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Der Kirchentag ignoriert die Religion

Von Angela Merkel bis Eckart Hirschhausen tummeln sich Prominente auf dem Evangelischen Kirchentag. Man predigt und redet über alles, nur nicht über Gott.

Was würde Jesus zum Evangelischen Kirchentag sagen? Würde ihm diese Veranstaltung gefallen? Würde er überhaupt hingehen? Und wenn ja, würde er auf einem Podium mit Angela Merkel und Barack Obama sitzen? Sich einen Auftritt von Martin Schulz anhören? Oder die „Friedenspredigt“ der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen?

Die Fragen sind für einen Christen nicht abwegig. Jesus hat schließlich versprochen: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ Das Motto des Kirchentages lautet: „Du siehst mich“. Ein Zitat aus dem Alten Testament. Du, das ist Gott. Und Jesus ist bekanntlich der menschgewordene Gott.

Doch der „Menschensohn“ und sein „Evangelium“ („frohe Botschaft“) des Glaubens stehen bei diesem Evangelischen Kirchentag in Berlin und Wittenberg nicht gerade im Zentrum des Interesses. Da stehen die genannten Politiker und außerdem so ziemlich alle politischen Themen der Zeit. In Podiumsreihen wird über „Europa“, „Folgen des Klimawandels“, das „Ende des Wirtschaftswachstums“, „Flucht, Migration, Integration“, „Ernährung und Landwirtschaft“ und „Frieden“ diskutiert. Auch Gender-Themen kommen nicht zu kurz: Über „Oversexed and Underfucked?“ debattierten am Freitag ein Sexualpädagoge, ein Soziologe und eine Kulturwissenschaftlerin. Auch die Hauptvorträge der Prominenten und Politiker sind fast alle politischen, gesellschaftliche, moralischen Themen gewidmet. Zum Beispiel: „Wie die Demokratie Streit aushält“, „Verantwortliches Handeln“, „Toleranz und friedliches Zusammenleben“.

Religiöse Fragen - Wo kommen wir her? Warum müssen wir sterben? Wie kann Gott das Leiden zulassen? Wer oder was ist Gott überhaupt? – scheinen die Programmplaner des „Vereins zur Förderung des Deutschen Evangelischen Kirchentages e. V.“ nicht besonders zu interessieren. Das durfte Comedy-Arzt Eckart von Hirschhausen übernehmen: „Humor, Glaube und Heilung“ war sein Thema. Ebenso wenig interessant findet man offenbar Jesus Christus selbst, dessen Name im Programm höchst selten auftaucht. Keine Podiumsreihe und kein Hauptvortrag des Kirchentags führt die Hauptperson des Christentums im Titel.

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Aber vielleicht ist das nur ein Oberflächenphänomen der großen Hauptveranstaltungen. Vielleicht sieht es an der Kirchentagsbasis anders aus.

Ein Versuch: Ich blättere blind einmal durch das Programmheft und trage alle Veranstaltungen vor, die da auf einer beliebigen Seite stehen. Also Seite 280: „HANDgemachte Poesie für die Augen“ (Gebärdenchor), „Refugees – Geflüchtete unter uns“ (Musiktheater), „Respect – Das Musical“, „The Mix – Rocking for Inclusion“, „Du hast die Wahl! Auf der Suche nach einem Umgang mit Rechtspopulismus“ (Planspiel in der fiktiven Christus-Gemeinde).

Apropos Rechtspopulismus. Die AfD interessiert die Kirchentagsorganisatoren ungemein. Bei einer Veranstaltung („Kann man als Christ oder Christin in der Alternative für Deutschland sein?“) durfte die AfD-Politikerin Anette Schultner auftreten. Das Publikum reagierte mit wütenden Zwischenrufen, Hohngelächter und „We shall overcome“-Gesang.

Ist es ein purer Zufall, dass es in keiner dieser Veranstaltungen um Seelsorge, die Bibel, Jesus, Gottvater oder sonst ein religiöses Thema geht? Ich blättere weiter. Auf der nächsten Seite wird unter dem Titel „Macht euch auf und schweigt nicht mehr!“ eine „Lesung für starke und schwache Frauen“ angekündigt, veranstaltet von der „Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft Lesben und Kirche (LuK)“. Eine Theologin aus Australien erklärt im Vortrag, dass der Klimawandel eine „neue Theologie“ notwendig mache. Und mit einem „Mitmachangebot“ können Jugendliche lernen, „einen Tag ohne Handy“ zu überleben.


Besinnung auf das Kerngeschäft

Nein, auch in den Tiefen des Kirchentagsprogrammes ist von Jesus nicht viel zu lesen. Wer Gott sucht und von religiösen Fragen umgetrieben wird, findet hier kaum ein Angebot. Der Tod zum Beispiel, dessen Schrecken vermutlich am Anfang jeder Religion steht, und dessen Überwindung durch Jesus Christus der Kern der christlichen Heilsbotschaft ist, kommt im gesamten Programm auf über 570 Seiten nur dreimal vor. Nur zwei Veranstaltungen von mehr als tausend dieses Kirchentages befassen sich mit „Auferstehung“. Bei einem davon geht es sinnigerweise um die Fernseh-Serie „Game of Thrones“.

