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Krise für die höheren Ziele: Corona wird zum Stresstest für den Managementtrend

Von einem tieferen Sinn können Firmen profitieren, versprechen Berater. Doch Purpose-Debatten werden gerade durch drängendere Themen überlagert. Was bleibt vom Trend?

Was Sinn und Zweck der Deutschen Post sind? Pakete und Briefe ausliefern – könnte man meinen. Doch der offizielle Unternehmenszweck der Post lautet: „Menschen verbinden, Leben verbessern“. Früher hätten Firmen so etwas schlicht als Leitbild bezeichnet, neudeutsch nennen Berater und Manager das Purpose.

Und dieser sei noch nie „so wichtig wie heute“ gewesen, betonte Post-Chef Frank Appel bei der virtuellen Hauptversammlung. Die Post habe gerade in der Krise besonderes Vertrauen genossen, denn die Zusteller hätten durch ihren Einsatz tagtäglich Medikamente und medizinisches Gerät dort hingebracht, wo es gebraucht wurde, sagte der Manager Ende August.

Zwei Monate vorher: gleiches Setting, anderer Ort. In der Zentrale des Chemieriesen BASF in Ludwigshafen läuft zur Hauptversammlung ein Film, der eine Hilfsaktion der Mitarbeiter während der Krise zeigt. Eine Million Liter Desinfektionsmittel hat der Konzern kostenlos an Arztpraxen, Kliniken und Pflegeheime abgegeben. Eigentlich, sagt CEO Martin Brüdermüller, produziere man ja gar keine Desinfektionsmittel. Aber: „Außergewöhnliche Situationen erfordern besondere Aktionen.“ Auch der Chef des Chemieriesen preist so seinen Unternehmenszweck an.

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Ob Post oder BASF – wo auch immer Manager derzeit das Wort ergreifen, darf die Sinnfrage nicht fehlen. So hart die Krise auch ist, die Pandemie bietet Firmen die einmalige Möglichkeit, sich gesellschaftlich zu profilieren und ihrem Wirtschaften mit ein paar pragmatischen Handgriffen mehr moralische Tiefe zu verleihen. Es mangelt an Desinfektionsmitteln? Unternehmen wie Beiersdorf schaffen Kapazitäten. Es braucht mehr Masken? Der württembergische Textilfabrikant Trigema näht welche.

So verwundert es wenig, dass für die meisten der 30 Dax-Unternehmen das Thema Purpose in der Krise an Bedeutung gewonnen hat, wie eine Handelsblatt-Umfrage unter den Topkonzernen in Deutschland zeigt. So antworteten ausnahmslos alle 25 Unternehmen, die sich auf die Anfrage zurückgemeldet haben, dass für sie durch Corona das Thema Purpose wichtiger geworden sei.

Aber: Die Sinnstiftung scheint bei vielen Mitarbeitern nicht anzukommen. 59 Prozent der Fach- und Führungskräfte sind nicht in der Lage, den Purpose der eigenen Firma auf Anhieb zu nennen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Umfrage der Managementberatung Kienbaum in Kooperation mit der Düsseldorfer Purpose-Agentur Human Unlimited unter 1300 Teilnehmern.

Für den Managementtrend Purpose wird die Pandemie somit zum Stresstest. Schließlich werden in der Krise die intern geführten Sinndebatten gerade in krisengebeutelten Branchen durch drängendere Themen von außen überlagert: Es geht vielerorts um das Managen von Kurzarbeit, Arbeitsplatzabbau, Sanierung – kurzum: ums Überleben. Für Purpose-Fragen bleibt da keine Zeit. Was also bleibt vom Purpose-Trend nach Corona – ist es Sinn oder doch Unsinn?

Die meisten Dax-Konzerne haben dazu eine klare Meinung: Mehr Purpose geht immer. Bei der Telekom etwa seien die Mitarbeiter stolz gewesen, dafür zu sorgen, dass die Netze stabil laufen – „selbst in der Hochphase der Krise“. Die neu geschaffene Siemens-Tochter Healthineers argumentiert damit, in der Krise eigene Covid-19-Tests entwickelt zu haben. Und der Pharmakonzern Merck unterstützt 50 Impfstoffprojekte mit Rohstoffen und eigenen Produkten.

