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Landgericht Berlin verurteilt Ratingagentur Scope zu Schadensersatz

Erstmals wurde eine Ratingagentur in Deutschland wegen des fehlerhaften Ratings einer Unternehmensanleihe verurteilt. Das Gericht spart nicht mit Kritik.

Als der Eigner des Kreuzfahrtschiffs „MS Deutschland“ über eine Anleihe den Kapitalmarkt anzapfen wollte, musste er nicht groß die Werbetrommel rühren. Denn in der ZDF-Serie „Traumschiff“ nahm das Luxusschiff regelmäßig ein Millionenpublikum mit auf die große Reise. Anleger, die die Anleihe der MS „Deutschland“ Beteiligungsgesellschaft mbH zeichneten, hatten weniger Vergnügen. Die Gesellschaft wurde zahlungsunfähig, das Investment geriet für Anleger zum Desaster.

Eine Privatanlegerin machte die Ratingagentur Scope dafür verantwortlich. Sie hatte dem relativ guten Ratingurteil des Bonitätswächters vertraut, zog vor Gericht und gewann. „Die Fehlerhaftigkeit des Ratings steht zur Überzeugung des Gerichts fest“, heißt es in dem Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts, das die Berliner Kanzlei Schirp & Partner für die Klägerin erstritt (Az.: 11 O 5/19).

„Das ist unseres Wissens das erste Urteil, das in Deutschland die Haftung einer Ratingagentur bejaht hat“, sagte Susanne Schmidt-Morsbach, Rechtsanwältin bei Schirp & Partner, dem Handelsblatt. „Es ist sehr erfreulich, dass das Gericht unserer Argumentation vollumfänglich gefolgt ist und im Fall dieses Anleihen-Ratings auf vollen Schadensersatz entschieden hat“, so Schmidt-Morsbach.

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Das Gericht sparte nicht mit Kritik an der Ratingagentur. Scope habe durch seine Bewertung „eine Unbedenklichkeit bescheinigt, die trügerisch war, und damit die Gefahr für die Anleger erhöht“, urteilte das Landgericht Berlin. Ohne das „unvertretbare“ A-Rating, das wie ein „Gütesiegel“ gewirkt habe, hätte die Klägerin die Anlage nicht erworben, so das Gericht weiter. Daher habe sie Anspruch auf Erstattung des Schadens, der sich auf rund 6000 Euro beläuft. Beobachter gehen davon aus, dass Scope die nächste Instanz anrufen wird.

Ratingagenturen spielen eine bedeutende Rolle im Wirtschaftsleben. Mit ihren Ratings bewerten sie die Kreditwürdigkeit von Staaten, Unternehmen und Wertpapieren. Im Idealfall destillieren sie aus einer Vielzahl von Informationen eine nachvollziehbare Bonitätseinschätzung. In der Finanzmarktkrise machten sich die Ratingagenturen allerdings angreifbar.

In den USA wurden Immobilienkredite von privaten Haushalten mit schlechter Bonität intransparent in Wertpapiere umstrukturiert, das Ausfallrisiko wurde sozusagen an den Kapitalmarkt weitergereicht. Die Ratingagenturen waren nicht nur bei der Verbriefung dieser sogenannten Subprime-Kredite behilflich, sie bewerteten die Wertpapiere auch noch gut. Als der US-Immobilienmarkt zusammenkrachte, wurde eine globale Finanzmarktkrise ausgelöst.

Ratingagenturen haften

Die spätere Regulierungswelle machte auch vor den Ratingagenturen nicht halt. Das Selbstverständnis der Bonitätswächter, sie würden nur ihre Meinung zu einem relativen Kreditrisiko mitteilen, verfing nicht mehr. Nach einer EU-Verordnung können Ratingagenturen bei einem vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstoß gegen Regeln, die zu einem Schaden für Anleger oder Emittenten führen, haftbar gemacht werden.

Allerdings konnte sich die Kanzlei Schirp & Partner nicht darauf berufen, weil die Emission vor Inkrafttreten der Verordnung begeben wurde. Im vorliegenden Fall geht es um eine 60 Millionen Euro schwere Anleihe, die die MS „Deutschland“ Beteiligungsgesellschaft im Jahr 2012 begeben hat. Sie war gestückelt in 60.000 Inhaberschuldverschreibungen im Nennwert von je 1000 Euro – also klar adressiert an Privatanleger.

