bei der Standortentscheidung?

Die gab es nach Angaben des Bosch-Managers reichlich. "In einem langen Prozess haben wir die ganze Welt gescannt." Dem Vernehmen nach waren unter anderem Singapur und New York im Rennen bei der Standortsuche. "Unsere Entscheidung für Dresden ist auch ein Zeichen für Deutschland, dass es ein attraktiver Standort für Hightech und Innovation bleibt", sagt Hoheisel. Reichlich werden übrigens auch Steuergelder fließen, und zwar über einen Sondertopf für Projekte von strategischer Bedeutung. Laut Angaben von Montag soll es um bis zu 200 Millionen Euro gehen - die EU-Kommission soll das erst noch bewilligen.

Also Dresden wegen staatlicher Finanzspritzen?

Hoheisel sagt dazu nur: "Die Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums hat uns auch geholfen, die Entscheidung so zu fällen."

Welche Chips stellt Bosch her?

Es geht um die sogenannte 300-Millimeter-Technologie, als um Scheiben (Wafer) aus Silizium mit 30 Zentimeter Durchmesser, auf denen einzelne Chips entstehen und nach hunderten hochkomplexen, insgesamt monatelangen Arbeitsschritten herausgeschnitten werden. Die 300-Millimeter-Technologie ermöglicht eine höhere Chip-Produktion pro Wafer und damit auch niedrigere Stückkosten. Bisher ist Bosch in der 150- und 200-Millimeter-Chiptechnologie aktiv, hierfür hat die Firma einen Produktionsstandort in Reutlingen. Diese 2010 eröffnete Anlage war mit 600 Millionen Euro übrigens die bislang höchste Einzelinvestition des schwäbischen Konzerns.

Warum sind Chips so wichtig für die Industrie?

Die Halbleiter-Fertigung gewinnt rasant an Bedeutung. Man spricht in der Branche von drei Wellen: In den 1990er und 2000er Jahren gab es eine hohe Nachfrage nach Computer- und Laptop-Prozessoren, danach kam eine Nachfragewelle nach Handy- und Smartphone-Chips. Nun gewinnt das sogenannte Internet der Dinge an Bedeutung, bei dem Maschinen und alle möglichen anderen Dinge vernetzt werden. Die Autobranche setzt große Hoffnungen in selbstfahrende Autos sowie in Elektrofahrzeuge, auch hier wird die Nachfrage nach Chips steigen. Heutzutage sind in einem Oberklasse-Auto etwa 300 bis 400 Chips verbaut, künftig dürften es noch mehr werden.

Was ist der kritische Punkt bei der Bosch-Investition?

Mit Blick auf die hohe Investitionssumme ist klar: Bosch muss damit auf einen überschaubaren Zeitraum auch richtig Geld verdienen. Das ist alles andere als ein Selbstläufer. Der Chip-Markt ist von asiatischen Anbietern dominiert, die Preise sinken tendenziell. Der Wettbewerbsdruck ist also enorm hoch. Bosch ist zwar mit den in Reutlingen hergestellten Mems-Systemen bereits gut unterwegs, kommt mit der Dresdner Fabrik aber auf ein neues Level, bei dem auch Masse gefragt ist. Wird Bosch so viele Chips verkaufen können, um hier profitabel zu sein? "Wir sind uns sehr sicher, dass sich die Investition in absehbarer Zeit auszahlt", sagt Bosch-Manager Hoheisel.

Warum kauft Bosch nicht einfach Chips vom Weltmarkt?

Bosch will sein eigenes Ding machen. "Uns ist es wichtig, dass wir die Schlüsseltechnik in eigenen Händeln haben und nicht von Zulieferern abhängig sind", sagt Bosch-Geschäftsführer Hoheisel. Aber wäre es nicht viel billiger, auf Chips anderer Anbieter oder Auftragsfertiger zu setzen? "Natürlich würden ökonomische Berechnungen andere Wege aufzeigen, aber wir setzen auf Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit."

Ist die Bosch-Investition eine generelle Abkehr von Kooperationen?

Nein. Nach Aussage von Bosch werden Partnerschaften in der Halbleiterbranche in Zukunft an Bedeutung gewinnen. So arbeitet Bosch bereits mit dem US-Konzern Nvidia zusammen, der Bosch einen Chip für einen zentralen Fahrzeugcomputer liefern soll und der in autonom fahrenden Autos zum Einsatz kommen könnte. "Bei reinen Rechnerarchitekturen setzen wir weiter auf Partnerschaften und nicht auf eigene Halbleiterproduktion - da nutzen wir lieber Bausteine, die schon am Markt zu haben sind", sagt Hoheisel.