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„Lasst unser Land in Ruhe, Mullahs!”

Der Iran ist Protestwellen gewohnt. Doch dieser Aufstand hat neue Facetten. Nicht die Bildungselite geht auf die Straße – nun kämpfen die sozial Schwachen für bezahlbare Lebensmittel und gegen die Profiteure des Systems.

Dieser Aufstand – der größte in Iran seit acht Jahren – ist besonders. Nach den großen politischen Demonstrationen der 1990er-Jahre und 2009 kommt der Widerstand dieses Mal aus anderen Teilen der Gesellschaft. Die Motivation ist zuallererst ökonomisch. 2009 ging die gebildete Mittelklasse aus den Großstädten gegen die Wiederwahl von Hardliner Mahmud Ahmadinedschad auf die Straße, auch zehn Jahre früher war es um liberale Reformen gegangen.

Heute geht es um Arbeitslosigkeit, hohe Lebensmittelpreise und die ungerechte Verteilung des Vermögens – und diese Fragen treiben vor allem die sozial schwache, ländliche Bevölkerung zum öffentlichen Protest. In den Videos der Demonstrationen fordern die Menschen nicht mehr politische Teilhabe, sie rufen „Nein zur Inflation!“, „Nieder mit den Plünderern!“ und „Lasst unser Land in Ruhe, Mullahs!”.

Natürlich haben die Proteste auch eine politische Dimension – anders als früher wird jedoch nicht explizit auf Gewalt verzichtet. Die Menschen sind massiv enttäuscht von Hassan Rohani. Der Präsident hatte hat signifikante Verbesserungen der Wirtschaft versprochen. Es gab zwischendurch kleine Fortschritte, doch in den größten Teilen der Gesellschaft sind sie einfach nicht angekommen. So liegt die offizielle Jugendarbeitslosigkeit bei rund 20 Prozent, Experten gehen laut US-Medien jedoch von mindestens 40 Prozent aus.

Der neue Haushaltsplan, den Rohani Mitte Dezember präsentiert hatte, brachte viele Iraner noch mehr in Rage. Um die Wirtschaft anzukurbeln, sieht dieser bis 2019 jede Menge Sparmaßnahmen vor. „Der Staat muss im Iran rund 21 Millionen Menschen mit Unterstützungszahlungen versehen, damit sie ihr Leben einigermaßen bestreiten können. Jetzt aber sollten elf Millionen Bürgern diese Subventionen gestrichen werden“, sagte der in Deutschland im Exil lebende iranische Oppositionspolitiker Mehran Barati den „Nürnberger Nachrichten“.

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Diese Entwicklung war abzusehen, der Aufstand dürfte die iranische Führung nicht überraschen. Wissenschaftler warnen seit Jahren davor, wie der wirtschaftliche Abschwung des Landes große Teile der Bevölkerung trifft. Die „New York Times“ zitiert dazu aus einem offen Brief eines iranischen Ökonomen aus dem Jahr 2015 an der Wächterrat. Mohsen Renani prophezeite, falls die Probleme der Arbeitslosigkeit und der hohen Inflation nicht innerhalb von zwei Jahren spürbar verbessert werden sollten, komme es zu Unruhen in der Bevölkerung. Andere Ökonomen warnten vor einer Teilung der Gesellschaft – in Bürger erster und zweiter Klasse.

Diese Teilung ist auch täglich in der Öffentlichkeit sichtbar – und heizt die Spannungen weiter an. Über soziale Medien zeigt die neue Generation der reichen Iraner ihre neuesten Autos oder inszeniert ausgelassene Partys an den Stränden in aller Welt – Cocktails inklusive. Dagegen müssen sozial schlechter gestellter Iraner bei jedem kleinen Verstoß gegen die Verschleierungspflicht oder das Alkoholverbot fürchten, von der Sittenpolizei verhaftet zu werden.