Ähnlich argumentieren auch Berater, die mit der Suche nach dem Sinn gutes Geld verdienen. „Das Interesse am Thema Purpose ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen, die Krise hat den Trend tendenziell nochmals verstärkt“, sagt Mathis Kaiser, Managing Director bei Hering Schuppener, der mit einem Kernteam aus zehn Senior-Beratern an dem Thema arbeitet und davon ausgeht, dass der Bereich weiterwachsen wird.

„Die Krise ist ein Beschleuniger für Purpose-Fragen“

Auch der Branchenprimus Brighthouse, der zur Boston Consulting Group gehört, berichtet, dass die Zahl der Anfragen in der Krise über alle Branchen hinweg „massiv angestiegen“ sei. „Die Krise ist ein Beschleuniger für Purpose-Fragen und zeigt, dass es weit mehr als nur ein Hype ist“, meint Dominic Veken, Deutschlandchef bei Brighthouse. Insbesondere in schwierigen Zeiten funktioniere der Purpose wie „ein innerer Kompass und kann Managern und Mitarbeitern Hoffnung und Mut verleihen“, so Veken.

Doch das sehen offenbar längst nicht alle so. So messen laut dem noch unveröffentlichten Managerbarometer der Personalberatung Odgers Berndtson nur knapp die Hälfte der gut 2000 befragten Manager dem Purpose-Thema in der Krise eine größere Bedeutung bei. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Umfrage von Kienbaum und Human Unlimited. Die Studien zeigen: Das Verhältnis der deutschen Managerkaste zur Sinnsuche in ihren Unternehmen – es ist gespalten.

Der Organisationssoziologe Stefan Kühl von der Universität Bielefeld beäugt die Purpose-Mania in vielen Konzernen schon seit einer Weile kritisch. „Die Unternehmen, die wirklich in Schwierigkeiten stecken, haben derzeit ganz andere Probleme, als über ihren Purpose zu diskutieren“, sagt der Experte. Sein Argument: Wer seinen Mitarbeitern einen Zweck vorgebe, schränke den eigenen Handlungsspielraum ein, weil man nur noch entlang des Leitbilds wirtschaften dürfe – zumindest, wenn man den Purpose-Gedanken ernst nehme. „Gerade in Krisenzeiten brauchen Unternehmen aber möglichst viele Handlungsoptionen“, so Kühl.

Er könne sich deshalb nicht vorstellen, dass etwa die Manager der krisengebeutelten Lufthansa momentan viel über Purpose sprächen. Und tatsächlich: Hinter vorgehaltener Hand heißt es in dem Konzern mit dem Kranich, dass man derzeit niemanden kenne, der das Thema wirklich treibe – auch wenn es natürlich nicht vergessen werden dürfe.

Ein ähnliches Bild geben andere Branchen ab, die von der Krise hart getroffen wurden. Die Autobauer und ihre Zulieferer etwa. Volkswagen plant beim Lkw-Bauer MAN 9500 Stellen zu streichen, bei BMW stehen mindestens 6000 Jobs auf der Kippe, bei Daimler fallen in den nächsten Jahren allein im Stammwerk Untertürkheim wohl gut 4000 Arbeitsplätze weg und Continental macht gerade mit seinen Werkschließungen in Aachen und Karben Schlagzeilen. An Purpose ist da kaum zu denken.

Darauf lässt auch die Handelsblatt-Umfrage schließen: Von den fünf Dax-Konzernen, die sich nicht beteiligten, kamen vier aus der Autoindustrie: Volkswagen, Daimler, BMW und Continental.

Der Unternehmenszweck ist mehr als nur ein Slogan

Dabei kann ein Purpose-Konzept, wenn es gut umgesetzt ist, durchaus Kraft entwickeln, wie die Auswertungen von Kienbaum und Human Unlimited zeigen. Danach korreliert ein starker Purpose nicht nur mit gesteigerter Gesamtperformance, mehr Kundenorientierung und Innovation. Auch die Mitarbeiterbindung, die Marke als Arbeitgeber, sowie das Gesamtimage profitieren von einem klaren Unternehmenszweck.

