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Die Krise der Schwellenländer kommt zurück – und wird vor allem Deutschland treffen

Schwache Währungen, schlechte Perspektiven: Die Krise der Emerging Markets entwickelt sich auch für die deutsche Wirtschaft zur wachsenden Gefahr.

Die Corona-Pandemie trifft die brasilianische Wirtschaft hart. Die Krise hat auch schwere Folgen für deutsche Exporteure. Foto: dpa
Die Corona-Pandemie trifft die brasilianische Wirtschaft hart. Die Krise hat auch schwere Folgen für deutsche Exporteure. Foto: dpa

Jahrelang konnten sich die deutschen Maschinenbauer über den Zuwachs ihrer Exporte nach Brasilien, Mexiko und Indien freuen. Nicht so in diesem Jahr: Die Exporte sanken in den ersten sieben Monaten des Jahres alle zwischen 26 und 29 Prozent.

Große Schwellenländer wie Indien und Indonesien, Brasilien, Mexiko und die Türkei erleiden derzeit eine Krise, wie es sie dort seit Jahrzehnten nicht gegeben hat. Und diese wirkt nun zurück auf Industrieländer wie Deutschland.

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John Floyd, Leiter Makrostrategie beim Investment-Unternehmen Record Currency Management, spricht von „Rückkopplungsmechanismen“. Er geht etwa davon aus, dass die Marktverwerfungen in der Türkei sich bald auch in den Bilanzen der europäischen Banken niederschlagen, und setzt auf fallende Kurse bei Staatsanleihen aus Spanien, Frankreich und Italien.

Schon jetzt hat die Verschuldung der aufstrebenden Länder bedenkliche Niveaus erreicht und sich dem Bankenverband IIF zufolge seit 2010 auf 72 Billionen Dollar verdoppelt. Wie viele der Länder bei abstürzenden Landeswährungen in der Lage sein sollen, ihre oftmals in Dollar aufgenommenen Schulden zurückzuzahlen, ist fraglich.

Während die westlichen Industrieländer mit milliardenschweren Rettungspaketen gegen die Corona-Folgen ankämpfen und so das Schlimmste verhindern, sind die großen Schwellenländer – mit Ausnahme von China – den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie hilflos ausgeliefert – vor allem weil sie sich die staatlichen Hilfen westlichen Ausmaßes nicht leisten können.

Die Krise der Schwellenländer aber wird die westlichen Industriestaaten treffen, allen voran Deutschland, das jahrzehntelang von der steigenden Nachfrage nach Investitionsgütern in den prosperierenden Emerging Markets profitierte.

Für große Konzerne aus Deutschland und anderen entwickelten Ländern brechen Absatzmärkte ein, Transportrouten werden unsicherer. „Weltweit könnten etwa 100 Millionen Menschen zurück in extreme Armut fallen“, warnte Weltbank-Chef David Malpass jüngst im Interview mit dem Handelsblatt.

Auf der Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank werden die afrikanischen Länder um eine Verlängerung des Schuldenmoratoriums bitten. Die Gruppe der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20) wird ihre Initiative, den Schuldendienst von Entwicklungsländern auszusetzen, in diesen Tagen wohl über 2020 hinaus verlängern.

Die Zahl der infrage kommenden Länder, die jetzt einen Schuldenerlass beantragen, ist seit April auf 46 Bewerber vor allem aus Afrika gestiegen. Bisher hat die Initiative 43 Ländern geholfen, fünf Milliarden Dollar an Zahlungen zu stunden.
Für die Schwellenländer, die den Aufstieg in die Mittelschicht geschafft haben, sind solche Hilfen nicht vorgesehen.

Im Auswärtigen Amt sorgt man sich, dass sie wieder zu Entwicklungsländern werden. „Zusätzlich zum Nachfrage- und Angebotsschock in diesen Ländern kommen eine schwache Gesundheitsinfrastruktur, eine hohe Verschuldung und eine teilweise heftige Abwertung der Landeswährung“, sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft.

Die russische Zentralbank interveniert erstmals seit 2014 wieder gegen den Kursverfall der Landeswährung. Moskaus Gold- und Währungsreserven sinken jede Woche um Milliarden.

Sorge wegen Kapitalflucht in der Türkei

Die Kapitalflucht ist kurzfristig das größte Risiko. Allein in der Frühphase der Pandemie hätten Investoren 100 Milliarden Dollar an ausländischem Kapital aus Schwellenländern abgezogen, schätzt der IWF. „Das sind noch nie da gewesene Dimensionen“, stellt Klaus-Jürgen Gern, Konjunkturexperte vom Institut für Weltwirtschaft Kiel, fest. Nach Schätzungen des IIF könnten die ausländischen Kapitalströme in die Schwellenländer (ohne China) in diesem Jahr auf 304 Milliarden Dollar und damit um mehr als die Hälfte fallen.

