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Wie eine Lehrerin aus Hürth Deutschlands Schulen digitaler macht

Anika Buche hat ein Konzept für digitalen Unterricht entwickelt, das Schüler und Eltern begeistert. Nun gibt sie Kollegen in ganz Deutschland Nachhilfe.

Das nennt man gutes Timing: Gerade hatte Lehrerin Anika Buche ihren rund 130 Kollegen vom Albert-Schweitzer-Gymnasium (ASG) in Hürth bei Köln die Grundlagen des digitalen Unterrichts erklärt, da kam es zum bundesweiten Shutdown, bei dem rund 31.000 Schulen geschlossen wurden.

Weil nur die wenigsten Lehrer eine Idee hatten, wie sie von heute auf morgen online unterrichten sollten, wurde die Mehrheit der elf Millionen Schüler hierzulande in die Zwangsferien geschickt.

Nicht so in Hürth. Buche war schon seit ihrem Referendariat, das sie vor vier Jahren beendete, davon fasziniert, wie „vielseitig und einfach sich Unterricht mit digitalen Hilfsmitteln vorbereiten und durchführen lässt“. Und so hatte die Lehrerin für Mathe, Sport und Biologie vor dem Shutdown ein Gesamtkonzept für den virtuellen Klassenraum erarbeitet.

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Einen Vorteil hatte sie gegenüber vielen Kollegen deshalb: Egal ob Referendar oder Rektor, ob Fünftklässler oder Abiturient – am ASG waren alle schon darauf eingestellt, die gleiche Software für Aufgaben und multimediale Lernmaterialien zu nutzen. Chaos und Überforderung, weil jeder Lehrer seine Lieblings- oder Notlösung realisiert? Die gab es an der staatlichen Schule in Hürth nicht. Trotz Corona.

Die Krise hat Buche als Chance genutzt, um den digitalen Unterricht voranzutreiben: „Ohne die Pandemie wären wir nicht da, wo wir jetzt sind.“ Um ihr Wissen und ihre Erfahrung zu teilen, hat Buche nun die Initiative „Edu-sense“ gegründet. Sie soll anderen Lehrkräften helfen, weitere Schulen zu digitalisieren.

Das macht Hoffnung, schließlich wirkt die Lehre an deutschen Schulen wie aus einer vergangenen Zeit, schreiben Lehrer und Schüler meist noch wie vor hundert Jahren mit Kreide an Tafeln. Auch Buche weiß, dass immenser Bedarf besteht: „Viele Schulleiter und Lehrer haben weder IT-Know-how noch ein Konzept.“ Sie seien damit heillos überfordert.

Ihnen stellt die 31-Jährige nun einen Leitfaden zur Verfügung und gibt Empfehlungen: von der technischen Ausstattung über den Kommunikationsfahrplan für Schüler und Eltern bis zur Organisation der digitalen Lehre und zu Finanzierungsmöglichkeiten.

Verena Pausder, Gründerin und Vorständin des Vereins „Digitale Bildung für Alle“, lobt Buches ehrenamtliches Engagement: „Edu-sense liefert eine Blaupause, mit der Schulen Schritt für Schritt die digitale Transformation angehen können.“

Etwa 30 deutsche Schulen haben diese Soforthilfe schon genutzt. Nachhilfewünsche kommen selbst aus Dänemark und Kanada. Eine Schule fit für digitalen Unterricht zu machen, ist allerdings „keine Sache von einer Woche“, weiß die junge Lehrerin.

Über ein Jahr hat es allein gedauert, um neben dem Unterricht das Konzept für das Pilotprojekt in ihrer Schule in Hürth zu erstellen, Elternvertreter und den Schulrat zu überzeugen und das Trainingsprogramm für das Kollegium aufzusetzen. Buche hat sogar Youtube-Videos gedreht, um die Schüler von ihrer Idee zu begeistern.

Computer aus dem Keller

Obwohl viele ASG-Lehrer beim plötzlichen Shutdown geschult waren, blieb noch immer reichlich zu tun: Weil nicht alle Schüler einen Computer zu Hause hatten, organisierte Buche die Technik. Sie reaktivierte Geräte aus den Kellern von Eltern und sprach Firmen an, die ausgemusterte Laptops spendeten.

