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Konzerne machen Anlegern Milliardengeschenke – und schwächen ihre Bilanzen

Schon seit vielen Jahren entwickeln sich die Aktienkurse in den USA besser als in Deutschland, das gilt für gute wie für schlechte Börsenzeiten. Grund dafür sind nicht nur starke Konzerngewinne, sondern auch üppige Anlegergeschenke: Im vergangenen Jahr haben die 3000 größten börsennotierten Unternehmen in den USA für eine Billion Dollar eigene Aktien zurückgekauft – das war ein neuer Rekord.

Mit diesem Schritt verknappen Konzerne wie Apple, Microsoft und McDonald's nicht nur die Zahl ihrer Anteilscheine an der Börse, Gewinne und Dividenden verteilen sich dadurch auch auf weniger Aktien. Beides treibt den Kurs. In nur vier Jahren zog Apple 20 Prozent seiner Aktien ein, IBM in den vergangenen 25 Jahren sogar 50 Prozent.

Auch deutsche Konzerne folgen diesem Beispiel. Im abgelaufenen Jahr haben sie für 8,6 Milliarden Euro eigene Aktien zurückgekauft. Das ist so viel wie zuletzt vor der Finanzkrise. Und die Rekordfahrt geht weiter. Linde, gerade mit dem US-Wettbewerber Praxair fusioniert, hat vor kurzem das größte Programm in der deutschen Wirtschaftsgeschichte beschlossen. Der Zusammenschluss von Linde und Praxair zu Linde plc eröffne „einzigartige Möglichkeiten für unsere Kunden, Aktionäre und Mitarbeiter“, frohlockte Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle nach Unterzeichnung der Fusion.

Einzigartig ist der Deal bislang jedoch vor allem für Aktionäre: Denn das amerikanisch-deutsche Fusionsunternehmen will in den nächsten zwei Jahren eigene Aktien für bis zu 5,3 Milliarden Euro zurückzukaufen. Linde wird mit diesem einen Programm 15 Prozent seiner Aktien aufkaufen – in Deutschland eigentlich unzulässig. Die Höchstgrenze liegt bei zehn Prozent innerhalb von fünf Jahren. Möglich ist ein so großes Anlegerprogramm nur durch die neue Notierung der Gesellschaft im irischen Dublin.

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Der Industriegase-Konzern steht nicht allein da. Auch Adidas und Siemens kaufen bis 2021 eigene Anteilsscheine im Wert von jeweils drei Milliarden Euro zurück. Zudem deutete Munich Re vergangene Woche an, in diesem Jahr eine Milliarde Euro für Rückkäufe auszugeben.

Und nach dem freien Fall des Aktienkurses in Folge der umstrittenen Monsanto-Übernahme versprach Bayer-Finanzvorstand Wolfgang Nickel seinen Aktionären mehr als nur eine mindestens stabile Dividende: „Darüber hinaus prüfen wir die Option, einen erheblichen Teil der Erlöse für Aktienrückkäufe einzusetzen.“ Selbst Heidelberg Cement, wo sich ein Sparprogramm an das nächste reiht, prüft derzeit, eigene Aktien zurück zu erwerben. Damit komme man den Wünschen seiner institutionellen Investoren nach, heißt es.

Experten sehen den Aktienrückkauf-Rausch kritisch. „Durch Rückkäufe finden keine realen Investitionen statt“, urteilt Philipp Immenkötter vom Vermögensverwalter Flossbach von Storch. Die steigende Zahl an Rückkäufen signalisiere, dass die Unternehmen nicht wissen, in was sie noch investieren können. Ihnen fehle darüber die nötige Kreativität für neue Ideen. „Beides ist typisch am Ende eines Wirtschaftsbooms, wenn Übernahmen sehr teuer sind.“

Der Trend zum Rückkauf kommt aus den USA und erreicht Deutschland spät. Allein die 500 größten US-Konzerne erwarben Aktien im Wert von gut 700 Milliarden Dollar. Prominente Beispiele sind nach Handelsblatt-Berechnungen die Fastfood-Kette McDonald's, der Biotech-Spezialist Amgen, der Arzneimittelhersteller Celgene – und allen voran: Apple.