Doch der ist mitunter schwierig zu formulieren. Gerade in großen, internationalen Konzernen ist es nahezu unmöglich, alle Geschäftsbereiche und Mitarbeiter in einem prägnanten Satz einzuschließen. Entsprechend blumig bis banal geraten viele der Sinnsprüche wie „Nachhaltig Werte schaffen“ (Henkel) oder „Fortschritt lebt von neugierigen Köpfen“ (Merck).

„Wir haben festgestellt, dass es generell schwierig ist, einen Claim von einem echten Zweck zu unterscheiden“, sagt Fabian Kienbaum, Chef der gleichnamigen Beratung. Viele Unternehmen kommunizierten „divergent“, so Kienbaum, „entsprechend schwer fällt es den Mitarbeitenden, dieses Thema, das so naheliegend erscheint, auf den Punkt zu bringen“.

Was jedoch interessant ist: Legte man den Angestellten, die den höheren Zweck ihrer Firma nicht benennen konnten, eine Definition von Purpose vor, stellten 43 Prozent derjenigen, die zunächst den Unternehmenszweck nicht benennen konnten, fest, dass der eigene Arbeitgeber doch einen höheren gesellschaftlichen Zweck verfolgt.

Wie also lässt sich dafür sorgen, dass der Purpose möglichst tief im Unternehmen ankommt? Das ist eine Frage für Vivek Bapat. Der SAP-Manager ist seit acht Monaten so etwas wie der Chef-Koordinator für den Purpose der Softwarefirma und qua Jobbeschreibung ein Unternehmenszweck-Befürworter.

Der Amerikaner sagt Sätze wie: „Jede Firma muss sich gerade jetzt die Frage stellen, wofür sie eigentlich existiert.“ Bei SAP sollen 91 Prozent der Angestellten den konzerneigenen Purpose kennen, wie interne Befragungen bescheinigen. Das mag auch daran liegen, dass nicht nur ein 15-köpfiges Team um Purpose-Manager Bapat den Firmenzweck bei SAP („Help the world run better and improve people’s lives“) vorantreibt, sondern über 200 „Purpose-Champions“ weltweit die Sinnfrage in Abläufe und die Entwicklung neuer Produkte tragen. Zehn Prozent ihrer regulären Arbeitszeit dürfen die SAP-Champions dafür investieren.

Andere Firmen müssten das „nicht so personell manifestieren“, gibt Bapat zu. Aber: „Der Unternehmenszweck darf nicht nur ein Slogan sein. Er muss von Managern und Mitarbeitern authentisch gelebt werden.“ Doch genau zwischen Anspruch und der eigentlichen Aktivierung des Purpose klaffe mitunter eine Lücke, so Bapat. Diese bei SAP zu minimieren, ist das Ziel des Managers.

Human-Unlimited-Chef Frank Dopheide sieht die Verantwortung an vier Stellen: der Geschäftsführung, den Führungskräften, der Kommunikations- und der Personalabteilung. „Alle machen ein bisschen mit. Aber keiner macht Purpose zu seinem Thema.“ Da könne die Krise eine Chance sein. „Wenn du im Überlebensmodus bist, schnappst du nach Luft. Da geht nichts anderes“, sagt Dopheide. Sobald sich Unternehmen aber wieder stabilisieren, müssten sie sich öffnen. „Dann können sie nicht so weitermachen wie bisher.“

Was auch heißt, dass viele Unternehmen ihren Purpose im Zuge der Covid-19-Pandemie noch einmal grundlegend überarbeiten dürften. So wie Heidelberg Cement, die erst kürzlich ihren Purpose „Material to build our future“ neu definiert haben. Anlass war die Neuausrichtung der Firmenstrategie unter dem neuen Vorstandsvorsitzenden Dominik von Achten.

Der Konzern hatte ursprünglich geplant, mehrere Initiativen durchzuführen. „Momentan ist es allerdings nicht vertretbar, kostspielige Maßnahme zu initiieren.“ Askese und Sinnsuche – das gehört ja irgendwie auch zusammen.