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„Ich kann keinen halben Koch in die Küche stellen“ – Die Angst der Wirte vor dem Neustart

Zwar dürfen Restaurants wieder öffnen, aber nur eingeschränkt. Gastronomen fürchten daher ein Sterben auf Raten – und haben klare Forderungen an die Politik.

ARCHIV - 26.03.2020, Rheinland-Pfalz, Speyer: Hochgeklappte Tische stehen in der Fußgängerzone vor einer Gastwirtschaft. (zu dpa «Wissing rechnet mit baldiger Öffnung der Gastronomie») Foto: Uwe Anspach/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: dpa
ARCHIV - 26.03.2020, Rheinland-Pfalz, Speyer: Hochgeklappte Tische stehen in der Fußgängerzone vor einer Gastwirtschaft. (zu dpa «Wissing rechnet mit baldiger Öffnung der Gastronomie») Foto: Uwe Anspach/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: dpa

Gut acht Wochen schon sind die fünf Restaurants von Gastronomin Kerstin Rapp-Schwan aus Düsseldorf zwangsgeschlossen. Lediglich einen Liefer- und Mitnahmeservice konnte sie anbieten. Ab Montag darf sie in ihren Lokalen wieder mit Beschränkungen „Küche nach Oma Käthe“ auftischen. Doch darüber kann sich die Unternehmerin nicht wirklich freuen.

„Die Politik öffnet die Restaurants wieder, aber schürt gleichzeitig die Angst vor dem Virus und brandmarkt die Gastronomie sogar als potenzielle Virenschleuder. Das geht nicht zusammen“, ärgert sie sich. Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch hatte vor den Lockerungen der Corona-Maßnahmen noch einmal betont: „Das sicherlich Kritischste ist das Hotel- und Gaststättengewerbe.“

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„Wir können Hygiene“, stellt Gastronomin Rapp-Schwan klar. Kopfzerbrechen bereiten ihr vor allem die geplanten strengen Abstandsregeln in den Restaurants. In ihrem Lokal am Düsseldorfer Burgplatz hat sie bereits Tische probegestellt. Zwei Abstandsvarianten hat die Wirtin Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) vorgeführt. Vor dem Restaurant präsentierte sie ihm einen riesigen Möbelberg: „Alles Tische und Stühle, die wir nun nicht mehr nutzen können.“

Guido Zöllick, Präsident der Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) geht davon aus, dass Gastronomen wegen der Abstandsregeln nur 30 bis 50 Prozent des Vorjahresumsatzes erzielen können. Wirtin Rapp-Schwan rechnet vor: „Wenn wir zum Beispiel nur jeden dritten Tisch nutzen dürfen, haben wir auch nur eine Chance auf ein Drittel des Umsatzes – wenn überhaupt Gäste kommen.“ So sei ein Restaurant nicht wirtschaftlich zu betreiben, warnt sie: „Ich kann ja keinen halben Koch in die Küche stellen.“

Die Betriebswirtin ist verzweifelt: „Vor Corona waren wir ein sehr gesundes Unternehmen. Nun ist es für die gesamte Gastronomiebranche fünf nach zwölf.“ Je länger die Beschränkungen dauern umso mehr Restaurants werden in die Insolvenz rutschen, warnt auch Moritz Dietl, geschäftsführender Partner von Treugast. Die Beratung ist auf die Hotellerie und Gastronomie spezialisiert.

Bund und Länder hatten am Mittwoch beschlossen, dass Restaurants, Cafés und Kneipen wieder öffnen dürfen. Allerdings nur teilweise und in eigener Verantwortung der einzelnen Bundesländer. Diese hatten bereits unterschiedliche Starttermine zwischen dem 9. und 22. Mai verkündet.

Mirko Silz, Chef der Kette L’Osteria mit 102 Lokalen, hat gemischte Gefühle zur Öffnung: „Wir sind froh, dass wir unseren Gästen jetzt wieder in unseren Restaurants Pizza und Pasta anbieten können. Viele Gäste können es kaum erwarten.“ Er wünschte sich jedoch, dass die Politik bundeseinheitliche Stufenpläne auflegen würde.