Was der Währungsverfall in einer Volkswirtschaft anrichten kann, zeigt das Beispiel Türkei. 2020 hat die türkische Währung gegenüber dem Dollar 23 Prozent an Wert verloren. Eine hohe Inflation und geschröpfte Devisenreserven der Zentralbank setzen der Landeswährung zu. Moody’s Investors Service hatte Anfang September die Bonitätsnote der Türkei tiefer in den Junk-Bereich gesenkt und hält eine Zahlungsbilanzkrise „zunehmend für wahrscheinlich“.

Eine schwache Währung in einem Schwellenland kann auch deutschen Unternehmen schaden, indem Produkte aus der Türkei – ob Kirschen oder Stahl – durch den Wechselkurseffekt zu günstigeren Preisen gegen deutsche konkurrieren. Im August lag die Inflation in der Türkei bei fast zwölf Prozent.

Die Türken wollen zunehmend in harte Devisen investieren angesichts des Währungsverfalls. Die schwache Währung bringt die Unternehmen des Landes in die Bredouille. Denn viele Firmen haben Kredite in Dollar oder Euro aufgenommen. Und die verteuern sich aufgrund des schwachen Wechselkurses für sie in Lira gerechnet stetig.

Politikversagen in Lateinamerika

Lateinamerika ist sowohl bei der Entwicklung der Pandemie als auch der Wirtschaft stark betroffen. Derzeit steht Lateinamerika für mehr als die Hälfte der weltweit offiziell registrierten Corona-Opfer. Unter den zehn Staaten weltweit mit der höchsten Zahl an Todesfällen pro 100.000 Einwohner befinden sich sechs in Lateinamerika. Schwellenländer wie Brasilien sind zudem abhängig von ihren Einnahmen aus Rohstoffexporten. Deren Preise befinden sich seit Beginn der Pandemie aber im Keller.

Mit einem Einbruch der Wirtschaft in diesem Jahr um 5,2 Prozent wird Brasilien noch einigermaßen glimpflich davonkommen. Es sind – und da ist Brasilien die große Ausnahme unter den Schwellenländern – vor allem die hohen sozialen Ausgleichszahlungen, die die größte Volkswirtschaft Südamerikas vor dem völligen Absturz bewahrt haben.

Doch das geht nicht ewig weiter. Brasiliens Haushaltsdefizit wird am Jahresende etwa 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen und die Verschuldung auf über 100 Prozent anwachsen. Auf den Finanzmärkten steigen bereits die Langfristzinsen. Ausländische Investoren haben von den Finanzmärkten so viel Kapital abgezogen wie zuletzt während der Finanzkrise 2009.

Die Regierung des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro traut sich nicht an die Reformen der Verwaltung und des Steuersystems heran, um die Ausgaben und Privilegien zu beschneiden, und versucht mit Tricksereien die Ausgaben zu erhöhen, ohne die vorgegebenen Haushaltslimits zu verletzen.

Das ist fatal: „Brasiliens wirtschaftliche Erholung hängt entscheidend von der politischen Glaubwürdigkeit der Regierung bei der Rückkehr zur Finanz- und Währungsdisziplin ab“, sagt Cassiana Fernandez, Brasilienanalystin von JP Morgan.

So nimmt die Unsicherheit zu. Der Real hat stark abgewertet, die Börse ist eingebrochen, Unternehmen streichen Investitionen. „Die ökonomische Unsicherheit schreckt sie ab“, sagt die Ökonomin Silvia Matos von der Wirtschaftsuni FGV in São Paulo.
Das spürt auch die deutsche Industrie.

Besonders groß ist die Sorge um Argentinien

Nach China ist Brasilien das Land mit den größten deutschen Investitionen außerhalb Europas. Sie stammen vor allem von den großen deutschen Konzernen aus den Branchen Auto, Chemie, Technologie, aber auch von vielen mittelständischen Unternehmen.

Berlin hat seine Hilfsleistungen für Lateinamerika in diesem Jahr bereits verdoppelt – auch im eigenen Interesse. Denn das Handelsvolumen mit Lateinamerika sei im Vergleich zu Afrika oder Indien doppelt so hoch gemessen an den Einwohnern, heißt es im Auswärtigen Amt.

In Mexiko, einem für die deutsche Industrie wichtigen Auslandsmarkt, fiel die Industrieproduktion zwischen Januar und August um mehr als 13 Prozent. Besonders groß ist die Sorge um Argentinien: Dort wird die Wirtschaft um 12,4 Prozent schrumpfen. Die Regierung hat seit März den längsten Lockdown in Lateinamerika verhängt, der noch mindestens bis Mitte Oktober anhalten wird. „Das BIP wird erst Ende 2023 wieder den Stand vor der Pandemie erreichen“, sagt Pamela Ramos von Oxford Economics.

