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Korruptionsprozess um Dillinger Hütte: Zwei Ex-Vorstände im Fokus der Staatsanwaltschaft

Ein Bauunternehmer und Stahlwerk-Mitarbeiter stehen in Verdacht, Millionenaufträge verschoben zu haben. Doch der Skandal reicht offenbar weiter.

Der Polizeifotograf hatte gut zu tun an diesem Donnerstagmorgen im Dezember 2019. Er fotografierte den asiatischen Garten sowie etliche antike Möbel, Skulpturen und Kunstwerke, die sich über das dreistöckige Haus im saarländischen Rissenthal verteilten. Zwei Stunden blieben die Beamten. Als sie gingen, nahmen sie Aktenordner mit.

Den Eigentümer überraschten die Ermittler zeitgleich in einer anderen Villa. Auch dort beschlagnahmten sie Unterlagen. Seitdem heißt es im Saarland, Oberstaatsanwalt Eckhard Uthe habe in der Korruptionsaffäre um das Stahlwerk Dillinger Hütte einen neuen Beschuldigten im Visier.

Die Villa und das Anwesen in Rissenthal gehören einem Mann, der lange als einer der mächtigsten Manager des Saarlands galt. Er begann seine Karriere als Metallurg, wurde technischer Vorstand der Hütte, dann Aufsichtsrat und schließlich Mitglied des Kuratoriums der Montan-Stiftung-Saar, dem Gesellschafter der großen saarländischen Stahlwerke.

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Nun gerät der Stahlpatron in den Strudel eines Korruptionsskandals. Die Razzia in Rissenthal war Teil eines Großverfahrens, das Uthe führt. Seine Behörde verdächtigt 23 Beschuldigte der Bestechung und der Bestechlichkeit, darunter zwei ehemalige Vorstände der Dillinger Hütte.

Eine erste Hauptverhandlung begann Ende August. Zunächst müssen sich vor dem Landgericht Saarbrücken ein Bauunternehmer und zwei ehemalige Mitarbeiter des Stahlwerks verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, Bauaufträge mit einem Volumen von rund 40 Millionen Euro verschoben zu haben.

Uthe schilderte ein Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten – gewoben aus Gefälligkeiten, Geschenken und Schmiergeld. Im Mittelpunkt steht aus Sicht seiner Behörde Bauunternehmer Jean Baron von Sass (61). Uthe wirft ihm vor, das Netz der Korruption gesponnen und gepflegt zu haben.

Sein Verteidiger Michael Heuchemer hält das für übertrieben: Von Sass habe sich nur den Gegebenheiten angepasst. Die gesamte Hütte habe auf Initiative der Leitungsebene als „strukturell korruptives System“ gehandelt.

Das soll auch für die beiden beschuldigten Ex-Vorstände gelten, die nicht angeklagt sind. Kenner der saarländischen Stahlbranche beschreiben sie als „Karriere-Seilschaft“. Wenn der Ältere befördert worden sei, habe er den Jüngeren nachgezogen.

2017 ging eine anonyme Anzeige gegen den älteren Manager bei Uthe ein. Seine Ermittlungen liefen offenbar holprig an. Zehn Monate lang sei die Hauptakte „außer Kontrolle“ geraten, notierte er Ende 2018 in einem Vermerk. So nennt es die Behörde, wenn eine Akte „verlegt“ oder „nicht greifbar“ ist. Solche Pannen wecken den Unmut der Verteidiger.

„Nachweisschwierigkeiten steigen mit Höhe der hierarchischen Ebene“

Der Anwalt des Barons von Sass kritisiert eine Zwei-Klassen-Justiz: „Ausgerechnet in einer Zeit, als mein Mandant mit Hochdruck verfolgt wurde, blieb die Akte des Vorstands unbearbeitet liegen.” Ein weiterer Verteidiger beantragte vergeblich eine Aussetzung des Verfahrens, weil Uthe nicht über die parallelen Ermittlungen informiert habe.