Welche Hygiene- und Abstandsregeln in den jeweiligen Bundesländern einzuhalten sind, ist zum Teil noch unklar. „Mit der Hälfte der Sitzplätze wird es für viele Gastronomen sehr schwer werden, profitabel zu wirtschaften“, warnt Silz. Das sieht Hermann Weiffenbach, Gründer der Enchilada-Restaurants, ähnlich: „Für unsere Gruppe würde es wirtschaftlich – abhängig vom Standort – in der Regel wohl keinen Sinn machen, dann zu eröffnen. Die Kosten wären zu hoch, Verluste damit vorprogrammiert.“

Das Abstandsmodell aus Österreich hält der Chef der Enchilada-Gruppe, die bundesweit 90 Restaurants betreibt, für akzeptabel. Das bedeutet: ein Meter Mindestabstand, vier Personen plus Kinder an einen Tisch, umfassende Hygienemaßnahmen im Restaurant sowie Öffnungszeiten täglich bis 23 Uhr.

Messegäste und Touristen fehlen

„Mit diesem Modell könnten wir – verbunden zwar mit höheren Kosten – wieder bis 70 Prozent des notwendigen Umsatzes erreichen“, glaubt Weiffenbach. Die anderen Ansätze mit beispielsweise zwei Metern Mindestabstand ergeben für ihn keinen Sinn. Die Kosten wären ähnlich hoch, Umsatzmöglichkeiten aber zu klein, um zu überleben.

Offen ist auch, wie viele Menschen aus Angst vor Ansteckung lieber zuhause bleiben. Die Zurückhaltung, die etwa der Modehandel nach der Lockerung erlebte, erwartet Weiffenbach ebenfalls – vor allem in der Freizeitgastronomie am Abend. Auch wichtige Umsatzbringer wie Touristen, Messegäste und große Feiern wird es zunächst nicht geben.

Für Gastronomen sind die Unwägbarkeiten durch die schrittweisen Lockerungen groß: Wie viele Gäste kommen? Was soll an Waren auf Lager gehalten werden? Wie viel Personal wird gebraucht? „Es gibt keine Planungssicherheit“, meint Rapp-Schwan. Von ihren 80 Mitarbeitern waren bisher 60 Prozent komplett in Kurzarbeit.

Mehr als eine Million Beschäftigte in der Gastronomie arbeiten kurz, das sind 95 Prozent der Festangestellten. Vor Corona wurden Köche und Kellner noch händeringend gesucht. Das Kurzarbeitergeld müssen die Arbeitgeber vorfinanzieren. „Das Wenigste davon wurde uns bislang von der Agentur für Arbeit zurückerstattet“, sagt Rapp-Schwan. Damit ist die Wirtin kein Einzelfall. Nach einer Dehoga-Umfrage von Ende April, waren in 84 Prozent der Fälle das Kurzarbeitergeld für März noch nicht erstattet worden.

Auch das Außer-Haus-Geschäft hat Gastronomen kaum Entlastung gebracht. „Damit lässt sich nicht wirklich Geld verdienen“, so die Erfahrung von Rapp-Schwan. „Am Burgplatz haben wir unseren Service nach zehn Tagen wieder eingestellt, das brachte nur Verluste.“

Die Gastronomin, die mit ihrem Mann Martin fünf Restaurants leitet, hat durch Corona 85 Prozent ihres Umsatzes eingebüßt. Einen größeren KfW-Kredit mussten sie bereits beantragen. Denn die laufenden Kosten sind hoch. Ein Vermieter hat die Miete von sich aus halbiert, die anderen stunden jedoch nur.