Auch frühere Kirchentage gaben sich schon bereitwillig als Forum zu einem eitlen Schaulaufen der Prominenten und Mächtigen her. Längst ist „Kirchentag“ auch zu einem Synonym für betuliche Political Correctness geworden. In diesem Jahr ist man auf diesem Weg noch ein gutes Stück vorangekommen. Das evangelische Christentum, das sich in Berlin und Wittenberg präsentiert, entfernt sich immer mehr vom religiösen Selbstzweck. Das Seelenheil, die Suche nach Gott, die letzten Fragen nach Leben und Tod, all das hat offenbar keine vernehmbare Relevanz mehr für die Christen, die da zusammenkommen. Die christliche „frohe Botschaft“ dient allenfalls noch als Hintergrundrauschen für allerlei meist kitschiges Kulturgedöns und vor allem als Untermalung einer theatralisch inszenierten Allerweltsmoral.

Bezeichnend für diese völlige Verweltlichung des organisierten Christentums ist, was die Kirchentagspräsidentin Christina aus der Au in ihrem Grußwort zum Reformationsjubiläum zu sagen hat: „Der reformatorische Aufbruch vor 500 Jahren war ein Ausbruch aus alten Gewohnheiten. Reformation ist Veränderung. Wie brechen wir heute auf, mutig, kreativ und mit Kraft, um Herausforderungen von Klimakrise, Wirtschaftskrise, Finanzkrise, Friedenskrise zu begegnen?“

So wird Martin Luther, dieser leidenschaftliche Gott-Sucher, von den Vertretern der Konfession, die er selbst begründete, zu einem schlichten Reform-Politiker banalisiert. Egal, wie man zu ihm steht: Das hat der große Mann wahrlich nicht verdient.

Dieser Kirchentag zeigt vor allem eines: Wenn das evangelische Christentum (und das katholische nicht weniger) eines nötig hat, dann Besinnung aufs Kerngeschäft. Auf die Bibel, auf Seelsorge, auf Gott.

Um auf Jesus und die Fragen vom Anfang zurück zu kommen: Eine Vorstellung davon, wie Jesus auf das Theater der moralisierenden Geschäftigkeit in Berlin vielleicht reagiert hätte, findet man in der Geschichte der „Tempelaustreibung“, die in allen vier Evangelien erzählt wird. Es ist übrigens das einzige Mal, dass Jesus Gewalt anwendet. Er war so wütend über die Viehhändler und Geldwechsler, die das Paschafest für ihre Geschäfte nutzten, dass er sie mit einer selbstgemachten Peitsche aus dem Tempel trieb.

Ist die Indienstnahme des Religiösen für politische und moralisierende Zwecke weniger verwerflich als die für ökonomische?

KONTEXT

Der Kirchentag 2017

Die Teilnehmerzahl

Die sogenannten Kirchentage auf dem Weg in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hatten deutlich weniger Teilnehmer als ursprünglich erwartet. Insgesamt werde mit 40 000 Besuchern gerechnet, teilte der Verein Reformationsjubiläum 2017 am Samstag in Leipzig mit. Ursprünglich waren 80 000 erwartet worden.

Dennoch zeigten sich die Organisatoren der sechs Protestantentreffen, die den großen Evangelischen Kirchentag in Berlin und Wittenberg umrahmten, zufrieden. Inhaltlich und atmosphärisch seien die Veranstaltungen ein Erfolg gewesen. Besonders gut angekommen seien kleinere Formate wie die Kneipengespräche und die Bibelarbeiten.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag, der seit Mittwoch vor allem in Berlin lief, geht am Sonntag mit einem Gottesdienst in Wittenberg zu Ende. Etwa 100 000 Teilnehmer werden erwartet, so Bodmann.

Die Kosten

Mit Kosten von 22,015 Millionen Euro ist der diesjährige Evangelische Kirchentag in Berlin und Wittenberg der bisher teuerste. Das sagte eine Kirchentagssprecherin am Samstag. Mit knapp 24 Millionen Euro war bisher nur der zweite Ökumenische Kirchentag teurer. Ihn hatten die evangelische und katholische Kirche vor sieben Jahren gemeinsam in München ausgerichtet. Die vergangenen beiden Evangelischen Kirchentage in Hamburg und Stuttgart kosteten gut 18 Millionen Euro.

Diesmal schlug neben hohen Mietkosten und einem umfangreichen Sicherheitskonzept besonders zu Buche, dass der Kirchentag mit Berlin und Wittenberg in zwei Städten gefeiert wird. Die Hälfte der Kosten für dieses Jahr, insgesamt 11,5 Millionen Euro, werden staatlich bezuschusst. Davon stellt 8,4 Millionen Euro das Land Berlin. Solche Subventionen sind Kritikern seit Jahren ein Dorn im Auge.

Die Zuschüsse seien legitim, erklärt der Kirchentag auf seiner Internetseite: Viele Veranstaltungen seien kostenlos und mitten in der Stadt - so profitierten alle Einwohner der Region. Auch der Berliner Senat rechtfertigte die Ausgaben: Von Kirchentagen gingen wichtige Impulse für gesellschaftliches und politisches Engagement aus. Zudem ergeben sich für die Berliner Wirtschaft positive Effekte. Die Berlin Tourismus und Kongress GmbH schätzt den touristischen Bruttoumsatz auf rund 63 Millionen Euro.

Quelle: dpa