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Wie ein katholischer Krankenhausbetreiber seine Kliniken kaputtspart

Im Bistum Trier nutzt die Marienhaus-Gruppe die Coronakrise, um sich zu sanieren. Zu leiden haben offenbar Patienten und Personal – trotz gefüllter Kassen.

Unter dem Eindruck der Corona-Pandemie schuf die Politik im Frühjahr allerhand Sonderregelungen, um die Krankenhäuser auf den Ansturm von Patienten vorzubereiten. Dazu zählte auch die Möglichkeit, den Pflegeschlüssel zu verändern, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Foto: dpa
Unter dem Eindruck der Corona-Pandemie schuf die Politik im Frühjahr allerhand Sonderregelungen, um die Krankenhäuser auf den Ansturm von Patienten vorzubereiten. Dazu zählte auch die Möglichkeit, den Pflegeschlüssel zu verändern, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Foto: dpa

Die Hilferufe waren laut und deutlich, sie kamen aus Kliniken in St. Wendel, Ottweiler und Kohlhof. „Ich gehe heute mal wieder arbeiten mit Bauchweh (...) hab' das Gefühl, ich mache da bei diesem Verbrechen mit“, textete ein anonymer Absender im Mai. Ein anderer schrieb: „Seit Jahren wird die Belegschaft (…) geknechtet, wo es nur geht.“ Ein Dritter berichtete von einem „Massenandrang“ der Patienten, „psychisch kaum mehr auszuhalten“.

Der Arbeitgeber dieser Briefeschreiber ist die Unternehmensgruppe Marienhaus. Von der Zentrale in Waldbreitbach aus leitet sie 14 Kliniken in drei Bundesländern und gehört einer kirchlichen Stiftung. Sie ist dem Bistum Trier unterstellt, einem der reichsten in Deutschland.

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Laut Eigendarstellung orientiert sich das Marienhaus „an der Botschaft Jesu. Leitlinien unseres Handelns sind daher seine Nächstenliebe, seine bedingungslose Annahme des Mitmenschen.“ Patienten und Mitarbeiter schildern die Zustände in den Krankenhäusern anders.

Dem Handelsblatt liegt eine Auswahl von 160 Briefen und E-Mails vor, die Michael Quetting, Pflegebeauftragter der Gewerkschaft Verdi für das Saarland und Rheinland-Pfalz, im April erhielt. Aus Angst vor Konsequenzen trauen die Absender sich nicht, sich offen zu äußern.

Es herrsche ein Klima der Angst in dem Klinikunternehmen, heißt es immer wieder. Berichtet wird von Arbeitsbedingungen, die das Wohl von Personal und Patienten beeinträchtigen, von einem harten Sanierungskurs und einem ausgedünnten Dienstplan, der sich den coronabedingt veränderten Pflegeschlüssel zunutze macht.

Um die Vorgänge bei Marienhaus aufzuklären, wurde dem saarländischen Pflegebeauftragten Jürgen Bender im Mai Akteneinsicht gewährt. Sein abschließender Bericht ist noch nicht veröffentlicht. Ein Fragenkatalog, der dem Handelsblatt vorliegt, deutet jedoch auf massiven internen Druck der Geschäftsleitung, auf unzumutbare Dienstpläne und auf einen laxen Umgang mit dem Coronaschutz von Mitarbeitern hin.

Ein Pfleger für 15 Patienten

Eskaliert ist die Situation offenbar, als im März die Lungenkrankheit Covid-19 Deutschland erreichte. Damals schuf die Politik allerhand Sonderregelungen, um die Krankenhäuser auf den Ansturm von Patienten vorzubereiten. Dazu zählte auch die Möglichkeit, den Pflegeschlüssel zu verändern, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.

Der Ansturm blieb aus, das Marienhaus veränderte den Personalschlüssel trotzdem. Eine Pflegekraft musste nun 15 statt zehn Patienten gleichzeitig betreuen. Auf der Intensivstation waren es vier statt zwei Patienten. Verdi-Mann Quetting bezeichnet die Maßnahmen als Versuch, die Coronakrise auszunutzen, um Einsparungen durchzusetzen. Das eingesparte Personal habe Minusstunden aufbauen müssen, Schichtzulagen seien weggefallen.

Die Reduzierung des Pflegeschlüssels sei mit den Mitarbeitervertretungen abgestimmt gewesen, heißt es von Marienhaus. Gespräche gab es tatsächlich. Seltsam nur: Nach heftigen Protesten der Belegschaft musste die Geschäftsführung die Änderungen zurücknehmen.

Gespräche des Handelsblatts mit Mitarbeitern zeigen zudem, dass die eingeschränkte Pflege offenbar in einigen Häusern weiterging. Von den schlechten Arbeitsbedingungen berichtet eine Pflegerin aus St. Wendel. Sie und viele Kollegen, auch in Ottweiler, hätten sich zwischenzeitlich krankmelden müssen. „Man sieht die Menschen da liegen und leiden. Das war nicht mehr verantwortbar.“ Marienhaus dagegen spricht von „Kommunikationsproblemen“ an einigen Standorten.

Unter welchem Druck die Mitarbeiter bei Marienhaus standen, deutet auch der Fragenkatalog des Pflegebeauftragten Bender an. Dort heißt es unter anderem: „Was hat es mit der Anordnung auf sich, dass eine Intensivstation nur mit 4:1 zu besetzen sei, egal, welches Krankheitsbild vorliege? Wer zwingt wen in welcher Weise dazu, Patienten zu vernachlässigen? Wer droht, wenn man sich dem widersetzt, mit Abmahnung?“

Sollte sich nur ein kleiner Teil der hinten den Fragen stehenden Vorgänge bestätigen, dürfte Benders Bericht vernichtend ausfallen.