Präsident Alberto Fernández hat keinen Plan, wie er die Wirtschaftskrise überwinden will. Nur noch zwei Milliarden Dollar hat die Zentralbank in der Devisenkasse. 60 Prozent ihrer Staatsausgaben finanziert die Regierung mit der Notenpresse. Die Folgen: Nach Angaben der Steuerbehörde haben seit Jahresbeginn 24.500 Unternehmen geschlossen.

Rund ein Dutzend große ausländische Unternehmen hat angekündigt, das Land zu verlassen: Fluggesellschaften wie Latam, die Modekette Falabella, Walmart, aber auch mehrere Automobilzulieferer. Darunter auch die BASF mit ihrer Lack- und Farbenproduktion.

Indische Staatsfinanzen am Limit

In Indien, 2018 noch die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft der Welt, dürfte die Wirtschaftsleistung im laufenden Finanzjahr um 9,5 Prozent schrumpfen, prognostiziert die Notenbank. Im Kampf gegen die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten läuft Indiens Regierung aus Sicht eines der bekanntesten Ökonomen des Landes die Zeit davon.

„Ohne Unterstützungsmaßnahmen wird das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft ernsthaft beschädigt“, warnte Raghuram Rajan, der früher Indiens Notenbank leitete und davor mehrere Jahre als Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds tätig war. Auch das am Montag verkündete zehn Milliarden Dollar schwere Konjunkturprogramm konnte die Finanzmärkte nicht überzeugen.

Indiens staatliche Hilfspakete sind im internationalen Vergleich äußerst knapp bemessen. Ein Grund für Modis Zurückhaltung sind die angespannten Staatsfinanzen, die bereits vor Corona wenig Spielraum für zusätzliche Staatsausgaben ließen: Die Staatsverschuldung lag laut der Ratingagentur Fitch 2019 bei 71 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den kommenden zwei Jahren dürfte Indiens Schuldenstand nach Berechnungen von Fitch weiter steigen – auf dann knapp 90 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Modis Regierung steht vor einem Balanceakt mit hoher Absturzgefahr: Indiens Fähigkeit, künftig sowohl einen nachhaltigen Haushalt als auch stetiges Wirtschaftswachstum zu erzielen, sei bedroht, stellt die Ratingagentur S & P fest.

Dass Indien wieder zur alten Stärke zurückfindet, liegt auch im Interesse der deutschen Wirtschaft. Sie exportierte zuletzt Waren im Wert von fast zwölf Milliarden Euro nach Indien – das Land ist damit unter Asiens Schwellenländern Deutschlands wichtigster Absatzmarkt nach China.

40 Prozent Arbeitslose in Südafrika

Kaum ein anderes Schwellenland ist von der Coronakrise so stark getroffen wie Südafrika. Die fatale Entwicklung dort ist auch der Tatsache geschuldet, dass das Land bereits vor Ausbruch der Pandemie wirtschaftlich schwer angeschlagen war. Der Lockdown hat dem Tourismussektor, der rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze schafft und gut acht Prozent zur Wirtschaftsleistung der Kap-Republik beisteuert, stark geschadet.

Zwar hat Südafrika seine Landesgrenzen zum 1. Oktober wieder geöffnet, doch bleibt Touristen aus wichtigen Reiseländern wie Großbritannien, den USA, der Schweiz, aber auch Holland die Anreise wegen der Corona-Lage dort verwehrt.

Das Land erlebte schon vor Corona die zweite Rezession in nur zwei Jahren. Die trübe Lage sei nun zu einem „Desaster“ gewachsen, sagt Ökonom Mike Schussler. Nach Ansicht von Finanzminister Tito Mboweni, dem einzigen echten Reformer im Kabinett von Staatschef Cyril Ramaphosa, wird die südafrikanische Wirtschaft 2020 um mehr als die bislang vorausgesagten sieben Prozent schrumpfen.

Viele Analysten erwarten ein Minus im zweistelligen Bereich. Bereits im zweiten Quartal war das BIP um bislang in dieser Dimension ungekannte 51 Prozent eingebrochen.

Die ohnehin hohe Arbeitslosigkeit von 30 Prozent könnte kurzfristig auf 40 Prozent steigen, erwarten Experten. Das belastet die Staatsfinanzen enorm. Das Finanzministerium erwartet nun ein Haushaltsdefizit von 15,7 Prozent – mehr als doppelt so viel wie noch vor Kurzem gedacht. Mehr als 20 Prozent seines Haushalts steckt das Land bereits jetzt allein in den Schuldendienst.

Die internationalen Institutionen haben den Ernst der Lage erkannt, auch im reichen Norden wird die Dimension des Schwellenländer-Problems mit jeder Woche klarer, in denen es die Erholung der Wirtschaft in den Industrieländern über Rückkopplungen erschwert.