Doch nicht alle Regimekritiker sind in sichtbarer Wut, viele bleiben auch zu Hause. Sie glauben immer noch an den Reformkurs und bezweifeln, dass mit solchen Straßendemonstrationen der politische Apparat und der Klerus so einfach zu stürzen sei. Zu den Skeptikern gehören auch ehemalige politische Gefangene wie Fejsollah Arabsorchi. Ein Regimewechsel würde seiner Meinung alles nur noch schlimmer machen. Er und viele andere haben während der zurückliegenden Proteste für den Reformkurs hart gekämpft und wollen nicht, dass durch unüberlegte Aufstände der Weg für eine Rückkehr der Hardliner an die Macht geebnet wird.

Der 23 Jahre alte Madschid aus Teheran, arbeitslos, hält jedoch nichts von dieser These. Er hat über vier Jahre vergeblich auf Ruhani und die Reformer gehofft. Nun protestiert er, weil er in diesem islamischen Regime keine Perspektiven sieht. Er lebt immer noch bei seinen Eltern, konnte nach der Schule nicht studieren und hat immer noch keinen Job. Er kann nicht einmal ausgehen, weil er auch dafür kein Geld hat. „Schwärzer als schwarz gibt es ja nicht – das ist mein Leben, und deshalb habe ich nichts zu verlieren.“

KONTEXT

Demonstrationen im Iran

Fragen und Antworten zu den Protesten

Der Iran erlebt gerade die größten regimekritischen Proteste seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl von 2009. Tausende Demonstranten gingen in den vergangenen Tagen in mehreren Städten des Landes auf die Straße. Reisebeschränkungen und Versuche der Regierung, die sozialen Netzwerke zu blockieren, erschweren Journalisten die Berichterstattung über die Unruhen. Nach Angaben iranischer Medien wurden bislang mindestens 20 Menschen getötet. Ein Überblick über die bislang bekannten Fakten.

Quelle: AP

Wie fingen die Proteste an?

Die Demonstrationen begannen am Donnerstag in Maschhad. Die zweitgrößte iranische Stadt ist eine konservative Bastion und Hochburg des Geistlichen Ebrahim Raissi, der bei der Wahl im Mai 2017 erfolglos Präsident Hassan Ruhani herausgefordert hatte.

Analysten halten es für möglich, dass konservative Kräfte hier die Proteste gestartet haben, um Druck auf Ruhani auszuüben, einen relativ gemäßigten Geistlichen innerhalb der theokratischen Führungsriege in Teheran. Die Proteste weiteten sich anschließend auf das gesamte Land mit seinen 80 Millionen Einwohnern aus.

Was fordern die Demonstranten?

Die Teilnehmer der Proteste hatten sich anfänglich auf die schwächelnde Wirtschaft konzentriert. Obwohl der Iran seit dem Atomabkommen von 2015 Öl am internationalen Markt verkaufen kann, ächzt das Land unter steigender Inflation und hoher Arbeitslosigkeit. Ein Auslöser der Demonstrationen war offenbar der jüngste Anstieg der Preise für Eier und Geflügel um etwa 40 Prozent.Die Kritik der Demonstranten richtet sich sowohl gegen Ruhani als auch gegen den Obersten geistlichen Führer Ajatollah Ali Chamenei. Der hat bei allen wichtigen politischen Entscheidungen das letzte Wort. Einige Demonstranten kritisierten in Sprechchören die militärische Unterstützung des Irans für den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.

Wer führt die Proteste an?

Bislang ist noch keine zentrale Führung erkennbar. Damit unterscheidet sich die aktuelle Situation von der "Grünen Bewegung" 2009, die sich gegen die Wiederwahl des Hardliners Mahmud Ahmadinedschad als Präsident und mutmaßlichen Wahlbetrug gerichtet hatte. Diese Proteste waren die größten im Iran seit 1979.Die paramilitärischen Revolutionsgarden gingen damals mit Härte gegen die Demonstranten vor, Tausende wurden festgenommen, Dutzende getötet oder gefoltert. Die Führer der Protestbewegung stehen noch Jahre später unter Hausarrest. Auch wenn es diesmal keine klare Führung gibt, wurden die neuen Proteste zum Teil von dem im Exil lebenden Journalisten Ruhallah Sam befeuert, der dafür die Messenger-App Telegram nutzt.

Wie hat die Regierung reagiert?