US-Unternehmen Hauptkäufer von Aktien

Der iPhone-Riese kaufte in den vergangenen zwölf Monaten für umgerechnet 61 Milliarden Euro eigene Aktien auf – mehr als jedes andere Unternehmen auf der Welt – und schüttete weitere 11,5 Milliarden Euro an Dividenden aus. Das waren zusammengerechnet rund 17,8 Milliarden Euro mehr, als Apple im selben Jahr an Cashflow erwirtschaftete. Für die Rückkäufe griff US-Tech-Konzern auf sein Kapitalpolster zurück.

„In den letzten vier Jahren waren US-Unternehmen selbst die Hauptkäufer von US-Aktien“, sagt Oliver de Berranger, Chefanlagestratege beim französischen Vermögensverwalter La Financiére de L’Echiquier. Nur noch jede vierte börsennotierte US-Firma kauft keine eigenen Aktien zurück.

Experten sind sich sicher, dass 2018 rund ein Drittel des Anstiegs der Konzerngewinne auf diesen Effekt zurückging. Durch die Rückkäufe steigt der Ertrag pro Aktie – und das ist an der Wall Street die übliche Berechnung von Unternehmensgewinnen. Ein höherer Börsenkurs bedeutet aber keine tatsächliche höhere unternehmerische Leistung. Das erhöht langfristig die Risiken für Konzerne und ihrer Aktionäre. Denn der schnelle Gewinn durch Rückkäufe schwächt ganze Volkswirtschaften, weil zu wenig Kapital in private Investitionen fließt.

Handelsblatt-Berechnungen belegen: Zusammen mit den Dividenden, die sich bei den 500 größten US-Konzernen in den ersten drei Quartalen auf umgerechnet 306 Milliarden Euro summierten, überstiegen die Ausgaben für Rückkäufe in Höhe von 511 Milliarden Euro sogar den Überschuss, den die Firmen aus ihren Einnahmen und Ausgaben, dem Cashflow, erzielten. Er lag in den ersten drei Quartalen bei 804 Milliarden Euro.

Treiber der Entwicklung ist Donald Trump und seine Steuerreform. Der US-Präsident senkte die Unternehmenssteuern von 35 auf 21 Prozent, was eine Entlastung von mehr als einer Billion Dollar brachte. Gleichzeitig animierte Trump die Konzerne, ihr im Ausland unversteuertes Kapital in die USA zurückzuholen und mit einer Minimalsteuer von acht Prozent zu versteuern. Dabei geht es um zwei bis drei Billionen Dollar.

Die Regierung erhoffte sich zusätzliche Investitionen und Arbeitsplätze, doch wie schon bei einer ähnlichen Reform unter Alt-Präsident Ronald Reagan haben sich auch diesmal Befürchtungen bestätigt, dass die Unternehmen von dem Angebot zwar Gebrauch machen – einen Großteil der Gelder aber in den Rückkauf eigener Aktien investierten, um so die Kurse zu befeuern.

Politik will gegenhalten

Dagegen formiert sich nun Widerstand. Der parteilose linke Ex-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders und der Fraktionschef der Demokraten im Senat, Charles Schumer, kündigten eine Gesetzesinitiative an, um Aktienrückkäufe künftig stark zu beschränken.

Sie sollen nur noch Unternehmen gestattet werden, die mindestens 15 Dollar pro Stunde zahlen, einen Pensionsplan für die Stammbelegschaft aufstellen und ihren Beschäftigen Lohnfortzahlung bei Krankheit garantieren. Die beiden einflussreichen Politiker kritisierten die „Selbstbedienungsmentalität“, die durch Trumps Steuersenkungen begünstigt worden seien.

