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Keine starken Lohnerhöhungen, trotz rasanter Inflation: Stehlen sich die Arbeitgeber aus der gesellschaftlichen Verantwortung?

Hafenarbeiter streiken unter dem Motto „Das Inflationsmonster stoppen“ durch die Hamburger Hafencity.  - Copyright: picture alliance/dpa | Axel Heimken
Hafenarbeiter streiken unter dem Motto „Das Inflationsmonster stoppen“ durch die Hamburger Hafencity. - Copyright: picture alliance/dpa | Axel Heimken

Die Inflation in Deutschland steigt rasant – und mit ihr die Preise für Lebensmittel, Tanken und Energie. Allein im Mai legten die Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahresmonat um 7,9 Prozent zu. Zeitgleich ist die Entwicklung der Löhne in Deutschland eher schwach: In einer Umfrage des ifo Instituts im Januar 2022 ging ein Großteil der befragten Personalleiter davon aus, dass die Löhne um durchschnittlich 4,7 Prozent ansteigen, also nicht so stark wie die Teuerung.

Viele Arbeitnehmer und Gewerkschaften fordern deshalb Lohnerhöhungen, die den Anstieg der Inflation ausgleichen. Beispielsweise beim Verdi-Warnstreik im Hamburger Hafen. Dort haben Hunderte Hafenarbeiter am Donnerstag zum zweiten Mal ihre Arbeit für 24 Stunden niedergelegt, um höhere Löhne zu bekommen. Konkret fordern sie mit Verdi einen tatsächlichen Inflationsausgleich. Und auch die IG Metall berät über die Höhe ihrer Forderungen für die Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie, die Mitte September starten. Die Empfehlung des IG-Metall-Vorstands: Entgelte um sieben bis acht Prozent erhöhen, also in der Höhe der aktuellen Inflationsrate.

Doch einige Arbeitgeber stemmen sich gegen diese Forderungen, unter anderem mit dem Argument, der Staat entlaste doch schon: "Unser Vorschlag bewirkt im Zusammenspiel mit den Entlastungspaketen der Bundesregierung eine Reallohnsicherung für die Beschäftigten in den deutschen Seehafenbetrieben", heißt es etwa in einer Pressemitteilung des Zentralverbands der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) Ende Mai. Doch drücken sich die Arbeitgeber damit um ihre gesellschaftliche Verantwortung?

"Unternehmen stehen in der Verantwortung, Beschäftigte an der guten Ertragslage zu beteiligen"

Der Sprecher des Verdi-Bundesvorstands, Jan Jurczyk, will die Frage noch nicht abschließend beantworten, da die Tarifverhandlungen noch nicht überall begonnen haben. Aber er sieht zumindest die Gefahr einer solchen Entwicklung: "Staatliche Entlastungspakete haben das Potenzial, Unternehmen aus der Pflicht zu entlassen, Löhne zu erhöhen", sagte er Business Insider. Maßnahmen zur Entlastung müssten deshalb politisch sehr genau durchdacht sein, damit sich leistungsfähige Unternehmen nicht einfach aus der Verantwortung stehlen könnten.

Studierende sitzen im Audimax der Freien Universität Berlin.
Studierende sitzen im Audimax der Freien Universität Berlin.

Dabei haben die Gewerkschaften eine ziemlich genaue Vorstellung davon, warum Unternehmen ihre Verantwortung nicht auf den Staat abwälzen können: "Den Unternehmen geht es in Summe gut und sie stehen in der Verantwortung, die Beschäftigten an der guten Auftrags- und Ertragslage zu beteiligen", erklärt ein Sprecher der IG Metall. Auf den Beschäftigten hingegen laste mit der grassierenden Inflation dieses Jahr ein enormer Preisdruck. Sie könnten die Preissteigerungen nicht einfach weitergeben, Unternehmen schon.

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Verschärfend kommt für viele Arbeitnehmer außerdem hinzu: Viele von der Gewerkschaft ausgehandelte Lohnabschlüsse gelten bis zum Jahr 2023. Bis dahin könnten sie mit steigender Inflation und ohne Ausgleich einen noch viel größeren Preisdruck zu spüren bekommen.

