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Kinderlose zahlen mehr Geld in die Pflegeversicherung. Ein Experte erklärt, warum das gerecht ist

In der Pflegeversicherung zahlen Kinderlose mehr Beiträge als Menschen mit Kindern. Nun soll sich der Beitrag für sie erhöhen: Statt 3,3 Prozent ihres Bruttolohns sollen Kinderlose ab 2022 3,4 Prozent für die Pflegeversicherung zahlen – und damit zu einer besseren Entlohnung von Pflegekräften beitragen. Der Bund will eine Milliarde Euro pro Jahr zuschießen. Menschen mit Kindern hingegen zahlen weiterhin den gleichen Beitrag.

Auf Twitter hat das unter dem Hashtag #Kinderlose einen Proteststurm ausgelöst: Dort äußern sich Frauen und Männer, teils homosexuell. „Ich bin ungewollt kinderlos. Als wäre das nicht schon Strafe genug", schreibt etwa eine Frau auf Twitter. Zum anderen beschweren sich Menschen über höhere Beiträge, die sich bewusst gegen Kinder entschieden haben: „Ich bin nicht kinderlos, ich bin kinderfrei. Wie viele Menschen verkraftet wohl dieser Planet noch?" Beide Gruppen fühlen sich von den höheren Pflegebeiträgen abgestraft und finanziell benachteiligt – und werfen dabei eine grundsätzliche Frage auf: Ist es gerecht, dass Kinderlose mehr in die Pflegeversicherung bezahlen müssen?

Die Frage ist nicht nur in der Twitter-Community umstritten. Auch die Opposition aus Grünen und FDP schließt sich der Kritik der Kinderlosen auf Twitter an. Ökonom Martin Werding hingegen sieht die Ungerechtigkeit der Reform an ganz anderer Stelle.

„Kinderlosigkeit ist nicht immer eine Entscheidung"

„Kinderlosigkeit ist nicht immer eine Entscheidung", sagt Kordula Schulz-Asche, pflegepolitische Sprecherin der Grünen zu Business Insider. Allein deshalb hinterfragt sie eine weitere Erhöhung des ohnehin schon höheren Beitrags von Kinderlosen.

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Tatsächlich ist laut Bundesfamilienministerium in Deutschland fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Dabei fühlt sich ein Großteil unter ihnen aufgrund ihrer Kinderlosigkeit von anderen Menschen stigmatisiert (50 Prozent der Frauen, 43 Prozent der Männer unter 3000 Befragten), fand das Ministerium in einer Umfrage 2020 heraus. „Es ist nachvollziehbar, dass Kinderlose die einseitige Beitragserhöhung als nicht gerecht empfinden", sagt deshalb auch Nicole Westig, die pflegepolitische Sprecherin der FDP.

Ein Bundesverfassungsgerichtsurteil forderte ursprünglich eine Entlastung von Familien mit Kindern

Dabei sollten die höheren Beiträge für Kinderlose in der Pflegeversicherung ursprünglich niemanden stigmatisieren. Im Gegenteil: Der Zuschlag für Kinderlose sollte vor allem honorieren, dass Eltern Zeit und Geld investieren, um ihre Kinder und damit neue Beitragszahler groß ziehen – wovon dann später auch kinderlose Versicherte in der Pflegeversicherung profitieren. Dazu fällte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2001 ein Urteil, in dem es den Staat verpflichtete, Pflegeversicherte mit Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der Pflegeversicherung bei der Bemessung der Beiträge zu entlasten. Seit 2005 müssen kinderlose Mitglieder deshalb zusätzlich zu dem „normalen“ Beitragssatz einen Beitragszuschlag von 0,25 Beitragssatzpunkten zahlen.

„Im Prinzip ist es gerecht, dass Kinderlose höhere Beiträge bezahlen, weil Kinderlose die Pflegeversicherung in der Regel mehr kosten", erklärt Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und Öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum im Gespräch mit Business Insider. „Wer hingegen Kinder hat, senkt die zukünftigen Ausgaben in der Pflegeversicherung tendenziell, weil in Haushalten mit Kindern die Pflege viel öfter selbst übernommen wird und eher nur ambulante Pflegeangebote in Anspruch genommen werden“, sagt Werding zu Business Insider.

Wie viel Kinder tatsächlich zur Entlastung Pflegeversicherung beitragen, hat Werding dabei in einer Studie für die Bertelsmann-Stiftung 2014 berechnet: Dazu hat der Ökonom sich angeschaut, wie viel zusätzliches Geld ein Kind der Pflegeversicherung langfristig durch neue Beiträge bringt und welche zusätzlichen Leistungen es in der Pflegeversicherung in Anspruch nimmt. Dabei ergab sich ein finanzieller Überschuss in Höhe von rund 25.300 Euro, abzüglich der Inflation.

Die Grünen haben jedoch weiterhin Zweifel, ob das Urteil des Bundesverfassungsgerichts weiterhin Bestand hat und eine weitere Erhöhung der Beiträge zulasse, zumal bereits bei Einführung des erhöhten Beitrags einiger Unmut zum Ausdruck gebracht worden sei, so Kordula Schulz-Asche. Indes geht Ökonom Martin Werding die Entlastung der Eltern aktuell noch gar nicht weit genug: „Ein Manko der Reform liegt darin, dass der Beitragszuschlag Eltern mit hohem Einkommen bevorzugt." Das läge auch an der aktuellen Berechnung der Beiträge.

Ökonom Werding geht die Entlastung der Eltern aktuell noch nicht weit genug

Bislang berechnen sich die Beiträge der Mitglieder in der Pflegeversicherung nämlich prozentual anhand ihres Einkommens: Seit 2019 müssen Eltern 3,05 Prozent ihres Bruttoeinkommens zahlen, Kinderlose 3,3 Prozent. Dabei hat der Bund eine sogenannte Beitragsbemessungsgrenze eingeführt, die in diesem Jahr bei einem Brutto-Einkommen von 4.837,50 Euro monatlich liegt. Das heißt: Wenn Mitglieder der Pflegeversicherung mehr als diese 4800 Euro im Monat verdienen, zahlen sie trotzdem nur den prozentualen Anteil der Beitragsbemessungsgrenze.

Für den Bochumer Ökonomen Werding ist das die eigentliche Ungerechtigkeit, nicht die höheren Beiträge für Kinderlose per se: „Alle die mit ihrem Einkommen an dieser Grenze oder darüber liegen, werden absolut gesehen viel stärker entlastet als Geringverdiener mit Kindern", sagt er. Gerechter wäre es, die Entlastung nicht vom elterlichen Einkommen abhängig zu machen, sondern z.B. von Kinderfreibeträgen in der Sozialversicherung.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Beitragsbemessungsgrenze führt auch bei Kinderlosen dazu, dass jene mit geringem Einkommen prozentual womöglich einen höheren Pflegeversicherungsbeitrag zahlen, als jene die mehr als rund 4800 Euro im Monat verdienen. Demnach könnten beide Gruppen, Kinderlose wie Familien mit Kindern, die gerechte Verteilung der Beiträge in der Pflegereform infrage stellen.