Mehrheitsfähig ist die Initiative aber wohl nicht. Die Republikaner, die die Mehrheit im Senat stellen, sind größtenteils Befürworter der milliardenschweren Rückkaufprogramme.

„Das Geld verschwindet nicht“, twitterte auch Lloyd Blankfein, der ehemalige Chef von Goldman Sachs, „es wird in wachstumsstärkere Firmen investiert, die die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt stärken.“ Blankfein folgt damit der Wall-Street-Sichtweise, wonach Anleger die Kursgewinne in Aktien wachstumsstärkerer Unternehmen investieren. Eine These, die Sanders gar nicht überzeugt: „Das Geld erhöht den Reichtum von Milliardären wie ihm“, konterte er.

Zuletzt kündigte Ebay an, den Forderungen seiner Großaktionäre nachzugeben und über Dividenden und Aktienrückkäufe binnen zwei Jahren sieben Milliarden Euro auszugeben. Das entspricht etwa einem Fünftel der gesamten Börsenbewertung. Zuvor hatte Ebay mit den US-Hedgefonds Elliot Management und Starboard Value zwei aktivistische Investoren hinzugewonnen. Elliot traut Ebay zu, den Börsenwert bis 2020 zu verdoppeln – und setzt deshalb auf Aktienrückkäufe.

Ausgerechnet die rasant wachsende IT-Branche, in der eigentlich Zukunftsinvestitionen an erster Stelle stehen, liefert derzeit die größten Rekorde an Anlegergeschenken: So will der Netzwerkausrüster Cisco innerhalb von zwei Jahren 31 Milliarden Dollar für Aktienrückkäufe ausgeben. Beim Chiphersteller Qualcomm flossen in den vergangenen zwölf Monaten 22 Milliarden Dollar in Aktienrückkäufe und weitere 3,3 Milliarden Dollar in Dividenden. Dem stand ein Überschuss von gerade mal drei Milliarden Dollar gegenüber. Um seine Programme zu finanzieren, griff Qualcomm auf alte Cash-Bestände und Darlehen zurück.

Ähnliche Trends in Europa

Die Folge des Rückkaufbooms neben weniger Aktien auch höhere Schulden: Seit 2006, als die Konzerne im großen Stil begannen eigene Aktien zurückzukaufen, stiegen die Schulden der US-Unternehmen von 2,5 auf 6,5 Billionen Dollar. Die Verbindlichkeiten sind inzwischen viermal höher als der operative Jahresgewinn.

Von solchen Schräglagen ist Deutschland weit entfernt – obwohl sich in Gesamteuropa mittlerweile ähnliche Trends abzeichnen. Europäische Konzerne kauften im vergangenen Jahr nach Daten der Deutschen Bank eigene Aktien für mehr als 30 Milliarden Euro zurück und zogen sie ein. Der niederländisch-britische Mischkonzern Unilever erwirtschaftete in den zwölf Monaten bis Juni 2018 einen Überschuss an freien Mitteln von 6,4 Milliarden Euro. Dem standen Aktienrückkäufe von 6,9 und Dividenden von 4,45 Milliarden Euro gegenüber.

Weiteres Beispiel Nestle: Ex-Fresenius-Chef Ulf Mark Schneider ist eigentlich angetreten, um aus dem traditionsreichen Schweizer Nahrungsmittelriesen einen schlagkräftigeren Konzern zu formen. Wirklich zufrieden kann sich aber vor allem Daniel Loeb zeigen: Mit seinem Hedgefonds Third Point hält Loeb gut ein Prozent der Nestle-Aktien.

Erst erkämpfte der streitbare Amerikaner vor einem Jahr ein Aktienrückkaufprogramm, ehe er im vergangenen Sommer dem Management einen „konfusen strategischen Kurs“ vorwarf und den Verkauf von Firmenanteilen forderte, die 15 Prozent des Gesamtumsatzes entsprechen. Der Erlös daraus will Loeb in Akquisitionen angelegt sehen – und vor allem in Form weiterer Rückkäufe.

