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Liberty will Thyssen-Krupp Steel komplett übernehmen

Das Angebot des britischen Konzerns fährt der IG Metall in der Debatte um eine Staatsbeteiligung in die Parade. Daran ist auch ein alter Bekannter beteiligt.

Die Arbeitnehmer hoffen auf einen Einstieg des Staates. Foto: dpa
Die Arbeitnehmer hoffen auf einen Einstieg des Staates. Foto: dpa

Mit seiner Ankündigung platzte der britische Stahlkocher Liberty Steel mitten in die Demonstration der IG Metall hinein. Während sich am vergangenen Freitag Tausende Stahlarbeiter auf den Düsseldorfer Rheinwiesen versammelten, um vor der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei für einen Staatseinstieg bei Thyssen-Krupp zu werben, bestätigte Liberty die Gerüchte um ein Angebot zur Übernahme der notleidenden Stahlsparte.

„Wir haben ein indikatives, nicht bindendes Gebot für eine Komplettübernahme abgegeben“, sagte Liberty-Chef Sanjeev Gupta am Freitagmittag während einer eilig einberufenen Telefonkonferenz. Am Abend vorher hatte bereits der „Spiegel“ über das Angebot berichtet – was bei den Stahlarbeitern zunächst auf heftige Ablehnung stieß. „Liberty will wohl im Ein-Euro-Laden einkaufen“, wetterte etwa der IG-Metall-Bezirksvorsitzende Knut Giesler.

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Das Angebot des britischen Rivalen fährt der Gewerkschaft mitten in die Parade. Zwar sucht Thyssen-Krupp schon seit einiger Zeit nach einem strategischen Partner, der finanzkräftig genug ist, um den milliardenschweren Investitionsbedarf der Sparte mitzutragen. Die IG Metall hat dafür den Staat im Blick – und trommelt seit Wochen kräftig für einen Einstieg des Landes NRW oder der Bundesregierung.

Die Sorge der Gewerkschaft: Bei einer Fusion mit einem der Konkurrenten wie Salzgitter, SSAB oder Tata Steel, die ebenfalls Interesse haben, würden Arbeitsplätze gestrichen werden. Zudem wäre ein Käufer ohne Staatshilfen nicht in der Lage, die notwendigen Modernisierungen an den Anlagen zu finanzieren. Mit dem Vorstand von Thyssen-Krupp hatten sich die Arbeitnehmer auf ein Investitionsvolumen von sechs Milliarden Euro über die nächsten zehn Jahre geeinigt. Das war vor der Coronakrise –

nun schreibt der Ruhrkonzern allerdings tiefrote Zahlen.

Ein alter Bekannter

Doch durch das Angebot von Liberty Steel gewinnt die Situation eine neue Dynamik. Denn ebenfalls am Freitag gab der Mutterkonzern von Liberty Steel, die Gupta Family Group Alliance, die Nominierung eines alten Bekannten von Thyssen-Krupp als COO bekannt: Ab kommendem Jahr zieht dort Premal Desai in den Vorstand ein.

Der frühere Thyssen-Krupp-Stahlchef war es, der das Sanierungskonzept für Thyssen-Krupp Steel vor seinem Abgang als Spartenchef im Februar maßgeblich mit ausgearbeitet hatte. Neben Investitionen sieht die Vereinbarung mit der IG Metall auch den Abbau von 3000 Arbeitsplätzen vor. Für die Grobblech-Produktion in Duisburg-Hüttenheim sucht der Konzern aktuell separat nach einem Käufer.