„Die Situation der Gastronomie ist dramatisch“, bestätigt Dietl von Treugast. Die Branche habe typischerweise nur geringe Gewinnmargen zwischen fünf und 15 Prozent nach Miete oder Pacht. Deshalb sei es auch kaum möglich, große Rücklagen für Krisen zu bilden.

Die Gastrobranche sei ohnehin die mit der höchsten Insolvenzquote. „Das Geschäft wirkt einfach, aber es ist schwer, wirtschaftlich zu arbeiten. Kleinste Fehler rächen sich.“ Von zehn neuen Restaurants überleben nur sechs die ersten fünf Jahre, schätzt Dietl.

Die Zwangsschließungen durch Corona beuteln die Branche mit zuletzt 50,7 Milliarden Euro Jahresumsatz zusätzlich. „Wenn jetzt kein Rettungsschirm kommt, ist die Teilöffnung nur ein Gnadenstoß für die Gastronomie“, warnt Rapp-Schwan. „Das Sterben der Gastronomie fängt erst richtig an, wenn wir wieder öffnen.“

Weniger Mehrwertsteuer nur auf Speisen

Zöllick vom Verband Dehoga bestätigt: „Die bisherigen Liquiditätshilfen reichen nicht aus, das Gastgewerbe liegt am Boden.“ Ein Rettungsfonds mit direkten Finanzhilfen müsse schnell auf den Weg gebracht werden, ansonsten würden viele Betriebe den Mai nicht überleben. Auch die Chefs von L’Osteria und Enchilada, die ebenfalls KfW-Kredite beantragen mussten, fordern einen Rettungsschirm für die Branche.

Zwar hat die Politik Einzelwirte bereits mit Soforthilfen unterstützt. Und der Mehrwertsteuersatz auf Speisen wird von 19 auf sieben Prozent gesenkt. „Aber erst ab Juli und nur für ein Jahr? Das reicht bei weitem nicht“, meint Rapp-Schwan. Der Bund rechnet für diesen Zeitraum mit einem Steuerausfall von 22,7 Milliarden Euro.

Enchilada-Chef Weiffenbach aus München hält die Mehrwertsteuersenkung für ein wirkungsvolles Instrument: „Das hilft sehr. Aber natürlich nur, wenn wir bis dahin überleben.“ Ein Jahr weniger Steuern sei definitiv zu kurz, um die Verluste durch die Coronakrise auch nur annähernd auszugleichen. Vier bis sechs Jahre Entlastung seien mindestens notwendig.

L’Osteria-Chef Silz ist dankbar für weniger Mehrwertsteuer auf Speisen. „Dies sollte aber auch für Getränke gelten, da sonst viele Gastronomen kaum Effekte spüren werden“, meint er. Schließlich ist für Wirte der Getränkeausschank oft am lukrativsten.

Auch für Branchenexperte Dietl ist die zwölfmonatige Mehrwertsteuersenkung auf Speisen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Branchenexperte kritisiert ebenfalls, dass die Steuerermäßigung nicht auch für Getränke gilt: „Das benachteiligt getränkelastige Gastronomen.“

Die Wirte verlangen von der Politik weitere, schnell wirkende Hilfen: Der Enchilada-Chef schlägt Steuerrückerstattungen vor. Die seien für eine gewisse Periode hilfreich und leicht zu realisieren. „Das belohnt auch noch die Betriebe, die in den vergangenen Jahren sauber und ehrlich gewirtschaftet haben“, sagte Weiffenbach.

Trotz Krise will der erfahrene Systemgastronom nicht aufgeben. „Ist es möglich, irgendwann im Sommer wieder vernünftig Umsätze zu machen, kommen wir mit zwei dicken blauen Augen davon“, hofft er. Sollte aber der Betrieb bis Ende des Jahres oder länger nur mit starken Einschränkungen möglich sein, werden es viele der 90 Enchilada-Betriebe wahrscheinlich nicht überleben, konstatiert der Gastronom. „Doch selbst im besten Fall bleibt uns ein unglaublich hoher Schuldenberg.“