Der Staatsanwalt weist die Kritik zurück. Mit aufwendigen Ermittlungen versuche die Behörde, die Sachverhalte „unabhängig von der hierarchischen Stellung Beteiligter“ aufzuklären. Eine Verjährung trete nicht vor 2025 ein. Ob gegen die beiden Ex-Führungskräfte Anklage erhoben werde, hänge nun auch von neuen Erkenntnissen im Prozess gegen den Baron ab.

Erfahrungsgemäß würden „die Nachweisschwierigkeiten mit der Höhe der hierarchischen Ebene“ steigen, betonte der Oberstaatsanwalt. Führungskräfte scheinen demnach cleverer, wenn es um Korruption geht – ihre Überführung dauert länger. Ein Umstand, der im Zweifel für sie spielt?

Gegenüber dem Amtsrichter gaben sich die Ankläger noch vor einem Jahr siegessicher. Der Baron habe dem Ex-Vorstand Bargeld per Kurier geschickt, heißt es im Beschluss für die Durchsuchungen. Zudem habe von Sass das Haus mit asiatischem Garten mitgebaut. Die Höhe der Zuwendung taxierte das Gericht auf 410.000 Euro.

Die frühere Führungskraft der Hütte bezeichnete der Richter harsch als „aus dem Hintergrund agierenden Wirtschaftsstraftäter“. Er soll sich im Gegenzug als Aufsichtsrat für den Baron verwendet haben – etwa, als er 2008 unter Korruptionsverdacht geriet und ihm die Hütte keine Aufträge mehr erteilen wollte.

Der Anwalt des Barons räumt die Bauleistungen ein. Der Unternehmer habe sich „gedrängt gesehen“, den Rohbau zu erstellen. Er habe fürchten müssen, sonst keine Aufträge der Hütte mehr zu bekommen, sagte Heuchemer.

Den Ex-Vorstand vertritt Pascal Bastuck von der Kanzlei Heimes & Müller in Saarbrücken. Der Anwalt teilte mit, dass er noch keine Akteneinsicht erhalten habe und sich deshalb nicht äußern möchte.

Dillinger Hütte prüft Schadensersatz

Auch für den jüngeren Manager, der nach seinem Vorgänger den Technik-Bereich im Vorstand verantwortete, könnten die Ermittlungen bedrohlich werden. Seine mutmaßlichen Taten machte die Staatsanwaltschaft schon in der Anklage gegen den Baron öffentlich bekannt.

Von Sass habe demnach in einem Vergabeprozess 2013 disqualifiziert werden müssen, weil er eine Frist gerissen hatte. Doch der Technikvorstand habe sich beim Finanzvorstand dafür eingesetzt, dass das Angebot als „gerade noch rechtzeitig“ gewertet wird. Schließlich habe die Firma des Barons den Zuschlag in Höhe von 380.000 Euro erhalten.

Zudem gibt es einen Vertrag über einen weiteren Auftrag im Wert von 460.000 Euro, den nur der Technikvorstand unterschrieben hat. Laut Uthe wäre die Signatur eines zweiten Vorstands „zwingend“ erforderlich gewesen.

Zufall oder nicht: Ein enger Verwandter des Managers wurde mit 27 Jahren Geschäftsführer einer Firma, die über Zwischengesellschaften mittelbar dem Baron gehörte. Die Strafverteidiger des ehemaligen Vorstands ließen Fragen des Handelsblatts unbeantwortet.

Die Dillinger Hütte betonte, dass die Beschuldigten nicht mehr für das Unternehmen arbeiten. Dem aktuellen Vorstand sei aber an der vollständigen Aufklärung der Affäre gelegen.

Ein Anwalt des Stahlwerks beklagte sich Ende August in einem Brief an Oberstaatsanwalt Uthe, dass die Hütte schon seit mehr als einem Jahr auf Akteneinsicht warte. Ohne diese ließe sich nicht prüfen, ob Schadensersatz vom älteren Vorstand verlangt werden könne.

Der Pensionär erhalte weiterhin die vereinbarte private Altersversorgung. Es ist ein Zustand, der die Führung des Stahlwerks umtreibt. Der beauftragte Jurist hat sogar angeboten, die Ermittlungsakten persönlich bei der Polizei abzuholen.