Liberty-Chef Gupta erklärte lediglich, er werde Vereinbarungen des früheren Managements respektieren. „Es gehört zum Kern unseres Unternehmens, dass wir Entscheidungen zusammen mit allen Stakeholdern fällen – und nicht gegen sie.“

Auch wenn die Gewerkschaft gegen die Offerte der Briten ist: Liberty soll der einzige Konzern sein, der tatsächlich Geld bietet. Angesichts des hohen Investitionsbedarfs und der schlechten Marktlage sollen laut Kreisen andere Interessenten Geld von Thyssen-Krupp fordern, wenn sie die Stahlsparte übernehmen

Liberty will an den bisherigen Investitionszusagen festhalten. Ziel sei es, die Rohstahlproduktion von Thyssen-Krupp zu stärken und damit die weiterverarbeitenden Werke von Liberty zu beliefern. Dort gebe es aktuell einen Bedarf von zwei bis drei Millionen Tonnen Rohstahl jährlich, den Liberty aktuell nicht aus eigener Produktion decken kann. Die Hochöfen von Thyssen-Krupp könnten diese Lücke füllen.

Insgesamt produziert Thyssen-Krupp in Duisburg jährlich zehn Millionen Tonnen Rohstahl. Etwaige Überkapazitäten, die durch die Übernahme entstehen, könnten dafür an anderen Standorten von Liberty wegfallen.

Derzeit ist Liberty an verschiedenen Standorten in Großbritannien, Tschechien, Rumänien, Italien, Mazedonien, Luxemburg, den USA und Australien vertreten. Dabei verfügt der Konzern mit einer Mine in Australien auch über eine eigene Rohstoffversorgung – und ist damit in Teilen unabhängiger vom Verlauf der Erzpreise als die Stahlsparte von Thyssen-Krupp, die sich nicht selbst mit Erz versorgen kann.

Für den britischen Stahlkocher wäre die Übernahme von Thyssen-Krupp ein gehöriger Schritt nach vorn: Mit der Übernahme würde Liberty zum zweitgrößten Stahlhersteller in Europa aufsteigen. Zwar sind die beiden Unternehmen mit einer Kapazität von jeweils rund zehn Millionen Tonnen Stahl jährlich und jeweils knapp 30.000 Mitarbeitern von vergleichbarer Größe. Doch bei der Güte liegen die Duisburger deutlich vorn: Während Thyssen-Krupp vornehmlich die Automobilindustrie beliefert, produziert Liberty bislang vor allem für die Baubranche.

Zudem ist Thyssen-Krupp mit seiner gut 200-jährigen Geschichte deutlich länger im Geschäft als Liberty, das erst 2009 in die Stahlproduktion eingestiegen ist – und seither vor allem durch Zukäufe aufgefallen ist. Erst im vergangenen Jahr übernahm Liberty für 740 Millionen Euro insgesamt sieben Stahlwerke von Arcelor-Mittal – und verdoppelte seine Belegschaft auf einen Schlag.

In Kreisen von Thyssen-Krupp unken daher einige Manager, dass Liberty die Sparte billig abstauben wolle. Dies dürfte indes nicht zutreffen. Gupta biete immerhin im Gegensatz zu anderen Geld, hieß es in Finanzkreisen.

Weitere Interessenten im Rennen

Nun will Liberty-Eigner Sanjeev Gupta seinen Fußabdruck in Mitteleuropa vergrößern. „Thyssen-Krupp Steel und Liberty sind sehr komplementär aufgestellt“, warb Gupta für sein Vorhaben. „Liberty Steel ist stärker in der Weiterverarbeitung, Thyssen-Krupp stärker in der Rohstahlerzeugung.“ Er sei überzeugt, dass Liberty die richtige Antwort für Thyssen-Krupp sei, so Gupta – sowohl in ökonomischer, ökologischer als auch sozialer Hinsicht.