Abgesichert war diese Anleihe mit einer Schiffshypothek auf die „MS Deutschland“. Scope veranschlagte einen Schiffswert von knapp 77 Millionen Euro und bewertete in einem Corporate-Bond-Rating die Anleihe mit einer Bonitätseinstufung von „A“, der sechstbesten von insgesamt 20 möglichen Bonitätseinstufungen. Danach wurde der Anleihe eine überdurchschnittliche Bonität und ein geringes Ausfallrisiko bescheinigt.

Dagegen wurde die Emittentin nur mit dem schlechten Rating von CCC+ bewertet, das ein sehr hohes Ausfallrisiko anzeigt. „Es erschließt sich dem Gericht nicht, wie man dann zu einem A-Rating für die Anleihe dieses Unternehmens gelangen kann“, wundert sich der Richter. Die Emittentin geriet 2014 in Zahlungsschwierigkeiten, Anfang 2015 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Marktwert des Traumschiffs wurde auf 18 Millionen Euro taxiert – nicht mal ein Viertel des ursprünglich veranschlagten Schiffswerts.

Scope hält die Schadensersatzklage für unbegründet. Ein Schadensersatzanspruch sei grundsätzlich nicht gegeben, da weder eine Haftungsgrundlage bestehe noch eine Pflichtverletzung vorliege. Das Corporate-Bond-Rating stelle eine prognostische Meinungsäußerung dar.

Weiter Ermessensspielraum

Das Gericht räumt ein, dass es sich bei einem Rating grundsätzlich um eine Meinungsäußerung handele, bei dem ein weiter Ermessensspielraum bestehe. Allerdings müsse die Analyse einer beworbenen Kapitalanlage neutral, sachkundig und im Bemühen um objektive Richtigkeit erarbeitet werden. Und hier sieht das Gericht Pflichtverletzungen.

Wer eine Anleihe maßgeblich aufgrund ihrer Sicherheit als positiv bewertet, „der hat in ganz besonderem Maße Anlass, die Sicherheit vorsichtig zu bewerten“. Das ergebe sich aus allgemeinen kaufmännischen Prinzipien. Scope „hat völlig unkritisch gerade ein einziges, für sich zudem relativ aussageloses Kurzgutachten herangezogen, welches auch noch im Auftrag der Emittentin selbst erstellt wurde, und dessen Wert schlicht eins zu eins übernommen“, kritisiert das Gericht.

Das Problem für das Landgericht war, dass es für die materiell-rechtliche Haftung von Ratingagenturen gegenüber Anlegern bislang keine Rechtsprechung in Deutschland gab. Nach Einschätzung von Schmidt-Morsbach, der auch das Gericht folgte, ist für derartige Fälle die sogenannte Expertenhaftung einschlägig, die auch reine Vermögensschäden abdeckt. Das ist ein aus der Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut.

Die 11. Zivilkammer des Landgerichts sieht eine Haftung der Beklagten als beauftragte Ratingagentur in der entsprechenden Anwendung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Gewährspersonen. Wie Treuhänder oder Wirtschaftsprüfer würden Ratingagenturen „in besonderem Maße ein Vertrauen für eine Anleihe oder eine Beteiligung beim Anleger hervorrufen“, heißt es in dem Urteil.

Dass Scope die nächste Instanz anrufen dürfte, ist nicht weiter verwunderlich. Denn die 10. Zivilkammer des Landgerichts Berlin urteilte in einem ähnlichen Fall zugunsten der Ratingagentur. Auch hier hatte ein Anleger die Anleihe der MS „Deutschland“ Beteiligungsgesellschaft gezeichnet und Verluste zu beklagen.

Die Klage wurde abgelehnt. Es steht nach Meinung des Gerichts nicht fest, dass „das behauptete fehlerhafte Rating der Beklagten für die Anlageentscheidung des Klägers und damit für den geltend gemachten Schaden ursächlich war“.