Wer für Sohn oder Tochter ein neues Notebook anschaffen wollte, aber technisch nicht so versiert war, bekam eine Kaufempfehlung. Aber auch über Smartphones, die bei den Schülern weitverbreitet sind, funktioniert ihre Lösung. Schuldirektor Thorsten Jürgensen-Engl freut das, denn seine Vorgabe lautete: „Kein Kind darf verloren gehen.“

Und so kommen heute alle 1400 Schüler am ASG online an ihren Lernstoff. In den Kernfächern unterrichten die Lehrer sie derzeit mit je zwei Videokonferenzen pro Woche neben dem reduzierten Präsenzunterricht.

Buche setzt zum Vertiefen und Üben auf multimediale Projektarbeit. Ihre Fünftklässler lernen gerade, Winkel und Flächen zu berechnen. Klingt langweilig in den Ohren von Elfjährigen? Ist es nicht, wenn man sein Traumzimmer am Computer entwerfen und einrichten darf – und nebenbei berücksichtigen muss, dass der Raum bestimmte Maße hat und es Türen und Fenster gibt.

Wer es schlau anstellt, kalkuliert außerdem die beim Möbeldiscounter ermittelten Preise für Lieblingsbett, Schreibtisch, Regale und Lampe gleich so günstig, dass Mama und Papa nach dem virtuellen Rundgang gar nicht mehr Nein sagen können.

Buche kann die Bearbeitungsfortschritte ihrer Klasse live verfolgen und zum Beispiel eingereichte Hausarbeiten mit Sprachnachrichten oder Feedbackvideos da versehen, wo alles sitzt oder vielleicht nachgebessert werden muss. „So lässt sich auch aus der Ferne jeder einzelne Schüler individuell fordern und fördern“, sagt die engagierte Lehrerin.

Das Feedback der Eltern ist ermutigend. Die Schule erhielt viele positive Zuschriften. Eine davon: „Wir können uns sehr glücklich schätzen über die schulische Betreuung unserer Kinder während der jetzigen Situation — ich bin mehr als dankbar!“

Unterstützung von Frank Thelen

Mit ihrer Begeisterung steckt Buche nicht nur Kollegen, Schüler und Eltern, sondern auch Außenstehende an. Frank Thelen zum Beispiel. Der Investor und Juror aus der TV-Show „Höhle der Löwen“ hat eine Nase für erfolgreiche Ideen. Er bescheinigt Buche „Passion und Durchsetzungsvermögen“. Er habe schnell gemerkt: Diese Frau kann wirklich etwas bewegen.

Er beschloss, sie mit seinen guten Kontakten zu unterstützen, vermittelte Buche an Elektronikfachmärkte, um Leihgeräte für die Kinder zu beschaffen. Der Kontakt zum Starinvestor kam über den Vater eines Schülers zustande.

Buche lässt sich auch nicht von der Bürokratie im deutschen Bildungssystem entmutigen. Denn schon bereits vor gut einem halben Jahr hat das ASG Fördermittel aus dem Digitalpakt der Bundesregierung beantragt.

Bislang ist an die Hürther Digitalpioniere aber noch kein einziger Euro geflossen. Dabei hatte die Bundesregierung den deutschen Schulen fünf Milliarden Euro versprochen, gerade erst wurde der Etat erweitert.

Auch diese Gelder könnten ohnehin nur eine Starthilfe sein, bleibt Buche realistisch. Denn das Ende der Kreidezeit bedeute Folgekosten – Online- und Lizenzgebühren für digitale Schulbücher zum Beispiel. Dass so manche Schule wie die Hürther ASG – immerhin schon ein 70er-Jahre-Bau – gerade mal eine Steckdose pro Klassenraum hat, bereitet ihr da schon größeres Kopfzerbrechen.

Aber Anika Buche wäre nicht Anika Buche, wenn sie nicht auch dafür eine Lösung finden würde. Das macht Hoffnung – für das Bildungssystem der gesamten Republik.

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