Vollstrecker des Bischofs

Verantwortlich für die Umbrüche bei Marienhaus ist Sanierungsberater Thomas Wolfram. Marienhaus-Geschäftsführer Heinz-Jürgen Scheid holte ihn schon 2019 ins Haus, „Fitnessprogramm“ nannte er in einer hausinternen Zeitung das, was er gemeinsam mit Wolfram für das kirchliche Unternehmen aufsetzen wollte.

Wolfram war eine eigentümliche Wahl für ein Unternehmen, das dem Geiste Jesu Christi verpflichtet ist. Während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer bei der Hamburger Klinikgruppe Asklepios nannten ihn Medien ob seines Führungsstils „General“. Wolfram sagte, er könne über die damalige Berichterstattung nur schmunzeln.

Doch auch der Pflegebeauftragte Jürgen Bender will wissen: „Wer droht in welcher Weise welchen Leitungen mit starken Konsequenzen, wenn Anordnungen von Herrn Wolfram nicht gefolgt wird?“ Gewerkschafter Quetting sagt dazu, dass bei Marienhaus Angst vor dem Generalbevollmächtigten herrsche. Die Methoden von Wolfram in Verbindung mit dem kirchlichen Arbeitsrecht seien ein Nährboden für Krisensituationen. Marienhaus möchte sich zu diesen konkreten Vorwürfen nicht äußern.

Als Wolfram im März vor den saarländischen Sozialausschuss zitiert wurde, zeigte sich der Vize-Fraktionschef der CDU, Herrmann Scharf, konsterniert. Wolframs Sprache habe er als „nicht von einem christlichen Menschenbild und Nächstenliebe geprägt“ empfunden.

Können Nächstenliebe und Sanierung nicht Hand in Hand gehen? Die finanzielle Situation der Marienhaus-Gruppe hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. 2017 schrieb sie einen Bilanzverlust von knapp sieben Millionen Euro. 2019 rechnet man dank der Zusammenarbeit der Geschäftsführung mit Wolfram sowie der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Ernst & Young nun mit einem Überschuss von zwölf Millionen Euro.

Auch beim Bistum Trier sind die Mittel da: 2019 nahm es mehr als 332 Millionen Euro Kirchensteuer ein. In der letzten einsehbaren Bilanz von 2017 ist das Vermögen der Kircheneinrichtung mit 900 Millionen Euro ausgewiesen. Warum sie nicht für die Bewältigung der Krise ausreichen, wollte das Bistum nicht erklären. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann wollte sich auf Anfrage „nicht zu laufenden Vorgängen“ äußern.

Gleichzeitig geht der wirtschaftliche Aufwärtstrend von Marienhaus mit vielen Schließungen einher. Noch 2018 hatte der Träger für den Krankenhausstandort in Losheim eine Bestandsgarantie bis 2022 abgegeben – kassierte dafür 5,8 Millionen Euro öffentliche Fördergelder aus einem Krankenhausstrukturfonds. Doch seit September heißt es von Marienhaus, der Standort müsse aus der Notfallversorgung ausscheiden, stattdessen werde er in ein „altersmedizinisches Zentrum umgewandelt“.

Der Träger begründet den Schritt mit „Gesetzgebungsänderungen“ und den veränderten Rahmenbedingungen im Zuge der Covid-19-Pandemie. Man wolle, so heißt es, durch das altersmedizinische Zentrum die „Bestandsgarantie mit Leben füllen“.

Interne Finanzflüsse

Losheim ist der bisherige Höhepunkt in einer Reihe von geschlossenen Krankenhäusern der Marienhaus-Gruppe. Schon 2017 schlossen die Häuser in Wadern und Flörsheim, 2019 in Dillingen. Nach Angaben des Unternehmens stehen die Loreley-Kliniken in den rheinland-pfälzischen Gemeinden St. Goar und Oberwesel ebenso auf der Streichliste wie das saarländische Klinikum Ottweiler. Marienhaus gibt an, die Krankenhäuser hätten keine Perspektive und begründet das mit den politisch veränderten Rahmenbedingungen.

Die Bilanzen der Unternehmensgruppe zeigen, dass aber auch interne Faktoren eine Rolle spielen. Die Kliniken müssen nämlich gleichzeitig Gelder an die Kirche abführen, ein Grund ist die Altersvorsorge der Ordensschwestern bis 2031. Einst hatten sie die Marienhaus-Stiftung gegründet.

Für die weniger als 200 noch lebenden Franziskanerinnen sind in der Bilanz zwischen 2,1 und 2,7 Millionen Euro jährlich vermerkt. 2014 zog die Holding zudem einen Betrag von 21 Millionen Euro aus der Kliniksparte ab, zur „unternehmensinternen Kapitalkonsolidierung“, wie es heißt.

Vor diesem Hintergrund scheint die Marienhaus-Gruppe nun auch den guten Willen der Politik aufgebraucht zu haben. „Das Vertrauen ist weg, und Marienhaus tut nichts dafür, es wieder aufzubauen“, sagt der Co-Vorsitzende der saarländischen Grünen, Markus Tressel, und fügt hinzu: „Marienhaus hat aus meiner Sicht Corona ausgenutzt, um Tabula rasa zu machen.“

Auch der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Saarland, Magnus Jung (SPD), nennt Marienhaus „unprofessionell“. Wie CDU-Mann Scharf weist aber auch Jung auf die Probleme im Krankenhauswesen hin: „Es muss sich etwas an der grundsätzlichen Finanzierung kleiner Krankenhäuser ändern.“

2019 nahm das Bistum mehr als 332 Millionen Euro Kirchensteuer ein. Foto: dpa
2019 nahm das Bistum mehr als 332 Millionen Euro Kirchensteuer ein. Foto: dpa