Die Regierung hat nach eigenen Angaben vorübergehend den Zugang zu Telegram und zur Foto-App Instagram gesperrt, um "Frieden zu bewahren". Damit sind die Möglichkeiten der Demonstranten begrenzt, Fotos zu teilen und zu Kundgebungen aufzurufen. Facebook und Twitter sind bereits verboten.

In den Straßen patrouillieren Polizisten in Uniform und Zivil sowie Mitglieder der Basidsch-Miliz, einer freiwilligen Hilfspolizei auf Motorrädern unter Führung der Revolutionsgarden, die die Niederschlagung der Proteste 2009 unterstützt hatte. Ruhani selbst hat erklärt, dass der Iran Protestaktionen zulasse. Häufig tolerieren die Behörden kleinere Demonstrationen und Streiks. Aber der Präsident und andere Regierungsvertreter haben auch betont, dass keine Gesetzesverstöße geduldet würden.

Kam es zu Gewalt?

Berichten zufolge wurden bislang mindestens 20 Menschen getötet, unter ihnen mindestens ein Revolutionsgardist. Das iranische Staatsfernsehen berichtete am Montag, Sicherheitskräfte hätten bewaffnete Demonstranten abgewehrt, die Polizeiwachen und Militärstützpunkte hätten einnehmen wollen.

Auf von halbamtlichen Nachrichtagenturen veröffentlichten Fotos ist zu sehen, wie gegen Protestteilnehmer in Teheran Wasserwerfer eingesetzt wurden. Auch von Demonstranten verursachte Schäden an öffentlichem Eigentum wurden gezeigt. Hunderte Menschen wurden laut Berichten festgenommen, nach Angaben der Polizei sind allerdings viele wieder auf freiem Fuß. In Videos ist zu sehen, wie Kundgebungsteilnehmer Polizisten freundlich begrüßen und friedlich demonstrieren.

Wie hat die internationale Gemeinschaft reagiert?

US-Präsident Donald Trump bekundete in mehreren Tweets Unterstützung für die Protestierenden. Das Außenministerium in Washington warf der iranischen Führung vor, sie verwandele "ein wohlhabendes Land mit einer reichen Geschichte und Kultur in einen wirtschaftlich verarmten Schurkenstaat, dessen Hauptexporte Gewalt, Blutvergießen und Chaos sind".

Ruhani wies Trumps Kritik zurück. Viele Iraner sind nach wie vor nicht gut auf den US-Präsidenten zu sprechen, weil dessen Reiseverbot sie daran hindert, ein Visum für die Vereinigten Staaten zu erhalten. Auch Trumps Weigerung, das Atomabkommen zu erneuern, verärgert viele.

Großbritannien und Deutschland, die zu den Verhandlungsführern des Atomdeals gehörten, haben den Iran aufgefordert, friedliche Proteste zuzulassen. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, ein Gegner der iranischen Regierung, nannte die Demonstranten mutig und heldenhaft.

Ist der Iran eine Demokratie?

Der Iran beschreibt sich selbst als Islamische Republik. Gewählte Volksvertreter verabschieden Gesetze und handeln im Namen ihrer Wahlkreise. Doch der oberste Religionsführer Chamenei hat in allen Staatsfragen das letzte Wort.

Der zwölfköpfige Wächterrat muss alle Gesetze bestätigen. Das Gremium wird je zur Hälfte von Chamenei ernannt und von der Justiz nominiert, das Parlament stimmt zu. Der Wächterrat billigt auch alle Kandidaten für das Präsidentenamt und für das Parlament. Wer das politische System in Frage stellt oder sich für grundlegende Reformen einsetzt, wird ausgeschlossen.

Was passiert als nächstes?

Die Demonstranten haben für die kommenden Tage zu weiteren Protesten aufgerufen. Alle bisherigen Aktionen wurden ohne polizeiliche Genehmigung abgehalten, was illegal ist. Letztlich wird der oberste Führer über das weitere Vorgehen entscheiden.

Der Experte Cliff Kupchan vom Beratungsunternehmen Eurasia Group schrieb am Sonntag in einer Analyse: "Wenn es um das Überleben des Regimes geht, hat Chamenei das Sagen. Und ihm stehen viele loyale und skrupellose Soldaten zur Verfügung."