Vertreter der IG Metall hingegen sehen das anders. „Dieses Unternehmen hat im Stahlbereich in Europa bislang alles aufgekauft, was andere abgegeben haben“, erklärte etwa der stellvertretende Aufsichtsratschef von Thyssen-Krupp und Hauptkassierer der IG Metall, Jürgen Kerner. „Aber was bedeutet es für uns, wenn es einen neuen Eigentümer gibt? Haben wir deswegen einen Euro mehr Eigenkapital? Nein.“

Auch Tekin Nasikkol, Betriebsratschef der Stahlsparte und Mitglied im Konzernaufsichtsrat, sieht die Offerte der Briten kritisch. „Liberty will jetzt die Krise von Thyssen-Krupp nutzen, um uns zu übernehmen“, sagte er dem Handelsblatt. „Wir brauchen jetzt aber keinen Schnäppchenjäger, sondern Liquidität in der durch Corona verursachten Krise und finanzielle Mittel für den Weg zur CO2-freien Stahlproduktion.“

Der Liberty-Chef versuchte, Bedenken der Gewerkschaften zu zerstreuen: „Auf unserem bisherigen Weg haben wir alle Veränderungen immer gemeinsam mit den Mitarbeitern erreicht. Das ist mir wichtig, und das wird auch bei Thyssen-Krupp so sein.“ Gupta sagte: „Mit einem Zusammenschluss verbessern wir die Auslastung auf beiden Seiten und sichern so Arbeitsplätze.“

Thyssen-Krupp erklärte, dass sich der Konzern das Angebot von Liberty nun sorgfältig anschaue. „Gleichzeitig werden wir die Gespräche mit anderen potenziellen Partnern in gleicher Weise wie bisher konsequent fortsetzen“, sagte ein Sprecher. Das Ziel des Bieterverfahrens sei es, das Stahlgeschäft zukunftsfähig zu machen.

Als weitere Interessenten für die Stahlsparte gelten der schwedische Stahlhersteller SSAB sowie die britisch-niederländische Tochter des indischen Stahlriesen Tata Steel. Dabei ist es unwahrscheinlich, dass die beiden ein Angebot für eine komplette Übernahme abgeben. Sowohl den Schweden als auch den Indern wird jedoch Interesse an einer mehrheitlichen Übernahme nachgesagt.

Dabei war ein Zusammenschluss von Tata Steel Europe und Thyssen-Krupp im vergangenen Jahr am Veto der EU-Wettbewerbskommission gescheitert. Experten rechnen damit, dass die Hürden bei einem neuen Anlauf wohl ähnlich hoch liegen dürften – auch weil sich an der grundsätzlichen Marktstruktur seither nichts geändert hat.

An der Börse wurde die Nachricht euphorisch aufgenommen: Im Vergleich zum Vortag lag die Aktie zeitweise fast 25 Prozent im Plus. Aktionärsschützer Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sagte dem Handelsblatt: „Die Aktionäre erwarten, dass die Transaktion sauber verhandelt wird.“ Wie attraktiv das Angebot sei, hänge letztendlich auch an der Höhe des Angebots, so Tüngler. „Nicht jeder Preis ist ein guter Preis. Thyssen-Krupp ist nicht in einer so hoffnungslosen Situation, in der der Konzern jedes Angebot akzeptieren muss.“

Nach wie vor bleibt auch der Staatseinstieg eine Möglichkeit, wie Thyssen-Krupp-Vorstandschefin Martina Merz vor wenigen Tagen erklärte. So ließ sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bei der Demonstration in Düsseldorf am Freitag persönlich blicken – und versprach den Stahlkochern dabei seine Hilfe. „Wir sind im Moment fast wöchentlich im Gespräch mit allen Beteiligten“, sagte Laschet. Die Lage werde genauestens geprüft.

Gleichzeitig sagte Laschet Landeshilfen zu, um die Transformation zur CO2-neutralen Stahlproduktion zu finanzieren. „Dieses Geld wird vom Land Nordrhein-Westfalen bereitstehen“, so der Ministerpräsident.

Auch Liberty-Chef Gupta will bei einer Übernahme von Thyssen-Krupp rasch eine CO2-neutrale Stahlproduktion einführen. „Die Werke sind nicht ausgelastet, und die Klimabilanz der Branche ist alles andere als gut. Deshalb müssen wir Stahl möglichst schnell CO2-neutral produzieren“, sagte er der „Rheinischen Post“ vom Samstag.