"Betriebe können die Löhne nicht so weit erhöhen, dass sie damit die aktuelle Inflation ausgleichen"

Doch Arbeitgeber wenden sich gegen die eindringlichen Forderungen der Gewerkschaften: "So verständlich die Forderung nach Lohnsteigerung in Anbetracht der steigenden Energie- und Lebensmittelpreise ist, aber die Betriebe können die Löhne nicht so weit erhöhen, dass sie damit die aktuelle Inflation ausgleichen", sagte Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Familienunternehmer-Verbands, im Gespräch mit Business Insider. Die Grundvoraussetzung hierfür wäre eine Produktivitätssteigerung. Die wird nach Ansicht des Verbands aber niemals das jetzige Inflationsniveau erreichen.

Stattdessen würde die Lohnsteigerung auf die Kunden abgewälzt, was seiner Ansicht nach sofort eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen würde. Damit meint der Verbandschef: Immer höhere Löhne, die sich an der steigenden Inflation orientieren, heizen die Inflation erst zusätzlich an. Die Preise würden einfach auch erhöht, schlichtweg weil Menschen wieder mehr Geld zur Verfügung hätten.

Wie viele Jung- und Familienunternehmer eine solche Entwicklung fürchten, zeigt dabei auch eine Umfrage des Verbands. Demnach halten 89 Prozent der Befragten die Lohn-Preis-Spirale für eine große beziehungsweise sehr große Gefahr. Unter Ökonomen und Gewerkschaften ist dieses Argument jedoch umstritten.

Arbeitgebernahe Ökonomen wie etwa Michael Hüther, der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, warnt ebenfalls vor einer Preis-Lohn-Spirale. Arbeitnehmer-nahe Ökonomen wie Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung sieht derzeit hingegen keine Anzeichen für eine solche Entwicklung. Er beobachtet aktuell "eine Preis-Lohn-Spirale, weil die Löhne in Folge steigender Preise steigen, nicht umgekehrt", sagte er Business Insider bereits Anfang Juni. Tatsächlich sind die Löhne 2020 und 2021 langsamer gestiegen als die Inflation und die Kaufkraft der Einkommen damit deutlich geschrumpft.

Indessen gehen Gewerkschaften mit ihrer Argumentation gegen die Lohn-Preis-Spirale noch weiter als Ökonom Dullien: Sie behaupten, dass viele Unternehmen die aktuelle wirtschaftliche Lage auch nutzten, um besonders hohe Gewinne einzustreichen. Die IG Metall spricht deshalb auch von einer Profit-Preis-Spirale. Mit einer Kampagne fordert die Gewerkschaft deshalb die Politik auf, dagegen vorzugehen, etwa mit einer Steuer auf Übergewinne. Andere Teile der Gewerkschaft wollen jedoch lieber einen tatsächlichen Ausgleich über die Löhne.

Kanzler Olaf Scholz will vermitteln zwischen den Tarifparteien

In der Ampel arbeitet man bereits an Lösungen. Denn nach Informationen von Business Insider befürchtet man selbst im Wirtschaftsministerium, dass es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommen könnte. Demnach soll mit Arbeitgebern und -nehmern vorbesprochen sein, dass man diese Entwicklung verhindern müsse. Kanzler Olaf Scholz (SPD) selbst hatte schon in einer Bundestagsrede vorgeschlagen, in einer konzertierten Aktion, also einem Deal zwischen Tarifpartnern, dagegen vorzugehen. Gewerkschaften würden sich gemäß einer solchen Lösung bei Lohnforderungen zurückhalten, dafür der Staat der Wirtschaft mit Entlastungen unter die Arme greifen. Erste Gespräche sollen dazu im Juli geführt werden.

Bei Gewerkschaften wie Arbeitgebern stößt dieser Vorschlag jedoch auf Widerstand: "Der Staat hat bei Lohnverhandlungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nichts zu suchen", heißt es dazu vom Verbandschef der Familienunternehmer. Von Eben-Worlée fordert stattdessen Betrieben per Gesetz beispielsweise steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen zu ermöglichen, analog zu den Prämien in der Corona-Zeit. Sie zähle nicht als Lohnerhöhung und könnte sich dementsprechend dämpfend auf die Lohn-Preis-Spirale auswirken, argumentiert der Unternehmervertreter.