In der Bilanz hinterlässt der Strategiewechsel verheerende Spuren: In den vier Quartalen bis Juni 2018 kaufte Nestlé eigene Aktien im Wert von 6,1 Milliarden Euro zurück, noch mal so viel floss in Form von Dividende an die Aktionäre. Der Cashflow, also der Überschuss aus Einnahmen und Ausgaben, betrug aber nur 9,4 Milliarden Euro. Die Folge sind höhere Schulden: Die Nettoverschuldung stieg binnen eines Jahres von 20,8 auf 25,3 Milliarden Euro. Das Schuldenquote mit dem Verhältnis aus Nettoverschuldung und Eigenkapital wuchs dramatisch von 39 auf 51 Prozent.

Auch für Anleger sind die Rückkäufe ein schlechtes Geschäft

Die Unternehmen strapazieren also ihre Bilanzen zum Wohle der Anleger – doch wirklich frohlocken können auch die nicht. So kaufte Apple im vergangenen Jahr seine Aktien zum Durchschnittskurs von knapp über 180 Dollar zurück. In der Spitze zahlte Apple sogar 200 Dollar pro Aktie.

Bei einem aktuellen Wert von 170 Dollar pro Aktie muss man aber sagen: Apple hat mit den Rückkäufen Geld verbrannt. Dennoch macht das Unternehmen keine Anstalten, seine hohen Bargeldbestände und Auslandsvermögen in neue Techniken zu investieren. Im Gegenteil: Apple kündigte ein neuerliches Rückkaufprogramm von weiteren 100 Milliarden US-Dollar an.

Als schlechtes Geschäft entpuppten sich die Rückkäufe auch für deutsche Konzerne. Covestro kaufte seit November 2017 eigene Aktien im Wert von fast 1,5 Milliarden Euro zurück – knapp zehn Prozent des Grundkapitals. „Ziel des Aktienrückkaufprogramms war es, Wert für unsere Aktionäre zu schaffen“, stellte Finanzvorstand Thomas Toepfer klar. Tatsächlich kosten Covestro-Aktien heute gut 45 Prozent weniger als vor einem Jahr.

Deka-Fondsmanager Winfried Mathes, dessen Haus zehn Millionen Siemens-Aktien hält, bezeichnete das Rückkaufprogramm von Siemens auf der jüngsten Hauptversammlung im Januar als ein „zweifelhaftes Investmentmärchen“. In den vergangenen drei Jahren kaufte Siemens für drei Milliarden Euro die Aktien zu einem Durchschnittspreis von 111 Euro zurück, rechnete Mathes vor. Aktuell kostet eine Aktie wenig mehr als 90 Euro. „Wo ist der versprochene positive Effekt auf den Aktienkurs?“, fragte Mathes und empfahl dem Management deutlich mehr in Wachstumsfelder zu investieren.

Dabei müssten die Unternehmen eigentlich gewarnt sein. 2008 hatten deutsche Unternehmen Aktien im Wert von 16,9 Milliarden Euro zurückgekauft – so viel wie nie. Grundlage war der Boom 2007 und in den Hauptversammlungen abgesegnete Programme. Als kurz darauf die Finanzkrise ausbrach, sanken die Aufträge, Umsätze, Gewinne und Aktienkurse – den Firmen fehlte das Geld. Daimler erwarb bis Oktober 2008 in mehreren Programmen 137 Millionen eigene Aktien für 7,6 Milliarden Euro. Nur ein halbes Jahr später war die Finanznot groß: Im Frühjahr 2009 stieg das Emirat Abu Dhabi mit 1,95 Milliarden Euro ein und wurde so mit 9,1 Prozent der Anteile Daimler-Großaktionär.

Ein schlechtes Geschäft. Seit diesem Desaster sind bei Daimler Aktienrückkäufe tabu.