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Liberaler Albtraum: Lindner muss um den FDP-Vorsitz kämpfen

Die Liberalen stehen nach den Ereignissen von Erfurt vor einem Trümmerhaufen. Einflussreiche FDP-Politiker bereiten sich schon auf die Zeit nach Parteichef Lindner vor.

Kemmerichs Rücktrittsankündigung dürfte den Imageschaden für die Partei kaum beheben. Foto: dpa
Kemmerichs Rücktrittsankündigung dürfte den Imageschaden für die Partei kaum beheben. Foto: dpa

Das FDP-Vorstandsmitglied Johannes Vogel war unterwegs nach Washington, als seine Parteifreunde in Erfurt ein politisches Beben auslösten. Während der Reise in die US-Hauptstadt erfuhr er von der Wahl des Thüringer FDP-Landeschefs Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten, die ohne AfD-Unterstützung nicht möglich gewesen wäre.

Aus dem Flugzeug setzte er über das Bord-Internet einen Tweet ab. „Als Kandidat der Mitte antreten zu wollen war nachvollziehbar“, schrieb Vogel. „Aber mit den Stimmen von Björn Höcke & Co. gewählt zu werden muss für jeden Liberalen schlicht unerträglich sein.“

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Vogel ist Sprecher für Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik der FDP-Bundestagsfraktion. Der Nordrhein-Westfale engagierte sich bei den Grünen, ehe er zur FDP kam. Anfang des Jahres verfasste er einen Gastbeitrag mit dem Titel „Sozialliberale in die FDP? Das kann funktionieren.“

Nun muss Vogel aus den USA verfolgen, wie seine Partei in die Nähe von Rechtspopulisten gerückt wird. Demonstranten stimmten vor der FDP-Zentrale in Berlin an: „Wer hat uns verraten? Freie Demokraten!“

Die Vorgänge in Thüringen sind ein politisches Desaster – für die FDP und für ihren Bundesvorsitzenden Christian Lindner. Lindner fuhr am Donnerstag nach Erfurt, um Kemmerich zum Rückzug zu bewegen und den Weg für Neuwahlen in Thüringen frei zu machen. Als dieser nicht einlenken wollte, drohte Lindner nach Informationen des Handelsblatts mit dem eigenen Rücktritt. Erst dann gab Kemmerich nach: Die FDP-Fraktion will nun einen Antrag auf Auflösung des Landtags stellen.

Lindner sagte anschließend, Kemmerich habe „die einzig richtige, einzig mögliche Entscheidung getroffen“. Eine „Brandmauer“ gegenüber der AfD gehöre zu den „Grundüberzeugungen“ seiner Partei. Der FDP-Vorsitzende scheint aber zu sehen, wie stark die Vorgänge auch ihm persönlich geschadet haben. Lindner kündigte an, bei einer Sondersitzung des Parteivorstands am Freitag die Vertrauensfrage zu stellen.

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Getrennt traten Lindner und Kemmerich vor die Presse. Der Thüringer FDP-Chef sagte, er wolle mit dem Schritt zu Neuwahlen „den Makel der Unterstützung durch die AfD vom Amt des Ministerpräsidenten“ nehmen. „Demokraten brauchen demokratische Mehrheiten, die sich offensichtlich in diesem Parlament nicht herstellen lassen.“

Ob Kemmerich nach seiner flüchtigen Amtszeit als Ministerpräsident dem nächsten Parlament angehören wird, darf bezweifelt werden. Schon im Herbst hatte es seine FDP nur ganz knapp in den Thüringer Landtag geschafft.

Lindner hatte zunächst trotz des öffentlichen Drucks an Kemmerich festgehalten. Zwar lehnte der FDP-Chef eine Kooperation mit der AfD entschieden ab, das Wort Rücktritt nahm er am Mittwoch im Genscher-Haus aber nicht in den Mund. Stattdessen forderte Lindner CDU, SPD und Grüne auf, mit Kemmerich zusammenzuarbeiten.

Im offenen Widerspruch zu NRW

Während Lindner lavierte, gingen Parteifreunde viel weiter. „Es kann keinen liberalen Ministerpräsidenten geben, der von der AfD ins Amt gewählt wird“, erklärte Joachim Stamp, stellvertretender Ministerpräsident und Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen. Kemmerich müsse zurücktreten. NRW ist der Landesverband, dem auch Lindner angehört – und er stand damit offen im Widerspruch zu der Position des Bundesvorsitzenden.

Auch der Bundestagsabgeordnete Thomas Sattelberger zeigte Unverständnis. „Glücklich war ich über seine gestrige Stellungnahme nicht, sie war mir zu weich“, sagte er dem Handelsblatt. Ein anderer Parlamentarier, der nicht namentlich genannt werden möchte, bemängelt schlechtes Krisenmanagement: „Lindner hätte gleich sagen müssen, dass Kemmerich zurücktreten muss.“

Der Bundesvorsitzende wusste vorab von dem Plan der Thüringen-FDP, ihren Landesvorsitzenden im dritten Wahlgang ins Rennen zu schicken. Anfang der Woche telefonierten Kemmerich und Lindner noch einmal zu dem Thema. Die Entscheidung habe der Parteichef am Ende dem Thüringer Landesverband überlassen, heißt es in Parteikreisen.

