"Kein erhöhtes Risiko": Deutsche Bahn wirbt mit Corona-Studie um Vertrauen
Die Bahn will mit wissenschaftlichen Daten das Vertrauen der Fahrgäste zurückgewinnen. Es geht auch um die Rechtfertigung von Milliarden-Subventionen.
Für das Bahnpersonal in Fernverkehrszügen besteht nach Angaben von Bahn-Personalvorstand Martin Seiler kein erhöhtes Risiko, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Das zeige eine gemeinsame Studie von DB Fernverkehr und der Charité Research Organisation. „Wir haben jetzt erste wissenschaftliche Erkenntnisse in Deutschland zum Corona-Geschehen in Zügen“, sagte Seiler. „Unsere Mitarbeitenden an Bord sind keinem erhöhten Risiko ausgesetzt, an Covid-19 zu erkranken.“ Die Studie soll fortgesetzt werden.
In der Studie wurden 600 Zugbegleiter für ICs und ICEs getestet, und die Ergebnisse wurden mit denen von etwa genauso vielen Lokführern und Werkstattmitarbeitern mit deutlich weniger Kontakten verglichen. Bei allen Getesteten sei lediglich ein Coronafall eines Werksmitarbeiters registriert worden. Bei den Zugbegleitern hatten 1,3 Prozent Antikörper im Blut – hatten also schon einmal eine Infektion mit dem Virus. In der Vergleichsgruppe war der Anteil gut doppelt so hoch.
Die Deutsche Bahn will damit belegen, dass „Bahnfahren sicher ist“. Und sie will, dass die Fahrgäste, die wegen Corona ausgeblieben waren, zurückkommen. Derzeit liege die Auslastung der Fernzüge „sehr verhalten“ bei nur 40 Prozent, berichtete Personenverkehrsvorstand Berthold Huber. Vor der Coronakrise lag die Auslastung bei durchschnittlich 60 Prozent der verfügbaren Sitzplätze.
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Der Staatskonzern habe ein großes „Interesse daran, dass die Menschen sich nicht von der Bahn abwenden“, betonte Personalchef Seiler. Damit machte er deutlich, dass die Bahn auch fürchtet, die Corona-Pandemie könnte ihre Expansionsstrategie im Personenverkehr ausbremsen.
Derzeit werden viele neue ICEs und ICs in Betrieb genommen, um das mit der Bundesregierung verabredete Ziel zu erreichen, die Zahl der Fernverkehrsfahrgäste auf 150 Millionen pro Jahr zu steigern. Doch dafür ist es wichtig, dass die Menschen wieder Vertrauen ins Bahnfahren zurückgewinnen.
Huber nahm auch zu Forderungen nach einer obligatorischen Sitzplatzreservierung Stellung, um den Hygieneabstand von 1,5 Metern zu gewährleisten. Das würde bedeuten, 75 Prozent der Platzkapazitäten aus dem Markt zu nehmen, sagte der Vorstand. Die Bahn habe aber täglich 100.000 Pendler im Fernverkehr, und die würden auf ohnehin übervolle Nahverkehrszüge verdrängt. „Das kann nicht die Lösung sein“, sagte Huber.
Fahrgastzahl im Nahverkehr erreicht nur 60 Prozent des Vorkrisenniveaus
Auch die kommunalen Verkehrsbetriebe, die zu normalen Zeiten mehr als zehn Milliarden Menschen pro Jahr befördern, fürchten, dass die Fahrgäste auf Dauer ausbleiben könnten. Fünf Monate nach Beginn der Corona-Beschränkungen fahren die Deutschen weiterhin deutlich weniger mit öffentlichen Verkehrsmitteln als zuvor. Im Nahverkehr erreicht die Zahl der Fahrgäste derzeit nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) gerade einmal 60 Prozent des Vorkrisenniveaus.
Der Verband startete daher gemeinsam mit Bund und Ländern die Werbekampagne #besserweiter, um verunsicherte Kunden zurückzugewinnen. Darin wird unter anderem erklärt, verschiedene Studien aus Japan, den USA und europäischen Ländern belegten, dass von der Nutzung von Bussen und Bahnen kein erhöhtes Ansteckungsrisiko ausgehe. Das liegt diesen Studien zufolge unter anderem daran, dass Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel wenig sprechen und damit die Gefahr einer Infektion durch Aerosole gering sei. Auch nutzten Fahrgäste Nahverkehrsmittel nur für kurze Zeiträume.
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Für eine Rückkehr zu früheren Fahrgastzahlen lassen Bus- und Bahnbetreiber jetzt auch in regelmäßigen Umfragen erforschen, wie groß das Vertrauen der Bundesbürger in den Nahverkehr ist. „Uns ist jeder einzelne Fahrgast, der zurückkehrt, wichtig“, sagt VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff.
Aktuell liegt der Ausgangswert des Vertrauensindexes bei 47,24 Punkten. Je näher der Wert sich der Marke von 100 nähert, desto größer ist das Vertrauen in den Nahverkehr. Die Verkehrsbetriebe wollten wissen, ob die Menschen mit einem guten Gefühl in Bus und Bahn einsteigen oder warum sie das eventuell nicht tun, so Wolff.
Nahverkehr wird mit Milliarden subventioniert
Für die rund 650 Nahverkehrsunternehmen in Deutschland ist die Kampagne auch ein Versuch, die ökonomische Katastrophe abzuwenden und die hohen staatlichen Subventionen zu rechtfertigen. Nach dem Shutdown waren wochenlang oft nicht einmal 20 Prozent der Fahrgäste an Bord.
Die Betriebe hatten aber den Großteil ihres Verkehrsangebots weiterlaufen lassen. In den Zeiten vor Corona nahmen die meist kommunalen Unternehmen selbst knapp 13 Milliarden Euro aus dem Verkauf von Fahrkarten ein, jetzt sind Bund und Länder mit fünf Milliarden Euro eingesprungen, um das Einnahmedefizit zu decken.
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Dazu kommen die ohnehin laufenden Subventionen der öffentlichen Hand, die sich zuletzt auf 9,4 Milliarden Euro jährlich summierten. Regionalzüge, Stadtbusse, Straßenbahnen oder Metros sind nicht kostendeckend, jeder Fahrgast wird mit durchschnittlich 82 Eurocent bezuschusst.
Finanzielle Unterstützung gibt es darüber hinaus für Investitionen der sogenannten Öffis – pro Jahr macht das künftig eine Milliarde Euro aus. Diese Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) waren im vergangenen Jahr im Rahmen des Klimapakets der Bundesregierung noch einmal kräftig aufgestockt worden.
Der Staatskonzern Deutsche Bahn muss sich ebenfalls für großzügige Staatshilfe rechtfertigen. Elf Milliarden Euro sollen aus dem Klimapaket an frischem Kapital fließen, weitere mindestens 5,5 Milliarden Euro als Ausgleich für die Folgen der Pandemie.
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