Mehrere FDP-Politiker, mit denen das Handelsblatt sprach, werten dieses Vorgehen als schweren Fehler. Ende Januar kamen die Pläne des Thüringer Landesverbandes nach Informationen des Handelsblatts auch bei einer Sitzung der FDP-Bundestagsfraktion zur Sprache. Dort habe sich Lindner über das Vorhaben eher lustig gemacht.

Natürlich hätte er gerne einen liberalen Ministerpräsidenten, soll Lindner süffisant gesagt haben. Eine gute Idee sei die Kemmerich-Kandidatur aber dennoch nicht. Sitzungsteilnehmer verstanden das als klare Distanzierung und glaubten, ihr Chef werde das Thema schon abräumen.

Lindner räumte es nicht ab. Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Michael Theurer sagte, dass man den Thüringern von einer Kandidatur abgeraten habe. Der Landesverband habe also „weder die Unterstützung noch die Billigung der Bundesspitze“ gehabt. Da Kemmerich unbeirrt an seinem politischen Manöver festhielt, stellt sich die Frage: Hat Lindner seine Partei noch im Griff?

Liberale in Hamburg bangen um Bürgerschaftswahl

Der FDP-Chef erklärte bei der Pressekonferenz in Erfurt, die Kandidatur von Kemmerich sei als „Symbol für die politische Mitte jenseits von AfD und Linkspartei“ gedacht gewesen. „Zu keinem Zeitpunkt war für mich erkennbar beabsichtigt, tatsächlich ein Amt zu erreichen.“

Allerdings war er offenbar gewarnt: Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ließ wissen, sie habe Lindner auf die Gefahr einer „AfD-Volte“ hingewiesen und „herzlich gebeten“, keinen Kandidaten aufzustellen. Doch Lindner sei „augenscheinlich“ bei seinen Thüringer Parteifreunden nicht durchgedrungen.

Die Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Ria Schröder, forderte einen Parteibeschluss, dass FDP-Politiker ein Amt künftig nicht annehmen dürfen, wenn die Wahl ohne Unterstützung der AfD nicht möglich gewesen wäre – so wie bei Kemmerich. „Es zeigt sich, dass es ein Fehler war, dass wir uns darauf nicht klar verständigt haben“, sagte Schröder dem Handelsblatt. „Wir müssen rote Linien einziehen.“

Schröder will am 23. Februar in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt werden. Der Wahlkampfeinsatz am Donnerstag war eher ungemütlich, berichtet sie. Sie musste sich Beleidigungen anhören wegen der Kemmerich-Wahl in Thüringen.

Zu den freundlicheren Äußerungen der Passanten gehörte: „Das ist aber tapfer, dass Sie hier stehen.“ Die Hamburg-Wahl hat für die Liberalen einen hohen Symbolwert. Vor fünf Jahren zog die FDP hier erstmals seit dem Desaster bei der Bundestagswahl 2013 wieder in ein Landesparlament ein.

Hamburgs FDP-Vorsitzende Katja Suding und Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels bemühten sich umgehend, möglichst viel Distanz zu Thüringen zu schaffen. „Aus unserer Sicht hätte Thomas Kemmerich diese Wahl, die mit den Stimmen der AfD zustande kam, nicht annehmen dürfen“, erklärten sie.

Drei FDP-Politiker laufen sich warm

Doch die Sorge ist groß, dass die Landtagswahl zum Kollateralschaden der Ereignisse von Erfurt wird. „Wenn Kemmerich nicht zurücktritt, können wir Hamburg in die Tonne kloppen“, sagte der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle.

Kemmerichs Rücktrittsankündigung dürfte den Imageschaden aber kaum beheben. Die FDP stellt sich gern als moderne, weltoffene Partei da. Es geht dann um Zuwanderung von Fachkräften, eine bessere Bildungspolitik, Digitalisierung. „All das steht jetzt auf dem Spiel“, sagte ein Bundestagsabgeordneter der Partei.

Wer seit der Kemmerich-Wahl mit Bundespolitikern der FDP spricht, hört oft den Satz: „Das ist zum Kotzen.“ Der Bundestagsabgeordnete Sattelberger ist wütend: „Ein liberaler Politiker hat jede Sensorik verloren und sich hasardeurhaft in Szene gesetzt – mit verheerenden Folgen für die politische Praxis.“

Sattelberger spricht über Kemmerich. Doch auch an Lindners Sensorik wird in der FDP zunehmend gezweifelt, wenn auch noch hinter vorgehaltener Hand. Führende Liberale erwarten zwar, dass er die Vertrauensfrage gewinnt.

Nach Informationen des Handelsblatts bereiten sich drei Politiker auf den Fall vor, dass dem Parteichef in den kommenden Monaten erneut ein schwerer Fehler unterläuft. Vogel, Stamp und der ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen stammende FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Lambsdorff, so heißt es, könnte dann Lindner nachfolgen.

Getrennt traten der Bundesvorsitzende Lindner und der Landesvorsitzende vor die Presse. Foto: dpa
Getrennt traten der Bundesvorsitzende Lindner und der Landesvorsitzende vor die Presse. Foto: dpa